Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.147/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
4A_147/2015

Urteil vom 15. Juli 2015

I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
Bundesrichterin Klett,
Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Hurni.

Verfahrensbeteiligte
A.D.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans M. Weltert,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Bolzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Organisationsmängelverfahren,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 29.
Januar 2015.

Sachverhalt:

A.

 Die B.________ AG (Gesuchs- und Beschwerdegegnerin) betreibt eine ärztliche
Notfallpraxis in Luzern. Ihre Aktien werden zu je 50% von den seit Frühling
2014 zerstrittenen Eheleuten A.D.________ (Gesuchstellerin und
Beschwerdeführerin) und C.D.________ gehalten.

 Die beiden Aktionäre sind sich unter anderem über die Besetzung des
Verwaltungsrats und der Revisionsstelle bei der Gesellschaft uneinig. Seit dem
14. August 2014 sind im Handelsregister als Verwaltungsräte C.D.________
(einzelzeichnungsberechtigt) und A.D.________ (ohne Zeichnungsberechtigung)
eingetragen. An der ordentlichen Generalversammlung vom 26. August 2014 wurden
jedoch beide Ehegatten nicht mehr als Verwaltungsräte bestätigt. Auch die
bisherige Revisionsstelle E.________ AG wurde nicht mehr wiedergewählt.

B.

B.a. Mit Gesuch vom 12. September 2014 stellte A.D.________ dem Bezirksgericht
Luzern gestützt auf Art. 731 b Abs. 1 Ziff. 2 OR folgende Rechtsbegehren gegen
die B.________ AG:

 "1. Es sei festzustellen, dass der Gesuchsgegnerin die gesetzlich
vorgeschriebenen Organe fehlen.

 2. Das Handelsregisteramt des Kantons Luzern sei anzuweisen, die bisherigen
Verwaltungsratsmitglieder (C.D.________ und A.D.________) sowie die bisherige
Revisionsstelle (E.________ AG) der Gesuchsgegnerin im Handelsregister zu
löschen.

 3. Als neuer und einziger Verwaltungsrat sei F.________ einzusetzen.

 4. Als neue Revisionsstelle sei die G.________ AG einzusetzen."

 Mit Stellungnahme vom 27. Oktober 2014 stellte die B.________ AG folgende
Anträge:

 "1. Das Gesuch der Gesuchstellerin sei vollumfänglich abzuweisen.

 2. Eventualiter sei Dr.med. C.D.________ als neuer und einziger Verwaltungsrat
sowie die E.________ AG als Revisionsstelle einzusetzen.

 3. Subeventualiter sei H.________ als neuer und einziger Verwaltungsrat
einzusetzen.

 4. Subsubeventualiter sei I.________, Seidenhofstrasse 14, 6003 Luzern,
K.________ oder L.________ von der M.________ AG als Verwaltungsrat
einzusetzen."

 Mit Entscheid vom 12. November 2014 traf das Bezirksgericht folgende
Anordnungen:

 "1. Als einziger Verwaltungsrat der Gesuchsgegnerin mit Einzelunterschrift
wird C.D.________ ernannt.

 2. Als Revisionsstelle der Gesuchsgegnerin wird die E.________ AG ernannt.

 3. Das Handelsregisteramt des Kantons Luzern wird angewiesen, C.D.________ als
Präsident mit Einzelunterschrift, die Gesuchstellerin (A.D.________) als
Mitglied ohne Zeichnungsberechtigung und die E.________ AG als Revisionsstelle
zu löschen.

 4. Das Handelsregisteramt des Kantons Luzern wird ferner angewiesen,
C.D.________ als einziger Verwaltungsrat mit Einzelunterschrift und die
E.________ AG per Entscheidsdatum neu einzutragen.

 5. Die Ernennungen der Organe gemäss Ziff. 1 und 2 sind bis zur nächsten
ordentlichen Generalversammlung der Gesuchsgegnerin, an welcher die Wahl dieser
Organe traktandiert wird, längstens bis am 30.06.2015 gültig.

 6. Die Gesuchsgegnerin hat zu Gunsten der gemäss Ziff. 2 des Rechtsspruchs
ernannten Revisionsgesellschaft dem Bezirksgericht Luzern innert 10 Tagen seit
Rechtskraft des vorliegenden Entscheids einen Kostenvorschuss in der Höhe von
Fr. 10'000.-- zu leisten, andernfalls die Gesuchsgegnerin nach Art. 731 b Abs.
1 Ziff. 3 OR aufgelöst und ihre Liquidation angeordnet wird.

 7. Alle weitergehenden und anderslautenden Begehren der Parteien werden
abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.

 8. Die Parteien haben die Gerichtskosten je zur Hälfte und ihre eigenen Kosten
selbst zu tragen."

B.b. Mit Berufung vom 24. November 2014 beantragte die Gesuchstellerin dem
Kantonsgericht Luzern die Aufhebung des bezirksgerichtlichen Entscheids und
wiederholte ihre erstinstanzlich gestellten Begehren.

 Mit Urteil vom 29. Januar 2015 hiess das Kantonsgericht die Berufung teilweise
gut, hob Dispositiv-Ziffer 6 betreffend die Vorschussleistung an die
Revisionsstelle auf und bestätigte im Übrigen den angefochtenen Entscheid. Die
oberinstanzlichen Prozesskosten auferlegte das Kantonsgericht der
Gesuchstellerin.

C.

 Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Gesuchstellerin dem Bundesgericht,
es sei das Urteil des Kantonsgericht teilweise aufzuheben, soweit es die
Einsetzung von C.D.________ als einziger Verwaltungsrat bestätigt hat, und im
Übrigen sei die Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung zurückzuweisen.
Eventualiter sei das Kostendispositiv in Ziffer 8 aufzuheben und es seien
sämtliche Kosten der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen, sowie der
Beschwerdeführerin zu Lasten der Beschwerdegegnerin eine angemessene
Parteientschädigung zuzusprechen. Weiter beantragt die Gesuchstellerin, es sei
der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

 Die Beschwerdegegnerin beantragt in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der
Beschwerde, die Vorinstanz die Abweisung soweit Eintreten.

 Die Parteien haben repliziert und dupliziert sowie diverse weitere,
unaufgeforderte Stellungnahmen (u.a. Noveneingaben) eingereicht.

 Mit Eingabe vom 9. Juli 2015 hat die Gesuchstellerin ihr Gesuch um Erteilung
der aufschiebenden Wirkung zurückgezogen.

Erwägungen:

1.

 Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein
Rechtsmittel zulässig ist (BGE 139 III 133 E. 1 S. 133 mit Hinweisen).

1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen einen verfahrensabschliessenden
Rechtsmittelentscheid eines oberen kantonalen Gerichts (Art. 75 BGG), ist
innert der Beschwerdefrist (Art. 100 BGG) von der mit ihren Rechtsbegehren
unterlegenen Partei (Art. 76 BGG) eingereicht worden und bei der Streitsache
handelt es sich um eine Zivilsache (Art. 72 BGG) mit einem Streitwert von über
Fr. 30'000.-- (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG).

1.2. Die Beschwerdebefugnis setzt ein aktuelles und praktisches Interesse an
der Gutheissung der Beschwerde voraus, das auch im Zeitpunkt des
bundesgerichtlichen Urteils noch vorhanden sein muss (vgl. BGE 131 I 153 E. 1.2
S. 157; 120 II 5 E. 2a). Das Bundesgericht verzichtet ausnahmsweise auf das
Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn die gerügte
Rechtsverletzung sich jederzeit wiederholen könnte und eine rechtzeitige
gerichtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (BGE 140 III 92 E.
1.1 S. 94; 139 I 206 E. 1.1 S. 208).

 Im vorliegenden Fall ist ein solches Interesse der Beschwerdeführerin zu
bejahen. Zwar ist die richterlich festgelegte Amtsdauer von C.D.________, gegen
dessen Einsetzung sich die Beschwerdeführerin mit der vorliegenden Beschwerde
wehrt, am 30. Juni 2015 abgelaufen, womit das unmittelbare Interesse an der
Aufhebung dieser Einsetzung erloschen ist. Die Beschwerdeführerin hat aber
dennoch ein Interesse an der höchstrichterlichen Beurteilung der Frage, ob
diese Einsetzung rechtmässig war. Denn diese kann im Hinblick auf mögliche
weitere Prozesse etwa hinsichtlich der Gültigkeit der von C.D.________
gefassten Verwaltungsratsbeschlüsse präjudizierend wirken und sich im Hinblick
auf eine allfällige erneute richterliche Einsetzung von C.D.________ in einem
künftigen Organisationsmängelverfahren gar wiederholen. Die Voraussetzungen von
Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG sind mithin als gegeben zu erachten.

1.3. Da die Beschwerde in Zivilsachen ein reformatorisches Rechtsmittel ist
(Art. 107 Abs. 2 BGG), ist grundsätzlich ein materieller Antrag erforderlich;
Anträge auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung oder
blosse Aufhebungsanträge genügen nicht und machen die Beschwerde unzulässig (
BGE 133 III 489 E. 3.1 S. 489 f.).

 Vorliegend hat die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht nur die Aufhebung des
angefochtenen Entscheids beantragt, soweit dieser die Einsetzung von
C.D.________ als Verwaltungsrat bestätigt hat, sowie die Rückweisung der Sache
zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz. Es fehlt damit an einem materiellen
Antrag. Nach der Rechtsprechung kommt dem Sachrichter bei der Auswahl des
konkreten Organwalters, der im Rahmen eines Organisationsmängelverfahrens
richterlich einzusetzen ist, allerdings ein Ermessen zu, das nicht durch das
Bundesgericht, sondern durch das sachnähere kantonale Gericht auszuüben ist
(Urteil 4A_354/2013 vom 16. Dezember 2013 E. 3). Es schadet daher nicht, wenn
die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht lediglich einen kassatorischen Antrag
stellt, anstatt wie vor den kantonalen Instanzen reformatorisch die Einsetzung
von Herrn F.________ als Verwaltungsrat zu beantragen.

 Auf die Beschwerde ist unter Vorbehalt rechtsgenüglicher Begründung (Art. 42
Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) einzutreten.

1.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören sowohl die
Feststellungen über den Lebenssachverhalt, der dem Streitgegenstand zugrunde
liegt, als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens,
also die Feststellungen über den Prozesssachverhalt, namentlich die Anträge der
Parteien, ihre Tatsachenbehauptungen, rechtlichen Erörterungen,
Prozesserklärungen und Beweisvorbringen, der Inhalt einer Zeugenaussage, einer
Expertise oder die Feststellungen anlässlich eines Augenscheins (BGE 140 III 16
E. 1.3.1 mit Hinweisen). Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105
Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140
III 115 E. 2 S. 117; 135 III 397 E. 1.5). Überdies muss die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).
Die Partei, welche die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz anfechten will,
muss klar und substanziiert aufzeigen, inwiefern diese Voraussetzungen erfüllt
sein sollen (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 18). Soweit sie den Sachverhalt
ergänzen will, hat sie zudem mit Aktenhinweisen darzulegen, dass sie
entsprechende rechtsrelevante Tatsachen und taugliche Beweismittel bereits bei
den Vorinstanzen prozesskonform eingebracht hat (BGE 140 III 86 E. 2 S. 90).
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst
der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG), was in der
Beschwerde näher darzulegen ist (BGE 133 III 393 E. 3 S. 395). Auf eine Kritik
an den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die diesen Anforderungen
nicht genügt, ist nicht einzutreten (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 18; 133 II 249
E. 1.4.3).

1.5. Die Beschwerdeführerin verkennt die aufgeführten Grundsätze in
verschiedener Hinsicht. Sie stellt in einer Sachverhaltsübersicht, die sie
ihren rechtlichen Vorbringen voranstellt, die Hintergründe der Streitsache und
des Verfahrens aus eigener Sicht dar und kritisiert dabei - wie auch in ihrer
weiteren Beschwerdebegründung - unter Verweis auf verschiedene Aktenstücke des
kantonalen Verfahrens die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen
Entscheid, ohne substanziiert Ausnahmen von der Sachverhaltsbindung geltend zu
machen. Die entsprechenden Ausführungen haben unbeachtet zu bleiben.

 Soweit sie schliesslich diverse Noven vorbringt, tut sie ebenfalls nicht
hinreichend dar und ist auch nicht ersichtlich, inwiefern erst der Entscheid
der Vorinstanz dazu Anlass geben sollte (Art. 99 Abs. 1 BGG). Die Noven haben
mithin unbeachtet zu bleiben.

2.

 Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz einen Verstoss gegen diverse
Normen und Grundsätze des Aktienrechts vor, indem diese C.D.________ gestützt
auf Art. 731b OR richterlich als Verwaltungsrat ernannt hat, obwohl dieser
zuvor von der Generalversammlung der Gesellschaft nicht mehr als Verwaltungsrat
wiedergewählt worden sei.

2.1.

2.1.1. Gemäss dem im Abschnitt über "Mängel in der Organisation der
Gesellschaft" eingeordneten Art. 731b OR kann ein Aktionär, ein Gläubiger oder
der Handelsregisterführer dem Richter beantragen, die erforderlichen Massnahmen
zu ergreifen, falls der Gesellschaft eines der vorgeschriebenen Organe fehlt
oder eines dieser Organe nicht rechtmässig zusammengesetzt ist (Abs. 1
Ingress). Der Richter kann insbesondere der Gesellschaft unter Androhung ihrer
Auflösung eine Frist ansetzen, binnen derer der rechtmässige Zustand wieder
herzustellen ist (Abs. 1 Ziff. 1), das fehlende Organ oder einen Sachwalter
ernennen (Abs. 1 Ziff. 2) oder die Gesellschaft auflösen und ihre Liquidation
nach den Vorschriften über den Konkurs anordnen (Abs. 1 Ziff. 3).

 Mit dieser Norm hat der Gesetzgeber eine einheitliche Ordnung für die Behebung
und Sanktionierung organisatorischer Mängel innerhalb einer Gesellschaft
geschaffen (BGE 138 III 407 E. 2.2; 136 III 369 E. 11.4.1 mit Hinweisen). Die
Bestimmung erfasst diejenigen Fälle, in denen eine zwingende gesetzliche
Vorgabe hinsichtlich der Organisation der Gesellschaft nicht oder nicht mehr
eingehalten wird. Sie bezieht sich sowohl auf das Fehlen als auch die nicht
rechtsgenügende Zusammensetzung obligatorischer Gesellschaftsorgane (BGE 138
III 407 E. 2.2; 138 III 294 E. 3.1.2).

2.1.2. Zum Anwendungsbereich der nicht rechtsgenügenden Zusammensetzung des
Organs zählen vor allem Fälle des Fehlens der gesetzlich zwingend
vorgeschriebenen Mitglieder der Organe (z.B. des Verwaltungsratspräsidenten
gemäss Art. 712 Abs. 1 OR), der mangelnden Unabhängigkeit bzw. Befähigung der
Revisionsstelle (v.a. Art. 727b und 728 OR) oder der Nichterfüllung der
gesetzlichen Wohnsitzerfordernisse (Art. 718 Abs. 4 und Art. 730 Abs. 4 OR).
Eine nicht rechtsgenügende Zusammensetzung liegt aber etwa auch dann vor, wenn
ein gesetzlich vorgeschriebenes Organ nicht mehr handlungsfähig ist, so z.B.
wenn aufgrund einer andauernden Pattsituation im Verwaltungsrat die Führung der
Gesellschaft dauerhaft unmöglich geworden ist (BGE 140 III 349 E. 2.1 S. 351;
Urteil 4A_522/2011 vom 13. Januar 2012 E. 2.3 unter Hinweis auf die Botschaft
vom 19. Dezember 2001 zur Revision des Obligationenrechts [GmbH-Recht sowie
Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht],
BBl 2002, S. 3232).

2.1.3. Art. 731b Abs. 1 OR gibt dem Gericht einen Ermessensspielraum, um eine
mit Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalles angemessene und
verhältnismässige Massnahme treffen zu können (BGE 138 III 407 E. 2.4 S. 409,
294 E. 3.1.4 S. 298, 166 E. 3.5 S. 170; 136 III 369 E. 11.4.1 S. 371). Bei den
in den Ziffern 1-3 von Art. 731b Abs. 1 OR genannten Massnahmen zur Behebung
des Organisationsmangels handelt es sich denn auch um einen exemplifikativen,
nicht abschliessenden Katalog (BGE 138 III 294 E. 3.1.4 S. 298; 136 III 369 E.
11.4.1 S. 371). Das Gericht kann auch eine in Art. 731b Abs. 1 OR nicht
gesetzlich typisierte Massnahme anordnen (vgl. BGE 138 III 294 E. 3.3.3 S. 303
f.), wie etwa die Abberufung von Verwaltungsräten (Urteil 4A_161/2013 vom 28.
Juni 2013 E. 2.2.2) oder die Einberufung einer Generalversammlung (Urteil
4A_605/2014 vom 5. Februar 2015). Für den Fall einer blockierten
Zweipersonenaktiengesellschaft hat das Bundesgericht schliesslich auf die
Möglichkeit einer Übernahme der Aktien des einen Aktionärs durch den anderen im
Rahmen einer richterlich angeordneten Versteigerung hingewiesen (BGE 138 III
294 E. 3.3.3 S. 303 f.; vgl. dazu auch die Besprechung von TRAUTMANN/VON DER
CRONE, Organisationsmängel und Pattsituation in der Aktiengesellschaft, SZW 5/
2012, S. 461 ff., mit weiteren Hinweisen auf mögliche Massnahmen bei
Pattsituationen [insb. S. 472 ff.]).

2.2. Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung verfügt das kantonale
Sachgericht bei Ermessensentscheiden über einen weiten Beurteilungsspielraum.
Das Bundesgericht als Höchstgericht und Instanz der reinen Rechtskontrolle
überprüft Ermessensentscheide mit Zurückhaltung und greift nur ein, wenn die
Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen
abgewichen ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im
Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt Umstände
ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen. Es greift
ausserdem in Ermessensentscheide ein, wenn sich diese als offensichtlich
unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 136 III 278 E. 2.2.1
S. 279; 135 III 121 E. 2 S. 123 f. mit Hinweisen).

2.3. Die Vorinstanz hat zunächst darauf hingewiesen, dass die Ernennung des
fehlenden Organs durch den Richter im Gesetz ausdrücklich vorgesehen sei. Sie
hat sodann festgehalten, dass die Parteien sich über die Person des zu
ernennenden Verwaltungsrats bzw. über die konkret zu ernennende Revisionsstelle
uneinig seien. Während die Beschwerdeführerin F.________ als Verwaltungsrat
eingesetzt haben wolle, beantrage die Beschwerdegegnerin die Bestätigung des
erstinstanzlichen Urteils, mit dem C.D.________ als
einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsrat eingesetzt wurde.

 Bezüglich der Auswahl von C.D.________ verwies die Vorinstanz auf die
Erwägungen der ersten Instanz. Diese hat ausgeführt, dass C.D.________ die
Beschwerdegegnerin am 12. Juli 2002 als Einzelfirma gegründet und nach ihrer
Umwandlung in eine Aktiengesellschaft als Verwaltungsrat geführt habe. Sein
Know-How und seine Erfahrungen in der Medizinalbranche würden für ihn sprechen
und für die Beschwerdegegnerin sei wichtig, eine kompetente und erfahrene
Person an ihrer Spitze zu haben. Im Gegensatz zum von der Beschwerdeführerin
vorgeschlagenen F.________, der über keinerlei Erfahrung im Medizinalbereich
verfüge, kenne C.D.________ die Beschwerdegegnerin, ihre Vertragspartner und
Arbeitnehmenden, brauche keine Einarbeitungszeit und könne die Geschäfte der
Gesuchsgegnerin umgehend weiterführen und vorantreiben. Er eigne sich daher am
besten als einziger Verwaltungsrat. Gegen seine Ernennung spreche auch nicht,
dass er versuche, sämtliche Arbeitsverträge auf seine Einzelfirma zu
übertragen. Ein solches Vorgehen decke sich zwar schwerlich mit dem
Gesellschaftszweck, doch sei zu berücksichtigen, dass diese Massnahmen sich
wohl insofern aufgedrängt hätten, weil die Beschwerdegegnerin durch die
bestehende Pattsituation im Verwaltungsrat und dessen Folgen führungslos
geworden sei. Es liege somit im ureigenen Interesse der Gesellschaft und wohl
auch der Aktionäre, dass die Gesuchsgegnerin weiterhin in der Lage sei, ihren
wirtschaftlichen Zweck, also den Betrieb einer ärztlichen Notfallpraxis, die
Durchführung von Kursen und Erbringung von Dienstleistungen im Bereich des
Gesundheitswesens etc. erfüllen zu können. Zudem könne der Verwaltungsrat
grundsätzlich nicht eigenmächtig gegen den Gesellschaftszweck handeln, sondern
habe vielmehr gegenüber der Gesellschaft und den Aktionären Rechenschaft
abzulegen und sei letztlich für den Schaden verantwortlich, den er der
Gesellschaft aber auch einzelnen Aktionären durch absichtliche oder fahrlässige
Verletzung seiner Pflichten verursache. Weiter sei die Ernennung von
C.D.________ lediglich eine befristete Massnahme.

2.4. Die Beschwerdeführerin trägt in ihrer Beschwerde an das Bundesgericht wie
bereits im Berufungsverfahren mehrere Vorwürfe gegen C.D.________ vor: So habe
dieser es damals versäumt, eine Generalversammlung für das Geschäftsjahr 2013
rechtzeitig anzusetzen, worin eine Pflichtverletzung liege. Weiter habe
C.D.________ begonnen, die Gesellschaft auszuhöhlen und deren
Geschäftstätigkeit auf seine Einzelfirma zu übertragen, u.a. durch die
Überleitung von Arbeitsverhältnissen. Zudem habe er als
Verwaltungsratspräsident einen Betrag von Fr. 400'000.-- auf sein Privatkonto
überweisen lassen. Schliesslich sei nun gegen C.D.________ ein Strafverfahren
wegen Vermögensdelikten eingeleitet worden. All dies belege, dass C.D.________
nicht über die nötige Integrität und Unabhängigkeit für einen Verwaltungsrat
verfüge; schon aus diesem Grund habe er nicht richterlich als solcher
eingesetzt werden dürfen. Die Vorinstanz habe weiter Bundesrecht verletzt,
indem sie sich über den Willen der Generalversammlung hinweg gesetzt habe, die
C.D.________ abgewählt habe. Dieses Vorgehen stelle zudem einen
Ermessensmissbrauch bzw. Willkür dar.

2.5.

2.5.1. Diese Einwände verfangen, unabhängig davon, ob sie in sachverhaltlicher
Hinsicht überhaupt zutreffen, geschweige denn eine Stütze in den für das
Bundesgericht verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz (Art. 105
Abs. 1 BGG) finden, nicht.

 Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Ernennung eines
fehlenden Organwalters - hier eines Verwaltungsratsmitglieds - zu den in Art.
731b Abs. 1 OR ausdrücklich vorgesehenen Massnahmen zur Behebung eines
Organisationsmangels gehört. Die Vorinstanz hat sich also bei der richterlichen
Einsetzung eines Verwaltungsratsmitglieds im Rahmen des von Art. 731b Abs. 1 OR
eröffneten  Ermessensspielraums gehalten; eine Ermessensüberschreitung liegt
nicht vor. Auch die Einsetzung gerade jener Person, die von der sich in einem
Patt befindenden und damit blockierten Generalversammlung als Verwaltungsrat
"abgewählt", d.h. nicht wiedergewählt wurde, bewegt sich grundsätzlich noch im
Ermessensspielraum. Es liegt denn auch in der Natur der Sache, dass sich der
Organisationsmängelrichter, der infolge eines  Deadlocks in die Organisation
der Gesellschaft einzugreifen hat, über den "Willen" bzw. die Unfähigkeit zur
Willensbildung der blockierten Generalversammlung hinwegsetzen muss. Auch unter
dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit scheint vertretbar, die bisherige
Geschäftsleitung im Interesse der Unternehmenskontinuität für eine beschränkte
Zeit fortzuführen. Mit der zeitlich beschränkten Einsetzung von C.D.________
als Verwaltungsrat hat die Vorinstanz insoweit weder gegen Art. 731b Abs. 1 OR
noch gegen eine andere Norm des Aktienrechts verstossen. Dabei ist aber nicht
zu übersehen, dass mit einer solchen Massnahme die negativen Folgen des
Organisationsmangels nur vorübergehend gelöst sind und sich bei einer
andauernden Pattsituation jederzeit wieder aktualisieren können. Bei einer
erneuten Einsetzung von C.D.________ in einem allfälligen künftigen Verfahren
wäre mithin fraglich, ob eine solche Massnahme immer noch verhältnismässig und
damit rechtskonform wäre.

2.5.2. Die Frage, ob die Vorinstanz mit C.D.________ ausgerechnet einen der
beiden zerstrittenen Aktionäre als Verwaltungsratsmitglied hätte einsetzen
dürfen, bleibt damit immer noch offen. Bei dieser handelt es sich aber - da
sich die entsprechende Einsetzung im durch Art. 731b Abs. 1 OR eröffneten
Ermessensspielraum bewegt - um eine solche der zutreffenden Ermessensausübung,
also der  Angemessenheit. Dabei ist der Beschwerdeführerin beizupflichten, dass
unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit  prima vista fraglich erscheint,
gerade C.D.________ als einen der beiden Urheber des  Deadlock bei der
Beschwerdegegnerin mit der Unternehmensleitung zu betrauen. Andere Massnahmen
wären zumindest auch denkbar gewesen (vgl. oben E. 2.1.3).

2.5.3. Da das Bundesgericht als Höchstgericht und Instanz der reinen
Rechtskontrolle nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen des
Sachgerichts setzt, ist die Frage nach der Angemessenheit vorliegend indessen
nicht zu prüfen (vgl. auch MARCEL SCHÖNBÄCHLER, Die Organisationsklage nach
Art. 731b OR, Diss. Zürich, 2013, S. 450 ff.). Die Vorwürfe der
Beschwerdeführerin sind - abgesehen von Willkür - nur unter dem Blickwinkel zu
beurteilen, ob die Vorinstanz mit der Einsetzung von C.D.________ grundlos von
in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, Tatsachen
berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten
spielen dürfen, oder ob sie umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat,
die hätten beachtet werden müssen (oben E. 2.2).

 Dies ist zu verneinen: Die Einsetzung von C.D.________ ist mit den zu Art.
731b OR entwickelten Grundsätzen nicht unvereinbar. Die Vorinstanz hat sodann
den Ermessensentscheid der ersten Instanz in Kenntnis und Berücksichtigung all
jener Einwände bestätigt, welche die Beschwerdeführerin nunmehr auch vor
Bundesgericht vorträgt, also hinsichtlich der angeblichen Pflichtverletzungen
im Zusammenhang mit der Einberufung der Generalversammlung (E. 5.4.3 des
angefochtenen Entscheids), hinsichtlich der Überleitung von Arbeitsverträgen
(E. 5.4.4), hinsichtlich der Überweisung von Fr. 400'000.-- (E. 5.4.5) sowie
hinsichtlich des gegen C.D.________ eingeleiteten Strafverfahrens (E. 5.4.6).
Der Vorinstanz kann mithin nicht vorgeworfen werden, sie habe Umstände - und
seien es auch blosse Parteibehauptungen - ausser Acht gelassen, die sie hätte
berücksichtigen müssen. Aus dem angefochtenen Entscheid geht sodann hervor,
dass die Einsetzung von C.D.________ durch die Luzerner Gerichte durchaus auf
einer Abwägung von Argumenten beruht, die für und gegen C.D.________ sprechen,
wobei die Vorinstanz - in Übereinstimmung mit der ersten Instanz - zur
Auffassung gelangt ist, dass die auf rund sieben Monate beschränkte Einsetzung
von C.D.________ aus unternehmerischer Sicht die beste Lösung für alle
Stakeholder der Beschwerdegegnerin sei. Der Vorinstanz kann kein
Ermessensmissbrauch oder Willkür vorgeworfen werden, beruht doch ihr Entscheid
auf einer Einbeziehung und Abwägung aller für und gegen C.D.________
sprechenden bzw. vorgetragenen Argumente und wirkt auch nicht gerade stossend
ungerecht oder offensichtlich unbillig.

 Ob die Vorinstanz bei ihrer Abwägungstätigkeit freilich zu einer  angemessenen
 Schlussfolgerung gekommen ist, liegt wie erwähnt nicht in der
Prüfzuständigkeit des höchsten Gerichts. Sollte sich der  Deadlock bei der
Beschwerdegegnerin auch in Zukunft nicht auflösen, werden die Luzerner Gerichte
auch alternative Massnahmen in Betracht zu ziehen haben, wie sie oben in E.
2.1.3 unter Hinweis auf die Ausführungen von TRAUTMANN/VON DER CRONEerwähnt
wurden.

2.5.4. Damit erweisen sich die gegen den angefochtenen Entscheid vorgetragenen
Rügen als unbegründet bzw. zielen ins Leere. Die Beschwerdeführerin vermag die
vorinstanzliche Ermessensausübung nicht als bundesrechtswidrig auszuweisen.

3.

 Soweit die Beschwerdeführerin schliesslich eine andere Kostenverlegung für die
kantonalen Verfahren verlangt, sind ihre Beanstandungen ebenfalls unbegründet.
Da im erstinstanzlichen Verfahren keine der Parteien mit ihren Rechtsbegehren
vollumfänglich durchgedrungen ist, hat das Bezirksgericht gestützt auf Art. 106
Abs. 2 ZPO zu Recht die erstinstanzlichen Gerichtskosten den Parteien je zur
Hälfte auferlegt und die Parteikosten wettgeschlagen. Demgegenüber hat die
Vorinstanz die oberinstanzlichen Prozesskosten gestützt auf das
Unterliegerprinzip von Art. 106 Abs. 1 ZPO zu Recht der Beschwerdeführerin
auferlegt. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin wurde mit dem
vorinstanzlichen Kostenspruch keineswegs das Verursacherprinzip verletzt, ist
sie doch ebenso verantwortlich für den  Deadlock bei der Beschwerdegegnerin wie
C.D.________. Inwieweit schliesslich das Äquivalenzprinzip verletzt sein soll,
tut die Beschwerdeführerin nicht in einer den Begründungsanforderungen
genügenden Weise dar.

4.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

 Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

 Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.

 Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.

 Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin mit Fr. 6'000.-- für das
bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen.

4.

 Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. Juli 2015

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Kiss

Der Gerichtsschreiber: Hurni

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