Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.428/2015
Zurück zum Index II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2015
Retour à l'indice II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_428/2015

Urteil vom 9. Oktober 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Marazzi, Schöbi,
Gerichtsschreiberin Friedli-Bruggmann.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Doris Farner-Schmidhauser,
Beschwerdeführerin,

gegen

Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Unentgeltliche Rechtspflege (Berufungsverfahren; Eheschutz),

Beschwerde gegen den Beschluss und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich, I. Zivilkammer, vom 7. April 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ (Beschwerdeführerin, geb. 1971, Staatsangehörige von Thailand)
ersuchte im Rahmen eines Berufungsverfahrens vor dem Obergericht des Kantons
Zürich betreffend Eheschutz um die Gewährung von unentgeltlicher Rechtspflege
inkl. unentgeltlichem Rechtsbeistand. Soweit nachfolgend relevant, war im
Berufungsverfahren namentlich der Ehegattenunterhalt strittig.

B. 
Mit Urteil vom 7. April 2015 hiess das Obergericht die Berufung der
Beschwerdeführerin teilweise gut und sprach ihr - anders als die erste Instanz,
welche einen Unterhaltsanspruch verneint hatte - folgende vom Ehemann zu
leistenden Unterhaltsbeiträge zu: Fr. 1'500.-- vom 4. Juli 2012 bis 31. Mai
2014; Fr. 3'000.-- vom 1. Juni 2014 bis 31. August 2015; Fr. 2'945.-- ab 1.
September 2015 und für die Dauer des Getrenntlebens.
Mit Beschluss ebenfalls vom 7. April 2015 (Ziff. 2 des Beschlusses) wies das
Obergericht das Armenrechtsgesuch der Beschwerdeführerin für das
Berufungsverfahren ab. Der Beschluss bildet Bestandteil des Urteils.

C. 
Gegen genannten Beschluss gelangt die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 21.
Mai 2015 an das Bundesgericht. Sie verlangt, Ziff. 2 des Beschlusses vom 7.
April 2015 sei unter Kosten- und Entschädigungsfolgen aufzuheben, ihr sei für
das Berufungsverfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen und ihr
sei eine unentgeltliche Rechtsbeiständin zu bestellen. Eventuell sei die Sache
zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie ersucht auch für das
bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Die Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.

1.1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein
Rechtsmittel zulässig ist (BGE 140 IV 57 E. 2 S. 59; 139 III 133 E. 1 S. 133
mit Hinweisen).

1.2. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 BGG)
über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung im
Berufungsverfahren, wogegen die Beschwerde offen steht (vgl. zur Ausnahme vom
Erfordernis der double instance BGE 138 III 41 E. 1.1 S. 42; 137 III 424 E. 2.2
S. 426). Da der Entscheid zusammen mit dem Urteil in der Hauptsache ergangen
ist, handelt es sich nicht um einen Zwischenentscheid (vgl. Urteile 5A_761/2014
vom 26. Februar 2015 E. 1.2; 5A_32/2014 vom 8. April 2014 E. 1). In der Sache
geht es um Eheschutzmassnahmen und damit um eine Zivilsache (Art. 72 Abs. 1
BGG) vermögensrechtlicher Natur, deren Streitwert Fr. 30'000.-- übersteigt
(Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Daran ändert nichts, dass sich die
Beschwerdeführerin vor Bundesgericht einzig gegen die Verweigerung der
unentgeltlichen Rechtspflege zur Wehr setzt, denn das Obergericht hat seinen
Beschluss materiell und zeitlich nicht unabhängig vom Entscheid in der
Hauptsache gefällt (Urteile 5A_58/2014 vom 17. Oktober 2014 E. 1.3; 5A_740/2012
vom 11. März 2013 E. 1.1). Die Beschwerdeführerin ist gemäss Art. 76 Abs. 1 BGG
zur Beschwerde berechtigt und die Beschwerdefrist ist eingehalten (Art. 100
Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde in Zivilsachen kann eingetreten werden.

2.

2.1. Eheschutzmassnahmen fallen unter Art. 98 BGG (BGE 133 III 393 E. 5.2 S.
397), so dass nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte, namentlich des
Willkürverbots (Art. 9 BV) geltend gemacht werden kann. Für alle Vorbringen
betreffend die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gilt das Rügeprinzip (Art.
106 Abs. 2 BGG).

2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich kann die
Beschwerdeführerin nur einwenden, die Feststellungen zum Sachverhalt seien
offensichtlich unrichtig, das heisst willkürlich, oder würden auf einer anderen
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (vgl. BGE 134 V 53 E. 4.3 S.
62; 133 II 249 E. 1.2.2 S. 252, E. 1.4.3 S. 255). Überdies ist darzutun,
inwiefern die Behebung des gerügten Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 135 I 19 E. 2.2.2 S. 22).

3.

3.1. Eine Person hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn sie nicht
über die erforderlichen Mittel verfügt und ihr Rechtsbegehren nicht
aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat
sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand (Art. 29 Abs. 3 BV,
Art. 117 f. ZPO). Vorliegend ist (nur) umstritten, ob die Beschwerdeführerin
bedürftig ist.

3.2. Die Vorinstanz hat die Bedürftigkeit mit der Begründung verneint, dass die
Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung ihrer eigenen Einkünfte, ihrer
Bedarfskosten und den vom Ehemann zu leistenden Unterhaltszahlungen in allen
Phasen der Unterhaltsberechnung einen Überschuss von Fr. 480.-- bis Fr.
3'218.-- aufweise. Bereits mit dem tiefsten Überschuss von Fr. 480.-- sei es
der Beschwerdeführerin möglich, ihre Prozesskosten (Fr. 2'750.-- für die auf
sie entfallenden Gerichtskosten und Fr. 4'500.-- für zu erwartende eigene
Anwaltskosten) in rund 15 Monaten selbst zu finanzieren. Sie sei daher nicht
als mittellos zu be zeichnen. Die Vorinstanz ging dabei von folgenden
Einkünften der Beschwerdeführerin aus:

- Fr. 4'066.-- vom 4. Juli 2012 bis 31. Dezember 2012
- Fr. 4'429.-- vom 1. Januar 2013 bis 31. Mai 2014
- Fr. 1'695.-- vom 1. Juni 2014 bis 31. Juli 2014
- Fr. 3'083.-- vom 1. August 2014 bis 31. Oktober 2014
- Fr. 1'388.-- vom 1. November 2014 bis 31. August 2015
- Fr. 4'000.-- ab dem 1. September 2015 (hypothetisches Einkommen)
Den massgeblichen Bedarf der Beschwerdeführerin setzte die Vorinstanz auf Fr.
3'727.-- fest. Die ihr zugesprochenen Unterhaltsbeiträge ergeben sich aus dem
Sachverhalt (lit. B).

3.3. Die Beschwerdeführerin rügt vorab, es sei äusserst zweifelhaft, ob sie von
ihrem Ehemann je Unterhaltsbeiträge erhalte. Dieser habe immer bestritten, dass
ihr Unterhalt zustehe. Es sei offensichtlich, dass er ihr während der ganzen
Dauer des Verfahrens keine Unterhaltsbeiträge, auch keine Akontozahlungen
geleistet habe. Von dieser Tatsache sei auch die Vorinstanz ausgegangen, da
diese keine solchen Zahlungen erwähnt habe. Die Vorinstanz habe nicht nur ihren
Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege verletzt, sondern auch willkürlich
gehandelt. Weiter sei die Vorinstanz bei ihr von teilweise zu hohen Erwerbs-
und Ersatzerwerbseinkommen ausgegangen. Das von der Vorinstanz errechnete
Existenzminimum bestreitet sie nicht.

4.

4.1. Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hat, wer nicht über die
erforderlichen Mittel verfügt (E. 3.1). Als bedürftig im Sinne von Art. 29 Abs.
3 BV gilt eine Person dann, wenn sie die Kosten eines Prozesses nicht
aufzubringen vermag, ohne jene Mittel anzugreifen, die für die Deckung des
eigenen notwendigen Lebensunterhalts und desjenigen ihrer Familie erforderlich
sind (BGE 135 I 221 E. 5.1 S. 223; 128 I 225 E. 2.5.1 S. 232; je mit
Hinweisen). Die prozessuale Bedürftigkeit beurteilt sich grundsätzlich nach der
gesamten wirtschaftlichen Situation des Rechtsuchenden im Zeitpunkt der
Einreichung des Gesuchs. Dazu gehören einerseits sämtliche finanziellen
Verpflichtungen, anderseits die Einkommens- und Vermögensverhältnisse (BGE 135
I 221 E. 5.1 S. 223 f.; zuletzt Urteil 5A_58/2014 vom 17. Oktober 2014 E.
3.3.1). Ob die Kriterien zur Bestimmung der Bedürftigkeit zutreffend gewählt
worden sind, prüft das Bundesgericht fre i (BGE 135 I 221 E. 5.1 S. 223; 120 Ia
179 E. 3a S. 181; 119 Ia 11 E. 3a S. 12; Urteil 5A_124/2012 vom 28. März 2012
E. 3.3).

4.2. Die Bedürftigkeit ist demnach anhand der wirtschaftlichen Situation der
Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung zu beurteilen (E. 4.1).
Nach der Rechtsprechung ist es indes zulässig, auf den Zeitpunkt des Entscheids
(des Obergerichts) abzustellen, falls die Beschwerdeführerin dann nicht mehr
bedürftig ist (vgl. Urteile 5A_58/2014 vom 17. Oktober 2014 E. 3.3.2; 5A_124/
2012 vom 28. März 2012 E. 3.3; je mit Hinweis auf den Zusammenhang mit der
Rückzahlungspflicht gemäss Art. 123 ZPO).
Die Beschwerdeführerin hat in der am 24. November 2014 eingereichten
Berufungsschrift um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und
Verbeiständung für das Berufungsverfahren ersucht, womit das der grundsätzlich
massgebende Zeitpunkt ist. Vorliegend stützt sich das Obergericht aber auf
einen Zeitraum ab, der weit vor die Gesuchseinreichung zurück und auch in die
Zukunft über die Urteilsfällung hinaus reicht. Die Zulässigkeit dieses
Vorgehens kann angesichts der nachfolgenden Erwägungen offen gelassen werden.

4.3. Die Beschwerdeführerin kritisiert die Berücksichtigung der
Unterhaltsbeiträge, welche sie im obergerichtlichen Eheschutzentscheid
zugesprochen erhalten hat, zu Recht. Eine Berücksichtigung solcher
(rückwirkend) zugesprochener Alimente ist nur zulässig, wenn die mit dem
Armenrechtsgesuch befasste Behörde mit Gewissheit damit rechnen kann, dass
diese auch geleistet werden. Dies ist beispielsweise der Fall, soweit der
Alimentenschuldner streitige Unterhaltsbeiträge schon vor dem Entscheid über
die unentgeltliche Rechtspflege mit einer gewissen Dauer und Regelmässigkeit
tatsächlich ausbezahlt hat (vgl. zum Ganzen Urteil 5A_58/2014 vom 17. Oktober
2014 E. 3.3.3).
Vorliegend kann gemäss den Ausführungen der Vorinstanz nicht ohne Weiteres
damit gerechnet werden, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin die Alimente
bezahlen wird. Daran ändert auch nichts, dass der Ehemann das Urteil des
Obergerichts nicht angefochten hat und damit die Unterhaltszahlungen zu
akzeptieren scheint. Die Vorinstanz hat in ihrem Entscheid mehrfach
festgehalten, dass dieser seine Mitwirkung im Verfahren verweigerte, indem er
seine finanziellen Verhältnisse nicht offen legte, so dass bis zum Urteil nicht
bekannt gewesen sei, wie viel er genau verdiene. Die Vorinstanz erwähnt auch an
keiner Stelle, dass der Ehemann während der Dauer des Eheschutzverfahrens etwas
an den Unterhalt seiner Ehefrau beigetragen hätte. Aktenkundig ist hingegen,
dass er offenbar Steuerschulden abzahle und auch, dass er von Beginn weg und
bis vor Obergericht konstant beantragte, der Ehefrau sei kein Unterhaltsbeitrag
zuzusprechen. Vor diesem Hintergrund durfte die Vorinstanz bei der Beurteilung
der Bedürftigkeit die nachträglich zugesprochenen Unterhaltsbeiträge nicht
einberechnen. Das Obergericht hat den verfassungsrechtlichen Anspruch der
Beschwerdeführerin auf unentgeltliche Rechtspflege verletzt.

4.4. Dem angefochtenen Urteil lassen sich Bedarfs- und Einkommenszahlen
entnehmen, die den Schluss nahelegen, dass die Beschwerdeführerin im
massgebenden Zeitraum nicht über einen Überschuss verfügt hat, der die
gänzliche Verneinung einer Bedürftigkeit im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV
zuliesse.
Es ist allerdings nicht die Aufgabe des Bundesgerichts als erste und einzige
Instanz zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Beschwerdeführerin im konkreten
Fall in der Lage gewesen ist, ihren Prozess vor der Berufungsinstanz zumindest
teilweise mit eigenen Mitteln mitzufinanzieren, wenn ihr kein Unterhalt
angerechnet wird. Die Sache ist daher zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 BGG).

5. 
Bei diesem Ausgang des Beschwerdeverfahrens obsiegt die Beschwerdeführerin. Dem
Kanton werden im Streit um die unentgeltliche Rechtspflege praxisgemäss keine
Gerichtskosten auferlegt. Er muss die Beschwerdeführerin aber für ihren Aufwand
vor Bundesgericht entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren erweist sich
damit als gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und Ziffer 2 des Beschlusses des Obergerichts
des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 7. April 2015 wird aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

2. 
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das
Verfahren vor Bundesgericht wird als gegenstandslos abgeschrieben.

3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 
Der Kanton Zürich hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

5. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht des Kantons
Zürich, I. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. Oktober 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Die Gerichtsschreiberin: Friedli-Bruggmann

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben