Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.221/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_221/2015

Urteil vom 23. April 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Herrmann, Bovey,
Gerichtsschreiber Zbinden.

Verfahrensbeteiligte
A.A.________,
vertreten durch Advokat Martin Lutz,
Beschwerdeführerin,

gegen

Obergericht des Kantons Bern, Zivilabteilung, Kindes- und
Erwachsenenschutzgericht,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Rechtsverzögerung (Begutachtung, fürsorgerische Unterbringung).

Sachverhalt:

A. 

A.a. Am 26. Januar 2015 wurde D.A.________ von Dr. med. B.________ gestützt auf
Art. 426 und 429 ZGB in die Klinik E.________ eingewiesen. Am 5. Februar 2015
gelangte ihre Schwester, A.A.________, dagegen an das Obergericht des Kantons
Bern, Zivilabteilung, Kindes- und Erwachsenenschutzgericht, das ihre Beschwerde
am 16. Februar 2015 abwies. Das Bundesgericht trat am 12. März 2015 auf eine
gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde nicht ein (Urteil 5A_147/2015 vom
12. März 2015).

A.b. Am 24. Februar 2015 hörte die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde
C.________ (KESB) D.A.________ an und ordnete gleichentags deren psychiatrische
Begutachtung in der Klinik E.________ an. Die Schwester der Betroffenen,
A.A.________, beschwerte sich am 2. März 2015 dagegen beim Obergericht des
Kantons Bern, Zivilabteilung, Kindes- und Erwachsenenschutzgericht (nachfolgend
Obergericht).

A.c. Am 26. Februar 2015 ersuchte A.A.________ bei der KESB um Einsicht in die
Akten des Verfahrens betreffend fürsorgerische Unterbringung ihrer Schwester.
Mit Entscheid vom 2. März 2015 wies der Präsident der Kammer das Begehren ab.
Gegen diesen Entscheid reichte A.A.________ am 9. März 2015 Beschwerde beim
Obergericht ein.

A.d. Am 3. März 2015 erstatteten Oberärztin F.________ und Assistenzärztin
G.________ das eingeforderte Gutachten. Gestützt darauf ordnete die KESB am 5.
März 2015 nach Anhörung der Betroffenen die fürsorgerische Unterbringung von
D.A.________ an. Gegen diesen Entscheid beschwerte sich A.A.________ ebenfalls
am 9. März 2015 beim Obergericht.

B. 
Mit Eingabe vom 15. März 2015 erhob A.A.________ beim Bundesgericht Beschwerde
gegen das Obergericht wegen Rechtsverweigerung bzw. Rechtsverzögerung mit den
Begehren, ihre Schwester, D.A.________ sei mangels Überprüfung der
fürsorgerischen Unterbringung innert vorgeschriebener Frist sofort aus der
Klinik E.________ zu entlassen. Ferner sei festzustellen, dass Art. 29 Abs. 1
BV verletzt worden sei. Im Sinne von Art. 13 EMRK sei überdies festzustellen,
dass durch die unterlassene gerichtliche Überprüfung der fürsorgerischen
Unterbringung Art. 5 Ziff. 4 und 6 Ziff. 1 EMRK verletzt worden seien.

C. 
Das Obergericht (Beschwerdegegner) hat auf Vernehmlassung verzichtet, reichte
indes den Entscheid in der Sache vom 16. März 2015 ein.

Erwägungen:

1. 
Die Rechtsverweigerungs- oder Rechtsverzögerungsbeschwerde gemäss Art. 94 BGG
ist keine eigene Beschwerdeart. Mit Bezug auf die Zulässigkeit des
Rechtsmittels ist an die Hauptsache anzuknüpfen (vgl. dazu etwa Urteil 5A_710/
2008 vom 12. Januar 2009 E. 1.2). Dabei handelt es sich um eine fürsorgerische
Unterbringung, die gestützt auf Art. 72 Abs. 2 Ziff. 6 BGG mit Beschwerde in
Zivilsachen angefochten werden kann. Die Beschwerde in Zivilsachen ist somit
grundsätzlich zulässig.

2. 
Im vorliegenden Fall hat sich das Obergericht mit der Beschwerde gegen die
Einweisung der Schwester der Beschwerdeführerin zur Begutachtung befasst und
hat diese mit Entscheid vom 16. März 2015 abgewiesen. Damit verfügt die
Beschwerdeführerin über kein aktuelles Interesse an der Behandlung ihrer
gegenüber dem Obergericht erhobenen Vorwürfe der Rechtsverweigerung bzw.
Rechtsverzögerung (BGE 130 I 312 E. 5.3; 125 V 373 E. 1; Urteil 9C_773/2008 vom
12. Dezember 2008 E. 4.3). Die Rechtsprechung tritt in solchen Fällen dennoch
auf die Beschwerde ein, wenn die Beschwerde führende Person hinreichend
substanziiert und in vertretbarer Weise eine Verletzung der EMRK ("grief
défendable") behauptet und die blosse Feststellung einer unzulässigen
Rechtsverzögerung dem Beschwerdeführer eine Art Genugtuung zu verschaffen
vermag (BGE 129 V 411 E. 1.3; vgl. z.B. Urteil 6B_801/2008 vom 12. März 2009 E.
3.5).

3. 
Die Beschwerdeführerin begründet ihren Vorwurf der Rechtsverzögerung damit, die
Vorinstanz habe nicht innert der fünftägigen Frist gemäss Art. 450e Abs. 5 ZGB
entschieden. Im weiteren beruft sie sich in diesem Zusammenhang auf Art. 31
Abs. 4 BV sowie Art. 5 Ziff. 4 und 6 Ziff. 1 EMRK.

3.1. 

3.1.1. Bei Art. 450e Abs. 5 ZGB, wonach die Beschwerdeinstanz über Beschwerden 
in der Regel innert 5 Tagen zu entscheiden hat, handelt es sich um eine
Ordnungsvorschrift (vgl. Votum NR von Graffenried AB 2008 N 1540; DANIEL STECK,
FamKommentar Erwachsenenschutz, 2013, N. 22 zu Art. 450e Abs. 5 ZGB). Diese
Bestimmung gilt namentlich dann nicht als verletzt, wenn im konkreten Fall ein
Entscheid in der Sache nicht früher möglich war ( THOMAS GEISER, Basler
Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 5. Aufl., N. 40 zu Art. 450e Abs. 5 ZGB).

3.1.2. Welche Verfahrensdauer den zeitlichen Anforderungen von Art. 5 Ziff. 4
EMRK bzw. Art. 31 Abs. 4 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu genügen vermag, lässt
sich nicht nach einheitlichen und formalen Kriterien allgemein und abstrakt
festlegen. Massgebend sind wie in der Praxis zu Art. 5 Ziff. 4 EMRK die
gesamten Umstände des konkreten Einzelfalles (vgl. mit Blick auf die
fürsorgerische Freiheitsentziehung das Urteil des Bundesgerichts 1P.793/1991
vom 12. Dezember 1991 E. 4, in: EuGRZ 1991 S. 526, mit Verweisungen auf die
Rechtsprechung und Lehre; BGE 122 I 18 E. 2d S. 31 ff.). Zu berücksichtigen
ist, dass sich die Verfahrensdauer nicht für alle Arten der Freiheitsentziehung
nach den gleichen Massstäben beurteilt. Das Bundesgericht hat im erwähnten,
nicht amtlich publizierten Entscheid unter Hinweis auf die Praxis der
Strassburger Organe ausgeführt, dass psychiatrische Einweisungen oft
schwierigere Fragen aufwerfen als Fälle der Untersuchungshaft. Verletzungen des
Beschleunigungsgebots sind daher nicht schon allein deswegen zu bejahen, weil
ein Verfahren längere Zeit in Anspruch genommen hat. Als massgebend muss
vielmehr gelten, ob das Verfahren in Anbetracht der auf dem Spiel stehenden
Interessen zügig durchgeführt worden ist und die Gerichtsbehörden insbesondere
keine unnütze Zeit haben verstreichen lassen (BGE 137 I 23 E. 2.4.3 S. 27; 127
III 385 E. 3a S. 389).

3.2. Die Beschwerdeführerin hat am 2. März 2015 beim Obergericht gegen die
Einweisung ihrer Schwester zwecks psychiatrischer Begutachtung Beschwerde
erhoben. Aufgrund der konkreten Umstände konnte das Obergericht nach Erhalt der
Beschwerde davon ausgehen, dass die KESB in absehbarer Zeit einen Entscheid
über die fürsorgerische Unterbringung fällen wird, zumal die Einweisung zur
Begutachtung zeitlich befristet war. Das Gutachten wurde schliesslich am 3.
März 2015 erstattet. Der Entscheid der KESB erging daraufhin am 5. März 2015.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin als
nahestehende Person bereits gegen verschiedene Entscheide der KESB (die
Anordnung der Einweisung zur psychiatrischen Begutachtung vom 25. Februar 2015;
den Entscheid des Vorsitzenden betreffend Verweigerung der Akteneinsicht vom 2.
März 2015) Beschwerde geführt hatte, konnte das Obergericht davon ausgehen,
Entsprechendes werde auch gegen die Anordnung der fürsorgerischen Unterbringung
der Schwester der Beschwerdeführerin vom 5. März 2015 geschehen. Tatsächlich
hat die Beschwerdeführerin am 9. März 2015 eine entsprechende Beschwerde beim
Obergericht eingereicht. Unter diesen Umständen ist es mit Blick auf die
vorgenannten Bestimmungen der Verfassung bzw. der EMRK sowie auf Art. 450e Abs.
5 ZGB nicht zu bestanden, dass das Obergericht mit dem Entscheid über die
Beschwerde gegen die Einweisung zwecks Begutachtung zugewartet hat.
Schliesslich ist der Entscheid in der Sache am 16. März 2015 ergangen.

4. 
Damit ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die
Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. April 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Zbinden

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