Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.201/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_201/2015

Urteil vom 18. Mai 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Marazzi, Herrmann,
Gerichtsschreiber Möckli.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Regula Mullis Tönz,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Claudia Camastral,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Ehescheidung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 2. Kammer, vom 21. Januar 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ und B.________ heirateten am 12. September 1980 vor dem
Zivilstandsamt Zürich. B.________ liess sich auf den 1. April 2008 vorzeitig
pensionieren. Am 15. März 2010 reichte A.________ beim Bezirksgericht Baden die
Ehescheidungsklage ein.

B. 
Mit Urteil vom 20. August 2013 schied das Bezirksgericht Baden die Ehe der
Parteien. In Bezug auf die Nebenfolgen der Scheidung haben beide Seiten
Berufung erhoben.
Mit Entscheid vom 21. Januar 2015 verpflichtete das Obergericht des Kantons
Aargau B.________ im Zusammenhang mit der Vorsorge, A.________ gestützt auf
Art. 124 ZGB eine lebenslängliche Rente von Fr. 2'456.-- ab Rechtskraft der
Scheidung auszurichten. Im Übrigen wies es die Berufungen ab.

C. 
Gegen den obergerichtlichen Entscheid hat A.________ am 5. März 2015 Beschwerde
eingereicht mit dem Hauptbegehren um Ersetzung der genannten Verpflichtung
durch eine Kapitalleistung von Fr. 565'323.90 als angemessene Entschädigung
gemäss Art. 124 ZGB sowie mit weiteren Begehren zur konkreten Tilgung der
Entschädigung. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1. 
Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Entscheid über finanzielle
Nebenfolgen einer Ehescheidung mit Fr. 30'000.-- übersteigendem Streitwert; die
Beschwerde in Zivilsachen steht somit offen (Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1
lit. b, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG).

2. 
Das Obergericht hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass die
Pensionierung des Ehemannes rund fünf Jahre zurückliegt und er seine Vorsorge
in Rentenform bezieht. Seine bisherigen Rentenbezüge beliefen sich auf Fr.
9'946.--; davon betrug die Überbrückungsrente, welche mit Eintritt ins
ordentliche Rentenalter durch die AHV-Rente ersetzt wurde, Fr. 2'210.-- und die
BVG-Rente Fr. 7'736.--, wovon Fr. 31.-- als Kosten abgezogen werden. Daraus
errechnete das Obergericht einen Barwert von Fr. 1'528'363.80. Sodann
errechnete es aus der BVG-Rente der Ehefrau von Fr. 1'728.-- einen Barwert von
Fr. 397'716.--. Durch Subtraktion ihres hälftigen Barwertes von seinem
hälftigen Barwert bestimmte das Obergericht die angemessene Entschädigung für
die Ehefrau auf Fr. 565'323.90. Sodann erwog es, dass der Ehemann nicht über
genügend freies Vermögen verfüge, um diese Entschädigung in Form einer
Kapitalzahlung zu tilgen, weshalb sie in Rentenform auszurichten sei. Dabei
verwies das Obergericht auf BGE 131 III 1 E. 4.3.1 S. 5 und errechnete einen
Betrag von Fr. 2'456.-- pro Monat.

3. 
Die Ehefrau erblickt in der Verrentung der Entschädigung eine
Bundesrechtsverletzung. Sie macht geltend, der Vorsorgeausgleich sei vom
Unterhaltsrecht unabhängig, weshalb die Kriterien des Bedarfs und der
Leistungsfähigkeit nicht massgeblich seien. Es bestehe ein genereller Vorrang
der Entschädigung in Kapitalform und eine Rente sei nur dann zulässig, wenn der
Pflichtige überhaupt kein freies Vermögen habe. Dies sei vorliegend nicht der
Fall, verfüge doch der Ehemann per 15. März 2010 über ein Barvermögen von Fr.
449'694.90, wozu noch sein güterrechtlicher Anspruch von Fr. 32'324.42 komme.
Angesichts seines Renteneinkommens, welches das Doppelte des Bedarfes betrage,
könne er die Restanz mit monatlichen Raten von Fr. 2'500.-- begleichen. Das
Obergericht habe im Übrigen in keiner Art und Weise beachtet, dass eine Rente
passiv unvererblich sei, und in diesem Zusammenhang ebenfalls Bundesrecht
verletzt, weil der Vorsorgeausgleich ein vom Güter- und Unterhaltsrecht
unabhängiges Rechtsinstitut bilde. Auf diese Vorbringen wird in E. 4 einzugehen
sein.
Ferner behauptet die Ehefrau eine offensichtlich unrichtige bzw. willkürliche
Tatsachenfeststellung, wenn das Obergericht davon ausgegangen sei, der Ehemann
verfüge über gar kein Barvermögen. Indes hat das Obergericht nirgends eine
solche Feststellung getroffen, sondern lediglich festgehalten, das Barvermögen
des Ehemannes reiche nicht aus, um die Entschädigung als (einmalige)
Kapitalleistung zu erbringen. Diese Feststellung trifft zu.

4. 
Mit dem Begriff der "angemessenen Entschädigung" eröffnet Art. 124 Abs. 1 ZGB
dem Sachgericht ein grosses Ermessen (Art. 4 ZGB; BGE 131 III 1 E. 4.2 S. 4;
Urteil 5A_141/2013 vom 25. April 2013 E. 3.3), welches sich nicht nur auf die
Modalitäten der Berechnung der Entschädigung, sondern auch auf die Form ihrer
Ausrichtung bezieht. Denkbar ist einerseits eine Kapitalleistung, welche mit
Einmalzahlung oder ratenweise oder als Kombination von Kapitalbetrag und Raten
erfolgen kann, und andererseits eine Rentenleistung. Das Gesetz selbst macht
keine Vorgaben.

4.1. In der Literatur wird überwiegend die Meinung vertreten, dass die
Kapitalzahlung im Vordergrund stehen müsse (beispielsweise BAUMANN/LAUTERBURG,
in: FamKomm Scheidung, Band I, Bern 2011, N. 63 zu Art. 124 ZGB; CANTIENI/
VETTERLI, in: Kurzkommentar ZGB, N. 4 zu Art. 124 ZGB; VETTERLI, Scheidung im
Alter, in: Innovatives Recht, St. Gallen 2011, S. 249; GRÜTTER/SUMMERMATTER,
Erstinstanzliche Erfahrungen mit dem Vorsorgeausgleich bei Scheidung,
insbesondere nach Art. 124 ZGB, in: FamPra.ch 2002, S. 659; GRÜTTER,
Vorsorgeausgleich durch Entschädigung im Alter und bei Invalidität, in:
Berufliche und freiwillige Vorsorge in der Scheidung, Zürich 2010, S. 194;
RUMO-JUNGO, Berufliche Vorsorge bei Scheidung, in: Berufliche und freiwillige
Vorsorge in der Scheidung, Zürich 2010, S. 31; dahingehend auch Urteil 5A_725/
2008 vom 6. August 2009 E. 5.4.4). Teilweise wird die Kapital- und
Rentenleistung aber auch gleichberechtigt erwähnt (z.B. WALSER, in: Basler
Kommentar, N. 14 zu Art. 124 ZGB) und auf den Spielraum hingewiesen, welcher in
diesem Zusammenhang besteht (z.B. Moser, Teilung mit Tücken, in: BVG-Tagung
2013, St. Gallen 2014, S. 229). Vereinzelt findet sich eine differenzierte
Auseinandersetzung mit dem Thema und die Empfehlung, im Rahmen des Ermessens
auf die Umstände des Einzelfalls einzugehen (insb. GRÜTTER, Der
Vorsorgeausgleich nach der Pensionierung, in: FamPra.ch 2013, S. 895 ff.).
Das Bundesgericht hat in BGE 131 III 1 befunden, dass eine Kapitalleistung nur
in Frage kommen kann, wenn der Leistungspflichtige den entsprechenden Betrag
frei zur Verfügung hat (E. 4.3.1 S. 5), während die Rentenform vorzuziehen ist,
wenn die nötigen Barmittel fehlen und der Verpflichtete seine eigene Vorsorge
ebenfalls als Rente bezieht (E. 4.3.1 S. 6); im Übrigen hat das Bundesgericht
festgehalten, dass bei der Festsetzung der Höhe der Entschädigung und den
Erfüllungsmodalitäten der Entschädigung die wirtschaftlichen Interessen und die
konkreten Vorsorgebedürfnisse der Parteien sowie das Ergebnis der
güterrechtlichen Auseinandersetzung zu berücksichtigen sind (E. 4.2 S. 4 und E.
6.1 S. 9; ebenso BGE 129 III 481 E. 3.4.1 S. 488; 127 III 433 E. 3 S. 439;
Urteil 5A_141/2013 vom 25. April 2013 E. 3.3).

4.2. Was die Vorsorgebedürfnisse anbelangt, so ändern diese je nach Lebenslage
der Parteien. Steht der entschädigungsberechtigte Ehegatte noch im
Erwerbsleben, kann die Entschädigung in gewissen Fällen an dessen
Vorsorgeeinrichtung übertragen werden (vgl. Art. 22b FZG; BGE 129 III 481 E.
3.5.2 S. 489 f.); diesfalls steht regelmässig eine Kapitalleistung zur Debatte.
Die Entschädigung dient hier dem Vorsorgezweck; ein gewisser funktionaler Bezug
zum Güterrecht besteht aber insofern, als der Empfänger in der Regel auch mit
einer entsprechenden Summe aus ungebundenem Vermögen einen Einkauf in seine
Vorsorgeeinrichtung tätigen und auf diese Weise eine vergleichbare Erhöhung
seiner Vorsorgeanwartschaft herbeiführen könnte. Soweit die (aus freiem
Vermögen stammende) Entschädigung nicht direkt in die Vorsorgeeinrichtung des
anderen Ehegatten eingebracht werden kann, was den Normalfall darstellt, wirkt
sie unmittelbar vermögensbildend; der Vorsorgezweck wird hier virtuell und die
Nähe zum Güterrecht ist unverkennbar. Hingegen kommt der Entschädigung nur noch
Unterhaltscharakter zu, wenn beim berechtigten Ehegatten der Vorsorgefall
eingetreten ist. Hier deckt sich der Vorsorgeausgleich von der Funktion her mit
dem nachehelichen Unterhalt. Dies zeigt sich exemplarisch im vorliegenden Fall:
Das Obergericht konnte von einer Unterhaltsrente absehen, weil die Ehegatten
bereits aufgrund des Vorsorgeausgleichs je eine vergleichbare Lebenshaltung
bestreiten können (vgl. dazu nachfolgend). Soweit die Entschädigung dem
Unterhalt dient, rückt nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung die
Rentenform stärker in den Vordergrund, jedenfalls soweit der Verpflichtete
seine Vorsorge ebenfalls in Rentenform bezieht und er die Entschädigung nicht
ohne weiteres aus Barmitteln aufbringen kann.

4.3. Vor Obergericht hatte der Ehemann geltend gemacht, dass ihm nach Abschluss
des Scheidungsverfahrens nur noch ein kleines Vermögen verbleibe, während die
Ehefrau neben dem Eigentum an der Liegenschaft über ein grösseres Barvermögen,
über Eigengut sowie über erhebliche Anwartschaften aus der unverteilten
Erbschaft verfüge; deshalb rechtfertige es sich, die Entschädigung in
Rentenform festzulegen (angefochtener Entscheid, S. 27). Das Obergericht ist
diesen Überlegungen gefolgt und hat hierbei das ihm zustehende Ermessen
keineswegs überschritten, sondern vielmehr eine der konkreten Lebens-,
Einkommens- und Vermögenssituation der Parteien angemessene Lösung gefunden.
Ausgangspunkt der obergerichtlichen Überlegungen bildet die Tatsache, dass der
Ehemann nicht über genügend freies Kapital verfügt, um die angemessene
Entschädigung von Fr. 565'323.90 mit einer Einmalzahlung zu tilgen (gemäss
Vermögensaufstellung im erstinstanzlichen Urteil, S. 24, betrug es Fr.
449'694.90, abzüglich Steuerschulden von Fr. 30'057.--, zuzüglich
güterrechtliche Ansprüche von Fr. 32'324.42; sodann dürften aufgrund des extrem
aufwendig geführten Scheidungsverfahrens zwischenzeitlich Gerichts- und
Anwaltskosten in ausserordentlicher Höhe angefallen sein, welche das
Barvermögen erheblich vermindert haben). Bei einer Kapitalleistung müsste der
Ehemann nicht nur jegliches Barvermögen aufwenden, so dass er bei
unvorhergesehenen Ereignissen in Bedrängnis kommen könnte, sondern er wäre mit
der ratenweisen Tilgung der Restanz auch auf Jahre hinaus auf das
Existenzminimum gesetzt. Dies wäre angesichts der langdauernden Ehe, des
beidseits eingetretenen Vorsorgefalles und insbesondere der
Vermögensverhältnisse der Ehefrau geradezu stossend.
Demgegenüber kann der Ehemann die Rentenlast angesichts seines relativ hohen
eigenen Renteneinkommens gut tragen. Sodann führt die Verrentung der
Entschädigung bei den Ehegatten, welche einen fast identischen Bedarf
aufweisen, zu einem ähnlichen Einkommen undermöglicht ihnen damit im Ergebnis
eine vergleichbare Lebenshaltung: Gemäss den obergerichtlichen Feststellungen
beträgt der Bedarf beim Ehemann 4'435.90 und bei der Ehefrau Fr. 4'662.55, das
Renteneinkommen beim Ehemann Fr. 9'915.-- und bei der Ehefrau Fr. 4'193.--
(angefochtener Entscheid, S. 33); unter Berücksichtigung des in Rentenform Fr.
2'456.-- ausmachenden Vorsorgeausgleichs beträgt das Einkommen Fr. 7'459.--
beim Ehemann und Fr. 6'649.-- bei der Ehefrau. Zusätzlich verfügt diese noch
über Liegenschaftserträge von Fr. 25'000.-- pro Jahr (angefochtenes Urteil, S.
24), so dass sie auf ein Gesamteinkommen von monatlich Fr. 8'732.-- kommt.
Das Obergericht hat nicht übersehen, dass die als Rente ausgerichtete
Entschädigung passiv unvererblich ist. Es hat hierzu erwogen, dass die Ehefrau
das Risiko des Vorversterbens - welches sich besonders stark bei einem
frühzeitigen Ableben des Rentenschuldners auswirken würde - angesichts des
deutlich über dem Bedarf liegenden Gesamteinkommens sowie des erheblichen
Vermögens versichern kann. Zunächst ist festzuhalten, dass die Ehefrau bereits
mit demeigenen Renteneinkommen praktisch den ganzen Bedarf abdecken kann.
Sodann hat sie monatliche Liegenschaftserträge von über Fr. 2'000.--, so dass
es ihr ohne weiteres möglich und zumutbar ist, das zusätzliche Renteneinkommen
aus der Entschädigung zu versichern. Angesichts der Gesamtumstände stellt dies
jedenfalls keine unsachliche Ermessensausübung dar, zumal sie auch auf eine
Versicherung verzichten könnte, weil bereits ihr Einkommen ohne die
Vorsorgeausgleichsrente ihren Bedarf deutlich übersteigt. Im Übrigen ist zu
bemerken, dass die Ehefrau von der Verrentung der Entschädigung gegenüber einer
Kapitalleistung auch durchaus profitieren kann, nämlich wenn beide Ehegatten
ein hohes Alter erreichen sollten.

4.4. Insgesamt ergibt sich, dass das Obergericht von seinem Ermessen
sachgemässen Gebrauch gemacht und eine dem konkret zu beurteilenden Einzelfall
angemessene Regelung getroffen hat.

5. 
Zufolge Abweisung der Beschwerde sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Gegenseite ist kein
entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Mai 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Möckli

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