Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.702/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
4A_702/2015

Urteil vom 20. Mai 2016

I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
Bundesrichterin Klett, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiberin Marti-Schreier.

Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Gerhard Frey,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________,
vertreten durch Fürsprecher André Vogelsang,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitsvertrag; fristlose Entlassung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Bern, Zivilabteilung, 1. Zivilkammer,
vom 16. November 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. Die A.________ AG (Arbeitgeberin, Beklagte, Beschwerdeführerin) bietet
gewerbliche Wäscherei- und Küchentechnik sowie Servicedienstleistungen an.
B.________ (Arbeitnehmer, Kläger, Beschwerdegegner) wurde mit Vertrag vom 5./6.
Juli 2011 angestellt und arbeitete vom 11. Juli 2011 bis zu seiner fristlosen
Entlassung am 28. Oktober 2013 als Servicetechniker. In dieser Funktion nahm er
vom technischen Leiter seiner Arbeitgeberin Serviceaufträge telefonisch
entgegen und führte sie bei den Kunden mit dem Firmenfahrzeug aus. Zur
Erleichterung der Disposition wurden die Fahrten mit GPS aufgezeichnet.

A.b. Am 20. September 2013 kündigte die Arbeitgeberin den Vertrag auf den 31.
Dezember 2013 ordentlich. Sie war seit geraumer Zeit mit den Leistungen des
Arbeitnehmers nicht mehr zufrieden; sie warf ihm vor, zu spät mit der Arbeit zu
beginnen und die wöchentliche Arbeitszeit nicht einzuhalten. Sie hatte ihn
deswegen verwarnt.

A.c. Am 25. Oktober 2013, Freitagnachmittag, führte der Arbeitnehmer einen
Serviceauftrag nicht aus, nachdem er von seiner Ehefrau erfahren hatte, dass
ihm die Arbeitgeberin wegen Minus-Stunden den Oktober-Lohn gekürzt hatte. Die
Arbeitgeberin sandte ihm darauf eine schriftliche Verwarnung zu. Am darauf
folgenden Montag leistete er der Aufforderung der Arbeitgeberin, sich zu einem
Gespräch einzufinden, keine Folge. Er begründete dies mit einem Arzttermin und
stellte ein Arztzeugnis in Aussicht. Die Arbeitgeberin erklärte darauf mit
E-Mail die fristlose Kündigung.

B.

B.a. Am 2. April 2014 reichte der Arbeitnehmer nach erfolglosem
Schlichtungsversuch beim Regionalgericht Emmental-Oberaargau Klage ein mit dem
Begehren, die Arbeitgeberin sei zu verpflichten, ihm Fr. 21'932.15 netto
zuzüglich 5 % Zins seit dem 28. Oktober 2013 zu bezahlen; in der
Hauptverhandlung erhöhte er seine Forderung auf Fr. 23'045.80 nebst Zins. Am 9.
Mai 2014 beantragte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, es sei ihr der
Prozessbeitritt zu gestatten und die Arbeitgeberin sei zu verpflichten, ihr
einen Betrag von Fr. 3'141.30 nebst 5 % Zins seit 29. Oktober 2013 zu bezahlen.

B.b. Mit Urteil vom 13. Mai 2015 wies das Regionalgericht Emmental- Oberaargau
die Klage ab. Das Gericht gelangte im Wesentlichen zum Schluss, die fristlose
Entlassung sei aufgrund der Vorfälle vom Freitag, 25. Oktober 2013 und Montag,
28. Oktober 2013 gerechtfertigt gewesen. Es hielt fest, der Arbeitnehmer habe
am 25. Oktober 2013 die Arbeit verweigert und grundlos einer konkreten Weisung
seiner Arbeitgeberin keine Folge geleistet, nachdem er zuvor schon mehrfach
verwarnt worden sei; mit seinem Verhalten am 28. Oktober 2013 habe er zudem
mehrfach seine Treuepflichten verletzt, indem er seine Arbeitsunfähigkeit nicht
gemeldet habe.

B.c. Mit Entscheid vom 16. November 2015 hiess das Obergericht des Kantons Bern
die Berufung des Klägers im Wesentlichen gut. Es stellte zunächst fest, dass
der erstinstanzliche Entscheid in Rechtskraft erwachsen ist, soweit die Klage
der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich abgewiesen wurde (Dispositiv-Ziffer
1); das Obergericht verurteilte die Beklagte, dem Kläger den Betrag von Fr.
20'692.75 zuzüglich 5 % Zins seit dem 28. Oktober 2013 zu bezahlen
(Dispositiv-Ziffer 2). Das Obergericht gelangte im Unterschied zur ersten
Instanz zum Schluss, dass die fristlose Entlassung nicht gerechtfertigt gewesen
sei. Es hielt zwar ebenfalls fest, dass die Nichtausführung des von der
Arbeitgeberin berechtigterweise als dringlich eingestuften Auftrags eine
Arbeitsverweigerung darstelle, würdigte jedoch die Weigerung des Arbeitnehmers
am folgenden Montag, - mit Hinweis auf einen bevorstehenden Arztbesuch und
unter Ankündigung eines Arztzeugnisses - zu einem Besprechungstermin zu
erscheinen abweichend so, dass weder der rechtzeitige Zugang der Verwarnung vom
25. Oktober 2013 bewiesen noch dem Arbeitnehmer als schwerwiegende
Treuepflichtverletzung angelastet werden könne, dass er seine
krankheitsbedingte Abwesenheit nur undeutlich kommuniziert habe. Das
Obergericht sprach dem Arbeitnehmer den entgangenen Lohn bis Ende Januar 2014
unter Abzug des Arbeitslosentaggelds und eines anderweitigen Verdienstes zu und
setzte eine Pönale in Höhe eines Bruttomonatslohns ohne Zulagen fest.

C.

C.a. Mit Beschwerde in Zivilsachen stellt die Arbeitgeberin die Rechtsbegehren,
"Ziff. 2, 4 und 6 des Entscheids des Obergerichts des Kantons Bern, 1.
Zivilkammer, vom 16. November 2015 seien aufzuheben.  Eventualiter sei die
Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück zu
weisen." Ausserdem beantragt sie, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu
erteilen. Nach einer Darstellung von Prozessgeschichte und Sachverhalt aus
ihrer Sicht kritisiert die Beschwerdeführerin die Feststellungen im
angefochtenen Entscheid in Bezug auf den Zeitpunkt des Zugangs der Verwarnung,
die Krankheit des Beschwerdegegners und die Information darüber und rügt eine
Verletzung von Art. 337 OR, eventuell von Art. 337c Abs. 3 OR.

C.b. Der Beschwerdegegner stellt in der Antwort die Rechtsbegehren, (1) die
Beschwerde in Zivilsachen sei abzuweisen und (2) die aufschiebende Wirkung sei
nicht zu erteilen. Ausserdem ersucht er mit separater Eingabe vom gleichen Tag
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Beschwerdeverfahren vor
Bundesgericht.

C.c. Die Beschwerdeführerin hat unaufgefordert innert gesetzter Frist eine
Replik eingereicht.

C.d. Die Vorinstanz hat die kantonalen Akten eingereicht und auf Vernehmlassung
verzichtet.

C.e. Mit Verfügung vom 8. Februar 2016 wurde der Beschwerde angesichts der
glaubhaft gemachten zweifelhaften Zahlungsfähigkeit des Beschwerdegegners die
aufschiebende Wirkung erteilt.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde betrifft eine privatrechtliche Arbeitsstreitigkeit (Art. 72
BGG), richtet sich gegen den Endentscheid (Art. 90 BGG) eines oberen kantonalen
Gerichts, das als Rechtsmittelinstanz entschieden hat (Art. 75 BGG) und wird
von der mit ihren Begehren unterlegenen Partei erhoben (Art. 76 Abs. 1 BGG).
Der Streitwert erreicht Fr. 15'000.-- (Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG) und die
Beschwerdefrist (Art. 100 Abs. 1, Art. 46 Abs. 1 lit. c BGG) ist eingehalten.
Die Beschwerde ist grundsätzlich zulässig.

1.1. Die Beschwerde hat einen Antrag zu enthalten, der grundsätzlich
reformatorisch sein muss (Art. 42 Abs. 2 BGG i.V.m. Art. 107 BGG; BGE 137 II
313 E. 1.3 S. 317; 134 III 379 E. 1.3 S. 383). Die Beschwerdeführerin hat
namentlich bei Anfechtung einer Verurteilung zur Zahlung eines Geldbetrages
klarzustellen, in welchem Umfang sie ihre Zahlungspflicht bestreitet. Diesen
Anforderungen genügt ein Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils
grundsätzlich nicht. Immerhin ergibt sich vorliegend aus der Begründung des
Rechtsmittels, dass die Beschwerdeführerin die fristlose Entlassung als
gerechtfertigt erachtet. Da der im angefochtenen Entscheid dem Beschwerdegegner
zugesprochene Betrag insgesamt voraussetzt, dass die fristlose Entlassung
ungerechtfertigt war, ergibt sich sinngemäss ein Antrag auf Abweisung der Klage
aus der Beschwerdeschrift.

1.2. Im Beschwerdeverfahren dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur so weit
vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt
(Art. 99 Abs. 1 BGG). Die Vorinstanz hat den der Beschwerdeführerin obliegenden
Beweis für den Zeitpunkt des Zugangs der Verwarnung vom 25. Oktober 2013 nicht
als erbracht angesehen, zumal diese den rechtserheblichen Zeitpunkt des Zugangs
nicht einmal behauptet hatte. Die Beschwerdeführerin hält dafür, erst diese
Begründung der Vorinstanz habe ihr Anlass gegeben, die von der Ehefrau des
Beschwerdegegners unterschriebene Empfangserklärung vom 28. Oktober 2013
einzureichen. Die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin verkennt damit, dass
ihr auch im Rahmen der sozialen Untersuchungsmaxime obliegt, die
rechtserheblichen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen. Zu diesem
Tatsachenvortrag besteht nach allgemein bekannten Prinzipien schon in der Klage
Anlass. Es ist ausgeschlossen, dass dazu erst ein Rechtsmittelentscheid Anlass
geben kann. Der im vorliegenden Verfahren erstmals eingereichte
Zustellungsnachweis der Post ist aus dem Recht zu weisen.

1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören sowohl die
Feststellungen über den Lebenssachverhalt, der dem Streitgegenstand zugrunde
liegt, als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens,
also die Feststellungen über den Prozesssachverhalt (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S.
17 f.). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG, BGE 140
III 115 E. 2 S. 117). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (
BGE 140 III 115 E. 2 S. 117, 264 E. 2.3 S. 266; 136 II 304 E. 2.4 S. 314).
Entsprechende Rügen sind überdies bloss zulässig, wenn die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Bei
der Rüge der offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung gilt das
strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht prüft in diesem
Fall nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen; auf
rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE
137 II 353 E. 5.1 S. 356; 134 II 244 E. 2.2 S. 246). Die
Sachverhaltsfeststellung bzw. Beweiswürdigung erweist sich als willkürlich
(Art. 9 BV), wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels
offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und
entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn es auf
der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen
gezogen hat. Dass die von Sachgerichten gezogenen Schlüsse nicht mit der
eigenen Darstellung des Beschwerdeführers übereinstimmen, belegt keine Willkür
(BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 137 III 226 E. 4.2 S. 234; 136 III 552 E. 4.2
S. 560).

1.3.1. Die Beschwerde erfüllt die Rügeanforderungen von vornherein nicht,
soweit sie den Sachverhalt ohne jegliche Auseinandersetzung mit dem
angefochtenen Entscheid aus ihrer Sicht schildert. Sie ist damit nicht zu
hören.

1.3.2. Die Beschwerdeführerin beanstandet die Feststellung der Vorinstanz, dass
unbewiesen geblieben sei, wann dem Beschwerdegegner die Verwarnung vom 25.
Oktober 2013 zuging und er entsprechend davon Kenntnis nehmen konnte. Die
Vorinstanz hat entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin weder Art. 8 ZGB
noch die soziale Untersuchungsmaxime verletzt mit der Annahme, dass die
Beschwerdeführerin für den rechtzeitigen Zugang der Verwarnung die Beweislast
trifft. Wenn die Vorinstanz die rechtlichen Folgerungen des Beschwerdegegners
aus dem fehlenden Beweis im Berufungsverfahren berücksichtigte, verletzte sie
entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin Art. 317 ZPO nicht.

1.3.3. Die Vorinstanz hat gestützt auf das Arztzeugnis als erwiesen angesehen,
dass der Beschwerdegegner am 28. Oktober 2013 krank war. Die Beschwerdeführerin
rügt, die Vorinstanz habe eine einseitige Beweiswürdigung vorgenommen, indem
sie weitere Beweismittel ausser Acht gelassen habe. Insbesondere bringt sie
vor, die Ausführungen der Vorinstanz, wonach der Beschwerdegegner durch sein
Verhalten gezeigt habe, dass er trotz Erkrankung gewillt sei, zur Arbeit zu
erscheinen, ständen in klarem Widerspruch zu dessen allgemein festgestellten
mangelnden Einsatzbereitschaft. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist
nicht zwingend, dass ein Arbeitnehmer trotz allgemein mangelnder
Leistungsbereitschaft unter besonderen Umständen Arbeitswille zeigt. Eine
widersprüchliche Würdigung ist darin nicht zu sehen. Dass die Vorinstanz auf
das Arztzeugnis abgestellt hat, das in nachvollziehbarer Weise die
gesundheitliche Verfassung des Beschwerdegegners zu diesem Zeitpunkt
feststellte, ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin vertretbar und
damit nicht willkürlich.

1.3.4. Die Vorinstanz hat geschlossen, dass der Beschwerdegegner der
Beschwerdeführerin - wenn auch nicht in der erwünschten Klarheit - am 28.
Oktober 2013 mitgeteilt habe, dass er krank sei. Was die Beschwerdeführerin
dagegen vorbringt, erschöpft sich in appellatorischer Kritik und ist nicht zu
hören.

1.3.5. Die Rügen der Beschwerdeführerin gegen die tatsächlichen Feststellungen
der Vorinstanz sind unbegründet, soweit sie überhaupt zu hören sind.

2.
Nach Art. 337 OR kann der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer das
Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen jederzeit fristlos auflösen (Abs. 1).
Als wichtiger Grund gilt jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem
Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
nicht mehr zugemutet werden darf (Abs. 2).

2.1. Nach der Rechtsprechung ist eine fristlose Entlassung nur bei besonders
schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Diese müssen einerseits
objektiv geeignet sein, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche
Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest so tief greifend zu
erschüttern, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Vertrags nicht mehr
zuzumuten ist. Anderseits müssen sie auch tatsächlich zu einer derartigen
Zerstörung oder Erschütterung des gegenseitigen Vertrauens geführt haben. Sind
die Verfehlungen weniger schwerwiegend, so müssen sie trotz Verwarnung
wiederholt vorgekommen sein (BGE 130 III 213 E. 3.1 S. 221; 129 III 380 E. 2.1
S. 382 mit Hinweisen). Ob die dem Arbeitnehmer vorgeworfene Pflichtverletzung
die erforderliche Schwere erreicht, so dass der Arbeitgeberin die Fortsetzung
des Vertrags bis zur nächstmöglichen ordentlichen Beendigung nicht zumutbar
ist, lässt sich nicht allgemein sagen, sondern hängt von den konkreten
Umständen des Einzelfalles ab (BGE 137 III 303 E. 2.1.1 S. 305; 129 III 380 E.
3.1 S. 384; 127 III 153 E. 1a S. 155). Über das Vorhandensein eines wichtigen
Grundes zur fristlosen Kündigung entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen
(Art. 337 Abs. 3 OR). Ermessensentscheide überprüft das Bundesgericht bei
Beschwerden in Zivilsachen grundsätzlich frei. Es übt dabei aber Zurückhaltung
und schreitet nur ein, wenn die Vorinstanz grundlos von in Lehre und
Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, wenn sie Tatsachen
berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten
spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat,
die zwingend hätten beachtet werden müssen. Ausserdem greift das Bundesgericht
in Ermessensentscheide ein, falls sich diese als offensichtlich unbillig, als
in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 129 III 380 E. 2 S. 382 mit
weiteren Hinweisen).

2.2. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdegegner nach den Feststellungen der
Vorinstanz am 25. Oktober 2013, Freitagnachmittag, einen ihm zugewiesenen
Auftrag nicht ausgeführt, den er zunächst angenommen hatte. Er hatte in einem
Altersheim eine ausgefallene Waschmaschine durch eine neue zu ersetzen, die er
bereits mitführte, als er den Auftrag abbrach. Nach den Feststellungen der
Vorinstanz ging die Beschwerdeführerin aufgrund der Situation und des
Kundenwunsches zu Recht davon aus, dass die Serviceleistung dringlich war,
während der Beschwerdegegner nicht befugt war, eigenmächtig mit Kunden Kontakt
aufzunehmen und Termine zu verschieben. Die Beschwerdeführerin versandte darauf
nach den Feststellungen im angefochtenen Entscheid noch am Freitagnachmittag
eine Verwarnung, wobei die Vorinstanz mangels hinreichender Vorbringen nicht
davon ausging, dass der Beschwerdegegner von dieser Verwarnung am Montag, 28.
Oktober 2013, Kenntnis hatte. Die Beschwerdeführerin forderte den
Beschwerdegegner sodann am Montag Vormittag auf, zu einer Besprechung zu
erscheinen, was der Beschwerdegegner ablehnte; unter den Parteien ist
umstritten, ob er dafür Gründe hatte und diese mitteilte. Die Vorinstanz stellt
insofern gestützt auf ein Arztzeugnis fest, dass der Beschwerdegegner am
Montag, 28. Oktober 2013, unter Durchfall und Appetitlosigkeit litt. Die
Vorinstanz hat sodann als erwiesen angesehen, dass der Beschwerdegegner die
Beschwerdeführerin am Montagvormittag dreimal - zunächst mündlich und dann per
SMS - darauf hinwies, zum Arzt gehen zu wollen und ein Arztzeugnis in Aussicht
stellte. Sie hält zwar fest, dass der Beschwerdegegner nicht ausdrücklich
seinen Krankheitszustand beschrieb, stellt jedoch fest, dass seine Botschaft im
Ergebnis deutlich war. Sie schliesst aus der Art des Informationsaustauschs,
dass die Parteien nicht in der Lage waren, offen zu kommunizieren.

2.3. Der Beschwerdegegner hat die Ausführung einer ihm konkret zugewiesenen,
dringlichen Arbeit verweigert, wobei ausser Frage steht, dass die Weisung nicht
schikanös erfolgte und es sich bei dieser weisungswidrig nicht ausgeführten
Serviceleistung um eine Aufgabe im Kernbereich seiner vertraglichen Pflichten
handelt. Ein derartiges Verhalten kann isoliert betrachtet grundsätzlich als so
schwerwiegend erscheinen, dass es auch ohne Verwarnung eine fristlose
Entlassung rechtfertigt (vgl. allerdings BGE 108 II 301 E. 3b S. 303). Im
vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin jedoch nicht unmittelbar mit einer
fristlosen Entlassung reagiert, sondern eine (weitere) Verwarnung
ausgesprochen. Entsprechend haben beide Vorinstanzen zutreffend angenommen, die
konkrete Arbeitsverweigerung sei nach den Umständen als Vertragsverletzung zu
qualifizieren, die für die Beschwerdeführerin subjektiv zunächst die
Fortsetzung des Vertrags bis zu dessen ordentlicher Beendigung nur bei einer
Wiederholung solchen Verhaltens unzumutbar gemacht hat. Da die
Beschwerdeführerin die fristlose Kündigung aufgrund der Weigerung des
Beschwerdegegners aussprach, am folgenden Montag, dem nächsten Arbeitstag,
einer Vorladung zu einer Besprechung Folge zu leisten, ist zu beurteilen, ob
dieses Verhalten des Beschwerdegegners nach den Umständen eine Fortsetzung des
Vertrages bis zum Ende der bereits laufenden Kündigungsfrist für die
Beschwerdeführerin objektiv unzumutbar gemacht hat. Dies setzt voraus, dass der
Beschwerdegegner grundlos oder ohne Mitteilung seiner Gründe das Gespräch
verweigerte, zu dem ihn die Beschwerdeführerin aufbot. Die erste Instanz
stellte diesbezüglich fest, dass die Weigerung des Beschwerdegegners, am
folgenden Arbeitstag zu einer Besprechung zu erscheinen, ohne Mitteilung von
Gründen erfolgte und daher objektiv hinreichend schwerwiegend gewesen sei, um
die fristlose Auflösung des Vertrages zu rechtfertigen. Demgegenüber kam die
Vorinstanz zum Schluss, dass der Beschwerdegegner krank war, einen Arzttermin
hatte und diesen Grund für seine Gesprächsverweigerung auch hinreichend
deutlich mitteilte.

2.4. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe sich im angefochtenen
Entscheid nicht genügend mit der Frage der Zumutbarkeit der Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses auseinandergesetzt; sie will namentlich frühere
Verwarnungen mitberücksichtigt haben. Sie verkennt damit, dass sie selbst mit
der Erklärung einer weiteren Verwarnung am 25. Oktober 2013 zum Ausdruck
brachte, dass sie dem Beschwerdegegner noch einmal eine Chance zur Verbesserung
seines Verhaltens einräume; denn die Verwarnung dient als Abmahnung und soll
dem Adressaten klar machen, dass eine Wiederholung oder Aufrechterhaltung
gewisser Verhaltensweisen bestimmte Folgen haben werde. Die Beschwerdeführerin
verhält sich daher widersprüchlich, wenn sie sich auf den Standpunkt stellt,
auch ohne weitere in der Verwarnung abgemahnte Vertragsverletzung sei ihre
fristlose Entlassung gerechtfertigt. Die Vorinstanz hat zutreffend die
Ereignisse vom 28. Oktober 2013 gewürdigt zur Beurteilung, ob die - im
Anschluss an die Verwarnung - ausgesprochene fristlose Kündigung objektiv
gerechtfertigt war. Dabei hat sie dem Beschwerdegegner zwar vorgehalten, dass
er die Gründe für seine Arbeitsunfähigkeit nicht klarer formulierte, da die Art
der Kommunikation nicht geeignet war, das ohnehin belastete Verhältnis der
Parteien zu entspannen. Wenn der Beschwerdegegner jedoch den Eindruck erweckte,
er wolle sich aus Verärgerung der Arbeit entziehen und sich als Vorwand ein
Arztzeugnis beschaffen, so hätte andererseits die Beschwerdeführerin nach der
Würdigung der Vorinstanz nicht einfach auf ihrer Weisung beharren dürfen, er
habe am Firmensitz zu erscheinen, sondern sie hätte nachfragen müssen. Nach den
Erwägungen im angefochtenen Entscheid hat denn auch die Beschwerdeführerin
erheblich zur Verhärtung der Fronten beigetragen, indem sie dem
Beschwerdegegner einen hohen Lohnabzug wegen Minusstunden machte, ohne vorher
mit ihm zu klären, in welchem Ausmass die Minusstunden auf eine ungünstige
Auftragslage zurückzuführen waren und inwieweit auf das Verhalten des
Beschwerdegegners. Die Vorinstanz hat ihr Ermessen nicht rechtsfehlerhaft
ausgeübt, wenn sie die fristlose Kündigung aufgrund der festgestellten Umstände
als nicht gerechtfertigt erachtete. Die Beschwerde ist insoweit unbegründet.

3.
Bei ungerechtfertigter Entlassung kann der Richter den Arbeitgeber
verpflichten, dem Arbeitnehmer eine Entschädigung zu bezahlen, die er nach
freiem Ermessen unter Würdigung aller Umstände festlegt; diese Entschädigung
darf jedoch den Lohn des Arbeitnehmers für sechs Monate nicht übersteigen (Art.
337c Abs. 3 OR).

3.1. Art. 337c Abs. 3 OR sieht als Sanktion bei ungerechtfertigter fristloser
Kündigung durch den Arbeitgeber eine Entschädigung von maximal sechs
Monatslöhnen vor. Diese hat sowohl Strafcharakter als auch Genugtuungsfunktion
und soll die durch die ungerechtfertigte fristlose Kündigung erlittene
Persönlichkeitsverletzung des Arbeitnehmers abgelten (BGE 135 III 405 E. 3.1 S.
407; 123 III 391 E. 3c S. 394; 121 III 64 E. 3c S. 68; je mit Hinweisen). Sie
hat sich entscheidend nach der Strafwürdigkeit des Verhaltens des Arbeitgebers,
der Schwere der Persönlichkeitsverletzung, dem Mass der Widerrechtlichkeit der
fristlosen Entlassung, der finanziellen Situation der Parteien und der Schwere
eines Mitverschuldens des Arbeitnehmers zu richten (BGE 123 III 246 E. 6a S.
255, 391 E. 3b/bb S. 392; je mit Hinweisen). In aller Regel ist eine
Entschädigung geschuldet. Nur wenn ausserordentliche Umstände vorliegen, die
trotz ungerechtfertigter fristloser Kündigung keine Strafzahlung zu Lasten des
Arbeitgebers rechtfertigen, kann sie verweigert werden (BGE 121 III 64 E. 3c S.
68; 120 II 243 E. 3e S. 247). Die Entschädigung nach Art. 337c Abs. 3 OR wird
vom Sachgericht nach pflichtgemässem Ermessen aufgrund der Umstände des
Einzelfalls festgesetzt (BGE 123 III 246 E. 6a S. 255, 391 E. 3c S. 394; zum
Ganzen Urteil 4C.67/2003 vom 5. Mai 2003 E. 4.3, nicht publ. in: BGE 129 III
380; siehe zur Kognition des Bundesgerichts betreffend Ermessensentscheide
vorangehende Erwägung 2.1).

3.2. Die Vorinstanz hat angenommen, es liege hier kein Ausnahmefall vor, der
die Verweigerung einer Entschädigung rechtfertige. Sie hat dabei unter anderem
berücksichtigt, dass die verhärteten Fronten am Tag der fristlosen Entlassung
von beiden Parteien zu verantworten seien, da keine mit der erforderlichen
Offenheit kommuniziert habe. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe
Art. 337c Abs. 3 OR verletzt, indem sie nicht ausgeführt habe, was sich die
Beschwerdeführerin zu Schulden habe kommen lassen. Sie übersieht damit, dass
die Vorinstanz die mangelhafte Kommunikation unter den Parteien im Zusammenhang
mit der Rechtfertigung der fristlosen Entlassung berücksichtigt und hier der
Beschwerdeführerin vorgehalten hat, dass sie wegen der Minusstunden einen hohen
Lohnabzug vornahm, ohne dies vorgängig mit dem Beschwerdegegner zu besprechen.
Dass sie dieses Verhalten der Beschwerdeführerin auch bei der Frage
berücksichtigte, ob sich ausnahmsweise eine Verweigerung der Strafzahlung
rechtfertige, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden und begründet
insbesondere keinen Missbrauch des Ermessens.

4.
Die Beschwerde ist insgesamt als unbegründet abzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin zu auferlegen (Art.
66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch des Beschwerdegegners um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege wird insoweit gegenstandslos. Die
Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner dessen Parteikosten für das
Verfahren vor Bundesgericht zu ersetzen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Für den Fall der
Uneinbringlichkeit (Art. 64 Abs. 2 BGG) besteht ein Interesse des
Beschwerdegegners an der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Da dessen
Bedürftigkeit nach dem Gesuch vom 2. Februar 2016 als ausgewiesen gelten kann,
ist ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und Rechtsanwalt André
Vogelsang, Bern, als unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestellen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das Verfahren vor
Bundesgericht mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.
Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Verbeiständung wird
gutgeheissen. Rechtsanwalt André Vogelsang, Bern, wird als unentgeltlicher
Rechtsbeistand bestellt. Für den Fall der Unein-bringlichkeit der
Parteientschädigung wird ihm aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr.
2'500.-- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Zivilabteilung, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. Mai 2016

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Kiss

Die Gerichtsschreiberin: Marti-Schreier

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