Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.302/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_302/2015

Verfügung vom 3. Juli 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Gerichtsschreiber Traub.

Verfahrensbeteiligte
A.A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Schatz,
Beschwerdeführer,

gegen

B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Jonas Stüssi,
Beschwerdegegnerin,

C.________,
D.________, Kindes- und Erwachsenenschutzdienst,
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Fricker,
Verfahrensbeteiligte,

E.A.________ sel.,
vertreten durch Rechtsanwältin F.________.

Gegenstand
Beistandschaft,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Aargau, Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz, vom 23. Februar
2015.

Sachverhalt:
Das Familiengericht U.________ ordnete für E.A.________ (geb. 1918) eine
Vertretungsbeistandschaft mit Einkommens- und Vermögensverwaltung im Sinne von
Art. 394 f. ZGB an und entzog ihr diesbezüglich die Handlungsfähigkeit. Die
Führung der Beistandschaft übertrug es unter näherer Bezeichnung der jeweiligen
Aufgabenbereiche an C.________, Enkelin der Betroffenen, sowie an die
Berufsbeiständin D.________, Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) des
Bezirks U.________ (Entscheid vom 18. Juni 2014). Auf Beschwerde einer Tochter
der Betroffenen, B.________, hin hob das Obergericht des Kantons Aargau den
angefochtenen Entscheid auf und wies die Sache zur neuen Beurteilung an das
Familiengericht zurück; dieses habe ein ärztliches Gutachten einzuholen und
gestützt darauf neu zu entscheiden. Der Betroffenen stellte das Obergericht
Rechtsanwältin F.________ als amtliche Vertreterin für das Beschwerdeverfahren
zur Seite. Überdies beauftragte das Obergericht das Familiengericht, die
Gerichts- und Parteikosten des Beschwerdeverfahrens im neuen Endentscheid zu
verlegen (Entscheid vom 23. Februar 2015).

 Gegen dieses kantonal letztinstanzliche Urteil erhob der Sohn der Betroffenen,
A.A.________, Beschwerde beim Bundesgericht. Er verlangte, es sei ein
Verfahrensbeistand zu ernennen, welcher die Interessen von E.A.________
wirklich vertrete. Zudem beantragte er die Aufhebung des angefochtenen Urteils
im Rückweisungs- sowie im Kostenpunkt.

 Am 10. Juni 2015 teilte der Beschwerdeführer dem Bundesgericht mit,
E.A.________ sei am xx.xx.2015 verstorben. Er beantragte, im
Abschreibungsentscheid seien die Kosten des Beschwerdeverfahrens B.________
aufzuerlegen; diese habe das vorinstanzliche Verfahren ausgelöst. Sie sei auch
zu verpflichten, ihn für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu
entschädigen.

Erwägungen:

1. 
Gemäss Art. 32 Abs. 1 und 2 BGG entscheidet der Abteilungspräsident als
Instruktionsrichter über die Abschreibung von Verfahren zufolge
Gegenstandslosigkeit, Rückzugs oder Vergleichs. Gleichzeitig befindet er mit
summarischer Begründung über die Gerichtskosten und eine allfällige
Parteientschädigung, im Falle der Gegenstandslosigkeit aufgrund der Sachlage
vor Eintritt des Erledigungsgrunds (Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 72 BZP).
Dabei ist in erster Linie auf den mutmasslichen Verfahrensausgang abzustellen,
ohne unter Verursachung weiterer Umtriebe die Prozessaussichten im Einzelnen zu
prüfen. Es muss bei einer knappen Beurteilung der Aktenlage sein Bewenden
haben. Auf dem Weg über den Kostenentscheid soll nicht ein materielles Urteil
gefällt und unter Umständen der Entscheid in einer heiklen Rechtsfrage
präjudiziert werden. Lässt sich der mutmassliche Ausgang des Verfahrens nicht
ohne Weiteres feststellen, ist auf allgemeine zivilprozessrechtliche Kriterien
zurückzugreifen. Danach wird in erster Linie jene Partei kosten- und
entschädigungspflichtig, die das gegenstandslos gewordene Verfahren veranlasst
oder bei der die Gründe eingetreten sind, die zur Gegenstandslosigkeit des
Verfahrens geführt haben (BGE 125 V 373 E. 2a S. 374; Urteil 2C_237/2009 vom
28. September 2009 E. 3.1).

2. 
Mit dem Tod von E.A.________ ist die Beschwerde an das Bundesgericht, welche
eine Beistandschaft über die Verstorbene zum Gegenstand hat, gegenstandslos
geworden. Das Verfahren ist daher abzuschreiben.

3. 
Zu prüfen bleiben die Kostenfolgen. Diese richten sich in erster Linie nach dem
mutmasslichen Ausgang des Verfahrens.

3.1. 

3.1.1. Auf die Beschwerde gegen den vorinstanzlichen Rückweisungsentscheid wäre
einzutreten gewesen; es handelt sich bei diesem um einen Zwischenentscheid, der
einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann, weil er
unwiderruflich in das Grundrecht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV)
eingreift (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; Urteil 5A_655/2013 vom 29. Oktober 2013
E. 1.1 mit Hinweisen).

3.1.2. Der Beschwerdeführer wendet sich einmal gegen die Notwendigkeit einer
ärztlichen Begutachtung der Verbeiständeten, zu welchem Zweck das Obergericht
die Sache an das Familiengericht zurückgewiesen hat. Dazu stellte das kantonale
Gericht fest, keines der Mitglieder der KESB verfüge über die erforderlichen
medizinischen Kenntnisse; auch ein ärztlicher Bericht ersetze das nach Art. 446
Abs. 2 dritter Satz ZGB erforderliche Gutachten nicht. Der erstinstanzliche
Entscheid leide daher an einem formellen Mangel, welcher zu dessen Aufhebung
führe.

 Jedenfalls vor der Anordnung einer umfassenden Beistandschaft (Art. 398 ZGB)
muss durch ein bei externer, unabhängiger Stelle eingeholtes Gutachten dargetan
sein, dass einer der in Art. 390 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB umschriebenen
Schwächezustände tatsächlich gegeben ist, es sei denn, eines der Mitglieder der
Erwachsenenschutzbehörde verfüge über die zur Beurteilung dieser Frage nötigen
Kenntnisse (BGE 140 III 97 E. 4.3 S. 100). Sicherzustellen ist also, dass die
Anordnung aufgrund medizinischer Kenntnisse getroffen worden ist, wie sie
notwendig sind "pour conclure au trouble psychique justifiant la mesure de
curatelle en question" (BGE a.a.O.). Der vorliegende Fall erheischt indes eine
nuanciertere Betrachtung. Im Zeitpunkt der familiengerichtlichen Anordnung
(Entscheid vom 18. Juni 2014) lagen im Wesentlichen zwar erst knappe ärztliche
Atteste über das Vorhandensein einer schweren Demenz vor (Berichte der Frau Dr.
med. G.________ vom 18. März und 28. Mai 2014). Im Zeitpunkt des angefochtenen
Rückweisungsentscheids vom 23. Februar 2015 indessen stand die geistige
Schwäche in Form einer fortgeschrittenen Demenz endgültig ausser Frage. Dies
ergibt sich unter anderem aus einem Bericht des Gerontopsychiatrischen Zentrums
an der Klinik V.________ vom 3. September 2014. Die Auswirkungen der dort
festgehaltenen medizinischen Befunde werden im Protokoll über die ausführliche
Befragung der Betroffenen durch eine Fachrichterin (Psychologin) des
Familiengerichts am 24. November 2014 eindrücklich beschrieben. Unter diesen
Umständen ist nicht ersichtlich, welche Punkte noch offen und daher gutachtlich
abzuklären gewesen wären.

3.1.3. Die Beschwerde hätte auch hinsichtlich der Frage der
Verfahrensvertretung im Sinne von Art. 449a ZGB gewisse Aussichten auf Erfolg
gehabt. Die Vorinstanz wählte Rechtsanwältin F.________ als Prozessbeiständin.
Sie erwog, die Betroffene habe diese am 21. Oktober 2014 bevollmächtigt.
Inwieweit die Vollmacht gültig zustande gekommen sei, könne offen bleiben,
zumal keine konkreten Hinweise zu Interessenbindungen der Bevollmächtigten
bestünden, welche eine unabhängige Interessenvertretung ausschliessen würden.
Die Bevollmächtigte sei ausserdem bereits als Vertreterin der Betroffenen in
Parallelverfahren vor dem Familiengericht tätig, weshalb von einem bestehenden
Vertrauensverhältnis auszugehen sei.

 Die Bestellung einer Vertretung nach Art. 449a ZGB (für das
Beschwerdeverfahren sinngemäss anwendbar) setzt voraus, dass die betroffene
Person ausserstande ist, selbst eine Vertretung einzusetzen. Nach dem in E.
3.1.2 Gesagten ist davon auszugehen, dass die Betroffene während des
vorinstanzlichen Verfahrens in dieser Frage urteils- und damit handlungsunfähig
war (vgl. zum Ganzen das Urteil 5A_368/2014 vom 19. November 2014 E. 5.2 mit
Hinweisen). Das bedeutet, dass der Betroffenen im Herbst 2014 nicht mehr
Gelegenheit "zur Bezeichnung eines selbst gewählten geeigneten Vertreters"
gegeben werden konnte (so aber die verfahrensleitende Verfügung der Vorinstanz
vom 16. Oktober 2014).

3.2. Eine summarische Beurteilung der Streitfragen zeigt, dass die
Erfolgsaussichten der Beschwerde gut waren. Insoweit hat der Beschwerdeführer
Anspruch auf eine Parteientschädigung zu Lasten der Beschwerdegegnerin. Nachdem
aber kein abschliessender Entscheid in der Sache vorliegt, mithin offen bleiben
muss, wie der Rechtsstreit nach einer umfassenden materiellen Beurteilung
ausgegangen wäre, kann nur eine herabgesetzte Entschädigung zugesprochen
werden.

3.3. Auf die Erhebung von Gerichtskosten im bundesgerichtlichen Verfahren ist
zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG).

3.4. Die Vorinstanz überliess die Verteilung der Prozesskosten des
Rechtsmittelverfahrens sowie die Verlegung der Parteikosten der ersten Instanz
(vgl. Art. 104 Abs. 4 ZPO). Nachdem die vorinstanzliche Rückweisung
dahingefallen ist, wird das Obergericht den Kostenentscheid nunmehr selber zu
fällen haben.

Demnach verfügt der Präsident:

1. 
Das bundesgerichtliche Verfahren 5A_302/2015 wird als gegenstandslos
abgeschrieben.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'000.- zu entschädigen.

4. 
Diese Verfügung wird den Parteien, den Verfahrensbeteiligten, dem
Familiengericht U.________ und dem Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für
Kindes- und Erwachsenenschutz, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Juli 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Traub

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