Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.428/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
4A_428/2015

Urteil vom 1. Februar 2016

I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Kolly,
Gerichtsschreiber Leemann.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Claudius Triebold und Philipp H. Haberbeck,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________,
vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Christophe M. Pestalozzi und Tobias
Zuberbühler,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Internationales Schiedsgericht,

Beschwerde gegen den Schiedsspruch des ICC Schiedsgerichts mit Sitz in Zürich
vom 30. Juli 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. A.________ (Verkäuferin, Klägerin, Widerbeklagte, Beschwerdeführerin) ist
eine Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg.
B.________ (Käuferin, Beklagte, Widerklägerin, Beschwerdegegnerin) ist eine
Gesellschaft mit Sitz in Dietzenbach, Deutschland.

A.b. Die Parteien schlossen am 18. Dezember 2012 einen Aktienkaufvertrag
("Share Purchase Agreement", "SPA") ab.
Ziffer 22.5 SPA enthält eine Schiedsklausel zugunsten eines Schiedsgerichts mit
Sitz in Zürich. In der Sache wurde deutsches Recht für anwendbar erklärt.
Ziffer 3.8 SPA sieht hinsichtlich des Kaufpreises einen
Preisanpassungsmechanismus vor. Danach wird zunächst ein vorläufiger Kaufpreis
("Preliminary Purchase Price") gezahlt; der definitive Kaufpreis ("Adjusted
Purchase Price") wird nachträglich auf Grundlage der vertraglich vereinbarten
Berechnungsmethode festgesetzt. Fällt dieser höher aus als der vorläufige
Kaufpreis, schuldet die Käuferin der Verkäuferin die Differenz ("Adjustment
Amount"); fällt der definitive Kaufpreis hingegen tiefer aus, wird die
Verkäuferin im entsprechenden Differenzbetrag rückerstattungspflichtig. Im
Hinblick auf die Kaufpreisanpassung hat die Käuferin unter anderem die "Closing
Date Financial Statements" ("CDFS") und das "Adjusted Purchase Price
Determination Certificate" ("APPDC") zu erstellen und der Verkäuferin
auszuhändigen.
Das Verfahren für die Preisanpassung ist in Ziffer 4 SPA festgehalten. Die
Vertragsklausel regelt den Austausch der für die definitive Kaufpreisbestimmung
notwendigen Dokumente zwischen den Parteien. Insbesondere schreibt Ziffer 4.1.4
vor, wie die Verkäuferin vorzugehen hat, wenn sie mit den "Closing Date
Financial Statements" und dem "Adjusted Purchase Price Determination
Certificate" der Käuferin nicht einverstanden sein sollte: In diesem Fall hat
sie innert 20 Tagen eine "Notice of Objection" einzureichen, in der im
Einzelnen und begründet dargelegt wird, welche Positionen der CDFS bzw. des
APPDC bestritten werden.
Für den Fall, dass eine "Notice of Objection" gemäss Ziffer 4.1.4 SPA
eingereicht worden ist und über die strittigen Positionen keine Einigung
erzielt werden kann, sieht Ziffer 4.2.1 den Beizug eines Schiedsgutachters vor.
Dessen Entscheid soll für die Parteien nach Ziffer 4.2.3 SPA in Übereinstimmung
mit dem deutschem Recht im Hinblick auf die Kaufpreisanpassung grundsätzlich
verbindlich sein:

--..] Except for manifest error or intentional malfeasance, the Neutral
Auditor's decision on the Closing Date Financial Statements and the Adjusted
Purchase Price Determination Certificate as determined by the Neutral Auditor
shall be final and binding upon the Parties for the purposes of determining the
Closing Date Financial Statements and the Adjusted Purchase Price Determination
Certificate, including the Adjustment Amount, if any".

A.c. Die Parteien konnten sich in der Folge nicht über die Kaufpreisanpassung
einigen.
Mit Gutachten vom 23. Dezember 2013 bezifferte der Schiedsgutachter den von der
Käuferin an die Verkäuferin zu bezahlenden "Adjustment Amount" auf EUR
2'473'613.--. Die Käuferin widersetzte sich der Forderung.

B. 
Die Verkäuferin leitete am 11. Februar 2014 ein Schiedsverfahren nach den
Bestimmungen der Internationalen Handelskammer (ICC) ein und beantragte im
Wesentlichen, die Beklagte sei zur Zahlung von EUR 2'473'613.--, zuzüglich Zins
zu 10 % seit 15. Januar 2014, zu verpflichten.
Die Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, dass die Klägerin keine den
Anforderungen von Ziffer 4.1.4 SPA genügende "Notice of Objection" eingereicht
habe, weshalb die von der Beklagten erstellten "Closing Date Financial
Statements" und das "Adjusted Purchase Price Determination Certificate"
verbindlich geworden seien und die vertragliche Kaufpreisanpassung ungeachtet
des Schiedsgutachtens zu ihren Gunsten ausfalle. Entsprechend widersetzte sie
sich der Kaufpreisforderung und beantragte widerklageweise unter anderem, es
sei die Klägerin zur Zahlung von EUR 1'354'000.--, zuzüglich Zins zu 10 % seit
17. Juni 2013, zu verpflichten.

Am 26. März 2014 wurden die beiden von den Parteien ernannten Schiedsrichter
und am 2. Mai 2014 der Schiedsobmann vom Generalsekretär des ICC-Gerichtshofs
bestätigt.
Vom 23. bis 26. März 2015 fand in Frankfurt a.M. eine mündliche Verhandlung
statt, an der zahlreiche Zeugen einvernommen wurden.
Mit Schiedsentscheid vom 30. Juli 2015 stellte das ICC Schiedsgericht mit Sitz
in Zürich fest, dass die Klägerin keine den Anforderungen von Ziffer 4.1.4 SPA
entsprechende "Notice of Objection" eingereicht habe und die von der Beklagten
erstellten "Closing Date Financial Statements" und das "Adjusted Purchase Price
Determination Certificate" endgültig und für die Parteien verbindlich geworden
seien (Dispositiv-Ziffer 1). Es hiess die Widerklage gut und verurteilte die
Klägerin zur Zahlung von EUR 1'354'000.--, zuzüglich Zins zu 10 % seit 17. Juni
2013 (Dispositiv-Ziffer 2). Das Schiedsgericht entschied zudem über weitere
Anträge (Dispositiv-Ziffern 3-13), es regelte die Kosten- und
Entschädigungsfolgen (Dispositiv-Ziffer 14) und wies sämtliche weiteren
Begehren der Parteien, so auch das Forderungsbegehren der Klägerin, ab
(Dispositiv-Ziffer 15).

C. 
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Klägerin dem Bundesgericht, es
seien Dispositiv-Ziffern 1, 2, 14 und 15 des Schiedsspruchs des ICC
Schiedsgerichts mit Sitz in Zürich vom 30. Juli 2015 aufzuheben.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei. Das Schiedsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

D. 
Mit Verfügung vom 12. November 2015 wies das Bundesgericht das Gesuch der
Beschwerdeführerin um Gewährung der aufschiebenden Wirkung ab.

Erwägungen:

1. 
Nach Art. 54 Abs. 1 BGG ergeht der Entscheid des Bundesgerichts in einer
Amtssprache, in der Regel in jener des angefochtenen Entscheids. Wurde dieser
in einer anderen Sprache redigiert, verwendet das Bundesgericht die von den
Parteien gewählte Amtssprache. Der angefochtene Entscheid ist in englischer
Sprache abgefasst. Da es sich dabei nicht um eine Amtssprache handelt und sich
die Parteien vor Bundesgericht der deutschen Sprache bedienen, ergeht der
Entscheid des Bundesgerichts auf Deutsch.

2. 
Im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ist die Beschwerde in
Zivilsachen unter den Voraussetzungen der Art. 190-192 IPRG (SR 291) zulässig
(Art. 77 Abs. 1 lit. a BGG).

2.1. Der Sitz des Schiedsgerichts befindet sich vorliegend in Zürich. Beide
Parteien hatten im massgebenden Zeitpunkt ihren Sitz ausserhalb der Schweiz
(Art. 176 Abs. 1 IPRG). Da die Parteien die Geltung des 12. Kapitels des IPRG
nicht ausdrücklich ausgeschlossen haben, gelangen die Bestimmungen dieses
Kapitels zur Anwendung (Art. 176 Abs. 2 IPRG).

2.2. Zulässig sind allein die Rügen, die in Art. 190 Abs. 2 IPRG abschliessend
aufgezählt sind (BGE 134 III 186 E. 5 S. 187; 128 III 50 E. 1a S. 53; 127 III
279 E. 1a S. 282). Nach Art. 77 Abs. 3 BGG prüft das Bundesgericht nur die
Rügen, die in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden sind; dies
entspricht der in Art. 106 Abs. 2 BGG für die Verletzung von Grundrechten und
von kantonalem und interkantonalem Recht vorgesehenen Rügepflicht (BGE 134 III
186 E. 5 S. 187 mit Hinweis). Appellatorische Kritik ist unzulässig (BGE 134
III 565 E. 3.1 S. 567; 119 II 380 E. 3b S. 382).

3. 
Die Beschwerdeführerin wirft dem Schiedsgericht vor, es habe die Bestimmungen
über die Zuständigkeit verletzt (Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG).

3.1. Die Partei, die einen Schiedsrichter ablehnen will (vgl. Art. 180 Abs. 2
Satz 2 IPRG), das Schiedsgericht für unzuständig (vgl. Art. 186 Abs. 2 IPRG)
oder sich durch einen anderen nach Art. 190 Abs. 2 IPRG relevanten
Verfahrensmangel für benachteiligt hält, verwirkt ihre Rügen, wenn sie diese
nicht rechtzeitig im Schiedsverfahren vorbringt und nicht alle zumutbaren
Anstrengungen unternimmt, um den Mangel - soweit möglich - zu beseitigen (BGE
130 III 66 E. 4.3 S. 75; 126 III 249 E. 3c S. 253 f.; 119 II 386 E. 1a S. 388;
je mit Hinweisen). Es widerspricht Treu und Glauben, einen Verfahrensmangel
erst im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens zu rügen, obwohl im
Schiedsverfahren die Möglichkeit bestanden hätte, dem Schiedsgericht die
Gelegenheit zur Behebung des angeblichen Mangels zu geben (BGE 119 II 386 E. 1a
S. 388). Treuwidrig und rechtsmissbräuchlich handelt insbesondere die Partei,
die Rügegründe gleichsam in Reserve hält, um diese bei ungünstigem
Prozessverlauf und voraussehbarem Prozessverlust nachzuschieben (vgl. BGE 136
III 605 E. 3.2.2 S. 609; 129 III 445 E. 3.1 S. 449; 126 III 249 E. 3c S. 254).
Beteiligt sich eine Partei an einem Schiedsverfahren, ohne die Besetzung bzw.
die Zuständigkeit des Schiedsgerichts in Frage zu stellen, obschon sie die
Möglichkeit zur Klärung dieser Frage vor der Fällung des Schiedsentscheids hat,
ist sie mit der entsprechenden Rüge im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren
wegen Verwirkung ausgeschlossen (BGE 130 III 66 E. 4.3 mit Hinweisen).

3.2. Die Beschwerdeführerin stellt sich vor Bundesgericht auf den Standpunkt,
das Schiedsgericht sei nach der in Ziffer 22.5 SPA enthaltenen Schiedsklausel
nicht zuständig gewesen, das nach Ziffer 4.2 SPA erstellte Schiedsgutachten mit
dem Argument zu ignorieren, die Anforderungen an die "Notice of Objection" nach
Ziffer 4.1.4 seien nicht erfüllt gewesen.
Ihr kann nicht gefolgt werden, wenn sie vorbringt, sie habe die angeblich
fehlende Zuständigkeit bereits im Schiedsverfahren geltend gemacht. Sie selbst
hat das Schiedsgericht angerufen, um den vom Schiedsgutachter bezifferten
Betrag von EUR 2'473'613.-- im Schiedsverfahren gegenüber der
Beschwerdegegnerin geltend zu machen. Damit hat sie zum Ausdruck gegeben, dass
es sich beim erstellten Gutachten auch nach ihrer Ansicht nicht um einen
vollstreckbaren Rechtstitel handelt, dem Rechtskraftwirkung zukommt, sondern
dass es hierfür eines Entscheids des Schiedsgerichts bedarf. Sie hat im
Schiedsverfahren konsequenterweise auch nicht in Frage gestellt, dass das
Schiedsgericht darüber zu befinden hat, ob das Schiedsgutachten trotz
grundsätzlicher Verbindlichkeit für die Parteien dennoch aus einem vertraglich
vorgesehenen Grund unwirksam sei. Entsprechend bestritt die Beschwerdeführerin
nicht die Kompetenz des Schiedsgerichts, über die Wirksamkeit des
Schiedsgutachtens zu entscheiden, sondern machte lediglich geltend, nach den
massgebenden Bestimmungen des SPA sei auf die Berechnungen im Schiedsgutachten
abzustellen.
Damit trifft nicht zu, dass die Beschwerdeführerin im Schiedsverfahren die
Zuständigkeit des Schiedsgerichts zur Beurteilung der Wirksamkeit des
erstellten Schiedsgutachtens bzw. der vertraglichen Anforderungen an die
"Notice of Objection" nach Ziffer 4.1.4 SPA bestritten hätte. Im Gegenteil
erklärte sie sich zu Beginn des Verfahrens in Ziffer 7 der von ihr
unterzeichneten "Terms of Reference" vom 17. Juni 2014 ausdrücklich damit
einverstanden, dass die Frage, ob ihre "Notice of Objection" den Anforderungen
nach Ziffer 4.1.4 SPA genügte, zu den vom Schiedsgericht zu beurteilenden
Punkten zählt, worauf die Beschwerdegegnerin in ihrer Beschwerdeantwort
zutreffend hinweist. Entsprechend kann der Beschwerdeführerin auch nicht
gefolgt werden, wenn sie vor Bundesgericht behauptet, sie habe nicht damit
rechnen müssen, "dass sich das Schiedsgericht die Kompetenz anmassen könnte,
das Schiedsgutachten mit dem erwähnten Argument zu ignorieren, die Notice of
Objection habe inhaltlich nicht den Anforderungen von Artikel 4.1.4 des SPA
entsprochen". Dieser Einwand erweist sich bereits aufgrund des
Widerklagebegehrens Ziffer 2a/aa als unbehelflich, das ausdrücklich auf die
Feststellung gerichtet war, dass die Beschwerdeführerin keine den Anforderungen
von Ziffer 4.1.4 SPA genügende "Notice of Objection" eingereicht habe ("Find
that Claimant failed to submit a Notice of Objection in accordance with Section
4.1.4 of the SPA [...]"). Ausserdem weist der angefochtene Schiedsentscheid
darauf hin, dass die Beschwerdegegnerin die Gültigkeit der "Notice of
Objection" gegenüber der Beschwerdeführerin stets bestritten und sie sich
bereits im Verfahren vor dem Schiedsgutachter vorbehalten hatte, sich in einem
allfälligen Schiedsverfahren auf deren Ungültigkeit zu berufen.
Nachdem die Beschwerdeführerin die schiedsgerichtliche Zuständigkeit im
Schiedsverfahren nicht in Frage gestellt hatte, sondern selber Klage beim
Schiedsgericht erhob und sich vorbehaltlos auf die Hauptsache einliess, ist es
ihr verwehrt, sich nunmehr im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht auf die
Unzuständigkeit des Schiedsgerichts zu berufen.

4. 
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Dem Ausgang des Verfahrens
entsprechend wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig
(Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 25'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 30'000.-- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem ICC Schiedsgericht mit Sitz in Zürich
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. Februar 2016

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Kiss

Der Gerichtsschreiber: Leemann

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