Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.163/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_163/2015

Urteil vom 14. Oktober 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Herrmann, Schöbi,
Gerichtsschreiber Möckli.

Verfahrensbeteiligte
A.A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Gnädinger,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Gesine Wirth-Schuhmacher,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
vorsorgliche Massnahmen (Ergänzung eines Ehescheidungsurteils),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Einzelrichter im
Familienrecht, vom 26. Januar 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.A.________ (geb. 1975) und B.A.________ (geb. 1971), heirateten 2008. Aus der
Ehe ging der Sohn C.A.________, geb. 2010, hervor. Seit dem 6. März 2011 leben
die Parteien getrennt. Mitte August 2011 zog die Ehefrau mit C.A.________ nach
U.________.
Mit Entscheid vom 7. Oktober 2011 bzw. 8. Juni 2012 verpflichteten das
Kreisgericht V.________ resp. das Kantonsgericht St. Gallen den Ehemann, ab 1.
Dezember 2011 für C.A.________ Fr. 1'150.-- zzgl. Kinderzulagen und für die
Ehefrau Fr. 5'500.-- pro Monat zu bezahlen.
Mit Entscheid des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 3. September 2013 wurde
die Ehe der Parteien gestützt auf das deutsche Recht geschieden.
Bereits am 19. August 2013 hatte sich die Ehefrau mit dem Sohn wieder in
W.________ angemeldet.
Am 15. Oktober 2013 gelangte sie mit einer Klage auf Ergänzung des deutschen
Ehescheidungsurteils an das Kreisgericht V.________. Gleichzeitig ersuchte sie
um Erlass vorsorglicher Massnahmen.

B. 
Betreffend die vorsorglichen Massnahmen verpflichtete das Kreisgericht
V.________ den Ehemann mit Entscheid vom 6. Dezember 2013, rückwirkend ab 18.
August 2013 für C.A.________ Fr. 1'150.-- zzgl. allfälliger Kinderzulagen und
für die Ehefrau Fr. 8'500.-- pro Monat zu bezahlen.
Gegen diesen Entscheid erhob der Ehemann Berufung mit den Anträgen, es sei
festzustellen, dass keine Frauenalimente geschuldet seien, eventualiter seien
diese auf maximal Fr. 1'436.-- pro Monat festzusetzen.
Mit Entscheid vom 26. Januar 2015 verpflichtete das Kantonsgericht St. Gallen
den Ehemann zu Frauenalimenten von Fr. 5'800.-- für September 2013 bis August
2014, von Fr. 4'600.-- für September 2014 bis August 2015 und von Fr. 2'900.--
ab September 2015; im Übrigen wies es die Berufung ab.

C. 
Gegen den Berufungsentscheid hat A.A.________ am 27. Februar 2015 Beschwerde in
Zivilsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde erhoben mit den Begehren um
Verpflichtung von B.A.________ zu Unterhaltszahlungen von monatlich Fr.
8'500.-- rückwirkend ab 3. September 2013, eventualiter um Rückweisung der
Sache an die Vorinstanz. Mit Verfügung vom 3. März 2015 wurde der Antrag auf
aufschiebende Wirkung abgewiesen. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1. 
Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Endentscheid in einer Zivilsache
mit Fr. 30'000.-- übersteigendem Streitwert; die Beschwerde in Zivilsachen
steht somit offen (Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 lit. b, Art. 75 Abs. 1 und
Art. 90 BGG). Wo diese gegeben ist, fällt die subsidiäre Verfassungsbeschwerde,
wie schon ihr Name sagt, ausser Betracht (Art. 113 BGG).
Weil der angefochtene Entscheid über eine vorsorgliche Massnahme trägt, können
nur verfassungsmässige Rechte als verletzt angerufen werden (Art. 98 BGG).
Hiefür gilt das strenge Rügeprinzip gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG. Die
Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Willkürverbots.

2. 
Im Hauptverfahren geht es um die Ergänzung eines rechtskräftigen deutschen
Scheidungsurteils. Für Unterhaltssachen richtet sich die internationale
Zuständigkeit nach dem Lugano-Übereinkommen. Umstritten ist, ob materiell für
die Urteilsergänzung im Hauptverfahren und mithin auch für die vorsorglichen
Massnahmen deutsches oder schweizerisches Recht zur Anwendung kommt.
Das Kantonsgericht ging von der Anwendbarkeit des Haager Übereinkommens über
das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht aus (UStÜ; SR 0.211.213.01),
nach dessen Art. 8 Abs. 1 für die Unterhaltspflicht zwischen den geschiedenen
Ehegatten das auf die Ehescheidung angewandte Recht massgebend ist.
Unbestrittenermassen hat das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg das deutsche
Scheidungsrecht angewandt. Die Beschwerdeführerin behauptete allerdings im
kantonalen Verfahren wie auch vorliegend, dass im deutschen Scheidungsverfahren
richtigerweise schweizerisches Recht anzuwenden gewesen wäre und deshalb auch
für die Ergänzung schweizerisches Recht anzuwenden sei.
Das Kantonsgericht verneinte die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass in
Deutschland nicht mehr das UStÜ, sondern aufgrund eines Beschlusses des
Europäischen Rates das (völkerrechtlich noch nicht in Kraft getretene) Haager
Protokoll vom 23. November 2007 anwendbar gewesen sei. Dies wird vor
Bundesgericht nicht mehr in Frage gestellt.
Sodann verneinte das Kantonsgericht auch die weitere Ansicht der
Beschwerdeführerin, es müsse auf die Verordnung des Europäischen Rates vom 20.
Dezember 2010 zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des
auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden
Rechts (Rom III VO) abgestellt werden, nach deren Art. 9 Abs. 1 das Amtsgericht
schweizerisches Recht hätte anwenden müssen, weil bereits im Trennungsverfahren
vor dem Kreisgericht V.________ schweizerisches Recht zur Anwendung gelangt
sei. Das Kantonsgericht hat offen gelassen, wie es sich damit verhielt, weil
nach dem klaren Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 UStÜ das angewandte Recht und nicht
das Recht, das hätte angewandt werden müssen, massgebend sei. Es sei dem
Ergänzungsrichter verwehrt, das rechtskräftige Ehescheidungsurteil mit Blick
auf die Frage, ob das richtige Recht angewandt worden sei, zu überprüfen.
In der Folge hat das Kantonsgericht die Unterhaltsansprüche der Ehefrau
eingehend aufgrund des deutschen Rechts und der diesbezüglichen Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofes geprüft.

3. 
Vor Bundesgericht stellt sich die Beschwerdeführerin erneut auf den Standpunkt,
dass sich das Scheidungsstatut nach Art. 9 Abs. 1 Rom III VO bestimmt habe und
richtigerweise schweizerisches Recht auf die Scheidung anzuwenden gewesen wäre.
Zur Argumentation des Kantonsgerichts, das deutsche Scheidungsurteil sei in
Rechtskraft erwachsen und auf die Frage des hierfür anwendbaren Rechts könne
nicht zurückgekommen werden, ruft die Beschwerdeführerin keine
verfassungsmässigen Rechte als verletzt an, wie es vorliegend nötig wäre (vgl.
E. 1). Sie macht einzig geltend, das deutsche Urteil sei willkürlich
(Beschwerde Rz. 20); Anfechtungsobjekt ist aber nicht das deutsche Urteil,
sondern der Entscheid des Kantonsgerichts (Art. 75 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich
bringt die Beschwerdeführerin lediglich in appellatorischer Weise vor, sie habe
weder Anlass noch die Möglichkeit gehabt, das deutsche Scheidungsurteil
anzufechten, weil nur der Scheidungstenor in Rechtskraft erwachsen sei und sie
deshalb nicht beschwert gewesen sei. Mangels einer Willkürrüge kann auf diese
Ausführungen nicht eingetreten werden. Es kann damit offen bleiben, ob die
Beschwerdeführerin nicht gerade mit Blick auf das Ergänzungsverfahren beschwert
war, indem sie behauptet, bei Anwendung von schweizerischem Recht stünden ihr
höhere Unterhaltsbeiträge zu, und ob sie das deutsche Scheidungsurteil nicht
deshalb hätte anfechten können.

4. 
Eine substanziierte Willkürrüge, auf welche einzutreten ist, erhebt die
Beschwerdeführerin dahingehend, dass das Kantonsgericht die Anwendung des
falschen Rechts durch das deutsche Scheidungsgericht hätte erkennen können und
Art. 8 Abs. 1 UStÜ anders hätte auslegen müssen. Der Verweis des
Kantonsgerichts auf den klaren Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 UStÜ greife zu kurz
und lasse den Gerechtigkeitsgedanken ausser Acht. So spreche Art. 64 Abs. 2
IPRG im Zusammenhang mit der Urteilsergänzung vom anwendbaren und nicht vom
effektiv angewandten Recht; das Kantonsgericht hätte gestützt auf Art. 15 IPRG
korrigierend eingreifen und schweizerisches Recht zur Anwendung bringen müssen.
Gemäss Art. 1 Abs. 2 IPRG sind völkerrechtliche Verträge vorbehalten, d.h. sie
gehen den Regeln des IPRG vor. Im vorliegenden Fall richtet sich das anwendbare
Recht deshalb nach dem UStÜ, welches die Regelungen des IPRG verdrängt. Art. 15
IPRG bezieht sich klarerweise darauf, dass die Rechtsverweisung gestützt auf
eine Norm des IPRG erfolgt. Dies ist vorliegend nicht der Fall; die Frage des
anwendbaren Rechts für das Ergänzungsverfahren richtet sich nicht nach Art. 64
Abs. 2 IPRG, sondern vielmehr nach dem UStÜ. Dass der Wortlaut von Art. 8 Abs.
1 UStÜ klar ist, anerkennt die Beschwerdeführerin selbst. Vor diesem
Hintergrund kann keine Willkür in der Anwendung dieser Bestimmung gegeben sein.
Soweit die Beschwerdeführerin schliesslich eine dem allgemeinen
Gerechtigkeitssinn widerstrebende willkürliche Rechtsverweisungssituation
behauptet, kann sie nach dem Gesagten nicht geltend machen, das Kantonsgericht
hätte gestützt auf Art. 15 IPRG regulatorisch einwirken und eine Korrektur
vornehmen müssen. Nur der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass das
Ergebnis ohnehin auch nicht als offensichtlich stossend im Sinn des
Willkürbegriffes (vgl. (BGE 136 I 316 E. 2.2.2 S. 318 f.; 137 I 1 E. 2.4 S. 5)
erscheint, ist doch die Beschwerdeführerin deutsche Staatsangehörige, lebte sie
zur Zeit des Scheidungsverfahrens mit dem gemeinsamen Kind in Deutschland und
führt die Anwendbarkeit des deutschen Rechts nicht zu einem völlig anderen
Ergebnis.

5. 
Die Ausführungen zur Höhe des Unterhalts erfolgen unter der Prämisse, dass
schweizerisches Recht zur Anwendung gelangt. Sie sind nach dem vorstehenden
Ergebnis gegenstandslos.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit auf sie
eingetreten werden kann. Wie die voranstehenden Erwägungen zeigen, muss die
Beschwerde als von Anfang an aussichtslos bezeichnet werden, weshalb es an den
materiellen Voraussetzungen für die unentgeltliche Rechtspflege fehlt (Art. 66
Abs. 1 BGG) und das betreffende Gesuch bereits aus diesem Grund abzuweisen ist.
Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss der Beschwerdeführerin aufzuerlegen
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Gegenseite ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand
entstanden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde in Zivilsachen wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen,
Einzelrichter im Familienrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Oktober 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Möckli

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