Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.222/2015
Zurück zum Index II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2015
Retour à l'indice II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_222/2015

Urteil vom 19. August 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Herrmann, Bovey,
Gerichtsschreiber von Roten.

Verfahrensbeteiligte
1. A.C.________,
2. B.C.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Martin Imthurn,
Beschwerdeführer,

gegen

1. D.F.________,
2. E.F.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Christian Munz,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Grenzbaurecht,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 2. Kammer, vom 21. Januar 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. Die Liegenschaft Nr. xxx (Grundbuchamt Bezirk U.________) ist mit einem
Wohn- und Geschäftshaus überbaut. Dessen Erdgeschoss reicht bis an die
gemeinsame Grenze mit der Liegenschaft Nr. yyy, während die Obergeschosse rund
drei Meter von der Grenze zurückversetzt sind.

A.b. Der Stadtrat U.________ erteilte G.I.________, Eigentümerin der
Liegenschaft Nr. xxx, am 3. Dezember 2012 die Bewilligung für den Abbruch des
bestehenden Gebäudes und den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses. Danach
kommt der Neubau mit vier Vollgeschossen unmittelbar an die gemeinsame Grenze
mit der Liegenschaft Nr. yyy zu stehen. Deren Eigentümer hatten gegen die
Baubewilligung erfolglos ein privatrechtliches Grenzbauverbot für die
Obergeschosse bzw. ein Höherbauverbot an der Grenze eingewendet. Die Einwendung
wurde mit der Baubewilligung abgewiesen bzw. auf den Zivilweg verwiesen.

A.c. Auf den Liegenschaften Nrn. xxx und yyy ist im Grundbuch je als Last und
Recht eine Dienstbarkeit "Grenzbaurecht" eingetragen, die mit öffentlich
beurkundetem Dienstbarkeitsvertrag vom 20. Oktober 1920 begründet wurde. Die
Grundeigentümer H.I.________ (Nr. xxx) und K.________ (Nr. yyy) regelten darin
detailliert, wie auf ihren Grundstücken je bis an die gemeinsame
Grundstücksgrenze gebaut werden darf. Insbesondere gestatteten sie sich
gegenseitig, eingeschossig an die bestehende Grenzmauer anzubauen.

B.

 A.C._________ und B.C._________, Miteigentümer der Liegenschaft Nr. yyy,
erwirkten gegen G.I.________, Eigentümerin der Liegenschaft Nr. xxx, ein
vorsorgliches Bauverbot und klagten am 4. März 2013 mit dem Begehren,
G.I.________ sei die Ausführung des bewilligten Bauvorhabens auf ihrer
Liegenschaft Nr. xxx zu verbieten. Das Bezirksgericht U.________ hiess die
Klage gut und erliess das beantragte Verbot (Entscheid vom 21. Januar 2014).
G.I.________ legte dagegen am 5. Mai 2014 Berufung ein und verkaufte ihre
Liegenschaft Nr. xxx am 6./8. Mai 2014 an D.F._________ und E.F._________, die
in den Prozess eintraten. Das Obergericht des Kantons Aargau hiess die Berufung
gut und wies die Klage ab (Entscheid vom 21. Januar 2015).

C.

C.a. Mit Eingabe vom 13. März 2015 an das Bundesgericht erneuern A.C.________
und B.C.________ (Beschwerdeführer) ihr Verbotsbegehren gegen D.F._________ und
E.F._________ (Beschwerdegegner).

C.b. Die Beschwerdeführer ersuchen, den Beschwerdegegnern vorsorglich zu
verbieten, die auf der Liegenschaft Nr. xxx eingetragene Dienstbarkeit " (R)
Grenzbaurecht z.L. U.________/yyy" vor Ablauf von dreissig Tagen nach einem
abweisenden Urteil des Bundesgerichts löschen zu lassen. Den Beschwerdegegnern
wurde superprovisorisch verboten, die auf ihrer Liegenschaft Nr. xxx
eingetragene Dienstbarkeit " (R) Grenzbaurecht z.L. U.________/yyy" löschen zu
lassen (Präsidialverfügung vom 16. März 2015).

C.c. Mit Schreiben vom 25. März 2015 teilen die Beschwerdeführer dem
Bundesgericht mit, dass die streitige Dienstbarkeit bereits am 17. Februar 2015
gelöscht worden sei und dass sie sich gegen die Löschung mit Klage gemäss Art.
975 ZGB wehren und erneut ein vorsorgliches Bauverbot beantragen würden. Sie
halten dafür, dass sich ein Urteil des Bundesgerichts über die Beschwerde
gleichwohl als zweckmässig aufdränge. Im weiteren Schreiben vom 26. März 2015
ergänzen sie, mit dem Verzicht der Beschwerdegegner auf ihr Recht seien die mit
dem Dienstbarkeitsvertrag errichteten dinglichen Lasten auf dem Grundstück der
Beschwerdegegner nicht untergegangen. So gesehen hätten die Beschwerdeführer
nach wie vor ein schützenswertes und aktuelles Interesse am Urteil des
Bundesgerichts über die zwischen den Parteien streitige Frage. Während das
Obergericht auf eine Vernehmlassung zum Gesuch um vorsorgliche Massnahmen
verzichtet hat, beantragen die Beschwerdegegner in ihrer Stellungnahme vom 26.
März 2015, die am 16. März 2015 superprovisorisch verfügte vorsorgliche
Massnahme aufzuheben. Sie bestreiten das Rechtsschutzinteresse der
Beschwerdeführer am Erlass einer vorsorglichen Massnahme und belegen, dass sie
am 17. Februar 2015 um Löschung der auf ihrer Liegenschaft Nr. xxx
eingetragenen Dienstbarkeit " (R) Grenzbaurecht z.L. U.________/yyy" ersucht
haben und dass die fragliche Dienstbarkeit gelöscht ist.

C.d. Der Präsident der II. zivilrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts hat
die am 16. März 2015 superprovisorisch verfügte vorsorgliche Massnahme
aufgehoben und ist auf das Massnahmebegehren der Beschwerdeführer nicht
eingetreten (Verfügung vom 27. März 2015).

C.e. In der Sache sind die kantonalen Akten, hingegen keine Vernehmlassungen
eingeholt worden.

Erwägungen:

1.

 Die Streitigkeit über Inhalt und Umfang einer Dienstbarkeit betrifft eine
Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG) in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit,
deren Streitwert sich gemäss den obergerichtlichen Annahmen (E. 4.2.2.1 S. 16)
auf Fr. 450'000.-- beläuft und damit den gesetzlichen Mindestbetrag übersteigt
(Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG; BGE 136 III 60 E. 1 S. 62 f.). Geurteilt hat das
Obergericht als letzte kantonale Instanz und oberes Gericht (Art. 75 BGG) durch
Entscheid, der das Verfahren abschliesst (Art. 90 BGG). Die im weiteren
fristgerecht (Art. 100 Abs. 1 BGG) erhobene Beschwerde in Zivilsachen erweist
sich als zulässig.

2.

 Fraglich ist hingegen, ob die Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse an
der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids haben. Nach dessen
Zustellung am 12. Februar 2015 wurde die streitige Dienstbarkeit
"Grenzbaurecht", deren Auslegung ein "Grenzbauverbot" ergeben soll, am 17.
Februar 2015 und damit während laufender Beschwerdefrist im Grundbuch gelöscht.

2.1. Die Beschwerdeführer stellen in ihren beiden Schreiben vom 25. und 26.
März 2015 selber die Frage nach ihrem Interesse an der Beschwerdeführung (Art.
76 Abs. 1 lit. b BGG). Sollte es daran bereits bei Einreichung der Beschwerde
gefehlt haben, tritt das Bundesgericht darauf nicht ein (BGE 136 III 497 E. 2.1
S. 500; 139 II 404 E. 2.2 S. 414). Es obliegt dabei den Beschwerdeführern, ihr
Beschwerderecht darzulegen, soweit es sich nicht ohne weiteres aus dem
angefochtenen Entscheid oder den kantonalen Akten ergibt (Art. 42 Abs. 2 BGG;
BGE 138 III 537 E. 1.2 S. 539; 140 II 539 E. 1.1 S. 540). Das Vorbringen neuer
Tatsachen und Beweismittel ist zulässig, da sie das Prozessrechtsverhältnis
betreffen und damit nicht unter das Verbot neuer Vorbringen (Art. 99 BGG)
fallen (BGE 138 III 532 E. 1.2 S. 535).

2.2. Aufgrund der neuen Vorbringen ist in tatsächlicher Hinsicht erstellt, dass
die Beschwerdegegner am 17. Februar 2015 um Löschung der zugunsten ihrer
Liegenschaft Nr. xxx eingetragenen Dienstbarkeit " (R) Grenzbaurecht z.L.
U.________/yyy" ersucht haben und dass die fragliche Dienstbarkeit gelöscht und
gemäss dem aktuellen Grundbuchauszug vom 25. März 2015 nicht mehr eingetragen
ist (act. 13, Beilagen Nrn. 1-3 zur Stellungnahme der Beschwerdegegner vom 26.
März 2015). Den Beschwerdeführern ist diese Tatsache bekannt, hat doch das
Grundbuchamt ihnen die Mitteilung gemäss Art. 969 ZGB gemacht, wonach auf ihrer
Liegenschaft Nr. yyy die dem gelöschten Recht entsprechende Last " (L)
Grenzbaurecht z.G. U.________/xxx" ebenfalls am 17. Februar 2015 gelöscht wurde
(act. 11, Beilage zum Schreiben der Beschwerdeführer vom 25. März 2015, und
act. 16, Beilage Nr. 1 zum Schreiben der Beschwerdeführer vom 26. März 2015).
Der Sachverhalt ist unbestritten. Die streitige Dienstbarkeit war somit vor
Einreichung der Beschwerde am 13. März 2015 gelöscht, so dass darauf mangels
Beschwerderechts (Art. 76 Abs. 1 BGG) nicht einzutreten ist.

2.3. Im Schreiben vom 25. März 2015 halten die Beschwerdeführer dafür, auf die
Beschwerde sei einzutreten, weil ein Urteil des Bundesgerichts mit Rücksicht
auf ihre Klage gegen die Löschung der streitigen Dienstbarkeit gleichwohl
zweckmässig wäre (act. 10).

 Ausnahmsweise verzichtet das Bundesgericht auf das Erfordernis des aktuellen
praktischen Interesses an der Beschwerdeführung, wenn die gerügte
Rechtsverletzung sich jederzeit wiederholen könnte und eine rechtzeitige
gerichtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (sog. virtuelles
Interesse: BGE 140 III 92 E. 1.1 S. 93 f.).

 Die Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Wie die Beschwerdeführer selber
ausführen, können sie die genau gleichen Fragen, die sich in dem heute vor
Bundesgericht hängigen Verfahren stellen, auf Klage gemäss Art. 975 ZGB hin
gerichtlich prüfen lassen. Diesem Urteil und allfälligen Entscheiden über
Rechtsmittel vorzugreifen, besteht kein Anlass. Im betreffenden Klageverfahren
können die Beschwerdeführer nach gegebenenfalls erfolgreicher Wiedereintragung
der streitigen Dienstbarkeit "Grenzbaurecht" unter Umständen gleich die
Abänderung des Eintrages verlangen, besteht doch ihrer Ansicht nach nicht bloss
ein Grenzbaurecht, sondern aufgrund des Erwerbsgrundes auch ein Grenzbauverbot
oder sonst eine Baubeschränkung in der Grenzzone (vgl. BGE 123 III 461 E. 2c S.
465; Urteil 5C.307/2005 vom 19. Mai 2006 E. 3.3, in: ZBGR 88/2007 S. 131).

2.4. Im Schreiben vom 26. März 2015 ergänzen die Beschwerdeführer, auf die
Beschwerde sei einzutreten, weil ein gegenseitiges Grenzbaurecht vereinbart
worden sei und auf der Liegenschaft der Beschwerdegegner Nr. xxx die Last " (L)
Grenzbaurecht z.G. U.________/yyy" eingetragen sei. Mit dem Verzicht der
Beschwerdegegner auf ihr Recht seien die mit dem Dienstbarkeitsvertrag
errichteten dinglichen Lasten auf dem Grundstück der Beschwerdegegner nicht
untergegangen. So gesehen hätten die Beschwerdeführer nach wie vor ein
schützenswertes und aktuelles Interesse am Urteil des Bundesgerichts über die
zwischen den Parteien streitige Frage (act. 15).

 Gegenstand des Rechtsstreits im kantonalen Verfahren war gemäss den
Feststellungen des Obergerichts die Frage, ob das Grenzbaurecht  zugunsten der
Liegenschaft Nr. xxx und zulasten der Liegenschaft Nr. yyy der Erstellung der
vom Stadtrat U.________ bewilligten Baute entgegensteht (E. 1.1.3 S. 5). Das
Obergericht hat folglich Inhalt und Umfang dieses Grenzbaurechts zugunsten des
Grundstücks der Beschwerdegegner (Nr. xxx) und zulasten des Grundstücks der
Beschwerdeführer (Nr. yyy) geprüft (E. 3.2 S. 12). Die Auslegung (E. 3.4.2.2
Abs. 2 S. 14) hat ergeben, dass die umstrittene Grenzbaurechtsdienstbarkeit 
zugunsten des Grundstücks Nr.  xxx dem Bauprojekt der Beschwerdegegner nicht
entgegensteht (E. 3.5 S. 15 des angefochtenen Entscheids).

 Nicht geprüft hat das Obergericht, ob das Grenzbaurecht zugunsten des
Grundstücks Nr. yyy dem Bauvorhaben der Beschwerdegegner entgegensteht. Ohne
ausnahmsweise zulässige Sachverhaltsrügen gegen die Feststellungen des
Obergerichts zum Streitgegenstand zu erheben (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105
Abs. 1 BGG; BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 17 f.), machen die Beschwerdeführer
geltend, streitig sei, ob das bewilligte Bauvorhaben der Beschwerdegegner  mit
den gegenseitigen Grenzbaurechten vereinbar sei (S. 7 Rz. 12 der
Beschwerdeschrift). Zur Begründung ihres unveränderten Verbotsbegehrens
erweitern sie den Streitgegenstand um das Grenzbaurecht  zugunsten des
Grundstücks Nr. yyy und zulasten des Grundstücks Nr. xxx der Beschwerdegegner.
Diese Erweiterung des Streitgegenstandes vor Bundesgericht ist unzulässig (vgl.
BGE 136 II 165 E. 5 S. 174 und 457 E. 4.2 S. 462 f.) und vermag ein noch
bestehendes aktuelles Interesses nicht zu begründen (Art. 42 Abs. 2 BGG).

2.5. Aus den dargelegten Gründen kann auf die Beschwerde nicht eingetreten
werden.

3.

 Bei diesem Verfahrensausgang werden die Beschwerdeführer kostenpflichtig und
gegenüber den im Gesuchsverfahren obsiegenden Beschwerdegegnern
entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und 5 sowie Art. 68 Abs. 1 und 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

 Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.

 Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.-- werden den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

3.

 Die Beschwerdeführer haben die Beschwerdegegner für das Verfahren betreffend
vorsorgliche Massnahmen unter solidarischer Haftbarkeit mit Fr. 6'000.-- zu
entschädigen.

4.

 Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. August 2015

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: von Roten

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben