Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.426/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
4A_426/2015

Urteil vom 11. April 2016

I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
Bundesrichterin Klett,
Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Hurni.

Verfahrensbeteiligte
B.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwälte Michael Kramer und Dr. Sibylle Pestalozzi-Früh,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Balz Gross, Dr. Stefanie Pfisterer und Andrea
Truffer,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Interne Schiedsgerichtsbarkeit,

Beschwerde gegen den Schiedsspruch des Schiedsgerichts der Schweizerischen
Handelskammer mit Sitz in Zürich vom 30. Juni 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. Die B.________ AG (Schiedsbeklagte und Beschwerdeführerin) ist ein
schweizerisches Rohstoff-Unternehmen mit Sitz in U.________.
Die A.________ AG (Schiedsklägerin und Beschwerdegegnerin) ist eine
schweizerische Aktiengesellschaft mit Sitz in V.________, welche die Gewinnung,
die Verarbeitung und den Handel von Rohstoffen, insbesondere von Kupfer aus
W.________, bezweckt.
Die C.________ (im Folgenden: C.________) ist die Betreiberin einer Kupfer-Mine
in X.________ (W.________).

A.b. Seit den 1990er-Jahren erwarb B.________ regelmässig Kupferkonzentrat
direkt von C.________. Trotz finanziellen und technischen Schwierigkeiten in
den Jahren 1999 und 2000 konnte C.________ die Kupferlieferungen aufrecht
erhalten. B.________ war indessen an stabileren und gleichmässigeren
Lieferungen interessiert und auch daran, dass die Abläufe bei der Mine in
X.________ verbessert werden. Vor diesem Hintergrund traten B.________ und
A.________ miteinander in Kontakt, um die Zukunft der Mine zu diskutieren.
Am 26. Februar 2003 unterzeichneten B.________ und A.________ ein "Memorandum
of Understanding ", gemäss dessen Ziff. 2.2 und 2.3 die Parteien den Abschluss
folgender Vereinbarungen planten: Einerseits sollte A.________ von C.________
die gesamte Kupferkonzentrat-Produktion kaufen; andererseits sollte A.________
das von C.________ gekaufte Kupferkonzentrat an B.________ weiterverkaufen.
Ebenfalls am 26. Februar 2003 schlossen B.________ und A.________ einen
Liefervertrag bezüglich des gesamten von der X.________ Mine in den Jahren
2004-2013 produzierten Kupferkonzentrats ("A.________-B.________-Agreement ").
Am 8. Juli 2003 schlossen A.________ und C.________ einen Vertrag betreffend
die Lieferung des gesamten von der X.________ Mine in den Jahren 2004-2015
produzierten Kupferkonzentrats ("A.________-C.________-Agreement "). Die beiden
Verträge, also das "A.________-B.________-Agreement " und das
"A.________-C.________-Agreement", wurden zusammen als
"Back-to-Back-Agreements" bezeichnet.

A.c. Im November 2003 fand in W.________ die sog. Rosenrevolution statt,
infolge derer die Regierung von W.________ abtreten musste. Zu dieser Zeit
basierten die Lieferungen von C.________ an B.________ auf direkten
Lieferverträgen mit C.________. Die "Back-to-Back Agreements" sollten erst
anfangs 2004 in Kraft treten.
In der Folge kam es aber nicht zur Umsetzung der "Back-to-Back Agreements ".
Vielmehr regelten A.________ und B.________ ihre Vertragsbeziehungen zu Beginn
des Jahres 2004 neu mit einem "Assignment Agreement " und einem "Agency
Agreement" (zusammen: "AA Agreements"). Unter dem "Assignment Agreement"
zedierte A.________ sämtliche Kupferlieferungsansprüche, die während der
Laufzeit des "Assignment Agreements" fällig würden, an B.________. Im "Agency
Agreement" verpflichtete sich B.________, A.________ als Gegenleistung für die
Abtretung der Lieferansprüche eine "Assignment Fee" sowie eine "Agency Fee" zu
bezahlen. Die beiden Verträge wurden am 5. Februar 2004 in Zürich unterzeichnet
und hätten per 1. März 2004 in Kraft treten sollen.
Am 19. Februar 2004, also zwei Wochen nach der Unterzeichnung der "AA
Agreements ", handelte B.________ eine Verlängerung seiner direkten
Lieferverträge mit C.________ bis Ende 2004 aus.
Am 26. Mai 2004 verlangte A.________ von B.________ die Zahlung der Assignment
Fee und Agency Fee für die Kupferkonzentrat-Lieferungen von C.________ an
B.________ für die Monate März, April und Mai 2004.

A.d. Mit Schreiben vom 8. Juni 2004 erklärte B.________ der A.________, dass
dieser keine Forderungen aus den "AA Agreements" zustünden, da diese Verträge
gar nie wirksam geworden seien. Eventualiter kündigte B.________ die "AA
Agreements".
Mit Schreiben vom 19. Juli 2004 bestritt A.________ alle von B.________ in
deren Schreiben vom 8. Juni 2004 aufgeworfenen Punkte.
Am 31. März 2011 reichte A.________ beim Betreibungsamt Zürich ein
Betreibungsbegehren gegen die B.________ über Fr. 96'297'600.-- ein.

B.

B.a. Am 26. April 2011 leitete A.________ bei der Zürcher Handelskammer
gestützt auf die Schiedsklauseln im "Assignment Agreement" bzw. im "Agency
Agreement" ein Schiedsverfahren gegen B.________ ein mit folgenden Anträgen:

"1.       The Arbitral Tribunal shall order Respondent to pay to Claimant
       USD 106'000'000, plus interest of 5% p.a. from the date of
average              maturity;
2.       The Arbitral Tribunal shall order Respondent
       a. to bear all costs of the arbitration proceedings, including the costs
and       expenses of the Zurich Chamber of Commerce and of the arbitrators;
and
       b.       to compensate Claimant for all costs incurred in the
Arbitration inclu              ding attorneys fee, cost of lost executive time
and experts' costs."

Mit Schiedsspruch vom 19. Februar 2014 verurteilte das Schiedsgericht die
B.________ zur Zahlung von Assignment und Agency Fees für die Monate März 2004
bis Dezember 2008 im Umfang von total USD 26'462'387.-- nebst Zins zu 5% seit
dem 31. Januar 2012.

B.b. Diesen Schiedsspruch fochten beide Parteien mit Beschwerde in Zivilsachen
beim Bundesgericht an.
Mit Urteil 4A_190/2014 vom 19. November 2014 hiess das Bundesgericht die
Beschwerde von B.________ gut und hob den Schiedsspruch vom 19. Februar 2014
auf. Die Beschwerde von A.________ schrieb das Bundesgericht als gegenstandslos
ab.

B.c. Mit Schiedsspruch vom 30. Juni 2015 verurteilte das Schiedsgericht die
B.________ erneut zur Zahlung von Assignment und Agency Fees für die Monate
März 2004 bis Dezember 2008 im Umfang von total USD 26'462'387.-- nebst Zins zu
5% seit dem 31. Januar 2012.
Mit Eingabe vom 31. Juli 2015 ersuchte die B.________ das Schiedsgericht
gestützt auf Art. 388 Abs. 1 lit. a ZPO um Berichtigung eines Rechnungsfehlers
im Schiedsspruch.
Mit Berichtigungsentscheid vom 30. September 2015 berichtigte das
Schiedsgericht den Beginn des Zinsenlaufs und setzte diesen auf den 1.
September 2012 (statt 31. Januar 2012) fest. Im Übrigen liess es den
Schiedsspruch vom 30. Juni 2015 unangetastet.

C.

C.a. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 31. August 2015 beantragt die B.________
dem Bundesgericht die Aufhebung des Schiedsspruchs vom 30. Juni 2015 und die
Erteilung der aufschiebenden Wirkung.
Die A.________ beantragt in ihrer Vernehmlassung vom 25. September 2015 die
Abweisung der Beschwerde, soweit Eintreten. Das Schiedsgericht verzichtete auf
Vernehmlassung.
Am 15. Oktober 2015 reichte die Beschwerdeführerin eine Replik ein.
Am 2. November 2015 reichte die Beschwerdegegnerin eine Duplik ein.

C.b. Ebenfalls am 2. November 2015 reichte die Beschwerdeführerin eine
Beschwerde gegen den Berichtigungsentscheid des Schiedsgerichts vom 30.
September 2015 ein.
Mit Eingaben vom 25. bzw. 26. November 2015 beantragten die Parteien dem
Bundesgericht, es sei das Verfahren betreffend die Beschwerde gegen den
Berichtigungsentscheid bis zu einem allfälligen Beschwerderückzug zu sistieren.
Mit Präsidialverfügung vom 2. Dezember 2015 wurde das Sistierungsgesuch
abgewiesen.
Mit Präsidialverfügung vom 3. Dezember 2015 wurde der Beschwerde vom 31. August
2015 gegen den Schiedsentscheid und der Beschwerde vom 2. November 2015 gegen
den Berichtigungsentscheid die aufschiebende Wirkung erteilt.
Die Beschwerdegegnerin beantragt in ihrer Vernehmlassung vom 10. Dezember 2015
Nichteintreten auf die Beschwerde gegen den Berichtigungsentscheid, eventuell
Abweisung. Das Schiedsgericht verzichtete auf Vernehmlassung.
Die Parteien reichten auch im Zusammenhang mit der Beschwerde gegen den
Berichtigungsentscheid Replik und Duplik ein.

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein
Rechtsmittel zulässig ist (BGE 139 III 249 E. 1 S. 250; 137 III 417 E. 1).

1.1. Der angefochtene Schiedsentscheid vom 30. Juni 2015 ist in einem
Schiedsverfahren ergangen, auf das die Bestimmungen über die interne
Schiedsgerichtsbarkeit (3. Teil ZPO) anzuwenden sind: vgl. das bereits zu
diesem Verfahren ergangene Urteil 4A_190/2014 vom 19. November 2014 E. 3.1. Mit
diesem Urteil hat das Bundesgericht einen ersten Schiedsentscheid vom 19.
Februar 2014 aufgehoben. Beim nunmehr angefochtenen Schiedsentscheid vom 30.
Juni 2015 handelt es sich um einen Entscheid, der infolge der Aufhebung des
ersten Schiedsentscheids gestützt auf Art. 395 Abs. 2 ZPO neu auszufällen war.
Auch dabei handelt es sich wiederum um einen Endschiedsspruch, gegen den die
Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht zulässig ist (Art. 389 und 392
lit. a ZPO, Art. 77 Abs. 1 lit. b BGG).

1.2.

1.2.1. Demgegenüber ist der vom 30. September 2015 datierende Schiedsentscheid
auf ein Berichtigungsgesuch nach Art. 388 ZPO hin ergangen. Dabei handelt es
sich - auch nach übereinstimmender Auffassung der Parteien sowie des
Schiedsgerichts selbst - nicht um einen neuen Schiedsspruch, sondern um einen
Berichtigungsentscheid, der Bestandteil des ursprünglichen Schiedsentscheids
vom 30. Juni 2015 bildet (zu Begriff und Rechtsnatur eines
Berichtigungsentscheids einlässlich BGE 131 III 164 E. 1.1). Gegen einen
Berichtigungsentscheid ist die Beschwerde nur hinsichtlich der damit erfolgten
Berichtigung zulässig (BGE 131 III 164 E. 1.2.3) und dies nur insoweit, als mit
der Berichtigung das Dispositiv des ursprünglichen Entscheids inhaltlich zum
Nachteil einer Partei abgeändert wurde (BGE 116 II 86 E. 3). Dies ergibt sich
auch aus Art. 388 Abs. 3 ZPO: Danach hemmt ein Berichtigungsgesuch die
Rechtsmittelfristen (gegen den ursprünglichen Entscheid) nicht. Wird aber eine
Partei durch den Ausgang des Berichtigungsverfahrens beschwert, so läuft für
sie (nur)  bezüglich dieses Punktes die Rechtsmittelfrist von neuem.

1.2.2. Im Berichtigungsentscheid hat das Schiedsgericht den Beginn des
Zinsenlaufs zugunsten der Beschwerdeführerin vom 31. Januar 2012 auf den 1.
September 2012 verlegt und damit dem Berichtigungsbegehren vollumfänglich
entsprochen. Die Beschwerdeführerin ist damit durch den Ausgang des
Berichtigungsverfahrens nicht beschwert, womit sich ihre Beschwerde vom 2.
November 2015 gegen den Berichtigungsentscheid als unzulässig erweist. Darauf
ist nicht einzutreten. Im Folgenden ist einzig die Beschwerde vom 31. August
2015 zu behandeln.

2.

2.1. Das Schiedsgericht hat im ersten Schiedsspruch vom 19. Februar 2014
festgestellt, dass die "AA Agreements", aus denen die Schiedsklägerin ihre
Ansprüche gegenüber der Schiedsbeklagten ableitet, in den Ziffern 3 bzw. 10
folgende Kündigungsmöglichkeit vorsehen:

"This agreement is entered into for an indefinite period of time and may be
terminated any time by each party giving the other party sixty days prior
notice of termination in writing upon the end of a calendar month."

In freier Übersetzung:

"Dieser Vertrag wird für eine unbestimmte Dauer eingegangen und kann von jeder
Partei jederzeit durch schriftliche Mitteilung unter Einhaltung einer 60-
tägigen Kündigungsfrist auf Ende eines Kalendermonats beendet werden."

Weiter enthalten beide "AA Agreements" sog. "non-concealment"-Klauseln mit
folgendem Wortlaut:

"[each party to the agreement] represents and warrants to the other parties:
[...] It has not concealed from the other party any financial or other
information it is aware of that could materially affect the intent of the other
party to enter into this Agreement".

In freier Übersetzung:

"[Jede Vertragspartei] sichert der anderen Partei zu und garantiert: [...] Sie
hat vor der anderen Partei keine finanziellen oder anderen Informationen
verheimlicht, deren sie sich bewusst war und welche die Absicht der anderen
Partei, diesen Vertrag einzugehen, wesentlich beeinflussen konnten."

Ziff. 9 des "Assignment Agreements " lautet sodann wie folgt:

"In the event that, the Assignee and C.________ wish to amend, alter, modify or
terminate the C.________ Contract or to provide for a new set-up or concept
relating to the production and delivery of copper concentrates, the Assignor
shall upon request by Assignee amend, alter, modify or terminate the C.________
Contract accordingly, provided such request is commercially reasonable for both
parties."

In freier Übersetzung:

"Für den Fall, dass der Zessionar [B.________] und C.________ den C.________
Vertrag zu ergänzen, abzuändern, zu modifizieren oder zu beenden wünschen oder
ein neues set-up oder Konzept bezüglich der Produktion oder Lieferungen des
Kupferkonzentrats wünschen, soll der Zedent [A.________] auf Ersuchen des
Zessionars [B.________] den C.________ Vertrag entsprechend ergänzen, ändern,
modifizieren oder beenden, sofern dieses Ersuchen für beide Parteien
wirtschaftlich vernünftig ist."

Das Schiedsgericht hielt sodann fest, dass die Schiedsbeklagte die
Schiedsklägerin nicht über die Verlängerung der direkten Lieferverträge mit
C.________ am 19. Februar 2004 in Kenntnis gesetzt habe. Nach Auffassung des
Schiedsgerichts musste der Schiedsbeklagten aber bewusst gewesen sein, dass die
Verlängerung des direkten Liefervertrags mit C.________ die vertraglichen
Beziehungen zwischen der Schiedsbeklagten und der Schiedsklägerin fundamental
veränderte, da damit die Position der Schiedsbeklagten als Zessionarin der
Lieferungsansprüche in Frage gestellt worden sei. Mit der Verlängerung der
direkten Lieferverträge mit C.________ habe die Schiedsbeklagte daher die
"non-concealment "-Klauseln in den "AA Agreements " sowie Ziff. 9 des
"Assignment Agreements" verletzt. Darüberhinaus habe das einseitige Handeln der
Schiedsbeklagten den Sinn und Zweck der "AA Agreements" in treuwidriger Weise
vereitelt.
Aus diesem Grund sei die am 8. Juni 2004 ausgesprochene Kündigung der "AA
Agreements " durch die Schiedsbeklagte ungültig, denn in einer Situation des
Vertragsbruchs sei die Schiedsbeklagte gemäss dem Grundsatz von Treu und
Glauben "gehemmt " ("estopped"), das Kündigungsrecht mit einer Frist von 60
Tagen auszuüben. Die Kündigungsfrist müsse vielmehr danach bestimmt werden, was
die Parteien für den Fall vorgesehen hätten, dass die in den "AA Agreements"
stipulierte Kündigungsklausel nicht zur Anwendung gelangt. Dabei sei auf die
Regelung des (durch die "AA Agreements" abgelösten)
"A.________-B.________-Agreements" abzustellen, welches in Art. 3 eine erste
Kündigungsmöglichkeit nach einer anfänglichen festen Vertragsdauer von 5 Jahren
vorsehe. Die Schiedsklägerin habe damit gegenüber der Schiedsbeklagten einen
Anspruch auf jene "Fees", die sie unter den "AA Agreements" während 5 Jahren
erhalten hätte.

2.2. Dagegen rügte die Schiedsbeklagte im Beschwerdeverfahren 4A_190/2014 vor
Bundesgericht unter anderem, dass es im schweizerischen Recht keine Bestimmung
gebe, wonach bei einer Vertragsverletzung ein Kündigungsrecht verloren gehe.
Gemäss dem eindeutigen Wortlaut der "AA Agreements" könne kein Zweifel daran
bestehen, dass sich die Parteien auf eine einseitige Kündigungsmöglichkeit mit
60 Tagen Kündigungsfrist geeinigt hätten. Die Voraussetzungen einer
rechtsmissbräuchlichen Ausübung dieses Kündigungsrechts seien nicht gegeben.
Jede Kündigung könne für eine Partei, gegenüber der die Kündigung ausgesprochen
wird, eine gewisse Härte darstellen. Diese Härte begründe jedoch keinen
Rechtsmissbrauch. Die gegenteilige Auffassung des Schiedsgerichts stelle eine
offensichtliche Verletzung des Rechts i.S. von Art. 393 lit. e ZPO dar.

2.3. Mit dieser Rüge drang die Schiedsbeklagte durch. Das Bundesgericht hielt
im Urteil 4A_190/2014 vom 19. November 2014 fest, dass das Schiedsgericht in
der Verlängerung der direkten Lieferverträge mit C.________ eine Verletzung der
"AA Agreements" durch die Schiedsbeklagte gesehen und mit ebendieser
Vertragsverletzung seine Auffassung begründet habe, dass die Ausübung des in
den "AA Agreements" vorgesehenen Kündigungsrechts missbräuchlich sei (E.
4.7.1). Diese Begründung hält gemäss Bundesgericht vor dem Verbot willkürlicher
Rechtsanwendung aus folgenden Gründen nicht stand: Zunächst habe das
Schiedsgericht nicht ansatzweise eine Erklärung dafür geliefert, inwiefern die
Ausübung des Kündigungsrechts aufgrund des vorgängigen Verstosses gegen die
"non-concealment"-Klausel sowie Ziff. 9 des "Assignment Agreements" in eine der
anerkannten Fallgruppen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens fallen soll.
Abgesehen davon sei aber auch nicht ersichtlich, inwiefern eine
Vertragsverletzung zur Konsequenz haben soll, dass der Verletzer den verletzten
Vertrag nicht mehr kündigen darf; dies selbst dann, wenn mit der
Vertragsverletzung der "Sinn und Zweck" des Vertrags in "treuwidriger Weise"
vereitelt worden sein sollte. In einer Vertragsverletzung und einer
anschliessenden Kündigung des Vertrages gemäss den vertraglich vorgesehenen
Bedingungen liege kein widersprüchliches Verhalten; es erscheine im Gegenteil
vielmehr gerade als konsistent, wenn eine Partei den Vertrag, an den sie sich
nicht halten wolle, ordnungsgemäss kündige (E. 4.7.2).

3. 
Die Beschwerdeführerin rügt, das Schiedsgericht habe im vorliegend
angefochtenen zweiten Schiedsspruch vom 30. Juni 2015 offensichtlich Recht
verletzt (Art. 393 lit. e ZPO), indem es die Erwägungen des Urteils 4A_190/2014
vom 19. November 2014 missachtet habe. Entgegen der Auffassung des
Schiedsgerichts liege kein rechtsmissbräuchliches Verhalten der
Beschwerdeführerin bei der Ausübung ihres Kündigungsrechts vor.

3.1. Wenn das Bundesgericht einen Schiedsspruch aufhebt, entscheidet das
Schiedsgericht gemäss Art. 395 Abs. 2 ZPO nach Massgabe der Erwägungen im
Rückweisungsentscheid neu. Bei dieser Bindung an die Erwägungen des
Rückweisungsentscheids handelt es sich um einen prozessualen Grundsatz, der
bereits unter dem Konkordat vom 27. März 1969 über die Schiedsgerichtsbarkeit
(aKSG; AS 1969 S. 1093) galt (BGE 112 Ia 166 E. 3e S. 172; zuletzt Urteil
4A_628/2011 vom 30. Mai 2012 E. 3.2.1) und überhaupt für alle
Rückweisungsentscheide des Bundesgerichts gilt (BGE 135 III 334 E. 2). Von der
Bindung ist dabei namentlich die  rechtliche Beurteilungerfasst, mit der das
Bundesgericht die Rückweisung begründet hat (BGE 125 III 421 E. 2a). Die
Vorinstanz hat ihrem neuen Entscheid mithin die rechtliche Beurteilung im
Rückweisungsentscheid zugrunde zu legen (Urteil 4A_236/2015 vom 15. September
2015 E. 2.2) und keinen anderen als den bisherigen Sachverhalt zu unterstellen.
Es ist ihr verwehrt, den Rechtsstreit unter  rechtlichen Gesichtspunkten zu
prüfen, die im Rückweisungsentscheid ausdrücklich  abgelehnt worden sind (BGE
135 III 334 E. 2 m.H.). Missachtet das Schiedsgericht die Bindung an den
Rückweisungsentscheid, liegt eine offensichtliche Verletzung des Rechts im
Sinne von Art. 393 lit. e ZPO vor (Urteil 4A_628/2011 vom 30. Mai 2012 E.
3.2.1).

3.2. Das Schiedsgericht hat im hier angefochtenen zweiten Schiedsspruch vom 30.
Juni 2015 noch einmal gleich entschieden wie im aufgehobenen ersten
Schiedsspruch vom 19. Februar 2014. Die beiden Urteilsdispositive sind - bis
auf den berichtigten Beginn des Zinsenlaufs - identisch. Auch inhaltlich ist
das Schiedsgericht zu den gleichen Schlussfolgerungen wie im ersten Entscheid
gelangt, dies unter Zugrundelegung der über weite Strecken wortwörtlich gleich
lautenden Erwägungen.
Das Schiedsgericht hat einzig jene Erwägungen, die das Bundesgericht im
Rückweisungsentscheid als willkürlich bezeichnet hat, um einige Überlegungen
angereichert: So enthält der zweite Schiedsspruch auf den S. 38 - 44 (Rz. 190 -
212) nunmehr eine Begründung dafür, weshalb die Berufung auf das
Kündigungsrecht gemäss den Ziffern 3 und 10 der "AA Agreements "
rechtsmissbräuchlich sein soll. Nach Auffassung des Schiedsgerichts liege ein
Anwendungsfall eines widersprüchlichen Verhaltens der Beschwerdeführerin ( 
venire contra factum proprium) vor. Dieses widersprüchliche Verhalten bestehe
darin, dass die Beschwerdeführerin die "AA Agreements" aus einer "Position der
Stärke" ("dominant position") heraus verhandelt und am 5. Februar 2004
unterzeichnet habe, dann aber nur zwei Wochen nach der Unterzeichnung und ohne
Anzeige an die Beschwerdegegnerin die direkten Lieferverträge mit C.________
verlängert habe (was eine Verletzung der "AA Agreements" bedeute), um dann die
Verträge mit der Beschwerdegegnerin nach einer ersten Zahlungsaufforderung zu
kündigen (Rz. 196). Auf den Punkt gebracht sieht das Schiedsgericht das
rechtsmissbräuchliche Verhalten also wie schon im ersten Schiedsspruch darin,
dass die Beschwerdeführerin zunächst durch Verlängerung der Lieferverträge mit
C.________ die "AA Agreements" verletzt habe, um diese dann in der Folge zu
kündigen. Damit habe die Beschwerdeführerin "legitime Erwartungen" ("legitimate
expectations") der Beschwerdegegnerin enttäuscht.
Dazu Rz. 197 des hier angefochtenen zweiten Schiedsspruchs:

"Clearly, the conduct of B.________ by first violating the AA Agreements (by
extension of the C.________ Agreement) and the subsequent attempted termination
of the AA Agreements is not compatible with its stated good faith in conclusion
of the AA Agreements in the first place."

Sowie Rz. 198:

"Indeed, the Arbitral Tribunal considers that by extending the C.________
Agreement, B.________ acted contrary to the legitimate expectations of GC as to
the promise of a continuing relationship under the AA Agreements."

Und schliesslich Rz. 207:

"The Arbitral Tribunal considers that GC could not expect that (...)
[B.________] would within two weeks [nach Vertragsunterzeichnung] thwart the
purpose and spirit of the AA by breaching the AA Agreements in secretely
extending its direct contractual relationship with C.________ (...), thereafter
deny any payment under the AA Agreements, and attempt to terminate them under
their short termination period (...)."

Dem fügte das Schiedsgericht einige Überlegungen hinzu, weshalb die Gründe, auf
die sich die Beschwerdeführerin in ihrem Kündigungsschreiben vom 8. Juni 2004
bezogen hatte, nämlich dass die Beschwerdegegnerin seit den Ereignissen im
Februar 2004 nicht mehr in der Lage gewesen sei, den Vertrag zu erfüllen,
"ungültig" seien.
Dass die vertraglichen Voraussetzungen für die Ausübung des Kündigungsrechts
durch die Beschwerdeführerin nicht gegeben wären bzw. die Kündigung aus anderen
Gründen unwirksam wäre, macht das Schiedsgericht im hier angefochtenen zweiten
Schiedsspruch wie schon im ersten Schiedsspruch nicht geltend. Es begründet die
Unwirksamkeit der Kündigung innert der in den Ziffern 3 und 10 der " AA
Agreements" vorgesehenen Frist von 60 Tagen einzig gestützt auf das
Rechtsmissbrauchsverbot nach Art. 2 Abs. 2 ZGB.

3.3. Damit verletzt das Schiedsgericht den Grundsatz der Bindung an die
Erwägungen des bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheids, wie er in Art. 395
Abs. 2 ZPO ausdrücklich kodifiziert ist: Ohne auch nur ansatzweise auf die
verbindlichen Erwägungen im Rückweisungsentscheid Bezug zu nehmen, stützt das
Schiedsgericht seinen zweiten Schiedsspruch inhaltlich noch einmal auf die
gleiche Argumentation, die es bereits dem aufgehobenen ersten Schiedsspruch
zugrunde gelegt hat: Anders als in diesem begnügt sich das Schiedsgericht im
zweiten Entscheid zwar nicht mehr mit ein paar wenigen Hinweisen darauf, dass
die Beschwerdeführerin "by the rules of good faith" "estopped" sei, sich auf
das in den "AA Agreements" vorgesehene Kündigungsrecht mit einer
Kündigungsfrist von 60 Tagen zu berufen. Vielmehr versucht das Schiedsgericht,
das angeblich rechtsmissbräuchliche Verhalten in die Fallgruppe des  venire
contra factum propriumeinzuordnen. Damit berücksichtigt es die
bundesgerichtliche Kritik aber nur dem Schein nach. Denn die Begründung dafür,
weshalb die Ausübung des Kündigungsrechts ein widersprüchliches Verhalten i.S.
von Art. 2 Abs. 2 ZGB darstellen soll, entspricht genau jener Argumentation,
die das Bundesgericht im Rückweisungsurteil vom 14. November 2014 verworfen hat
und die das Schiedsgericht seinem neuen Entscheid folglich nicht mehr zugrunde
legen durfte. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die (angebliche)
Verletzung der "AA Agreements" durch Verlängerung der direkten Lieferverträge
mit C.________ und die anschliessende Kündigung gestützt auf das vertraglich
vorgesehene Kündigungsrecht gerade kein widersprüchliches Verhalten der
Beschwerdeführerin darstelle; vielmehr erscheint es als konsistentes Verhalten,
wenn die Beschwerdeführerin die Verträge ordnungsgemäss kündige, an die sie
sich nicht mehr halten wolle. Genau damit, also dass die Beschwerdeführerin die
Verträge mit der Beschwerdegegnerin nicht mehr habe weiterführen wollen und
stattdessen die direkten Lieferverträge mit C.________ verlängert und somit die
"AA Agreements" verletzt habe, begründet das Schiedsgericht nun aber erneut
seine Auffassung, weshalb die Ausübung des Kündigungsrechts missbräuchlich sei.
Damit missachtet das Schiedsgericht die bundesgerichtlichen Erwägungen im
Rückweisungsurteil, die es nicht nur mit keinem Wort erwähnt, sondern
geradewegs zu ignorieren scheint. Entgegen seinen Ausführungen in den Rz. 196 -
198 und 207 des angefochtenen Schiedsentscheids schiebt das Schiedsgericht in
Rz. 211 zwar nach, ein Rechtsmissbrauch liege auch "unabhängig von der
Verletzung der AA Agreements durch B.________" ("irrespective of B.________'s
breach of the AA Agreements") vor, weil die Vorbringen, mit denen die
Beschwerdeführerin die Ausübung des Kündigungsrechts begründet hatte,
"rechtlich ungültig" ("legally invalid") seien. Dies steht aber in einem
offenkundigen Widerspruch zur Feststellung in Rz. 200, wonach es sich beim
Kündigungsrecht nach den "AA Agreements" eben um ein "discretionary right of
termination" handle, also um ein Kündigungsrecht, das beliebig ausgeübt werden
kann, ohne dass hierfür "gültige" Gründe angeführt werden müssten. Es bleibt
daher dabei, dass das Schiedsgericht den angeblichen Rechtsmissbrauch letztlich
wie bereits im ersten Schiedsspruch in der Verletzung der "AA Agreements" sieht
und damit eine Argumentation verfolgt, die das Bundesgericht in seinem
Rückweisungsurteil ausdrücklich verworfen hat. Damit liegt eine offensichtliche
Rechtsverletzung i.S. von Art. 393 lit. e ZPO vor.

4. 
Die Beschwerde erweist sich als begründet und der angefochtene zweite
Schiedsspruch vom 30. Juni 2015 ist aufzuheben.
Das Schiedsgericht wird gemäss Art. 395 Abs. 2 ZPO einen neuen Schiedsspruch
auszufällen haben, wobei es sich an die Erwägungen sowohl des vorliegenden als
auch des ersten Rückweisungsentscheids zu halten haben wird. Es ist namentlich
gehalten, seine neue Urteilsbegründung nicht auf die Argumentation abzustützen,
dass das Verhalten der Beschwerdeführerin ein  venire contra factum proprium
 darstelle, welches die Ausübung des Kündigungsrechts gemäss den Ziffern 3 und
10 der "AA Agreements" als rechtsmissbräuchlich erscheinen lasse.
Damit ist die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde gegen den zweiten
Schiedsspruch vom 30. Juni 2015 vollumfänglich durchgedrungen, während sie mit
ihrer Beschwerde gegen den Berichtigungsentscheid vom 30. September 2015
unterlegen ist. Unter diesen Umständen erscheint es gerechtfertigt, die
Gerichtskosten zu teilen und auf die Ausrichtung einer Parteientschädigung zu
verzichten (Art. 66 Abs. 1 und 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Beschwerdeführerin
macht zwar geltend, die Beschwerde gegen den Berichtigungsentscheid sei nur
deshalb notwendig geworden, weil unklar gewesen sei, ob es sich beim Entscheid
des Schiedsgerichts vom 30. September 2015 um einen Berichtigungsentscheid oder
um einen selbständigen Schiedsentscheid gehandelt habe. Die aus dieser
Unklarheit bzw. Unsicherheit resultierenden Kosten und Aufwendungen seien nicht
auf die Beschwerdeführerin allein abzuwälzen. Dem ist aber entgegen zu halten,
dass es sich bei dem auf Berichtigungsgesuch hin ergangenen Entscheid vom 30.
September 2015 um nichts anderes als einen Berichtigungsentscheid handeln
konnte, war doch das Schiedsgericht nach dem Erlass seines Endschiedsspruchs
vom 30. Juni 2015 gar nicht mehr zur Ausfällung eines weiteren, selbständigen
Schiedsspruchs zuständig (  functus officio; vgl. dazu Urteil 4A_14/2012 vom 2.
Mai 2012 E. 3.1.1). Es rechtfertigt sich daher, die Prozesskosten hinsichtlich
der unzulässigen Beschwerde gegen den Berichtigungsentscheid der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen und damit die Gerichtskosten im vorliegenden
Verfahren 4A_426/2015 insgesamt auf die Parteien aufzuteilen und die
Parteikosten wettzuschlagen.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Auf die Beschwerde vom 2. November 2015 wird nicht eingetreten.

2. 
Die Beschwerde vom 31. August 2015 wird gutgeheissen und der Schiedsspruch vom
30. Juni 2015 wird aufgehoben.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 50'000.-- werden den Parteien je hälftig auferlegt.

4. 
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Schiedsgericht der Schweizerischen
Handelskammer mit Sitz in Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. April 2016

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Kiss

Der Gerichtsschreiber: Hurni

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