Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.131/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_131/2015

Urteil vom 26. Mai 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Schöbi, Bovey,
Gerichtsschreiber Möckli.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Flurin Turnes,
Beschwerdeführerin,

gegen

Bezirksgericht U.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
unentgeltliche Prozessführung (Testamentsungültigkeit),

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 18.
Dezember 2014.

Sachverhalt:

A. 
Nach dem Hinschied von B.B.________ am xx.xx.2014 eröffnete das Notariat
C.________ am 15. Januar 2014 eine auf dem Computer geschriebene, danach
ausgedruckte und eigenhändig unterzeichnete sowie mit dem Geburtsdatum und dem
Datum vom 3. Dezember 2013 versehene letztwillige Verfügung, in welcher dieser
sinngemäss A.________ als Alleinerbin eingesetzt hatte. Am 19. Januar 2014
erhoben D.B.________ und E.B.________ (Mutter und Schwester) Einsprache gegen
die letztwillige Verfügung.

B. 
Am 10. September 2014 erhoben D.B.________ und E.B.________ beim Bezirksgericht
U.________ eine Klage auf Ungültigerklärung, allenfalls auf Feststellung der
Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung.
Am 17. Oktober 2014 beantragte die beklagte A.________ die unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung durch Rechtsanwalt Flurin Turnes.
Am 7. November 2014 wies das Bezirksgericht U.________ das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit des in
der Hauptsache vertretenen Rechtsstandpunktes ab.
Hiergegen liess A.________ am 21. November 2014 Beschwerde erheben. Nachdem das
Obergerichtspräsidium am 24. November 2014 den Antrag auf Gewährung einer
Notfrist abgewiesen hatte, wies das Obergericht des Kantons Thurgau mit
Entscheid vom 18. Dezember 2014 die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.

C. 
Gegen den obergerichtlichen Entscheid liess A.________ am 17. Februar 2015
durch ihren Rechtsvertreter eine Beschwerde erheben, zusammengefasst mit den
Begehren um Aufhebung des Entscheides, insbesondere im Sinn einer
Wiederherstellung gemäss Art. 50 BGG, um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege für das vor dem Bezirksgericht U.________ hängige Verfahren, für
das Rechtsmittelverfahren vor Obergericht und für das bundesgerichtlichen
Verfahren sowie um Vormerkung, dass ihr Anwalt vor dem Obergericht ein
Fristwiederherstellungsgesuch habe stellen wollen. Es wurden keine
Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid einer letzten kantonalen
Instanz (Art. 75 Abs. 1 BGG), mit welchem die unentgeltliche Rechtspflege
verweigert worden ist. Dabei handelt es sich um einen Zwischenentscheid, der
einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a
BGG; BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131). Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg
jenem der Hauptsache (BGE 137 III 380 E. 1.1 S. 382). Dort geht es um die
Ungültigerklärung eines Testaments und damit um eine vermögensrechtliche
Angelegenheit. Weder im angefochtenen Entscheid noch in der Beschwerde wird der
Streitwert angegeben. Aus den Akten geht jedoch hervor, dass der
Nettonachlasswert rund Fr. 52'000.-- beträgt. Es kann mithin davon ausgegangen
werden, dass die Hauptsache den für die Beschwerde in Zivilsachen
erforderlichen Streitwert erreicht (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG), womit das
betreffende Rechtsmittel grundsätzlich offen steht. Auf die einzelnen
Eintretensvoraussetzungen wird jeweils im Sachzusammenhang zurückzukommen sein.

2. 
Das Obergericht hat festgehalten, dass die lediglich durch die Sekretärin von
Rechtsanwalt Flurin Turnes unterzeichnete Beschwerde an einem Mangel leide,
jedoch auf eine Nachfrist zur Beseitigung verzichtet werden könne, weil die
Beschwerde ohnehin abzuweisen sei. Sodann genüge die Beschwerde den
Begründungsanforderungen nicht, wäre doch zumindest der gerügte Mangel des
angefochtenen Entscheides oder des erstinstanzlichen Verfahrens substanziiert
zu umschreiben und wären die Beweismittel zu benennen; indes sei auch hier auf
eine Nachfrist zu verzichten, weil die Beschwerde ohnehin unbegründet sei.
In der Sache ging das Obergericht davon aus, dass das Bezirksgericht die
Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin zu Recht als aussichtslos bezeichnet
habe, weil die letztwillige Verfügung des Erblassers weder eigenhändig
geschrieben noch öffentlich beurkundet und damit nicht in einer gültigen Form
errichtet sei. Mit dem Vorbringen, der Erblasser habe sich in einer
"nottestament-ähnlichen" Verfassung befunden, übergehe die Beschwerdeführerin,
dass unbestrittenermassen auch die von Art. 506 f. ZGB aufgestellten
Formvorschriften nicht erfüllt seien. Angesichts der klaren Rechtslage sei der
Rechtsstandpunkt der Beschwerdeführerin aussichtslos und das erstinstanzliche
Gericht habe deshalb ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege zu Recht
abgewiesen.

3. 
Der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin macht geltend, er habe am 21. November
2014, d.h. am Tag der Einreichung der kantonalen Beschwerde notfallmässig
hospitalisiert werden müssen. Bereits auf dem Schragen liegend und an diverse
Schläuche angehängt, habe er die Rechtsschrift seiner Sekretärin telefonisch
diktiert. Er sei dann bis am 11. Januar 2015 zu 100 % und danach zu 80 %
arbeitsunfähig gewesen; jetzt nehme er die Kanzleitätigkeit wieder auf und sei
mit Fristen überhäuft. Das Obergericht habe die Situation gekannt, ihm aber
keine Notfrist gewährt, sondern den Entscheid gefällt, bevor er ein
Fristwiederherstellungsgesuch habe stellen können. Nunmehr sei das
Bundesgericht zuständig und er verweise deshalb auf Art. 50 Abs. 2 BGG.
Art. 50 Abs. 2 BGG betrifft die Fristeinhaltung für die Beschwerde an das
Bundesgericht, welche vorliegend unproblematisch ist. Was der Anwalt der
Beschwerdeführerin anspricht, ist vielmehr die Frage der Fristwiederherstellung
für das kantonale Rechtsmittel, welche sich nach der für jenes Verfahren
massgebenden Prozessordnung, mithin nach Art. 148 ZPO richtet. Es wäre deshalb
aufzuzeigen, dass in jenem Verfahren ein entsprechendes Gesuch eingereicht
sowie dass und inwiefern dieses vom Obergericht in Verletzung der massgebenden
Vorschriften abgewiesen worden wäre.
Sinngemäss behauptet Rechtsanwalt Flurin Turnes, dass er gar nicht dazu
gekommen sei, ein solches zu stellen, und das Obergericht von sich aus mit dem
Entscheid hätte zuwarten und eine Notfrist einräumen müssen. Auch diesbezüglich
kann er es aber nicht bei allgemeinen Ausführungen belassen, sondern müsste er
aufzeigen, welche Verfahrensnormen und inwiefern das Obergericht diese verletzt
haben soll. Insbesondere müsste er sich auch mit der obergerichtlichen Erwägung
auseinandersetzten, dass offen gelassen werden könne, ob die Beschwerde zur
Verbesserung von Mängeln zurückzuweisen wäre, weil ihr in der Sache selbst
ohnehin kein Erfolg beschieden sein könne.

4. 
In der Sache selbst lässt die Beschwerdeführerin vorbringen, sie sei davon
ausgegangen, dass der Erblasser eigentlich anlässlich der Testamentserrichtung
am 3. Dezember 2013 habe Suizid begehen wollen, sie ihn aber mit ihrem
unverhofften Erscheinen habe davon abhalten können, wobei dies in der Folge
leider doch erfolglos geblieben sei. Es stelle sich deshalb im Zusammenhang mit
Art. 505 ZGB die Rechtsfrage, was die eigenhändige Niederschrift bedeute.
Dieser Vorschrift sei im richtig verstandenen Sinn durchaus nachgelebt worden,
indem die letztwillige Verfügung auf dem Computer erstellt und dann original
unterzeichnet worden sei. Es sei nicht mehr zeitgemäss, die Norm dahingehend zu
verstehen, dass der Erblasser den Griffel halte; es gehe darum, dass das
Testament aus eigener Hand entstehe. Heute könne man ja auch elektronische
Eingaben ans Gericht machen und man habe die "Schnürlischrift" aufgegeben. Der
historische Gesetzgeber habe die Entwicklung der heutigen Tage nicht
voraussehen können, sie sei aber nun mal eingetreten. Eine zeitgemässe
Interpretation von Art. 505 ZGB wäre im Interesse der Allgemeinheit; die
Testamentschreiberei sei ja ein weithin anerkanntes Unding und führe zu
zahlreichen Unzulänglichkeiten, welche mit der Erstellung eines
maschinengeschriebenen Dokumentes ausgeräumt werden könnten. Es gehe darum,
dass kein Dritter hineinwirke. Beim Begriff "Eigenhändigkeit" sei der Wortteil
"eigen" dominant; was den Wortteil "Händigkeit" anbelange, so könne mit der
Hand nicht nur am Griffel, sondern auch an einem technischen Gerät gearbeitet
werden. Das erstinstanzliche Verfahren könne deshalb keineswegs als
aussichtslos bezeichnet werden und noch weniger könne eine "klare Rechtslage"
im Verfahren von Art. 257 ZPO gegeben sein.
Die Beschwerdeführerin macht zwar immer noch geltend, der Erblasser habe sich
am 3. Dezember 2013 gewissermassen in Not befunden, lässt aber nicht mehr
behaupten, dass ein mündliches Testament im Sinn von Art. 506 ZGB vorliege. Sie
geht vielmehr von einem eigenhändigen Testament aus und beschränkt sich auf das
Vorbringen, bei objektiv-zeitgemässer Auslegung von Art. 505 ZGB müsse auch ein
maschinengeschriebenes Dokument eine gültige eigenhändige letztwillige
Verfügung sein können.
Der klare Wortlaut von Art. 505 Abs. 1 ZGB, wonach die eigenhändige
letztwillige Verfügung von Anfang bis zu Ende von Hand niederzuschreiben ist,
lässt indes keinen entsprechenden Spielraum zu (vgl. auch BGE 131 III 601 E.
3.1 S. 603 f.). Maschinenschrift ist ausgeschlossen (Escher, Zürcher Kommentar,
N. 10 zu Art. 505 ZGB; WEIMAR, Berner Kommentar, N. 12 zu Art. 505 ZGB; PIOTET,
Schweizerisches Privatrecht, Band IV/1, S. 234 oben). "Eigenhändig" und
"niederschreiben" im Sinn dieser Norm bedeutet nämlich, dass der Erblasser das
Schreibgerät selber führt und ein Schriftbild entsteht (vgl. BREITSCHMID,
Basler Kommentar, N. 3 zu Art. 505 ZGB). Die betreffenden Formvorschriften sind
nicht zufällig aufgestellt. Das Selbst-Schreiben soll den Testierwillen
unterstreichen ( BREITSCHMID, a.a.O., N. 2 zu Art. 505 ZGB; LENZ,
Praxiskommentar Erbrecht, N. 4 zu Art. 505 ZGB); ein eigenhändig geschriebener
Text kann dem Erblasser weniger gut untergeschoben werden als ein vorgedrucktes
Dokument, welches zur Unterschrift hingehalten wird. Sodann geht es auch darum,
die Authentizität des Testaments zu garantieren (BGE 98 II 73 E. 3 S. 79;
WEIMAR, a.a.O., N. 5 zu Art. 505 ZGB); im Streitfall sind eigenhändig verfasste
Texte einer kriminaltechnischen Schriftfachanalyse besser zugänglich als
maschinengeschriebene und bloss handschriftlich unterzeichnete ( BREITSCHMID,
a.a.O., N. 2 zu Art. 505 ZGB).
Angesichts des unmissverständlichen Wortlautes von Art. 505 ZGB, der
publizierten Rechtsprechung und der ohne abweichende Meinungen bestehenden
Lehre ist die Rechtslage klar und muss der Rechtsstandpunkt der
Beschwerdeführerin als aussichtslos bezeichnet werden, und zwar entgegen der
beschwerdeweise vertretenen Ansicht auch im Verfahren gemäss Art. 257 ZPO. Eine
andere Frage ist, dass die Beschwerdeführerin als Beklagte im erstinstanzlichen
Verfahren einlassungspflichtig ist (vgl. zur Einlassungspflicht und der
unentgeltlichen Rechtspflege: BÜHLER, Berner Kommentar, N. 266 zu Art. 117
ZPO). Dies wird jedoch in der Beschwerde nicht thematisiert und ist deshalb
vorliegend nicht näher zu prüfen (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 140 III 115 E. 2 S.
116).

5. 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit auf sie
einzutreten ist. Angesichts der konkreten Umstände rechtfertigt es sich, analog
dem Vorgehen des Obergerichts von der Auferlegung einer Gerichtsgebühr
abzusehen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege in Bezug auf die Gerichtskosten gegenstandslos. Was die
Verbeiständung durch Rechtsanwalt Flurin Turnes anbelangt, konnte der
Beschwerde bzw. den vorgetragenen Rügen, wie die vorstehenden Erwägungen
zeigen, von Anfang nicht die geringste Aussicht auf Erfolg beschieden sein, so
dass es an den materiellen Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege
fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und mithin das betreffende Gesuch abzuweisen ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Bezirksgericht U.________ und
dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. Mai 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Möckli

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