Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.271/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
4A_271/2015

Urteil vom 29. September 2015

I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Kolly,
Bundesrichterinnen Hohl, Niquille,
Gerichtsschreiber Leemann.

Verfahrensbeteiligte
A.________, Kollektivgesellschaft,
vertreten durch Fürsprecher Harold Külling,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Erich Rüegg,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Verfassungsmässiges Gericht, rechtliches Gehör,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht,
2. Kammer, vom 18. März 2015.

Sachverhalt:

A.

 Mit Werkvertrag vom 1. November 2005 beauftragte B.________ (Beklagter,
Widerkläger, Beschwerdegegner) die Kollektivgesellschaft A.________ (Klägerin,
Widerbeklagte, Beschwerdeführerin) mit den Baumeisterarbeiten für den Neubau
eines Einfamilienhauses. Während der Umsetzung des Bauprojekts entstand ein
Streit um die Entschädigungshöhe, in dessen Folge die Klägerin die Arbeiten
einstellte und der Beklagte daraufhin die Baumeisterarbeiten durch eine
Drittfirma fertigstellen liess.

B.

B.a. Mit Klage vom 23. Januar 2007 beim Bezirksgericht Baden beantragte die
Klägerin im Wesentlichen die definitive Eintragung eines
Bauhandwerkerpfandrechts für eine Pfandsumme von Fr. 102'125.80 nebst Zins zu 5
% seit 23. Mai 2005 auf dem Grundstück des Beklagten und die Verpflichtung des
Beklagten zur Zahlung dieses Betrages nebst Zins.

 Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und verlangte widerklageweise,
die Widerbeklagte sei zu verpflichten, ihm Fr. 193'537.15 nebst Zins zu 5 % von
Fr. 168'865.-- seit 30. September 2006, von Fr. 20'330.75 seit 23. Dezember
2005 und von Fr. 4'341.40 seit 5. Oktober 2006 zu bezahlen.

 Am 10. November 2009 fand die Hauptverhandlung vor Bezirksgericht Baden mit
Befragung der Parteien sowie acht Zeugen statt. Das Gericht tagte unter dem
Präsidium von Peter Rüegg mit den Bezirksrichtern Heinz Meier und Bruno Burkart
sowie den Bezirksrichterinnen Monica Benz und Barbara Funk. Es beschloss, bei
Guy Lanfranconi, Mitglied der Schweizerischen Gerichtsexpertenkammer, ein
gerichtliches Gutachten einzuholen.

 Mit Urteil vom 19. August 2014 wies das Bezirksgericht Baden die Klage
kostenfällig ab und verpflichtete die Klägerin in teilweiser Gutheissung der
Widerklage, dem Beklagten und Widerkläger Fr. 110'490.50 nebst Zins zu
bezahlen. Das Grundbuchamt Baden wurde angewiesen, das zugunsten der Klägerin
auf dem Grundstück des Beklagten vorläufig eingetragene Bauhandwerkerpfandrecht
zu löschen. Das Gericht tagte unter dem Präsidium von Peter Rüegg mit den
Bezirksrichterinnen Caroline Conrad und Marlies Messmer sowie den
Bezirksrichtern Peter Flühmann und Gerard Hossmann.

B.b. Die Klägerin erhob Berufung und der Beklagte Anschlussberufung beim
Obergericht des Kantons Aargau. Mit Urteil vom 18. März 2015 wies das
Obergericht die Berufung der Klägerin kostenfällig ab, soweit darauf
eingetreten werden konnte und hiess die Anschlussberufung des Beklagten
teilweise gut. Es verpflichtete die Klägerin, dem Beklagten Fr. 144'655.50
nebst Zins zu bezahlen (Dispositiv-Ziff. 2.1) und wies das Grundbuchamt Baden
an, das zugunsten der Klägerin und Widerbeklagten auf dem Grundstück GB
Bergdietikon Nr. xxx, vorläufig eingetragene Bauhandwerkerpfandrecht für den
Betrag von Fr. 102'125.80 nebst Zins zu 5 % seit 23. Mai 2006 nach Rechtskraft
dieses Entscheids zu löschen (Dispositiv-Ziff. 2.2).

C.

 Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem
Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 18. März 2015
sei kostenfällig aufzuheben, das Grundbuchamt Baden sei anzuweisen, auf dem
Grundstück des Beschwerdegegners GB Bergdietikon Nr. xxx, ein
Bauhandwerkerpfandrecht für eine Pfandsumme von Fr. 78'934.-- nebst Zins zu 5 %
seit 23. Mai 2005 zugunsten der Beschwerdeführerin definitiv einzutragen und
der Beschwerdegegner sei zu verpflichten, ihr den Betrag von Fr. 78'934.--
nebst Zins zu 5 % seit 23. Mai 2005 zu bezahlen. Die Widerklage sei
vollumfänglich abzuweisen.

 Der Beschwerdegegner trägt auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde an,
soweit darauf einzutreten sei. Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

 Die Beschwerdeführerin hat eine Replik eingereicht.

D.

 Dem Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung für die Beschwerde wurde
mit Präsidialverfügung vom 4. August 2015 stattgegeben.

Erwägungen:

1.

 Die Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in Zivilsachen sind erfüllt.
Unter Vorbehalt einer rechtsgenüglichen Begründung (Art. 42 Abs. 2 BGG) ist auf
die Beschwerde einzutreten.

2.

 Mit Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96
BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art.
106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder eine
Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden
Begründung abweisen. Mit Blick auf die Begründungspflicht der
Beschwerdeführerin (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) behandelt es aber grundsätzlich
nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind; es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE
140 III 86 E. 2 S. 88 f., 115 E. 2 S. 116). Eine qualifizierte Rügepflicht gilt
hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten und von kantonalem Recht. Das
Bundesgericht prüft eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde
präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 49
E. 1.4.1).

3.

 Unbestritten fand auf das erstinstanzliche Verfahren die Zivilprozessordnung
des Kantons Aargau vom 18. Dezember 1984 (nachfolgend: ZPO/AG) Anwendung, auf
das Berufungsverfahren dagegen die Schweizerische Zivilprozessordnung (SR 272;
nachfolgend: ZPO).

4.

 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV durch eine
überlange Verfahrensdauer. Die Verfassungsbestimmung räumt einen allgemeinen
Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist ein (vgl. BGE 133 I 270 E.
1.2.2 mit Hinweisen auf weitere Verfassungsbestimmungen mit spezifischen
Beschleunigungsgeboten) Es kann offenbleiben, ob die Dauer angesichts der
massgeblichen Kriterien (dazu Urteil 4A_744/2011 vom 12. Juli 2012 E. 11.2;
vgl. auch BGE 137 I 23 E. 2.4.3 S. 27; 135 I 265 E. 4.4; 127 III 385 E. 3a; je
mit Hinweisen) als angemessen zu bezeichnen wäre. Macht eine Partei eine
behauptete Rechtsverzögerung nicht während laufendem Verfahren geltend, sondern
erst nach abgeschlossenem Verfahren, kann diese nicht mehr rückgängig gemacht
werden. Diesfalls fällt als Sanktion die blosse Feststellung als
Wiedergutmachung in Betracht und allenfalls die Berücksichtigung bei der
Kostenregelung (BGE 138 II 513 E. 6.5; Gerold Steinmann, in: Bernhard
Ehrenzeller und andere [Hrsg.], Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler
Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 26 zu Art. 29 BV). Die Beschwerdeführerin hat aber
keine entsprechende Feststellung beantragt und die Kosten des vorliegenden
Verfahrens gehen - wie noch zu zeigen ist - ohnehin nicht zu ihren Lasten.

5.

 Die Beschwerdeführerin beanstandet vor allem, dass während des
bezirksgerichtlichen Verfahrens, zwischen der Hauptverhandlung vom 10. November
2009 und der Urteilsfällung vom 19. August 2014, ausser dem Gerichtspräsidenten
alle vier mitwirkenden Bezirksrichter ausgewechselt worden sind. Sie rügt eine
Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) und des Anspruchs auf ein
verfassungsmässiges Gericht (Art. 30 Abs. 1 BV).

 Ob ein Gericht in ordnungsgemässer Zusammensetzung entschieden hat, beurteilt
sich in erster Linie nach dem einschlägigen kantonalen Organisations- und
Verfahrensrecht. Die Beschwerdeführerin nennt keine kantonale Vorschrift, die
eine Veränderung des Spruchkörpers während der Rechtshängigkeit eines
Zivilprozesses verbieten und hier verletzt sein könnte (Art. 106 Abs. 2 BGG).
Sie verweist einzig auf einen Entscheid der Vorinstanz, wonach nach der ZPO/AG
der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebungen vor dem erkennenden
Gericht in voller Besetzung gegolten habe. Im zitierten Entscheid (in: AGVE
1992 Nr. 30 S. 100 f.) wird aber vielmehr festgehalten, in der aargauischen
Zivilprozessordnung fehle im Gegensatz zu anderen kantonalen
Zivilprozessgesetzen eine Prozessvorschrift, wonach das Gericht im Zeitpunkt
der Urteilsfällung mit denjenigen Richtern zu besetzen sei, die an den
wesentlichen Prozesshandlungen und damit auch an den Beweisverhandlungen des
vorausgegangenen Verfahrens teilgenommen haben (vgl. auch das Urteil des
Bundesgerichts 5A_429/2011 vom 9. August 2011 E. 3.1). Im Übrigen verweist die
Beschwerdeführerin selber auf § 5 Abs. 1 des aargauischen
Gerichtsorganisationsgesetzes vom 6. Dezember 2011 (SAR 155.200; GOG/AG) und
rügt, dass diese Bestimmung nicht befolgt worden sei; danach müssten, wenn
während der Dauer des Verfahrens die Zusammensetzung des Gerichts ändere, die
Parteien darüber in Kenntnis gesetzt werden. Die Pflicht zur Bekanntgabe nach §
5 Abs. 1 GOG/AG würde aber keinen Sinn machen, wenn nach kantonalem Recht eine
Änderung der Besetzung nicht zulässig wäre.

 In rechtlicher Hinsicht kann das Bundesgericht deshalb frei prüfen, ob die
Auswechslung der vier Bezirksrichter während des hängigen Zivilprozesses oder
allenfalls ab einem bestimmten Verfahrensstadium den Anspruch auf rechtliches
Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; vgl. BGE 135 I 279 E. 2.2 S. 281) oder die Garantie
des verfassungsmässigen Gerichts (Art. 30 Abs. 1 BV; vgl. BGE 136 I 207 E. 3.1)
verletzt (vgl. auch zit. Urteil 5A_429/2011 E. 3.1).

6.

6.1. Ob eine nachträgliche Änderung im einmal gebildeten Spruchkörper zulässig
ist, hat die ältere Rechtsprechung nicht unter dem Blickwinkel der Garantie des
verfassungsmässigen Gerichts geprüft (vgl. BGE 96 I 321 E. 2a), sondern als
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Danach haben die
Prozessparteien einen Anspruch darauf, dass kein Gerichtsmitglied urteilt, das
nicht Kenntnis von ihren Vorbringen und vom Beweisverfahren hat. Der Anspruch
auf rechtliches Gehör ist deshalb verletzt und das Verfahren (ganz oder
teilweise) zu wiederholen, wenn nicht alle an der Beurteilung beteiligten
Gerichtsmitglieder an der ausschliesslich mündlichen, in keinem Protokoll
festgehaltenen Beweisabnahme mitgewirkt haben. Er ist umgekehrt gewahrt, soweit
dem an der Beurteilung neu teilnehmenden Gerichtsmitglied der Prozessstoff
durch Aktenstudium zugänglich gemacht werden kann und dadurch alle am Urteil
mitwirkenden Gerichtsmitglieder die gleichen Kenntnisse haben (vgl. BGE 96 I
321 E. 2b und 2c; 117 Ia 133 E. 1e).

6.2. Nach der neueren Rechtsprechung kann auch der Anspruch auf ein durch
Gesetz geschaffenes Gericht verletzt sein (Art. 30 Abs. 1 BV), wenn die
Zusammensetzung des Spruchkörpers im Verlauf des Verfahrens ohne hinreichende
sachliche Gründe geändert wird. Jede Besetzung, die sich nicht mit sachlichen
Gründen rechtfertigen lässt, verletzt die Garantie des verfassungsmässigen
Richters (BGE 137 I 340 E. 2.2.1 S. 342 mit Hinweisen). Eine Veränderung der
Besetzung ist einzelfallbezogen zulässig, beispielsweise wenn ein Mitglied des
Gerichts aus Altersgründen ausscheidet oder wegen einer länger dauernden
Krankheit oder Mutterschaftsurlaub das Amt nicht ausüben kann oder wenn eine
Neukonstituierung des Gerichts die Auswechslung erfordert (zit. Urteil 5A_429/
2011 E. 3 sowie die Urteile 4A_473/2014 vom 11. Dezember 2014 E. 4; 8C_58/2014
vom 24. September 2014 E. 2.3; 1B_277/2013 vom 15. April 2014 E. 2; 4A_263/2012
vom 22. Oktober 2012 E. 2.1.2; 6P.102/2005 vom 26. Juni 2006 E. 2.2).

7.

 Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29
Abs. 2 BV) als Folge der Auswechslung der Richterbank rügt, ist ihre Rüge
unbegründet. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz wurde die erstinstanzliche Hauptverhandlung mit der Befragung der
Parteien und der acht Zeugen schriftlich protokolliert. Den neu teilnehmenden
Gerichtsmitgliedern war der Prozessstoff somit durch Aktenstudium zugänglich,
womit die oben dargestellten Grundsätze (E. 6.1) gewahrt wurden.

8.

8.1. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hatte die Beschwerdeführerin
bereits im Berufungsverfahren ihren Anspruch auf Beurteilung durch ein
gesetzmässiges Gericht als verletzt gerügt, weil von den an der
Hauptverhandlung anwesenden fünf Richtern nur noch der Präsident an der Fällung
des Urteils beteiligt war. Die Vorinstanz trat aber auf die Rüge einer
Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV nicht ein. Denn die Beschwerdeführerin habe
nicht substanziiert behauptet, inwiefern der Wechsel des Spruchkörpers
vorliegend ungerechtfertigt gewesen sein soll. Sie habe mit ihrer Berufung
selber eingeräumt, dass eine Änderung des Spruchkörpers im Einzelfall zulässig
sein könne.

8.2. Die Vorinstanz stützte sich für ihren Nichteintretensentscheid nicht
ausdrücklich auf eine bestimmte rechtliche Grundlage. Da sie nicht eintrat, ist
indessen anzunehmen, dass sie die von ihr gerügte mangelhafte Substanziierung
als Begründungsmangel im Sinn von Art. 311 Abs. 1 ZPO auffasste. Begründen im
Sinn dieser Bestimmung bedeutet aufzuzeigen, inwiefern der angefochtene
Entscheid fehlerhaft sei (BGE 138 III 374 E. 4.3.1 S. 375; Urteile 4A_290/2014
vom 1. September 2014 E. 3.1 und 5A_438/2012 vom 27. August 2012 E. 2.2). Die
vorliegende Kritik der Beschwerdeführerin bezog sich aber nicht auf den Inhalt
des angefochtenen erstinstanzlichen Entscheids, sondern auf einen
Verfahrensmangel. Diesbezüglich hat die Beschwerdeführerin konkret dargelegt, 
worin sie die Rechtsverletzung (Art. 310 lit. a ZPO) erblickt, nämlich im
Auswechseln von vier Richtern. Mehr konnte von ihr nicht verlangt werden, zumal
Art. 310 f. ZPO (anders als Art. 106 Abs. 2 BGG) keine Einschränkungen
hinsichtlich von (Verfahrens-) Grundrechten vorsieht.

 Sofern die Vorinstanz mit dem Hinweis auf die mangelhafte Substanziierung aber
die Auffassung vertreten sollte, es sei Sache der Rechtssuchenden darzulegen,
weshalb kein sachlicher Grund (negative Tatsache) für die Auswechslung bestand,
auch wenn seitens des Gerichts kein Grund dafür bekannt gegeben wurde, verkennt
sie die Tragweite des verfassungsrechtlichen Anspruchs. Im Zusammenhang mit dem
ebenfalls aus Art. 30 Abs. 1 BV sich ergebenden Anspruch auf einen unabhängigen
und unparteiischen Richter hat das Bundesgericht erkannt, dass es nicht Sache
der Parteien sei, nach möglichen Einwendungen gegen die betroffenen Richter zu
forschen, die sich nicht aus den öffentlich zugänglichen Informationen ergeben
(BGE 140 I 240 E. 2.4; 115 V 257 E. 4c S. 263; Regina Kiener, Richterliche
Unabhängigkeit, 2001, S. 360 f.). Es rechtfertigt sich, die Frage der
Durchsetzung des Anspruchs auf eine gesetzmässige Besetzung des Spruchkörpers
sinngemäss gleich zu beurteilen wie im Rahmen der Praxis zur Unabhängigkeit des
Gerichts (so auch Regina Kiener, Garantie des verfassungsmässigen Richters, in:
Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier [Hrsg.], Handbuch der Grundrechte in
Deutschland und Europa, Bd. VII/2, 2007, S. 719 Rz. 42). Es wäre daher Sache
des Bezirksgerichts gewesen, auf die beabsichtigte Auswechslung der vier
mitwirkenden Richterinnen und Richter und die Gründe dafür hinzuweisen. Erst
wenn der Partei die Gründe für die Besetzungsänderung bekannt gegeben worden
sind, liegt es an ihr, deren Sachlichkeit substanziiert zu bestreiten. Dieser
Obliegenheit konnte die Beschwerdeführerin nicht nachkommen, da das
Bezirksgericht den Parteien weder die beabsichtigte Änderung des Spruchkörpers
bekannt gab noch sich zu deren Gründen äusserte. Der Vorwurf der Vorinstanz,
die Beschwerdeführerin habe zu wenig substanziiert behauptet, weshalb der
Wechsel ungerechtfertigt sei, entbehrt daher der Grundlage.

 Die Vorinstanz hätte daher die geltend gemachte Verletzung von Art. 30 Abs. 1
BV prüfen müssen. Mangels Angabe von Gründen für die Auswechslung hätte sie das
Bezirksgericht zumindest im Rahmen einer Vernehmlassung zur Berufung auffordern
müssen, die Gründe für den Wechsel nachträglich anzugeben. Indem die Vorinstanz
dies unterliess und nicht eintrat, verstiess sie ihrerseits gegen Art. 30 Abs.
1 BV.

8.3. Der Anspruch gemäss Art. 30 Abs. 1 BV ist formeller Natur, womit seine
Verletzung ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur
Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides
führt (Urteil 4A_217/2012 / 4A_277/2012 vom 9. Oktober 2012 E. 6, nicht publ.
in BGE 138 I 406 betr. den Anspruch auf einen unabhängigen und unbefangenen
Richter; BGE 135 I 187 E. 2.2 mit Hinweisen betr. den Anspruch auf rechtliches
Gehör; vgl. auch Urteil 5A_523/2014 vom 13. Januar 2015 E. 2.2 a.E.). Die Sache
ist daher an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie wie dargelegt vorgeht und
erneut entscheidet.

9.

 Es rechtfertigt sich, ausnahmsweise auf die Erhebung von Gerichtskosten zu
verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdegegner hat die
Beschwerdeführerin angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

 Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des
Kantons Aargau vom 18. März 2015 wird aufgehoben. Die Sache wird an das
Obergericht zurückgewiesen.

2.

 Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.

 Der Beschwerdegegner hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.

 Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. September 2015

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Kiss

Der Gerichtsschreiber: Leemann

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