Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.296/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
4A_296/2015

Urteil vom 27. November 2015

I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
Bundesrichterin Klett,
Bundesrichter Kolly,
Bundesrichterin Hohl,
Bundesrichterin Niquille,
Gerichtsschreiber Hurni.

Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Oliver Blum,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Lustenberger,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Richterliche Einberufung einer Generalversammlung,

Beschwerde gegen das Urteil des Handelsgerichts
des Kantons Zürich vom 27. Mai 2015.

Sachverhalt:

A.
Die A.________ AG (Gesuchsgegnerin und Beschwerdeführerin) ist eine
Aktiengesellschaft mit Sitz in U.________. Ihr Aktienkapital beträgt Fr.
100'000.-- und ist aufgeteilt in 10'000 Namenaktien zu Fr. 10.--. C.________
ist der einzige Verwaltungsrat der Gesellschaft.
B.________ (Gesuchsteller und Beschwerdegegner) hält 50 % der Aktien der
A.________ AG. Mit Schreiben seines Rechtsvertreters vom 1. Oktober 2014 und
28. Oktober 2014 sowie - unter Angabe von Traktanden und Beschlussanträgen -
mit Schreiben vom 25. November 2014 ersuchte er den Verwaltungsrat der
A.________ AG um Einberufung einer ordentlichen Generalversammlung für das
Geschäftsjahr 2013. Diesem Ersuchen wurde nicht entsprochen.

B.
Mit Gesuch vom 5. März 2015 stellte B.________ dem Handelsgericht des Kantons
Zürich folgende Rechtsbegehren:

"1. Die Klage [recte: Gesuch] sei gutzuheissen und für die Beklagte [recte:
Gesuchsgegnerin] eine Generalversammlung einzuberufen mit folgenden Traktanden
und Beschlussanträgen:

(1) Genehmigung des Protokolls der ordentlichen Generalversammlung vom 28.
Oktober 2013
Antrag: Nichtgenehmigung.

(2) Genehmigung des Jahresberichts der Verwaltung
Antrag: Genehmigung (sofern der Jahresbericht gesetzes- und statutenkonform
ist)

(3) Genehmigung der Jahresrechnung 2013 und des Revisionsberichts
Antrag: Genehmigung (sofern die Jahresrechnung gesetzes- und statutenkonform
ist)

(4) Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinnes
Antrag: Ausschüttung des gesamten verfügbaren Bilanzgewinnes und aus hierfür
gebildeten Reserven als Dividende, wobei der auf B._______ entfallende Anteil
der Dividende mit dessen Schulden gegenüber der Gesellschaft verrechnet wird.

(5) Entlastung des Verwaltungsrates
Antrag: Keine Entlastung des Verwaltungsrates

(6) Wahl des Verwaltungsrates
Antrag: Wiederwahl von C.________

(7) Wahl der Revisionsstelle
Antrag: Wiederwahl von D.________ AG

(8) Auskunft gestützt auf Art. 697 OR
Antrag: Der Verwaltungsrat soll Auskunft über die nachfolgenden Punkte
erteilen:
a) über die Höhe der im Zusammenhang mit dem laufenden Prozess in Frankfurt
gegen B.________ entstandenen Anwalts- und Gerichtskosten;
b) über die Höhe der im Zusammenhang mit dem Massnahmeverfahren betreffend die
E-Mails von C.________ vom Mai 2014 vor dem Bezirksgericht Zürich von der
Gesellschaft bezahlten Anwalts- und Gerichtskosten;
c) über die Höhe von weiteren im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit
B.________ von der Gesellschaft bezahlten und allenfalls noch geschuldeten
Anwaltskosten;
d) über die Anstellungsdauer und die finanziellen Anstellungsbedingungen von
E.________ bei der Gesellschaft;
e) über die im Geschäftsjahr 2013 bis zum Datum der Generalversammlung von
C.________ von der Gesellschaft bezogenen Beträge (inkl. Verwaltungshonorar,
Reisekosten und Spesen);
f) über die aktuelle finanzielle Situation der Gesellschaft sowie die laufenden
Verbindlichkeiten der Gesellschaft (insbesondere Miete und Personalkosten); g)
über die vom Verwaltungsrat der Gesellschaft im Hinblick auf die ab Frühling
2015 fehlenden Voraussetzungen zur Fortführung des Betriebes (going concern)
getroffenen und geplanten Massnahmen (wind down plan) bezüglich der
Gesellschaft und der A.________ GmbH; insbesondere: Per welchem Datum sollen
die A.________ GmbH und die Gesellschaft liquidiert werden? Stand der
Bemühungen zur Weitervermietung der Büros und des Verkaufs der Büromöbel der
A.________ GmbH in Frankfurt; Stand der Personalplanung, d.h. wann ist wem
gekündigt worden bzw. wann wird wem gekündigt?

(9) Diverses

2. Der Notar des Notariatskreises Riesbach-Zürich, Kreuzstrasse 42, Postfach
821, 8034 Zürich sei zu beauftragen innert 5 Tagen ab Urteilsdatum die
Generalversammlung der Beklagen inkl. der in Ziff. 1 aufgeführten Traktanden,
per eingeschriebenen Brief an die im Aktienbuch verzeichneten Aktionäre
C.________, in U.________, und B.________, in V.________, einzuberufen, unter
Angabe von Ort und Zeit.

Als Datum für die Generalversammlung sei ein Termin anzusetzen, der frühestens
25 Tage nach dem Versand der Einladung und spätestens 30 Tage nach dem Versand
der Einladung stattfindet.

Als Ort für die Generalversammlung sei das Amtslokal des Notariats
Riesbach-Zürich, Kreuzstrasse 42, 8008 Zürich zu bezeichnen.

Der Notar des Notariatskreises Riesbach-Zürich sei mit der Durchführung und
Protokollierung der Generalversammlung zu beauftragen.

3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beklagten."

Die A.________ AG schloss auf Abweisung des Gesuchs, soweit Eintreten. Sie
stellte u.a. die Aktionärsstellung des Gesuchstellers sowie dessen
Rechtsschutzinteresse in Abrede.
Mit Urteil vom 27. Mai 2015 hiess das Handelsgericht das Einberufungsgesuch mit
den beantragten Traktanden und Beschlussanträgen gut, wobei es den Notar
beauftragte, frühestens nach Ablauf von 10 und spätestens innert 13 Tagen ab
Urteilsdatum die Generalversammlung der Gesuchsgegnerin einzuberufen.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Gesuchsgegnerin dem Bundesgericht,
das Urteil des Handelsgerichts sei aufzuheben und das Einberufungsbegehren des
Gesuchstellers sei abzuweisen; eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zu
neuer Beurteilung zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht beantragte die
Gesuchsgegnerin unter anderem, es sei die aufschiebende Wirkung der Beschwerde
zu bestätigen.
Der Gesuchsteller beantragte in seiner Vernehmlassung die Abweisung der
Beschwerde, soweit Eintreten, sowie die Feststellung, dass die Frist zur
Einberufung der Generalversammlung gemäss Dispositiv-Ziff. 2 des Urteils der
Vorinstanz ab der Zustellung des bundesgerichtlichen Urteils an das Notariat
Riesbach-Zürich zu laufen beginne.
Die Vorinstanz hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Die Parteien haben repliziert und dupliziert.

D.
Mit Präsidialverfügung vom 3. Juni 2015 wurde der Beschwerde superprovisorisch
die aufschiebende Wirkung erteilt.
Mit Präsidialverfügung vom 2. Juli 2015 wurde festgestellt, dass der Beschwerde
von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukommt.
Beide Verfügungen wurden jeweils auch dem Notariat Riesbach-Zürich schriftlich
mitgeteilt.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein
Rechtsmittel zulässig ist (BGE 139 III 133 E. 1 S. 133 mit Hinweisen). Das
angefochtene Urteil betrifft eine Zivilsache (Art. 72 BGG) und ist von einem
oberen kantonalen Gericht erlassen worden, das als Fachgericht für
handelsrechtliche Streitigkeiten als einzige kantonale Instanz eingesetzt ist
(Art. 75 Abs. 1 lit. b BGG). Die Beschwerdeführerin ist mit ihren Begehren
unterlegen (Art. 76 BGG), die Beschwerde (bestehend aus zwei Eingaben datierend
vom 2. Juni 2015 und 29. Juni 2015) richtet sich gegen einen Endentscheid (Art.
90 BGG) und ist innert der Beschwerdefrist eingereicht worden (Art. 100 BGG).
Auf die Beschwerde in Zivilsachen ist unter Vorbehalt einer gehörigen
Begründung (Art. 42 Abs. 2 BGG und Art. 106 Abs. 2 BGG) einzutreten.

2.
Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe Art. 699 Abs. 3 Satz 2 OR
verletzt, indem sie davon ausgegangen sei, der Beschwerdegegner verfüge über
ein Traktandierungsrecht. Denn ein solches komme ausweislich des
Gesetzeswortlauts nur Aktionären mit Aktien im Nennwert von mindestens Fr. 1
Mio. zu. Nachdem die Gesellschaft aber nur über ein Aktienkapital von Fr.
100'000.-- verfüge, sei ausgeschlossen, dass der Beschwerdegegner Aktien im
Nennwert von mindestens Fr. 1 Mio. halte.

2.1. Gemäss Art. 699 Abs. 3 OR kann die Einberufung einer Generalversammlung
von einem oder mehreren Aktionären, die zusammen mindestens 10 Prozent des
Aktienkapitals vertreten, verlangt werden (Satz 1). Aktionäre, die Aktien im
Nennwerte von 1 Million Franken vertreten, können die Traktandierung eines
Verhandlungsgegenstands verlangen (Satz 2). Einberufung und Traktandierung
werden schriftlich unter Angabe des Verhandlungsgegenstands und der Anträge
anbegehrt (Satz 3).

2.2. Die Vorinstanz stellte fest, dass der Beschwerdegegner 50 % der Aktien der
Beschwerdeführerin halte. Sie erwog sodann, dass nach richtigem Verständnis des
Art. 699 Abs. 3 OR ein formgültiges Begehren um Einberufung der
Generalversammlung gerade die Angabe eines Verhandlungsgegenstands (Traktandum)
sowie einen damit verbundenen konkreten Antrag voraussetze. Der Einwand der
Beschwerdeführerin bezüglich des Fehlens eines Traktandierungsrechts des
Beschwerdegegners sei unbehelflich.

2.3. Nach dem reinen Wortlaut von Art. 699 Abs. 3 Satz 2 OR stünde das
Traktandierungsrecht nur Aktionären mit Aktien im Nennwert von Fr. 1 Mio. zu
(so nebst der deutschen auch die französische und italienische Fassung des
Gesetzestexts: "Des actionnaires qui représentent des actions totalisant une
valeur nominale de 1 million de francs peuvent requérir l'inscription d'un
objet à l'ordre du jour"; "Azionisti che rappresentano azioni per un valore
nominale di 1 milione di franchi possono chiedere l'iscrizione di un oggetto
all'ordine del giorno"). In der Lehre wird indessen nahezu einhellig vertreten,
dass die Formulierung des Normtexts auf einem Versehen des Gesetzgebers beruhe.
Richtig gelesen gehe das Traktandierungsrecht mit dem Einberufungsrecht einher
und komme daher  auch jenen Aktionären zu, die über Aktien verfügen, die zwar
keinen Nennwert von Fr. 1 Mio. aufweisen, aber doch 10 % des Aktienkapitals
ausmachen. Denn sonst wäre ein Traktandierungsrecht in allen
Aktiengesellschaften mit weniger als Fr. 1 Mio. Aktienkapital gar nicht
denkbar, was statistisch gesehen auf über 90 % aller Aktiengesellschaften in
der Schweiz zuträfe ( PETER BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 12
N. 61 ff.; ihm folgend DUBS/TRUFFER, in: Basler Kommentar, 4. Aufl. 2012, N. 23
zu Art. 699 OR; PETER/CAVADINI, in: Commentaire romand, 2008, N. 22 zu Art. 699
OR; BRIGITTE TANNER, in: Zürcher Kommentar, 2003, N. 73 zu Art. 699 OR;
MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 11. Aufl. 2012, §
16 N. 362; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, 1996; §
23 N. 27; VON BÜREN/STOFFEL/WEBER, Grundriss des Aktienrechts, 3. Aufl. 2011,
N. 506; HANS CASPAR VON DER CRONE, Aktienrecht, 2014, § 5 N. 101; STEFAN
KNOBLOCH, Das System zur Durchsetzung von Aktionärsrechten, 2011, S. 419, insb.
Fn. 1805; JERMINI/DOMENICONI, in: Honsell [Hrsg.], Kurzkommentar OR, 2014, N. 7
zu Art. 699 OR; a.M. PETER V. KUNZ, Der Minderheitenschutz im schweizerischen
Aktienrecht, 2001, § 11 N. 143 f., der den Ausschluss eines klageweise
durchsetzbaren Traktandierungsrechts in kleineren Aktiengesellschaften mit
tiefem Aktienkapital hinnehmen will).
Der herrschenden Lehre ist zu folgen: Es kann nicht dem gesetzgeberischen
Willen entsprochen haben, ein Traktandierungsrecht nur in Aktiengesellschaften
mit mindestens Fr. 1 Mio. Aktienkapital vorzusehen. Vielmehr müssen diejenigen
Aktionäre, die eine Einberufung der Generalversammlung verlangen können, auch
zur Traktandierung eines Verhandlungsgegenstands berechtigt sein. Ein
Traktandierungsrecht steht mithin jenen Aktionären zu, die über 10 % des
Aktienkapitals  oder über Aktien im Nennwert von Fr. 1 Mio. verfügen (vgl. auch
das Urteil 4A_507/2014 vom 15. April 2015, mit dem das Bundesgericht ein
Einberufungs- und Traktandierungsbegehren eines Aktionärs gutgeheissen hat, der
über Aktien verfügte, die 85 % eines Aktienkapitals von lediglich Fr.
100'000.-- ausmachten).

2.4. Die Beschwerdeführerin bestreitet vor Bundesgericht nicht, dass der
Beschwerdegegner über Aktien verfügt, die mindestens 10 % des Aktienkapitals
ausmachen. Die Vorinstanz hat den Einwand, der Beschwerdegegner verfüge über
kein Traktandierungsrecht, somit zu Recht verworfen. Ein Verstoss gegen Art.
699 Abs. 3 Satz 2 OR liegt nicht vor.

3.
Die Beschwerdeführerin rügt sodann, die Vorinstanz habe Art. 699 Abs. 3 Satz OR
verletzt, indem sie das Einberufungsgesuch auch hinsichtlich gewisser
Traktanden gutgeheissen habe, die zu nichtigen Generalversammlungsbeschlüssen
führen würden. So würden sich die Genehmigung des Jahresberichts und der
Jahresrechnung sowie die Fassung eines Beschlusses über die Verwendung des
Bilanzgewinnes als nichtig erweisen, da ein revidierter Jahresabschluss nicht
vor Mitte September 2015 vorliegen werde. Weiter falle der anbegehrte
Verrechnungsbeschluss nicht in die Zuständigkeit der Generalversammlung und
werde daher ebenfalls nichtig sein. Zudem habe die Vorinstanz es unterlassen,
ein vom Beschwerdegegner glaubhaft zu machendes Interesse an den anbegehrten
Traktanden zu überprüfen. Auch damit habe sie Art. 699 Abs. 3 OR verletzt.

3.1. Gemäss Art. 699 Abs. 4 OR hat der Richter auf Antrag der Gesuchsteller die
Einberufung der Generalversammlung anzuordnen, wenn der Verwaltungsrat diesem
Begehren nicht binnen angemessener Frist entspricht. Bei der Beurteilung eines
Einberufungsgesuchs gestützt auf Art. 699 Abs. 4 OR sind nur  formelle Fragen
 zu prüfen, d.h. ob der oder die Gesuchsteller Aktionäre sind, die formellen
Voraussetzungen von Art. 699 Abs. 3 Satz 1 OR erfüllt sind und ob tatsächlich
ein Einberufungsbegehren an den Verwaltungsrat gestellt wurde, dem innert
angemessener Frist nicht entsprochen wurde (BGE 112 II 145 E. 2a S. 147; 102 Ia
209 E. 2 S. 210 f.; Urteil 4A_605/2014 vom 5. Februar 2015 E. 2.1.2: CHRISTOPH
D. STUDER, Die Einberufung der Generalversammlung der Aktiengesellschaft, 1995,
S. 10; WERNER HAGMANN, Das Mitwirkungs- und Eingriffsrecht des Richters im
Bereiche der Aktiengesellschaft, 1939, S. 43 f.).
Der Einberufungsrichter unterzieht das Einberufungs- und
Traktandierungsbegehren keiner materiellen Prüfung. Denn bei der richterlichen
Einberufung gestützt auf Art. 699 Abs. 4 OR handelt es sich um eine rein
formelle Massnahme, die inhaltlich weder die Generalversammlung noch den
Richter bindet, der über die Anfechtung von Beschlüssen entscheidet, die an der
auf richterliche Anordnung hin einberufenen Versammlung gefasst worden sind (
BGE 112 II 145 E. 2a; Urteil 4C.206/1991 vom 26. September 1991 E. 1). Der
Einberufungsrichter hat daher bei einem Einberufungsgesuch auch nicht zu
beurteilen, ob die an der Generalversammlung zu fassenden Beschlüsse gültig
sein werden; diese Fragen sind vielmehr erst im Rahmen einer allfälligen
Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage (Art. 706 ff. OR) gegen die gefassten
Beschlüsse zu prüfen (Urteil 4P.127/1991 vom 27. September 1991 E. 4).
Immerhin ist bei der Ausübung des Einberufungs- und Traktandierungsrechts das
Rechtsmissbrauchsverbot nach Art. 2 Abs. 2 ZGB zu beachten: Der offenbare
Missbrauch dieses Rechts findet keinen Rechtsschutz ( HAGMANN, a.a.O., S. 43
f.). Der Einberufungsrichter hat mithin einem Einberufungs- und
Traktandierungsbegehren nicht stattzugeben, wenn sich dieses als offensichtlich
missbräuchlich oder schikanös herausstellt.

3.2. Die Rügen der Beschwerdeführerin sind unbegründet: Die Vorinstanz musste
lediglich überprüfen, ob der Beschwerdegegner Aktionär ist, über 10 % des
Aktienkapitals verfügt und bereits ein Einberufungsbegehren an den
Verwaltungsrat gestellt hat, dem innert angemessener Frist nicht entsprochen
wurde. Dass die Vorinstanz diese Fragen unrichtig beurteilt hätte, macht die
Beschwerdeführerin - bis auf die Frage der angemessenen Frist (dazu unten E. 4)
- nicht geltend. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin musste die
Vorinstanz indessen gerade nicht prüfen, ob die anbegehrten Traktanden und
Beschlussanträge überhaupt zu gültigen Beschlüssen führen würden. Ebensowenig
musste die Vorinstanz prüfen, welches Interesse der Beschwerdegegner mit seinen
Begehren verfolgt; einzig ein offenbarer Missbrauch des Einberufungs- und
Traktandierungsrechts wäre nicht zu schützen gewesen.
Einen Rechtsmissbrauch hat die Beschwerdeführerin nun aber weder behauptet noch
ist ein solcher ersichtlich: Inwiefern die Traktandierung der Genehmigung von
Jahresrechnung und Jahresbericht und der Verwendung des Bilanzgewinnes
missbräuchlich sein soll, vermag zum Vornherein nicht einzuleuchten, handelt es
sich hierbei doch um unübertragbare Befugnisse der Generalversammlung (Art. 698
Abs. 2 Ziff. 3 und 4 OR). Ebenfalls ist nicht ersichtlich, inwiefern der
Antrag, wonach der auf den Beschwerdegegner fallende Anteil der Dividenden mit
dessen Schulden gegenüber der Gesellschaft zu verrechnen sei,
rechtsmissbräuchlich oder schikanös sein soll: Zwar könnte der Beschwerdegegner
die angestrebte Verrechnung auch selber durch Abgabe einer eigenen
Verrechnungserklärung herbeiführen, dies macht aber den Antrag, auch die
Gesellschaft solle Verrechnung erklären, nicht geradezu rechtsmissbräuchlich.
Ob die Verrechnungsbefugnis überhaupt in der Kompetenz der Generalversammlung
steht, ist im Rahmen eines Gesuchs nach Art. 699 Abs. 4 OR nicht zu prüfen.

3.3. Schliesslich geht die Beschwerdeführerin ebenfalls fehl, soweit sie der
Vorinstanz eine Verletzung von Art. 8 ZGB aufgrund einer falschen Verteilung
der Beweislast bzw. eines unrichtigen Beweismasses hinsichtlich der Frage der
Gültigkeit der angestrebten Generalversammlungsbeschlüsse vorwirft. Denn wie
soeben ausgeführt, ist die Gültigkeit der angestrebten
Generalversammlungsbeschlüsse im Rahmen eines Einberufungs- und
Traktandierungsgesuchs nach Art. 699 Abs. 4 OR gerade nicht zu beurteilen,
weshalb diesbezüglich auch keine Behauptungs- und Beweislast besteht. Entgegen
der Auffassung der Beschwerdeführerin hat die Vorinstanz dieser denn auch nicht
die Beweislast betreffend das Vorliegen eines revidierten Jahresabschlusses
auferlegt. Ob ein solcher tatsächlich vorliegen wird, ist für die Beurteilung
des Traktandierungsgesuchs irrelevant und würde erst im Rahmen einer
allfälligen Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gegen den Genehmigungsbeschluss
zu prüfen sein.

4.
Die Beschwerdeführerin rügt sodann, die Vorinstanz habe bei der Beurteilung der
angemessenen Frist i.S. von Art. 699 Abs. 4 OR, binnen derer der Verwaltungsrat
einem Einberufungsbegehren hätte entsprechen müssen, die fehlende Verfügbarkeit
des Revisionsberichts unberücksichtigt gelassen.

4.1. Die Beurteilung, ob eine bestimmte Frist i.S. von Art. 699 Abs. 4 OR als
angemessen erscheint, ist Ermessensfrage (vgl. Urteil 4C.272/2001 vom 4. Juni
2002 E. 5.1.1, nicht publ. in BGE 128 III 375). Bei der Überprüfung derartiger
Ermessensentscheide auferlegt sich das Bundesgericht Zurückhaltung. Es
schreitet nur ein, wenn die Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung
anerkannten Grundsätzen abgegangen ist, wenn Tatsachen berücksichtigt wurden,
die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn umgekehrt Umstände ausser
Betracht geblieben sind, die zwingend hätten beachtet werden müssen. In
Ermessensentscheide wird ferner eingegriffen, wenn sich diese als
offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 141
III 97 E. 11.2; 138 III 443 E. 2.1.3., 669 E. 3.1 S. 671, je mit Hinweisen).

4.2. Die Vorinstanz erwog unter Hinweis auf die Lehre, dass für die
Vorbereitung einer ordentlichen Generalversammlung - um die es hier geht - ein
Zeitraum von vier bis sechs bzw. fünf bis acht Wochen als angemessen erscheine.
Aus Art. 699 Abs. 2 und Art. 696 Abs. 1 OR ergebe sich sodann, dass nach den
Vorstellungen des Gesetzgebers der Geschäfts- und Revisionsbericht spätestens
bis 20 Tage vor der innerhalb von sechs Monaten nach Schluss des Geschäftsjahrs
durchzuführenden ordentlichen Generalversammlung fertig gestellt werden könne.
Art. 958 Abs. 3 OR sehe denn auch explizit vor, dass der Geschäftsbericht
innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Geschäftsjahrs zu erstellen und dem
zuständigen Organ, also der Generalversammlung, zur Genehmigung vorzulegen sei.
Die Vorinstanz hielt weiter fest, dass der Beschwerdegegner die
Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 25. November 2014 unter Angabe von
Traktanden und Beschlussanträgen aufgefordert habe, die ordentliche
Generalversammlung einzuberufen. In diesem Zeitpunkt sei die gesetzlich
vorgesehene sechsmonatige Frist zur Abhaltung der ordentlichen
Generalversammlung betreffend das Geschäftsjahr freilich längst abgelaufen
gewesen. Unter diesen Umständen sei dem von der Beschwerdeführerin geltend
gemachten Nichtvorliegen des Geschäfts- und Revisionsberichts 2013 keine
zusätzliche Bedeutung beizumessen. Ohnehin sei im Zeitpunkt der Klageeinleitung
am 5. März 2015 die in der Lehre als angemessen genannte Frist von fünf bis
acht Wochen bei weitem eingehalten gewesen.

4.3. Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden: Im Zeitpunkt der Klageerhebung
am 5. März 2015 hätte der Revisionsbericht für das Jahr 2013 längst vorliegen
müssen. Zwischen dem Schreiben vom 25. November 2014 und der Klageerhebung am
5. März 2015 sind zudem mehr als acht Wochen verstrichen. Dies allein reicht
aus, um von einer angemessenen Frist auszugehen, binnen derer der
Verwaltungsrat der Beschwerdeführerin dem Einberufungsbegehren hätte
entsprechen müssen. Die Beschwerdeführerin geht jedenfalls fehl, wenn sie der
Vorinstanz vorwirft, diese habe die fehlende Verfügbarkeit dieses Berichts
unberücksichtigt gelassen.

5.
Die Beschwerdeführerin macht sodann geltend, die Vorinstanz habe Art. 59 Abs. 2
lit. a ZPO verletzt, da der Beschwerdegegner aufgrund der "voraussichtlichen
Nichtigkeit der angestrebten Generalversammlungsbeschlüsse " gar kein
Rechtsschutzinteresse haben könne. Auf die entsprechenden Begehren habe die
Vorinstanz gar nicht eintreten dürfen.
Die Rüge ist unbegründet. Wie oben ausgeführt (E. 3.1), sind die im Rahmen
eines Gesuchs nach Art. 699 Abs. 4 OR anbegehrten Traktanden und
Beschlussanträge inhaltlich nicht darauf hin zu überprüfen, ob sie zu einem
gültigen Beschluss führen werden. Ist eine solche Beurteilung im Rahmen der
Sachprüfung nicht vorzunehmen, ist sie erst recht nicht bei der
Eintretensprüfung unter dem Titel des Rechtsschutzinteresses nach Art. 59 Abs.
2 lit. a ZPO vorzunehmen.

6.
Abschliessend wirft die Beschwerdeführerin der Vorinstanz eine Verletzung ihres
rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) vor, indem diese weitere Einwände
betreffend die Gültigkeit des Verrechnungsantrags (Verletzung der
Kompetenzordnung sowie der Einheit der Materie) unbeurteilt gelassen habe.
Auch diese Rüge geht fehl. Nachdem die anbegehrten Traktanden und
Beschlussanträge inhaltlich nicht zu überprüfen waren, brauchte sich die
Vorinstanz mit den entsprechenden Einwänden gegen die Gültigkeit der
angestrebten Beschlüsse nicht im Einzelnen zu befassen. Denn der Anspruch auf
das rechtliche Gehör erheischt nicht, dass sich das Gericht mit allen
Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen
ausdrücklich widerlegt. Es darf sich in seinem Entscheid auf die wesentlichen
Gesichtspunkte und Leitlinien beschränken und braucht sich nicht mit jedem
sachverhaltsbezogenen oder rechtlichen Einwand auseinanderzusetzen (BGE 135 III
670 E. 3.3.1 S. 677; 126 III 97 E. 2b S. 102; 130 II 530 E. 4.3 S. 540).

7.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen und der angefochtene Entscheid
zu bestätigen.
Da es sich beim angefochtenen Entscheid um ein Gestaltungsurteil handelt, kommt
der vorliegenden Beschwerde von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zu (Art.
103 Abs. 2 lit. a BGG; vgl. die Präsidialverfügung vom 2. Juli 2015). Die in
Dispositiv-Ziffer 2 des angefochtenen Entscheids dem Notar des Notariatskreises
Riesbach-Zürich angesetzte Frist zur Einberufung der Generalversammlung ist
daher mit Einlegung der Beschwerde aufgeschoben worden und beginnt erst mit
Zustellung des vorliegenden Entscheids an den Notar (neu) zu laufen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG und Art. 68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 6'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 7'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Handelsgericht des Kantons Zürich und dem
Notariat und Grundbuchamt Riesbach-Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. November 2015

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Kiss

Der Gerichtsschreiber: Hurni

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