Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.524/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
4A_524/2015

Urteil vom 31. März 2016

I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Kolly,
Bundesrichterinnen Hohl, Niquille,
Gerichtsschreiber Luczak.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andreas Güngerich,
Beschwerdeführer,

gegen

B.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christophe Rosat,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ersatzvornahme, Verfahrensart,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Bern, Zivilabteilung, 1. Zivilkammer,
vom 26. August 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. In den Jahren 2010 und 2011 realisierte die B.________ AG (Beklagte,
Beschwerdegegnerin) als Generalunternehmerin auf dem Nachbargrundstück von
A.________ (Kläger, Beschwerdeführer) ein Bauvorhaben. Der Kläger macht
geltend, die Bauarbeiten hätten auf seinem Grundstück Risse verursacht. Vor
Bundesgericht führt er aus, nachdem die Bauarbeiten mehrheitlich abgeschlossen
waren, hätten die Parteien die Liegenschaften zweimal besichtigt und ein
Protokoll und eine Aktennotiz (beide im Namen der Beklagten unterzeichnet)
erstellt, welche die notwendigen Instandstellungsarbeiten auflisteten. Damit
habe die Beklagte dem Kläger die Behebung der durch den Bau entstandenen Risse
zugesichert, die versprochenen Instandstellungsarbeiten aber trotz Aufforderung
nicht erbracht.

A.b. Mit Eingabe vom 16. Oktober 2012 stellte der Kläger beim Regionalgericht
Bern-Mittelland sinngemäss ein Gesuch um vorsorgliche Beweisführung nach Art.
158 ZPO, woraufhin ein Gutachten betreffend Schäden sowie
Instandstellungskosten an der Liegenschaft des Klägers am Weg U.________ in
V.________ eingeholt wurde (Entscheid des Regionalgerichts Bern-Mittelland vom
23. Januar 2013, CIV 12 7018).

A.c. In der Folge machte der Kläger bei der Schlichtungsbehörde Berner
Jura-Seeland ein Schlichtungsverfahren gegen die Beklagte anhängig und ersuchte
um Ermächtigung zur Ersatzvornahme betreffend Behebung der Schäden auf seinem
Grundstück.

B. Am 5. November 2013 reichte der Kläger beim Regionalgericht Berner
Jura-Seeland Klage ein. Er forderte:

"1. Der Kläger sei gerichtlich zu ermächtigen, die im Verfahren CIV 12 7018 NYC
(Regionalgericht Bern Mittelland) festgestellten, durch die Beklagte auf seinem
Grundstück, Weg U.________, V.________, verursachten Schäden, auf Kosten der
Beklagten beheben zu lassen.
2. Die Beklagte sei zu verurteilen, dem Kläger die Kosten des Verfahrens CIV 12
7019 NYC, ausmachend CHF 8'139.10 sowie CHF 15'000.-- Schadenersatz nebst Zins
zu 5 % auf Fr. 23'139.10 seit 04.07.2013 zu bezahlen.
Unter Kosten- und Entschädigungsfolge."
Das Rechtsbegehren Nr. 1 stimmte mit dem im Schlichtungsverfahren gestellten
Rechtsbegehren überein, während es sich bei Nr. 2 um ein zusätzliches Begehren
handelte.
Mit Entscheid vom 19. Februar 2015 trat das Regionalgericht Berner
Jura-Seeland, Einzelrichter, auf die Klage nicht ein. Gleich entschied am 26.
August 2015 auf Berufung des Klägers das Obergericht des Kantons Bern.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beschwerdeführer dem Bundesgericht,
der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben. Die Sache sei an dieses,
eventualiter an das Regionalgericht, zu neuem Entscheid zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin trägt auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde an. Die
Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Der Beschwerdeführer hat
unaufgefordert eine Replik eingereicht, zu der die Beschwerdegegnerin ebenfalls
unaufgefordert Stellung nahm.

Erwägungen:

1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in Zivilsachen sind erfüllt,
namentlich auch in Bezug auf die Streitwertgrenze von Fr. 30'000.-- (Art. 74
Abs. 1 lit. b BGG); die Vorinstanz ging im Rahmen ihres Kostenentscheids von
einem Streitwert zwischen Fr. 30'000.-- bis Fr. 100'000.-- aus. Unter Vorbehalt
einer rechtsgenüglichen Begründung (Art. 42 Abs. 2 BGG) ist auf die Beschwerde
einzutreten.
Die Beschwerdeschrift enthält keinen materiellen Antrag, wie er nach Art. 42
Abs. 1 BGGerforderlich ist. Der blosse Rückweisungsantrag genügt indessen, weil
das Bundesgericht, sollte es die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers für
begründet erachten, kein Sachurteil fällen kann, sondern die Streitsache zur
materiellen Beurteilung an die Vorinstanz oder die Erstinstanz zurückweisen
muss (BGE 136 V 131 1.2 S. 135; 134 III 379 E. 1.3 S. 383; 133 III 489 E. 3.1).

2.
Nach den Ausführungen des Beschwerdeführers selbst war das Rechtsbegehren 2
nicht Gegenstand der Beschwerde an die Vorinstanz. Insoweit hat es mit dem
Nichteintreten sein Bewenden.

3.
Auf das Rechtsbegehren Ziffer 1 der Klage sind die kantonalen Gerichte nicht
eingetreten, weil der geltend gemachte Anspruch des Beschwerdeführers im
summarischen und nicht im ordentlichen Verfahren zu behandeln sei. Das
bestreitet der Beschwerdeführer und das ist Gegenstand des
Beschwerdeverfahrens.
Nach Auffassung der Vorinstanz ist das summarische Verfahren anwendbar, weil
der Beschwerdeführer seinen Anspruch auf Ersatzvornahme auf Art. 98 Abs. 1 OR
abgestützt habe und dieser Anspruch gemäss der ausdrücklichen Bestimmung in
Art. 250 lit. a Ziff. 4 ZPO zwingend im summarischen Verfahren zu beurteilen
sei. Zwar wäre es dem Beschwerdeführer unbenommen gewesen - so die Vorinstanz
weiter -, gegen die Beschwerdegegnerin eine Leistungsklage auf Behebung der
(behaupteten) Schäden einzureichen mit gleichzeitigem Antrag auf Anordnung
einer Vollstreckungsmassnahme für den Unterlassungsfall, als welche unter
anderem die Ersatzvornahme nach Art. 343 Abs. 1 lit. e ZPO in Frage gekommen
wäre. Dieses Begehren wäre bei einem Streitwert von mindestens Fr. 30'000.-- im
ordentlichen Verfahren zu beurteilen gewesen. Der Beschwerdeführer habe aber
nicht diesen Weg gewählt, indem er lediglich einen Antrag auf Ersatzvornahme
ohne gleichzeitiges (hauptsächliches) Leistungsbegehren gestellt habe. Allein
der Antrag auf Ermächtigung zur Ersatzvornahme "auf Kosten des Schuldners"
beinhalte noch kein Leistungsbegehren, zumal die Kosten der Ersatzvornahme erst
im Nachhinein bekannt sind; eine Kumulation des Ermächtigungsbegehrens mit dem
Leistungsbegehren auf Auslagenersatz falle daher ausser Betracht. Auch aus der
Klagebegründung ergebe sich nicht, dass und welchen Betrag er unter dem Titel
Ersatzvornahmekosten fordere.

4.
Der Beschwerdeführer stützt seinen Anspruch auf die behauptetermassen
anlässlich der Besichtigungen gemachten Zusicherungen, leitet daraus einen
Erfüllungsanspruch ab und beruft sich auf Art. 98 OR. Ob ihm derartige
Ansprüche gegenüber der Beschwerdegegnerin zustehen, haben die kantonalen
Instanzen nicht beurteilt, da es in ihren Augen bereits an den
Eintretensvoraussetzungen fehlte.

4.1. In der Lehre ist die dogmatische Qualifizierung der Ersatzvornahme gemäss
Art. 98 OR umstritten. Umstritten ist, ob Art. 98 Abs. 1 OR eine
prozessrechtliche Vollstreckungsregel oder eine materiellrechtliche
Erfüllungsregel ist. Nach der ersten Ansicht (sog. "Vollstreckungstheorie")
richtet sich die Bestimmung nur an den Vollstreckungsrichter und besagt, dass
der Gläubiger einer Verpflichtung zu einem Tun von Bundesrechts wegen Anspruch
darauf hat, dass ein Leistungsurteil zu einem Tun mittels Ersatzvornahme
vollstreckt wird. Die Ermächtigung zur Ersatzvornahme setzt demnach ein
rechtskräftiges Leistungsurteil gegen den Schuldner voraus (ROLF H. WEBER,
Berner Kommentar, 2000, N. 46 zu Art. 98 OR; PETER GAUCH, Die Ersatzvornahme
nach OR 98 I und viele Fragen zur Nichterfüllung - Ein Entscheid des Luzerner
Obergerichts, in: recht 1987, S. 24 ff., 28; ANDREAS VON TUHR/ARNOLD ESCHER,
Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, 3. Aufl. 1974,
S. 90 f.; FRANZ KELLERHALS/MARTIN STERCHI/ANDREAS GÜNGERICH, Die
Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Aufl. 2000, N. 3.a zu Art. 404 ZPO/
BE; GAUCH/SCHLUEP UND ANDERE, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner
Teil, Bd. II, 10. Aufl. 2014, S. 86 Rz. 2515; CLAIRE HUGUENIN,
Obligationenrecht, 2012, S. 229 Rz. 812). Nach der zweiten Ansicht (sog.
"Erfüllungstheorie") ist die Ersatzvornahme ein Bestandteil des
Erfüllungsanspruchs, weil es auch bei der Ermächtigung zur Ersatzvornahme um
die Bewirkung der geschuldeten Erfüllungshandlung gehe (WALTER FELLMANN, Die
Ersatzvornahme nach Art. 98 Abs. 1 OR - "Vollstreckungstheorie" oder
"Erfüllungstheorie", in: recht 1993, S. 109 ff.; ALFRED KOLLER, Schweizerisches
Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2009, S. 682 § 44 Rz. 18).
In prozessualer Hinsicht ergibt sich aus der "Erfüllungstheorie", dass Art. 98
Abs. 1 OR kein Leistungsurteil voraussetzt; vielmehr kann sich ein
Dienstleistungsgläubiger nach dieser Theorie auch ohne Leistungsurteil zur
Ersatzvornahme ermächtigen lassen, sofern er rechtswirksam auf das Erbringen
der Leistung durch den Schuldner selber verzichtet hat. Der Gläubiger, der den
Weg über Art. 98 Abs. 1 OR wählt, muss somit nach der "Erfüllungstheorie" nicht
zuerst und gesondert ein Leistungsurteil gegen den Schuldner erstreiten,
sondern kann vielmehr direkt die Ermächtigung beantragen, wobei dann
vorfrageweise die Verpflichtung des Schuldners festgestellt wird (FELLMANN,
a.a.O., S. 116; KOLLER, a.a.O., S. 682 § 44 Rz. 18).
Nach der "Vollstreckungstheorie" ergibt sich aus Bundesrecht (Art. 98 Abs. 1
OR) lediglich, dass ein Anspruch auf Ersatzvornahme besteht. Vor Inkrafttreten
der ZPO bestimmte damit nach gewissen Vertretern dieser Theorie das (kantonale)
Prozessrecht, ob ein gesondertes Vollstreckungsbegehren notwendig war oder das
Begehren um Ersatzvornahme mit der Leistungsklage verbunden werden konnte
(WEBER, a.a.O., N. 85 zu Art. 98 OR). Andere Autoren scheinen aus Art. 98 Abs.
1 OR von Bundesrechts wegen das Recht auf eine derartige Verbindung der beiden
Begehren abzuleiten (GAUCH, a.a.O., S. 28; KELLERHALS/STERCHI/GÜNGERICH,
a.a.O., N. 3.a zu Art. 404 ZPO/BE).

4.2. Nach Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung wird nun darauf
hingewiesen, dass Art. 98 Abs. 1 OR seine vollstreckungsrechtliche Umsetzung
durch die ZPO und damit durch Bundesrecht erfahre, womit die Kontroverse
zwischen "Erfüllungstheorie" und "Vollstreckungstheorie" "jede praktische
Bedeutung" (so: FRANZ KELLERHALS, in: Berner Kommentar, Schweizerische
Zivilprozessordnung, Bd. II, 2012, N. 67 und N. 74 zu Art. 343 ZPO) bzw. "an
Bedeutung" (so: WOLFGANG WIEGAND, in: Basler Kommentar Obligationenrecht I, 6.
Aufl. 2015, N. 3 zu Art. 98 OR) verloren habe (vgl. auch LUC THÉVÉNOZ, in:
Commentaire romand, Code des obligations I, 2. Aufl. 2012, N. 3 zu Art. 98 OR:
"semble désormais tranchée [...]").
Gemäss Art. 236 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 337 Abs. 1 ZPO kann das
Erkenntnisgericht im Rahmen der "direkten Vollstreckung "
Vollstreckungsmassnahmen anordnen, also den Gläubiger oder einen Dritten direkt
zur Ersatzvornahme (Art. 343 Abs. 1 lit. e ZPO) ermächtigen. Dies setzt nach
dem Wortlaut von Art. 221 Abs. 1 lit. b und Art. 236 Abs. 3 ZPO allerdings
einen genügenden Antrag sowohl in der Hauptsache als auch bezüglich der
Vollstreckung voraus. Der Gläubiger kann aber auch den Weg der indirekten
Vollstreckung wählen und gestützt auf ein Leistungsurteil beim
Vollstreckungsgericht ein Gesuch um Ermächtigung zur Ersatzvornahme stellen
(Art. 338 Abs. 1 i.V.m. Art. 343 Abs. 1 lit. e ZPO). Das Vollstreckungsgericht
entscheidet im summarischen Verfahren (Art. 339 Abs. 2 ZPO).

4.3. Es trifft nicht zu, dass die Kontroverse mit dem Inkrafttreten der ZPO
jede Bedeutung verloren hat, wie gerade die vorliegend strittige Frage zeigt.
Enthält Art. 98 Abs. 1 OR lediglich eine Vollstreckungsregel, hat die
Bestimmung mit Blick auf die allgemeinen Regeln über die direkte Vollstreckung
kaum mehr praktische Bedeutung (vgl. DANIEL STAEHELIN, in: Kommentar zur
Schweizerischen Zivilprozessordnung, Thomas Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 3.
Aufl. 2016, N. 30 zu Art. 343 ZPO) und hätte der Beschwerdeführer beantragen
müssen, (1.) die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, die Schäden auf seinem
Grundstück zu beheben, und (2.) im Unterlassungsfall sei er zur Ersatzvornahme
zu ermächtigen. Beinhaltet Art. 98 Abs. 1 OR dagegen einen (anderen)
Erfüllungsanspruch, behält die Bestimmung ihre Bedeutung und konnte der
Beschwerdeführer direkt auf Ermächtigung zur Ersatzvornahme klagen, wie er es
getan hat (vgl. auch THÉVÉNOZ, a.a.O., N. 3 und N. 12 zu Art. 98 OR, der die
Meinung vertritt, Art. 98 Abs. 1 OR in Verbindung mit Art. 250 lit. a Ziff. 4
ZPO eröffne dem Gläubiger die Möglichkeit, im summarischen Verfahren nach Art.
250 lit. a Ziff. 4 ZPO direkt die Ermächtigung zur Ersatzvornahme nach Art. 98
Abs. 1 OR zu verlangen, ohne dass ein Leistungsurteil vorausgehen müsste). Der
Beschwerdeführer beruft sich sinngemäss auf die "Erfüllungstheorie", wenn er
geltend macht, dem Begehren um Ersatzvornahme sei "von Natur aus ein
Leistungsanspruch inhärent".

4.4. In der Lehre wird angenommen, das Bundesgericht habe sich in BGE 130 III
302 "der Sache nach für die Vollstreckungstheorie entschieden" (GAUCH/SCHLUEP
UND ANDERE, a.a.O., S. 86 Rz. 2515). Nach anderer Auffassung hat sich das
Bundesgericht mit BGE 130 III 302 gerade umgekehrt "der Sache nach für die
Erfüllungstheorie ausgesprochen" (KOLLER, a.a.O., S. 683 § 44 Rz. 20). Eine
klare Stellungnahme lässt sich indessen dem Entscheid weder im einen noch im
anderen Sinn entnehmen (ebenso: HEINZ REY, Die privatrechtliche Rechtsprechung
des Bundesgerichts, veröffentlicht im Jahre 2004: Sachenrecht, in: ZBJV 143/
2007 1 ff., Ziff. 2.1.3 Ersatzvornahme bei Nutzniessung, S. 36 ff., 39 f.). Die
Frage wurde bislang nicht entschieden.

4.4.1. Der Gesetzgeber hätte im Rahmen der Schaffung der Zivilprozessordnung
Gelegenheit gehabt, die Frage zu klären. Es entsprach seinem Willen, mit der
Schaffung der schweizerischen Zivilprozessordnung das materielle Zivilrecht
soweit als möglich von prozessrechtlichen Regeln zu entlasten, also eine
Gesamtkodifikation des Prozessrechts zu schaffen (Botschaft vom 28. Juni 2006
zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7407, Ziff. 5.27).
Obwohl mit Art. 343 Abs. 1 lit. e ZPO prozessrechtlich durch ein Bundesgesetz
bestimmt wurde, dass ein Entscheid auf eine Verpflichtung zu einem Tun mittels
Ersatzvornahme vollstreckt werden kann, wurde Art. 98 Abs. 1 OR nicht wie Art.
97 Abs. 2 OR, der die Zwangsvollstreckung betrifft, abgeändert. Die bisherige
Formulierung von Art. 97 Abs. 2 OR "Die Art der Zwangsvollstreckung steht unter
den Bestimmungen des Schuldbetreibungs- und Konkursrechtes und der
eidgenössischen und kantonalen Vollstreckungsvorschriften" wurde ersetzt durch
"Für die Vollstreckung gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 11. April
1889 über Schuldbetreibung und Konkurs sowie der Zivilprozessordnung vom 19.
Dezember 2008 (ZPO) " (Amtliches Bulletin des Ständerates, AB 2007 S 645). Dass
Art. 98 OR unverändert blieb, spricht an sich eher gegen ein rein
vollstreckungsrechtliches Verständnis der Bestimmung. Aus der Beratung ergibt
sich aber keine weitere Diskussion und kein Hinweis, dass sich der Gesetzgeber
der Frage bewusst gewesen wäre. Andererseits bestimmt Art. 250 lit. a Ziff. 4
ZPO, dass das summarische Verfahren für die Ermächtigung zur Ersatzvornahme
gemäss Art. 98 OR gelte. Wie der Beschwerdeführer zu Recht selber geltend
macht, eignet sich das summarische Verfahren mit seinen beschränkten
Beweismitteln (Art. 254 ZPO) nicht, um vorfrageweise die materiellrechtliche
Verpflichtung zu klären. Soweit hier auf Art. 98 OR Bezug genommen wird, kann
damit (entgegen der Auffassung von THÉVÉNOZ, a.a.O., N. 3 und N. 12 zu Art. 98
OR) deshalb nur die Ermächtigung zur Ersatzvornahme als Vollstreckungsmassnahme
gemeint sein, nachdem die Leistungspflicht bereits beurteilt wurde.

4.4.2.  KOLLER als Vertreter der "Erfüllungstheorie" argumentiert sodann mit
dem systematischen Zusammenhang zu Art. 366 Abs. 2 OR, welcher
anerkanntermassen eine Spezialregel zu Art. 98 Abs. 1 OR sei: Art. 366 Abs. 2
OR setze voraus, dass der Besteller auf die Leistung des Unternehmers
verzichtet und damit dessen Leistungspflicht zum Erlöschen gebracht habe;
gleich müsse es sich auch bei Art. 98 Abs. 1 OR verhalten (KOLLER, a.a.O., S.
683 § 44 Rz. 20 i.V.m. DERSELBE, Berner Kommentar, 1998, N. 89 zu Art. 366 OR).
Zutreffend ist, dass die bundesgerichtliche Rechtsprechung betreffend Art. 366
Abs. 2 OR davon ausgeht, dass der Besteller auf die Leistung zu einem Tun
(Nachbesserung) verzichtet und dass sich so die ursprüngliche Verpflichtung des
Schuldners verwandelt in eine Verpflichtung zur Erstattung der Kosten der
Ersatzvornahme. Der ursprüngliche Erfüllungsanspruch wird also durch einen
andern Erfüllungsanspruch ersetzt (BGE 126 III 230 E. 7a/aa S. 233 und ihm
folgend: BGE 141 III 257 E. 3.3 S. 259; Urteile 4A_518/2011 vom 21. Dezember
2011 E. 3; 4A_556/2011 vom 20. Januar 2012 E. 2.4). Art. 366 Abs. 2 OR lehnt
sich ("se rattache") zwar insofern an Art. 98 Abs. 1 OR an, als beide
Bestimmungen die Ersatzvornahme bei Leistungen zu einem Tun betreffen; im
Unterschied zu Art. 98 OR setzt Art. 366 Abs. 2 OR aber keine Ermächtigung des
Gerichts voraus, um zur Ersatzvornahme zu schreiten (BGE 126 III 230 E. 7a S.
232). Im Unterschied zu Art. 98 Abs. 1 OR, der das Recht des Gläubigers auf
Ermächtigung zur Ersatzvornahme nicht von einer Aufforderung (Mahnung) an den
Schuldner, insbesondere nicht von einer Fristansetzung im Sinn von Art. 107
Abs. 1 OR, abhängig macht, verlangt Art. 366 Abs. 2 OR sodann ausdrücklich das
Ansetzen einer angemessenen Frist mit der Androhung, sonst zur Ersatzvornahme
zu schreiten. Nun ist es aber gerade die Tatsache, dass Art. 98 Abs. 1 OR keine
solchen Voraussetzungen nennt, aus der die Vertreter der
"Vollstreckungstheorie" ableiten, Art. 98 Abs. 1 OR wolle nicht einen
unmittelbaren Erfüllungsanspruch auf Ersatzvornahme gewähren (VON TUHR/ESCHER,
a.a.O., S. 90 f.; WEBER, a.a.O., N. 47 zu Art. 98 OR; GAUCH, a.a.O., S. 28).
Das erscheint überzeugend. Auch Fellmann als Vertreter der "Erfüllungstheorie"
geht denn davon aus, es bedürfe einer Aufforderung zur Leistung, damit der
Schuldner um seine Leistungspflicht wisse, wenn die Zeit der Erfüllung weder
durch Vertrag noch durch die Natur des Rechtsverhältnisses bestimmt sei
(FELLMANN, a.a.O., S. 116 f.). Er vermag aber nicht zu erklären, weshalb der
Gesetzgeber, wenn er denn bei Art. 98 Abs. 1 OR wie bei Art. 366 Abs. 2 OR von
einer Umwandlung des Realerfüllungsanspruchs in einen Anspruch auf
Ersatzvornahme ausgegangen wäre, eine solche Voraussetzung nicht in das Gesetz
aufnahm.

4.5. Aus Art. 98 Abs. 1 OR kann der Beschwerdeführer somit keinen Anspruch
ableiten, direkt auf Ersatzvornahme - unter vorfrageweiser Prüfung der
Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin - zu klagen. Die Vorinstanz ging im
Ergebnis zu Recht davon aus, er hätte beantragen müssen, die Beschwerdegegnerin
sei zur Beseitigung der von ihr verursachten Schäden zu verpflichten und im
Unterlassungsfall sei er zur Ersatzvornahme zu ermächtigen. Das von ihm
gestellte Rechtsbegehren lässt sich auch nicht in diesem Sinn interpretieren.
So führt er in seiner Replik selber aus, er habe bewusst kein separates
Leistungsbegehren gegen die Beschwerdegegnerin gestellt, da aufgrund deren
Verhaltens im Vorfeld des Prozesses keine Chancen auf Instandstellung durch
diese selber bestanden hätten.

5.
Der Beschwerdeführer hätte entweder zuerst im ordentlichen Verfahren ein
Leistungsbegehren stellen müssen und, nachdem das Urteil vorlag, in einem
zweiten Schritt gestützt auf Art. 98 OR nach Art. 250 lit. a Ziff. 4 ZPO die
Ersatzvornahme verlangen. Oder er hätte gleichzeitig mit dem Leistungsbegehren
gestützt auf Art. 236 Abs. 3 ZPO für den Fall des Obsiegens ein Begehren um
direkte Vollstreckung durch Ersatzvornahme (Art. 343 Abs. 1 lit. e ZPO) stellen
können. Der Beschwerdeführer hat bewusst keine der in der ZPO vorgesehenen
Varianten gewählt. Daher ist die Vorinstanz zu Recht auf das Begehren 1 nicht
eingetreten. Die Beschwerde ist abzuweisen. Dem Ausgang des Verfahrens
entsprechend wird der Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig
(Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Zivilabteilung, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 31. März 2016

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Kiss

Der Gerichtsschreiber: Luczak

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