Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.34/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_34/2015

Urteil vom 29. Juni 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Herrmann, Schöbi,
Gerichtsschreiber Traub.

Verfahrensbeteiligte
A.A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Renzo Guzzi,
Beschwerdeführer,

gegen

B.A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Sabine Bezel Martin,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ehescheidung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer,
vom 19. November 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.A.________ (geb. 1953) und B.A.________ (1959) haben 1987 geheiratet. 1988
wurde die gemeinsame Tochter C.A.________ geboren. Die Eheleute lebten seit Mai
2006 getrennt.

B. 
Mit Urteil vom 4. Juli 2013 schied das Bezirksgericht Baden die Ehe auf
gemeinsamen Antrag der Parteien hin. Bezüglich des nachehelichen Unterhalts
entschied das Gericht was folgt:

"2. Der Gesuchsteller wird verpflichtet, der Gesuchstellerin ab Rechtskraft des
Scheidungsurteils bis zur Pensionierung des Gesuchstellers einen nachehelichen
Unterhaltsbeitrag von Fr. 4'440.00 monatlich vorschüssig zu bezahlen.
3. Die Unterhaltsbeiträge basieren auf folgenden Werten:

- monatliches hypothetisches Nettoeinkommen des Gesuchstellers: Fr. 8'600.00
- monatliches Nettoeinkommen der Gesuchstellerin (türkische Rente) : Fr. 475.00
4. Die Unterhaltsbeiträge gemäss Ziff. 2 hievor werden wie folgt indexiert:
[...]"

C. 
A.A.________ legte gegen dieses Urteil Berufung beim Obergericht des Kantons
Aargau ein. Er stellte, soweit vor Bundesgericht noch relevant, die Anträge,
Dispositiv-Ziff. 2 des bezirksgerichtlichen Urteils sei aufzuheben; er sei neu
zu verpflichten, der Berufungsgegnerin ab Rechtskraft des Scheidungsurteils bis
zu seinem ordentlichen Pensionsalter, längstens jedoch bis 31. März 2018, einen
nachehelichen Unterhaltsbeitrag von monatlich Fr. 1'100.-- vorschüssig zu
bezahlen. Weiter seien die Dispositiv-Ziff. 3 und 4 des angefochtenen Urteils
aufzuheben; die in Ziff. 3 angegebenen Daten seien durch in der
Berufungsschrift näher spezifizierte zu ersetzen.

 Das Obergericht wies die Berufung ab, soweit es darauf eintrat und das
Verfahren nicht (hinsichtlich eines zufolge teilweisen Rückzugs der Berufung
rechtskräftig gewordenen Punktes) als erledigt abschrieb (Urteil vom 19.
November 2014).

D. 
Dagegen erhob A.A.________ (Beschwerdeführer) am 13. Januar 2015 Beschwerde in
Zivilsachen sowie subsidiäre Verfassungsbeschwerde mit den Anträgen, das
angefochtene Urteil sei vollumfänglich aufzuheben; die Akten seien zu neuer
Entscheidung an das Obergericht des Kantons Aargau zurückzuweisen. Eventuell
sei er zu verpflichten, B.A.________ (Beschwerdegegnerin) mit Wirkung ab 4.
Juli 2013 bis und mit 14. Juli 2018 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr.
1'618.80 (nicht indexiert) zu bezahlen. Zudem ersuchte der Beschwerdeführer um
unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung und Rechtsverbeiständung).

 Das Bundesgericht hat die Akten beigezogen, in der Sache aber keine
Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht überprüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob eine
Beschwerde zulässig ist (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 140 IV 57 E. 2 S. 59; 138 I
435 E. 1 S. 439).

1.1. Die Beschwerde in Zivilsachen richtet sich gegen den Endentscheid (Art. 90
BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 Abs. 1 BGG), der die
vermögensrechtlichen Folgen einer Ehescheidung, also eine Zivilsache im Sinne
von Art. 72 Abs. 1 BGG, zum Gegenstand hat. Die Streitwertgrenze gemäss Art. 74
Abs. 1 lit. b BGG ist erreicht. Die rechtzeitig (Art. 100 Abs. 1 BGG)
eingereichte Beschwerde ist grundsätzlich zulässig.

1.2. Steht somit die Beschwerde in Zivilsachen zur Verfügung, bleibt für die
ebenfalls erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde kein Raum (Art. 113 BGG;
Urteil 5A_103/2014 vom 4. Juni 2014 E. 1.3). Auf diese ist nicht einzutreten.

2. 
Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens ist der nacheheliche
Unterhaltsanspruch der Beschwerdegegnerin. Strittig sind im Einzelnen der
Beginn der Unterhaltspflicht (unten E. 4), die Indexierung des
Unterhaltsbeitrages (E. 5) sowie dessen Höhe unter den Aspekten eines durch
einen früheren kantonalen Entscheid erzeugten Vertrauensschutzes (E. 6) und der
anrechenbaren Einkommen von Beschwerdegegnerin (E. 7.2) resp. Beschwerdeführer
(E. 7.3).

3. 
Mit der Scheidung endet die auf Art. 159 Abs. 3 und Art. 163 Abs. 1 ZGB
beruhende eheliche Beistands- und Unterhaltspflicht. An deren Stelle kann
nachehelicher Unterhalt gemäss Art. 125 ZGB treten. Dieser ist bei
lebensprägenden Ehen in drei Schritten zu ermitteln: Vorab ist der gebührende
Unterhalt zu bestimmen, wofür die massgebenden Lebensverhältnisse der Parteien
festzustellen sind; bei lebensprägender Ehe bemisst sich der gebührende
Unterhalt an dem in der Ehe zuletzt gemeinsam gelebten Standard (zuzüglich
scheidungsbedingter Mehrkosten), auf dessen Fortführung bei genügenden Mitteln
beide Teile Anspruch haben; dieser Standard bildet gleichzeitig die Obergrenze
des gebührenden Unterhalts. Sodann ist zu prüfen, inwiefern die Ehegatten den
Unterhalt je selber finanzieren können; der Vorrang der Eigenversorgung ergibt
sich direkt aus dem Wortlaut von Art. 125 Abs. 1 ZGB. Ist sie einem Ehegatten
vorübergehend oder dauerhaft nicht möglich bzw. zumutbar, so dass er auf
Unterhaltsleistungen des anderen angewiesen ist, muss schliesslich dessen
Leistungsfähigkeit ermittelt und ein angemessener Unterhaltsbeitrag festgesetzt
werden. Dieser beruht auf dem Prinzip der nachehelichen Solidarität (BGE 137
III 102 E. 4.2 S. 106; 134 III 145 E. 4 S. 146 mit Hinweisen).

4. 
Der Beschwerdeführer rügt zunächst, die Vorinstanz habe den Beginn der - mit
der ordentlichen Pensionierung des Verpflichteten im Juli 2018 endenden (E. 5.9
des angefochtenen Urteils) - Unterhaltspflicht unzutreffend festgesetzt (E.
5.3). Das Bundesgericht hat wiederholt festgehalten, dass die nacheheliche
Unterhaltspflicht regelmässig mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft des
Entscheids über die  Unterhaltsrente beginnt (Urteil 5A_310/2010 vom 19.
November 2010 E. 10.3), dass das Sachgericht aber den Rentenbeginn in
begründeten Fällen auch rückwirkend auf die Rechtskraft im Scheidungspunkt
festsetzen kann (BGE 128 III 121 E. 3b S. 122). Der Beschwerdeführer führt
keine Gründe an, aufgrund derer hier von der Regel abzuweichen wäre. Er macht
nur geltend, Art. 126 Abs. 1 ZGB sei verletzt, weil eine antragsgemäss tiefere
Festsetzung des  nachehelichen Unterhaltsbeitrages bereits für die Zeit ab dem
(im Scheidungspunkt rechtskräftigen) bezirksgerichtlichen Urteil vom 4. Juli
2013 greifen sollte. Für eine Herabsetzung des vor der Scheidung geltenden
Geldbeitrages wäre ihm der Weg über das Abänderungsverfahren (Art. 179 ZGB)
offen gestanden.

5. 
Sodann erneuert der Beschwerdeführer das bereits vor Obergericht gestellte
Rechtsbegehren, die Indexklausel hinsichtlich des nachehelichen
Unterhaltsbeitrags sei aufzuheben (vgl. E. 5.10 des angefochtenen Entscheids).
Hiezu gibt er aber keine Begründung. Auf diesen Antrag ist daher nicht
einzutreten (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 140 III 86 E. 2 S. 88).

6. 

6.1. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, das angefochtene Urteil der
kantonalen Berufungsinstanz widerspreche einem eigenen vorangegangenen
Entscheid. Das Obergericht habe im Urteil vom 24. Januar 2014 festgestellt,
nach Deckung seines Existenzminimums (Fr. 2'772.--) verblieben dem Beklagten
von seinem Einkommen (Fr. 4'392.80) noch Fr. 1'619.80. Wenn nun die eine Kammer
des Obergerichts nach Fällung des Scheidungsurteils auf einen verfügbaren
Betrag von Fr. 1'619.80 komme, könne nicht danach eine andere Kammer
entscheiden, seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erlaube einen monatlichen
Unterhaltsbeitrag von Fr. 4'400.--. Dies sei willkürlich (Art. 9 BV). Denn er
habe sich darauf verlassen dürfen, dass eine Kammer des Obergerichts den
Entscheid der anderen Kammer - welcher als behördliche Erklärung eine
schützenswerte Vertrauensposition begründet habe - kenne und respektiere und
nicht mit einem Endurteil in der Scheidungssache selbst ausser Kraft setze.

6.2. Diese Argumentation lässt ausser Acht, dass sich das Urteil vom 24. Januar
2014 mit einer Schuldneranweisung befasst. Die Anweisung an den Arbeitgeber,
einen Teil des Lohnes direkt an den Unterhaltsberechtigten auszubezahlen, ist
eine besondere familienrechtliche Sanktion, welche der Durchsetzung der
Unterhaltspflicht dient (vgl. BGE 130 III 489 E. 2.4 S. 494). Sie muss das
Existenzminimum respektieren. Nach der Rechtsprechung darf daher der Richter,
der über eine Schuldneranweisung zu befinden hat, nicht auf ein hypothetisches
Einkommen abstellen. Vielmehr muss er seinem Entscheid das tatsächliche
Einkommen zu Grunde legen (Urteil 5A_490/2012 vom 23. November 2012 E. 3 mit
Hinweisen). Aus dem Umstand, dass das Obergericht in seinem Urteil vom 24.
Januar 2014 diesen Vorgaben gefolgt ist, kann der Beschwerdeführer nichts zu
seinen Gunsten ableiten. Anders als dort musste die Vorinstanz im hier
angefochtenen Entscheid die Anrechnung eines hypothetischen Einkommens prüfen
(dazu unten E. 7.1).

7. 
Der Beschwerdeführer bestreitet schliesslich die vorinstanzliche Beurteilung
der auf beiden Seiten anrechenbaren Einkommen.

7.1. 

7.1.1. Wirtschaftlich leistungsfähig sind der unterhaltspflichtige und der
unterhaltsberechtigte Ehegatte nicht nur dann, wenn sie ein Einkommen haben,
sondern auch, wenn sie bei gutem Willen ein solches haben könnten (BGE 110 II
116 E. 2a S. 117). Bei der Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen darf daher von
einem hypothetischen Einkommen ausgegangen werden, falls und soweit der
betreffende Ehegatte bei ihm zuzumutender Anstrengung mehr verdienen könnte,
als er effektiv verdient. Wo die reale Möglichkeit einer Einkommenssteigerung
fehlt, muss eine solche jedoch ausser Betracht bleiben (BGE 128 III 4 E. 4a S.
5; vgl. auch BGE 137 III 118 E. 2.3 S. 121 [betreffend den Kindesunterhalt]).
Die Anrechnung eines hypothetischen Einkommens hat keinen pönalen Charakter.
Selbst bei Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit in Schädigungsabsicht darf
dem (somit rechtsmissbräuchlich handelnden) Ehegatten ein hypothetisches
Einkommen nur angerechnet werden, wenn er die Verminderung seiner
Leistungskraft rückgängig machen kann. Entscheidend sind die tatsächlichen
Möglichkeiten (BGE 128 III 4 E. 4a S. 6; 117 II 16 E. 1b S. 17; Urteil 5A_210/
2013 vom 24. Dezember 2013 E. 4.2).

 Wenn die Pflicht zur Aufnahme oder Ausweitung der Erwerbstätigkeit
grundsätzlich bejaht und somit ein hypothetisches Einkommen angerechnet wird,
ist der verpflichteten Partei hinreichend Zeit zu lassen, die rechtlichen
Vorgaben in die Tat umzusetzen. Die Festsetzung der Umstellungsfrist steht im
Ermessen des Sachgerichts; das Bundesgericht greift daher nur bei einer
Verletzung des Gebotes von Recht und Billigkeit (Art. 4 ZGB) ein (BGE 129 III
417 E. 2.2 S. 421; Urteil 5C.34/2004 vom 22. April 2004 E. 2.5; vgl. auch
Urteil 5A_241/2008 vom 16. Juli 2008 E. 6).

7.1.2. Die Zumutbarkeit einer bestimmten Tätigkeit in einem bestimmten Umfang
betrifft eine frei überprüfbare Rechtsfrage. Ob die als zumutbar erkannte
Tätigkeit möglich und das angenommene Einkommen effektiv erzielbar ist, ist
indessen Tatfrage. Als solche sind Annahmen der Vorinstanz über das
hypothetische Einkommen, die auf der Würdigung anhand konkreter Anhaltspunkte
beruhen, für das Bundesgericht verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG). Vorbehalten
bleiben Schlussfolgerungen, die sich ausschliesslich nach der allgemeinen
Lebenserfahrung richten, somit nach einem Erfahrungssatz, der gleichsam die
Funktion einer Norm hat (BGE 137 III 118 E. 2.3 S. 121; 128 III 4 E. 4c/bb S.
7; 126 III 10 E. 2b S. 12; erwähntes Urteil 5C.34/2004 E. 2.2 und 2.4).

7.2. Der Beschwerdeführer beklagt sich darüber, dass der Beschwerdegegnerin
kein hypothetisches Einkommen angerechnet wird. Diese Ungleichbehandlung
erweise sich als im Sinne von Art. 9 BV willkürlich.

7.2.1. Die Vorinstanz hatte zur Eigenversorgungskapazität (Art. 125 Abs. 1 ZGB)
der Beschwerdegegnerin festgestellt, dieser sei nur eine türkische Rente von
monatlich Fr. 475.-- anzurechnen. Damit folgte sie dem Bezirksgericht, welches
davon ausgegangen war, der im Zeitpunkt der Trennung (2006) 47-Jährigen sei es
nach fast zwanzig Jahre dauernder Abwesenheit vom Arbeitsmarkt nicht mehr
zuzumuten, eine Stelle zu suchen (angefochtener Entscheid E. 5.7.1; vgl. BGE
137 III 102 E. 4.2.2.2 S. 109 mit Hinweisen; Urteil 5A_891/2013 vom 12. März
2014 E. 4.1.2).

7.2.2. Die Frage, ob ein hypothetisches Einkommen anzurechnen ist, wird für den
Unterhaltspflichtigen und für den Unterhaltsberechtigten je unabhängig
beantwortet. Das Obergericht hat erklärt, weshalb es der Ehefrau kein
hypothetisches Einkommen anrechnete. Der Beschwerdeführer bestreitet weder die
dem angefochtenen Urteil zu Grunde gelegten Tatsachenfeststellungen noch führt
er aus, inwiefern die Vorinstanz die Frage der Zumutbarkeit bundesrechtswidrig
beurteilt haben sollte. Eine Ungleichbehandlung liegt nicht vor.

7.3. Zur Hauptsache beanstandet der Beschwerdeführer, es werde ihm in
bundesrechtswidriger Weise ein Einkommen angerechnet, über das er nicht
verfüge.

7.3.1. Die Vorinstanz bezweifelte die Behauptung des Beschwerdeführers, seine
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit habe sich während des laufenden Verfahrens
infolge eines Stellenwechsels (nach Stellenverlust) dauerhaft vermindert, er
werde nur noch ein Nettoeinkommen von rund Fr. 4'300.-- erwirtschaften können
(statt wie vorher ein solches von Fr. 8'600.--). Sie erwog, der
Unterhaltspflichtige trage mit seinen vagen Angaben nichts dazu bei, die
geltend gemachten Umstände (Kündigung und Neuanstellung zu den behaupteten
Konditionen) nachvollziehbar zu machen. Er liefere lediglich Angaben zu seinem
Fixeinkommen (Arbeitsvertrag vom 1. August 2013), nicht aber zu Bonuszahlungen
und Spesenersatz. Für das Vorhandensein variabler Lohnbestandteile spreche die
Tatsache, dass ihm das ausgewiesene Fixum allein kaum erlaube, den behaupteten
Lebensbedarf von Fr. 4'300.-- zu decken. Unklar sei ferner, weshalb er bloss in
einem Pensum von 80 Prozent angestellt sei. Sodann erbringe er auch nicht den
Beweis dafür, dass es ihm trotz ernsthafter und ausreichender Bemühungen nicht
gelungen sei, eine andere Anstellung mit ähnlicher Entlöhnung zu finden. Daher
sei nicht zu beanstanden, dass das Bezirksgericht weiterhin ein Einkommen von
Fr. 8'600.-- angerechnet habe (angefochtener Entscheid E. 5.7.2.4 a.E. und
5.7.2.5). Insgesamt bleibe es beim bezirksgerichtlich festgelegten
Unterhaltsbeitrag in Höhe von Fr. 4'440.-- (E. 5.8).

7.3.2. Der Beschwerdeführer wendet ein, der vorinstanzlich bestätigte
Unterhaltsbeitrag greife bundesrechtswidrig in sein betreibungsrechtliches
Existenzminimum ein. Bei einem bald 62-jährigen Aussendienstmitarbeiter, der
schon seit 2011 einen deutlich tieferen Lohn beziehe, könne man nicht davon
ausgehen, er sei in der Lage, sein tatsächliches Einkommen für die verbleibende
Erwerbszeit von noch dreieinhalb Jahren auf Fr. 8'600.-- zu verdoppeln. Dieses
dürfe ihm daher auch nicht hypothetisch angerechnet werden.

7.3.3. Unklar bleibt, ob das Obergericht dem Beschwerdeführer nicht glaubt,
dass er weniger verdient als bisher, und deswegen von einem effektiven
 Einkommen in der Höhe von Fr. 8'600.-- ausgeht, oder ob es dem
Beschwerdeführer ein  hypothetisches Einkommen aufrechnet.

7.3.3.1. Auf Letzteres deutet der Vorhalt des Obergerichts hin, der
Beschwerdeführer habe weder nachgewiesen, aus welchen Gründen er die frühere
Stelle aufgegeben und später eine angeblich schlechter bezahlte angetreten
habe, noch, dass er sich seither um besser bezahlte Arbeit bemüht habe. Wie
erwähnt darf die Anrechnung eines hypothetischen Einkommens indessen nicht
pönalen Charakter annehmen. Ein solches kann zudem nicht allein deswegen
angerechnet werden, weil der betroffenen Partei entsprechende Anstrengungen
zumutbar sind. Vielmehr muss es dieser auch tatsächlich  möglich sein, ein
höheres Einkommen zu erzielen (oben E. 7.1).

 Dazu finden sich im angefochtenen Urteil keine Feststellungen. Unbeantwortet
ist insbesondere die vom Beschwerdeführer - bereits vorinstanzlich -
aufgeworfene Tatfrage nach der effektiven Möglichkeit, bei einer verbleibenden
Aktivitätsdauer von noch dreieinhalb Jahren und mit Blick auf die
arbeitsmarktlichen Verhältnisse (Urteil 5A_736/2008 vom 30. März 2009 E. 4.2)
eine (Vollzeit-) Arbeit zu finden, die wesentlich besser entlöhnt wird (dazu
BGE 137 III 102 E. 4.2.2.2 S. 108). Das Obergericht verweist auf das
erstinstanzliche Beweisergebnis (E. 7.5.2.5 des angefochtenen Urteils); das ist
grundsätzlich zulässig (Urteil 4A_434/2013 vom 19. Dezember 2013 E. 1). Nun
finden sich aber dort (E. 2.3.2 des erstinstanzlichen Urteils) ebenfalls keine
sachdienlichen Tatsachenfeststellungen. Das Bezirksgericht erwog lediglich, der
Unterhaltspflichtige, der sich wissentlich mit einer nur ungenügend
einträglichen Erwerbstätigkeit begnüge, habe sich anrechnen zu lassen, was er
unter den gegebenen Umständen zu erwirtschaften vermöchte. Dazu, ob und
inwiefern ihm dies auch tatsächlich möglich sei, äusserte es sich nicht. In dem
vom Bezirksgericht zitierten Bundesgerichtsentscheid 5A_341/2011 vom 20.
September 2011 hatten die kantonalen Instanzen willkürfrei festgestellt, es sei
dem Unterhaltspflichtigen, dem gekündigt worden war und der daraufhin eine
Stelle mit erheblich tieferem Lohn angenommen hatte, tatsächlich möglich, ein
Erwerbseinkommen auf dem bisherigen Niveau zu generieren (a.a.O. E. 2.1 und
2.6).

7.3.3.2. Soweit die Vorinstanz derweil das angerechnete Einkommen von Fr.
8'600.-- mit Indizien begründete, aufgrund derer zu schliessen sei, der
Beschwerdeführer verdiene aktuell effektiv beträchtlich mehr als eingeräumt,
trifft sie ebenfalls keine massgebenden Feststellungen. Das Obergericht führte
aus, der Unterhaltspflichtige offenbare lediglich sein Fixeinkommen, nicht aber
Bonuszahlungen und Spesenersatz. Mit Blick auf das Fixum von Fr. 4'300.--,
welches seine Lebenshaltung nicht decke, vermutete die Vorinstanz, dass dem
Pflichtigen daneben variable Lohnbestandteile zukommen "könnten". Dabei handelt
es sich um Mutmassungen, nicht um Feststellung der massgebenden Tatsachen. Die
Beschwerdegegnerin hatte im kantonalen Berufungsverfahren kein höheres
effektives Einkommen des Beschwerdeführers geltend gemacht (Berufungsantwort
vom 26. November 2013 Rz. 24; vgl. Art. 277 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 55
ZPO). Falls das Obergericht dennoch von einem solchen ausgehen wollte (vgl.
Urteil 5A_117/2010 vom 5. März 2010 E. 3.2), hätte es das Einkommen anhand
einer schriftlichen Auskunft des derzeitigen Arbeitgebers bestimmen (Art. 190
Abs. 2 ZPO) oder den Beschwerdeführer - unter Hinweis auf dessen
Mitwirkungspflicht (Art. 160 Abs. 1 lit. b ZPO) - auffordern müssen, die für
die Beurteilung der strittigen vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen
notwendigen Urkunden nachzureichen (Art. 277 Abs. 2 ZPO). Nachdem dies
unterblieben ist, fehlt es auch unter dem Aspekt von allfälligen verborgenen
Einkommensteilen an einem entscheidungserheblichen Sachverhalt.

7.3.4. Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, müssen
die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art enthalten (Art. 112
Abs. 1 lit. b BGG). Aus dem Entscheid muss klar hervorgehen, von welchem
festgestellten Sachverhalt die Vorinstanz ausgegangen ist und welche
rechtlichen Überlegungen sie angestellt hat. Weist der rechtserhebliche
Sachverhalt wesentliche Lücken auf, kann das Recht nicht angewendet werden
(vgl. Art. 105 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 135 II 145 E. 8.2 S. 153).
Nach Art. 112 Abs. 3 BGG kann das Bundesgericht einen Entscheid, der den
Anforderungen nach Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG nicht genügt, an die kantonale
Behörde zur Verbesserung zurückweisen oder aufheben. Die verfahrensrechtlichen
Folgen nach Art. 112 Abs. 3 BGG sind (im Gegensatz zu einem im Sinne von Art.
105 Abs. 2 BGG mangelhaften Sachverhalt [Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 140 III 264
E. 2.3 S. 266]) von Amtes wegen zu prüfen. Hiefür ist die Gewährung des
rechtlichen Gehörs resp. ein Schriftenwechsel nicht erforderlich; die
Rechtsstellung der Parteien ändert sich selbst im Falle einer Aufhebung nicht,
weil diese, anders als eine Rückweisung nach Art. 107 Abs. 2 BGG, nicht mit
bundesgerichtlichen Vorgaben verbunden sein kann.

7.3.5. Feststellungen über das anrechenbare (effektive oder hypothetische)
Einkommen sind notwendige Grundlage für die Anwendung des Art. 125 ZGB. Nach
dem in E. 7.3.3 Gesagten kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden,
welches die den Entscheid tragenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art
sind. Fraglich ist, ob der angefochtene Entscheid deswegen aufgehoben werden
muss, oder ob es - im Interesse der Verhältnismässigkeit und Prozessökonomie -
genügt, den Entscheid zur Verbesserung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art.
112 Abs. 3 BGG). Im letzteren Fall bleibt die Rechtshängigkeit vor
Bundesgericht im Umfang der noch offenen Punkte bestehen (Bernhard Ehrenzeller,
Basler Kommentar zum BGG, Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], 2. Aufl. 2011,
N. 21 zu Art. 112 BGG; Yves Donzallaz, Loi sur le Tribunal fédéral,
Commentaire, 2008, N. 4529 zu Art. 112 BGG). Für eine Aufhebung ist
grundsätzlich ein schwerwiegender Mangel vorausgesetzt (Urteil 5D_10/2014 vom
25. März 2014 E. 2.1 und 2.2). Die Doktrin fasst die Anwendungsfälle einer
blossen Rückweisung zur Verbesserung allerdings eng (vgl. Bernard Corboz,
Commentaire de la LTF, Corboz et al. [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 58 f. zu Art.
112 BGG; Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz, Handkommentar, 2007,
N. 31 und 33 zu Art. 112 BGG; vgl. aber auch Donzallaz, a.a.O., N. 4523 ff. zu
Art. 112 BGG). Wenn beispielsweise Tat- und Rechtsfragen derart vermischt sind,
dass nicht ersichtlich ist, von welchem Sachverhalt die Vorinstanz ausgegangen
ist, muss der angefochtene Entscheid aufgehoben werden (Ehrenzeller, a.a.O., N.
22 zu Art. 112 BGG mit Hinweis auf Donzallaz, a.a.O., N. 4524 ff. zu Art. 112
BGG).

 Hier ist eine Aufhebung des angefochtenen Urteils unter den Aspekten der
Parteirollen, des Anfechtungsobjektes (resp. Streitgegenstandes) sowie der
Bindung des Bundesgerichts an die Parteibegehren unumgänglich: Offen bleibt, ob
das Obergericht nach seiner Beurteilung schliessen wird, es sei dem
Beschwerdeführer nach den konkreten Umständen (vor allem mit Blick auf sein
Alter) nicht mehr möglich, ein Einkommen zu erzielen, das doppelt so hoch ist
wie das heutige. Dies führte zu einem tieferen Unterhaltsbeitrag und damit zu
einer (teilweisen) Gutheissung der Berufung gegen das bezirksgerichtliche
Urteil. Könnte dies im Rahmen einer blossen Rückweisung zur Verbesserung
geschehen, so gäbe es für die (bisherige) Beschwerdegegnerin kein
Anfechtungsobjekt. Abgesehen davon, dass im Verfahren vor Bundesgericht keine
Anschlussbeschwerde vorgesehen ist (BGE 134 III 332 E. 2.5 S. 335), ist das
Bundesgericht an die Rechtsbegehren der  beschwerdeführenden Partei, nicht an
jene der beschwerdegegnerischen, gebunden (Art. 107 Abs. 1 BGG; Meyer/Dormann,
Basler Kommentar zum BGG, a.a.O., N. 2 zu Art. 107 BGG). Ungeachtet der
besonderen Konstellation - der bundesgerichtlich zu beurteilende Entscheid
entspräche nicht mehr dem während der Beschwerdefrist angefochtenen - dürfte
daher keine Ausnahme vom Grundsatz gemacht werden, dass die nicht selber
beschwerdeführende Partei im Rahmen der Vernehmlassung zur Beschwerde nicht
Anträge stellen kann, bezüglich welcher ihr die Vorinstanz (hier: erst im
verbesserten Entscheid) allenfalls Unrecht gegeben hat (vgl. in BGE 141 V 5
nicht publ. E. 2.1 des Urteils 8C_446/2014 vom 12. Januar 2015). Aus diesen
Gründen kann eine Zurückweisung zur Verbesserung ohne Aufhebung des
angefochtenen Entscheids nur in Fällen erfolgen, bei denen die Behebung des
Mangels im Sinne von Art. 112 Abs. 3 BGG den Ausgang des vorinstanzlichen
Verfahrens sicher nicht tangieren wird.

7.3.6. Das angefochtene Urteil vom 19. November 2014 ist somit aufzuheben und
die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Obergericht hat die erheblichen
Tatsachen betreffend das massgebende Einkommen des Beschwerdeführers
festzustellen und gestützt auf diese Feststellungen nach rechtlichen
Gesichtspunkten über den Unterhaltsbeitrag zu befinden. Je nach Ergebnis wird
die Vorinstanz zudem die Kosten und Entschädigungen des kantonalen Verfahrens
anpassen (in BGE 135 II 145 nicht publ. E. 10 des Urteils 2C_504/2008 vom 28.
Januar 2009).

8. 
Der Ausgang des Verfahrens ist offen (vgl. Urteil 4A_119/2011 vom 28. Juni 2011
E. 2). Daher sind umständehalber keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs.
1 zweiter Satz BGG). Im Rahmen der Rückweisung hat der Kanton Aargau den
Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68
Abs. 4 in Verbindung mit Art. 66 Abs. 3 BGG; vgl. BGE 138 III 471 E. 7 S. 483).
Insoweit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung und
Verbeiständung) gegenstandslos. Im Übrigen kann dem Gesuch zufolge
Aussichtslosigkeit der Beschwerde (vgl. oben E. 4-6 und 7.2) nicht stattgegeben
werden (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdegegnerin ist im bundesgerichtlichen
Verfahren kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau vom 19. November 2014 wird
aufgehoben. Die Sache wird zur Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die
Vorinstanz zurückgewiesen (Art. 112 Abs. 3 BGG). Im Übrigen wird die Beschwerde
in Zivilsachen abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.

3. 

3.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.2. Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

3.3. Insoweit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege als gegenstandslos
abgeschrieben. Im Übrigen wird es abgewiesen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Juni 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Traub

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