Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.246/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
4A_246/2015

Urteil vom 17. August 2015

I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterinnen Hohl, Niquille,
Gerichtsschreiberin Marti-Schreier.

Verfahrensbeteiligte
Versicherung A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Philipp,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Michèle Wehrli Roth,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Taggeldversicherung; Beweislast,

Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau, 3.
Kammer, vom 10. März 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. B.________ (Klägerin, Beschwerdegegnerin) arbeitete ab August 2010 als
Lehrerin an der Schule U.________ und war aufgrund dieses Arbeitsverhältnisses
bei der Versicherung A.________ AG (Beklagte, Beschwerdeführerin) gegen
Erwerbsausfall nach VVG taggeldversichert.

A.b. Nach einer Auseinandersetzung mit den Schulbehörden machte B.________ ab
dem 29. November 2010 eine vollständige Arbeitsunfähigkeit geltend. Am 1. April
2011 kündigte B.________ das Arbeitsverhältnis auf den 31. Juli 2011.

A.c. Die Versicherung A.________ AG erbrachte nach Ablauf der Wartefrist ab dem
28. Mai 2011 Taggeldzahlungen.

A.d. Im Auftrag der Versicherung A.________ AG verfasste Dr. med. C.________,
Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, einen psychiatrischen
Gutachtensbericht, datierend vom 28. Februar 2012. Er attestierte B.________
aus medizinisch-psychiatrischer Sicht in ihrem angestammten Beruf und in
sämtlichen zumutbaren Verweistätigkeiten eine Arbeitsfähigkeit zu 100 %.

A.e. Mit Schreiben vom 9. März 2012 teilte die Versicherung A.________ AG
B.________ mit, bei ihr könne keine Diagnose festgestellt werden, welche
versicherungsmedizinisch eine Arbeitsunfähigkeit begründen würde, weshalb die
Taggeldzahlungen per sofort eingestellt würden.

A.f. Mit Verfügung vom 20. August 2012 entschied die IV-Stelle Aargau, das
Leistungsbegehren von B.________ um berufliche Massnahmen werde abgewiesen, da
bei ihr keine gesundheitliche Beeinträchtigung vorliege, welche die
Arbeitsfähigkeit dauerhaft einschränken würde.

A.g. Nach weiteren medizinischen Abklärungen hielt die Versicherung A.________
AG mit Schreiben vom 31. März 2014 an der Taggeldeinstellung per 9. März 2012
fest.

B.
Am 1. Juli 2014 erhob B.________ beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau
Klage und beantragte, die Versicherung A.________ AG sei zu verurteilen, ihr
vom 10. März 2012 bis 25. Juli 2012 weiterhin Taggeldleistungen in der Höhe von
Fr. 292.81 pro Tag nebst Zins zu bezahlen. Eventualiter sei ein unabhängiges
Fachgutachten über die Frage der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in Auftrag zu
geben und anschliessend über den Taggeldanspruch zu entscheiden.

 Mit Urteil vom 10. März 2015 hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
die Klage gut und verpflichtete die Versicherung A.________ AG, B.________ für
den Zeitraum vom 10. März bis 25. Juli 2012 auf der Grundlage einer
Arbeitsunfähigkeit zu 100 % und einem Taggeldansatz von Fr. 292.81 Taggelder in
der Höhe von insgesamt Fr. 40'408.-- nebst Zins zu bezahlen.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 6. Mai 2015 beantragt die Versicherung
A.________ AG dem Bundesgericht, das Urteil des Versicherungsgerichts des
Kantons Aargau sei aufzuheben und die Klage sei abzuweisen.

 Die Beschwerdegegnerin beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die Vorinstanz
hat auf Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Zu beurteilen ist die Leistungspflicht aus einer Zusatzversicherung zur
sozialen Krankenversicherung. Derartige Zusatzversicherungen unterstehen gemäss
Art. 12 Abs. 2 und 3 des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die
Krankenversicherung (KVG; SR 832.10) dem Bundesgesetz vom 2. April 1908 über
den Versicherungsvertrag (VVG; SR 221.229.1). Streitigkeiten aus solchen
Versicherungen sind privatrechtlicher Natur, womit als Rechtsmittel an das
Bundesgericht die Beschwerde in Zivilsachen gemäss Art. 72 ff. BGG in Betracht
kommt (BGE 138 III 2 E. 1.1 S. 3; 133 III 439 E. 2.1 S. 441 f. mit Hinweis).

 Die Beschwerde richtet sich gegen einen Endentscheid (Art. 90 BGG). Das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau hat als einzige kantonale Instanz im
Sinne von Art. 7 ZPO und Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG entschieden, weshalb die
Beschwerde in vermögensrechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 74 Abs. 2 lit. b
BGG unabhängig vom Erreichen der Streitwertgrenze nach Art. 74 Abs. 1 BGG
zulässig ist (vgl. BGE 138 III 2 E. 1.2.2 S. 4 ff., 799 E. 1.1 S. 800). Die
Beschwerdefrist ist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 i.V.m. Art. 46 Abs. 1 lit. a
BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist unter
Vorbehalt rechtsgenügend begründeter Rügen auf die Beschwerde einzutreten.

2.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 8 ZGB. Die Vorinstanz habe
ihr zu Unrecht die Beweislast für die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdegegnerin
auferlegt. Das Bestehen einer Arbeits  un fähigkeit sei eine rechtsbegründende
Tatsache, welche die versicherte Person zu beweisen habe. Entgegen der Ansicht
der Vorinstanz ändere daran nichts, wenn früher einmal eine Arbeitsunfähigkeit
bejaht worden sei. Das Einstellen von Taggeldzahlungen setze mithin nicht
voraus, dass die Versicherung die (wieder vorhandene) Arbeitsfähigkeit als
rechtsvernichtende Tatsache beweise.

2.1. Die Vorinstanz hat ausgeführt, es könne nicht auf das Gutachten von Dr.
med. C.________ abgestellt werden, der von einer Arbeitsfähigkeit zu 100 %
ausgehe. Es fehle aber trotz Berichten von Dr. med. D.________ und Prof. Dr.
med. E.________ gleichzeitig eine klare ärztliche Aussage, wonach die
Beschwerdegegnerin in der strittigen Zeit auch bezüglich anderer Arbeitsstellen
arbeitsunfähig gewesen wäre. Im Fall der Beweislosigkeit falle der Entscheid zu
Ungunsten jener Partei aus, welche aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt
Rechte ableite. Die Beschwerdeführerin habe basierend auf einer vollständigen
Arbeitsunfähigkeit vom 28. Mai 2011 bis 9. März 2012 Taggeldleistungen
erbracht. Werde ein Versicherungsfall bejaht und würden Leistungen
ausgerichtet, so liege die Beweislast für die rechtsaufhebenden bzw.
rechtsvernichtenden oder rechtshindernden Tatsachen bei der Partei, die den
Untergang des Anspruchs behaupte, also bei der Beschwerdeführerin. Da der
Beschwerdeführerin der Beweis für die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdegegnerin
von März bis Juli 2012 nicht gelinge, sei sie vom 10. März bis 25. Juli 2012
leistungspflichtig.

2.2. Nach Art. 8 ZGB hat, wo es das Gesetz nicht anders bestimmt, derjenige das
Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte
ableitet. Demgemäss hat die Partei, die einen Anspruch geltend macht, die
rechtsbegründenden Tatsachen zu beweisen, während die Beweislast für die
rechtsaufhebenden bzw. rechtsvernichtenden oder rechtshindernden Tatsachen bei
der Partei liegt, die den Untergang des Anspruchs behauptet oder dessen
Entstehung oder Durchsetzbarkeit bestreitet. Der Eintritt des
Versicherungsfalls ist nach diesen Grundsätzen vom Anspruchsberechtigten zu
beweisen (BGE 130 III 321 E. 3.1 S. 323; Urteil 4A_25/2015 vom 29. Mai 2015 E.
3.1, zur Publikation vorgesehen).

 Daran ändert nichts, dass die Versicherung zunächst Taggelder ausbezahlt hat;
macht sie geltend, die Umstände hätten sich geändert oder die Leistungen seien
von vornherein zu Unrecht erbracht worden und die versicherte Person sei
(wieder) arbeitsfähig, so hat die versicherte Person zu beweisen, dass sie
(weiterhin) arbeitsunfähig ist und daher Anspruch auf Taggelder hat (Urteil
4A_25/2015 vom 29. Mai 2015 E. 3.1, zur Publikation vorgesehen). Im Falle der
Beweislosigkeit trägt mithin nicht die Versicherung, sondern die versicherte
Person die Beweislast. Die Vorinstanz erachtete weder die Arbeitsfähigkeit noch
die Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdegegnerin als bewiesen. In diesem Fall der
festgestellten Beweislosigkeit trägt die Beschwerdegegnerin als versicherte
Person die Beweislast, was zur Abweisung ihrer Klage führt. Die Rüge der
bundesrechtswidrigen Beweislastverteilung erweist sich damit als begründet.

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen und das Urteil des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 10. März 2015 aufzuheben. Die
Klage der Beschwerdegegnerin ist abzuweisen.

 Die Sache ist zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen.

 Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdegegnerin kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das U rteil des Versicherungsgerichts des
Kantons Aargau vom 10. März 2015 aufgehoben. Die Klage der Beschwerdegegnerin
wird abgewiesen.

2.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

4.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Versicherungsgericht des Kantons
Aargau, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. August 2015

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Klett

Die Gerichtsschreiberin: Marti-Schreier

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