Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.97/2015
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_97/2015

Urteil vom 1. September 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Chaix, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Misic.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Georg Kramer,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. B.________,
2. C.________,
beide p.A. Kantonspolizei St. Gallen, Kommando,
Beschwerdegegner,

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt St. Gallen,

Gegenstand
Ermächtigungsverfahren,

Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 11.
Dezember 2014.

Sachverhalt:

A.

 Am 27. August 2014 führten zwei Beamte der Kantonspolizei St. Gallen am
(damaligen) Wohnsitz von A.________ und ihres Gatten in V.________ gegen 20.30
Uhr einen Polizeieinsatz durch. Die Nachbarn hatten auf Ersuchen des Ehegatten
die Polizei alarmiert, weil die 65-jährige A.________ in alkoholisiertem
Zustand offenbar das im Keller des Wohnhauses gelagerte Mobiliar der Nachbarn
beschädigt hatte. Der unverzüglich herbeigerufene Arzt, Dr. med. D.________,
verfügte in der Folge die fürsorgerische Unterbringung von A.________ in die
Kantonale Psychiatrische Klinik U.________. Die beiden Polizeibeamten vollzogen
die ärztliche Anordnung gegen den Willen von A.________.

 Bei einer am 2. September 2014 durchgeführten ärztlichen Untersuchung wurden
am Körper von A.________ zahlreiche frische Hämatome festgestellt.

B.

 Am 11. September 2014 reichte A.________ bei der Staatsanwaltschaft St. Gallen
eine "Klage gegen Polizeigewalt" ein. Sie brachte vor, dass sie "auf dem Weg zu
WC, Stube und später zum Fahrzeug (...) stets geschoben" worden sei. Ihr sei
weder erlaubt worden, zu trinken, noch ihre Zahnprothese anzulegen. Der Gang
zur Toilette sei ihr erst nach heftigem Protest erlaubt worden. Sie habe
Schmerzen an den Stellen, wo sie "brutal angefasst bzw. fixiert" worden sei.
Hingegen sei sie von den Polizisten nicht geschlagen worden, und es seien ihr
auch keine Schläge angedroht worden. Der Bericht betreffend der im Rahmen des
stationären Aufenthalts vorgenommenen Untersuchung der Blutergüsse sei ihr
nicht ausgehändigt worden.

 Am 15. September 2014 übermittelte das Untersuchungsamt St. Gallen die
Strafklage der Anklagekammer zwecks Durchführung eines Ermächtigungsverfahrens.
Am 11. Dezember 2014 entschied die Anklagekammer, keine Ermächtigung zu
erteilen.

C.

 Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________
hauptsächlich die Aufhebung des Entscheids der Anklagekammer. Die
Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, ein Strafverfahren gegen die beiden
Polizeibeamten zu eröffnen. Sie fordert eine angemessene Entschädigung für ihre
Parteikosten im Verfahren vor der Anklagekammer. Für das Verfahren vor
Bundesgericht sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu
gewähren.

D.

 Das Untersuchungsamt und das Polizeikommando der Kantonspolizei haben
Vernehmlassungen eingereicht und beantragen die Abweisung der Beschwerde,
soweit darauf einzutreten sei. Die Anklagekammer hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet. Mit Eingabe vom 7. Mai 2015 hält A.________ vollumfänglich an ihren
Anträgen fest.

Erwägungen:

1.

1.1. Streitgegenstand bildet einzig die Frage, ob die Vorinstanz die
Ermächtigung zur Strafverfolgung zu Recht verweigert hat. Nicht einzutreten ist
daher auf den Antrag der Beschwerdeführerin, es sei eine Strafuntersuchung
gegen die Polizeibeamten anzuordnen (vgl. dazu E. 2.1).

1.2. Gegen den angefochtenen Entscheid über die Verweigerung der Ermächtigung
zur Strafuntersuchungsteht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 S.272). Die
Beschwerdegegner gehören nicht den obersten kantonalen Vollziehungs- und
Gerichtsbehörden an, weshalb der Ausschlussgrund von Art. 83 lit. e BGG nicht
zur Anwendung gelangt (vgl. BGE 137 IV 269 E. 1.3.2 S. 272 f.).

1.3. Nach Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone vorsehen, dass die
Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen
im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht
richterlichen Behörde abhängt. Diese Bestimmung bietet den Kantonen die
Möglichkeit, die Strafverfolgung sämtlicher Mitglieder ihrer Vollziehungs- und
Gerichtsbehörden von einer Ermächtigung abhängig zu machen. Als
Vollziehungsbehörden gelten alle Organisationen, die öffentliche Aufgaben
wahrnehmen (Urteil 1C_775/2013 vom 15. Januar 2014 E. 3.1).

 Der Kanton St. Gallen hat von seiner gesetzlichen Kompetenz Gebrauch gemacht
und ein Ermächtigungsverfahren eingeführt (Art. 17 Abs. 2 lit. b des
Einführungsgesetzes des Kantons St. Gallen vom 3. August 2010 zur
Schweizerischen Straf- und Jugendstrafprozessordnung [EG-StPO]; sGS 962.1). Die
hier angezeigten Beschwerdegegner fallen in den Anwendungsbereich des
Ermächtigungserfordernisses.

1.4. Mit dem angefochtenen Entscheid hat die Anklagekammer die Ermächtigung zur
Strafverfolgung gegen die beiden angezeigten Personen verweigert. Damit fehlt
es an einer Prozessvoraussetzung für die Durchführung des Strafverfahrens,
womit das Verfahren abgeschlossen ist. Angefochten ist somit ein Endentscheid
(Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG),
gegen den die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig
ist. Die Beschwerdeführerin, die am kantonalen Verfahren beteiligt war und
deren Strafanzeige nicht mehr weiter behandelt werden kann, ist zur Erhebung
der Beschwerde berechtigt (Art. 89 Abs. 1 BGG).

1.5. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.

2.

2.1. Im Ermächtigungsverfahren dürfen - ausser bei obersten Vollziehungs- und
Gerichtsbehörden - nur strafrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden (
BGE 137 IV 269 E. 2.4 S. 277 f.). Das Ermächtigungserfordernis dient namentlich
dem Zweck, Behördenmitglieder und Beamte vor mutwilliger Strafverfolgung zu
schützen und damit das reibungslose Funktionieren staatlicher Organe
sicherzustellen. Ein Strafverfahren soll daher erst durchgeführt werden können,
wenn die Anklagekammer vorher ihre Zustimmung dazu erteilt hat. Gestützt darauf
kann die Staatsanwaltschaft dann die Untersuchung eröffnen. Der förmliche
Entscheid über die Eröffnung oder die Nichtanhandnahme obliegt Kraft
ausdrücklicher bundesrechtlicher Regelung (Art. 309 und 310 StPO) in jedem Fall
der Staatsanwaltschaft (BGE 137 IV 269 E. 2.3 S. 277).

2.2. Nach der Rechtsprechung ist für die Erteilung der Ermächtigung ein
Mindestmass an Hinweisen auf strafrechtlich relevantes Verhalten zu verlangen
(Urteil 1C_438/2014 vom 19. März 2015 E. 2.2 mit Hinweis). Dabei muss eine
Kompetenzüberschreitung oder eine gemessen an den Amtspflichten missbräuchliche
Vorgehensweise oder ein sonstiges Verhalten, das strafrechtliche Konsequenzen
zu zeitigen vermag, in minimaler Weise glaubhaft erscheinen und genügende
Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung vorliegen (vgl. statt vieler Urteil
1C_633/2013 vom 23. April 2014 E. 2.3 mit Hinweis). Der Entscheid über die
Erteilung der Ermächtigung zur Strafuntersuchung ist demjenigen über die
Anhandnahme eines Strafverfahrens bzw. über die Einstellung eines eröffneten
Strafverfahrens vorangestellt. Es ist daher zwangsläufig, dass die Ermächtigung
bereits bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichen
Verantwortlichkeit erteilt werden muss, als sie für die Einstellung eines schon
eröffneten Strafverfahrens erforderlich ist. Während für die Anklageerhebung
die Wahrscheinlichkeiten einer Verurteilung und eines Freispruchs zumindest
vergleichbar zu sein haben, genügt bereits eine geringere Wahrscheinlichkeit
für strafbares Verhalten, um die Ermächtigungserteilung auszulösen (Urteil
1C_438/2014 vom 19. März 2015 E. 2.2 mit Hinweis).

3.

3.1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie sei von den Polizeibeamten
erniedrigend behandelt worden (Art. 3 EMRK). Sie verlangt eine wirksame und
vertiefte amtliche Untersuchung des Polizeieinsatzes vom 27. August 2014, der
damals ihre fürsorgerische Unterbringung zur Folge hatte. Zudem rügt sie eine
Verletzung ihres Rechts auf wirksamen Zugang zum Untersuchungsverfahren (Art.
13 EMRK).

3.2. Nach Art. 3 EMRK und Art. 10 Abs. 3 BV darf niemand der Folter oder
unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Es handelt sich um massive Verstösse gegen die Menschenwürde, die den
Betroffenen seelisch und meist auch körperlich schwer treffen. Der Unterschied
zwischen Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe ist
ein gradueller. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, gefoltert oder
unmenschlich behandelt worden zu sein. Zu prüfen ist somit, ob ihr gegenüber
eine erniedrigende Behandlung erfolgt ist. Diese stellt die schwächste Form der
nach Art. 3 EMRK verbotenen Massnahmen dar (BGE 124 I 231 E. 2b S. 236). Die
Erniedrigung oder Demütigung des Opfers muss grundsätzlich subjektiv
beabsichtigt sein; in gewissen Fällen reicht es aber auch aus, dass sich das
Opfer selbst als gedemütigt oder erniedrigt ansieht ( STEFAN SINNER, in:
Karpenstein/Mayer, EMRK, Kommentar, 2. Aufl. 2015, Rz. 8 zu Art. 3 EMRK mit
Hinweisen).

3.3. Um in den Anwendungsbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, muss eine
Behandlung ein Mindestmass an Schwere ("minimum de gravité") erreichen (Urteil
1B_70/2011 vom 11. Mai 2011 E. 2.2.5.4 mit Hinweisen). Eine allenfalls für die
betroffene Person unangenehme Behandlung durch die Polizei genügt nicht (BGE
134 I 221 E. 3.2.1 S. 226 mit Hinweis). Die Würdigung des Mindestmasses hängt
von den gesamten Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der
Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen, sowie manchmal
vom Geschlecht, dem Alter und dem Gesundheitszustand des Geschädigten. Zu
berücksichtigen sind auch der Zweck der Behandlung sowie die Absicht und der
Beweggrund, die ihr zugrunde liegen; ebenso der Zusammenhang, in dem die
Behandlung steht. Eine Behandlung ist erniedrigend, wenn sie Gefühle der
Furcht, Angst und Unterlegenheit hervorruft und geeignet ist, zu demütigen, zu
entwürdigen und gegebenenfalls den physischen oder psychischen Widerstand zu
brechen oder jemanden dazu zu bewegen, gegen seinen Willen oder sein Gewissen
zu handeln (Urteil 1B_70/2011 vom 11. Mai 2011 E. 2.2.5.4; BGE 134 I 221 E.
3.2.1 S. 226; 124 I 231 E. 2b S. 236; je mit Hinweisen).

3.4. Soweit sie nicht aufgrund des Verhaltens des Betroffenen unbedingt
erforderlich ist ("strictement nécessaire"), beeinträchtigt die Anwendung
körperlicher Gewalt durch Polizeibeamte die menschliche Würde und stellt
grundsätzlich eine Verletzung von Art. 3 EMRK dar (vgl. Urteil des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte [EGMR] i.S. Perrillat-Bottonet gegen Schweiz
vom 20. November 2014, 66773/13, § 40 mit Hinweisen [angeblicher Bruch der
Rotationsmanschette an der rechten Schulter bei Polizeiansatz; Verletzung von
Art. 3 EMRK verneint]). Leistet die betroffene Person Widerstand oder verhält
sie sich gewalttätig, ist die Anwendung von Polizeizwang zulässig, sofern die
Verhältnismässigkeit gewahrt bleibt. Wenngleich das Vorliegen von Wunden oder
Verletzungen von besonderer Bedeutung ist, wurde die Anwendbarkeit von Art. 3
EMRK auch bei Quetschungen oder bei mehreren Beulen an einem Arm bejaht, von
denen der Betroffene behauptet hatte, sie seien ihm bei der Festnahme von
Polizisten rechtswidrig zugefügt worden (zur Zusammenfassung der Kasuistik vgl.
das Urteil 1B_70/2011 vom 11. Mai 2011 E. 2.2.5.4 sowie die Beispiele bei JENS
MEYER-LADEWIG, EMRK, Handkommentar, 3. Aufl. 2011, Rz. 23 zu Art. 3 EMRK).

3.5. Nach der Rechtsprechung hat eine wirksame und vertiefte amtliche
Untersuchung stattzufinden, wenn jemand in vertretbarer Weise ("de manière
défendable") behauptet, von der Polizei in einer Art. 3 EMRK verletzenden Weise
misshandelt worden zu sein (BGE 131 I 455 E. 1.2.5 S. 462 ff.; je mit Hinweisen
auf die Rechtsprechung des EGMR). Die Untersuchung muss zur Ermittlung und
Bestrafung der Verantwortlichen führen können. Verhielte es sich anders, wäre
das Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Bestrafung
oder Behandlung - trotz seiner grundlegenden Bedeutung - in der Praxis
wirkungslos. Art. 3 EMRK weist insoweit einen prozessualen Teilgehalt auf. Der
Anspruch auf eine wirksame und vertiefte Untersuchung ("enquête officielle
approfondie et effective") bei vertretbarer Behauptung einer Art. 3 EMRK
verletzenden Behandlung ergibt sich ebenso aus dem Recht auf eine wirksame
Beschwerde nach Art. 13 EMRK (BGE 131 I 455 E. 1.2.5 S. 462 ff.; mit
Hinweisen). Diese Bestimmung verlangt überdies den wirksamen Zugang des Klägers
zum Untersuchungsverfahren.

4.

4.1. Zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin in vertretbarer Weise vorgebracht
hat, von den beiden Polizeibeamten erniedrigend behandelt worden zu sein. Die
Vorinstanz hat dies verneint und die Ermächtigung zur Eröffnung eines
Strafverfahrens deshalb verweigert.

4.2.

4.2.1. Dem Polizeirapport vom 3. September 2014 betreffend "Fürsorgerische
Unterbringung" ist zu entnehmen, dass die beiden Polizisten am 27. August 2014
nach der Inspektion des Kellers beim Ehepaar A.________ vorstellig geworden
seien. Der Ehegatte habe die Tür geöffnet und die Beamten in das Schlafzimmer
der Beschwerdeführerin gebracht, die "splitternackt" auf dem Bett gelegen sei
und sich geweigert habe (auch nach langem Zureden) sich etwas anzuziehen. Sie
habe in der Folge von der Polizistin angezogen werden müssen. Die
Beschwerdeführerin habe sich geweigert, einen Atemlufttest durchzuführen. Ihr
alkoholisierter Zustand sei jedoch unbestritten gewesen. Der Ehegatte habe
bestätigt, dass seine Frau massive Alkoholprobleme habe. Sie sei unberechenbar,
wenn sie getrunken habe. Aus Angst schliesse er sich dann in seinem
Schlafzimmer ein. Sie sei in der Vergangenheit schon mit einem Messer auf ihn
losgegangen. Die Beschwerdeführerin sei während des Gesprächs durch
unkooperatives Verhalten aufgefallen und habe "wirres Zeug" geredet. Sie sei
auch auf dem Boden herumgekrochen und habe etwas gesucht. Nach einem Gespräch
mit der Beschwerdeführerin habe der herbeigerufene Arzt (der Amtsarzt sei nicht
erreichbar gewesen) die fürsorgerische Unterbringung angeordnet. Während des
anschliessenden Transports habe die Beschwerdeführerin "immer wieder
zurechtgewiesen" werden müssen.

4.2.2. Dagegen beschreibt die Beschwerdeführerin in ihrer Eingabe ans
Bundesgericht den Polizeieinsatz vom 27. August 2014 wie folgt: Sie sei von den
Polizeibeamten "aus nichtigem Anlass brutal und erniedrigend behandelt" worden.
So sei ihr befohlen worden, sich vor den Augen der Beamten nackt auszuziehen
und sich ohne Unterwäsche anzuziehen. Es sei ihr trotz grossen Harndrangs über
einen Zeitraum von mehreren Minuten untersagt worden, sich auf die wenige Meter
entferne Toilette zu begeben. Sie habe ohne sachlichen Grund ihre Brille und
Zahnprothese nicht anlegen dürfen. Trotz akuter Dehydrierung sei ihr verboten
worden, Wasser zu trinken. Sie sei trotz völliger Wehrlosigkeit mit Gewalt auf
das Bett zurückgestossen worden. Sie sei mit unverhältnismässigem Krafteinsatz
schmerzhaft an den Oberarmen am Wohnzimmersessel fixiert worden und habe dabei
an beiden Oberarmen grossflächige und schmerzhafte Blutergüsse erlitten.
Fixiert auf dem Wohnzimmersessel, sei sie ohne Brille und Zahnprothese, zudem
unfrisiert und (zufolge ihres trockenen Mundes) kaum artikulationsfähig dem
Arzt "präsentiert" worden. Schliesslich sei sie beim Abtransport gestossen und
in die Beine getreten worden. Dabei habe sie mehrere schmerzhafte Hämatome und
Quetschungen an den Waden und im Gesicht erlitten.

 Gemäss eines Schreibens von Med. pract. E.________ vom 5. März 2015 befinde
sich die Beschwerdeführerin "aufgrund dieser traumatischen Gewalterlebnisse" in
ständiger psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung.

4.3.

4.3.1. Der erwähnte Polizeibericht beschreibt den Ablauf des Einsatzes vom 27.
August 2014 lediglich in allgemeiner Weise. Es kann jedoch als unbestritten
gelten, dass die alkoholisierte Beschwerdeführerin beim Eintreffen der
Polizeibeamten in ihrem Bett lag (und sich nach Angaben der Beschwerdeführerin
bereits im Tiefschlaf befand) und mithin keine Situation der Selbst- oder
Fremdgefährdung vorlag. Weshalb die Beamten es dennoch für notwendig und
dringlich erachteten, die Beschwerdeführerin sofort anzugehen, statt am
nächsten Tag erneut bei ihr vorstellig zu werden, um sie in ausgenüchtertem
Zustand zum Vorwurf der Sachbeschädigung des nachbarlichen Mobiliars und zu den
Aussagen ihres Ehegatten zu befragen, kann dem Bericht nicht entnommen werden.
Unbestritten ist auch, dass die 65-jährige Beschwerdeführerin verwirrt darauf
reagiert hat, dass sie von zwei Polizisten in ihrem Schlafzimmer zur Rede
gestellt wurde, und zunächst einmal beruhigt werden musste. Hingegen finden
sich keine Hinweise darauf, dass sie - aufgrund ihres offenbar unkooperativen
Verhaltens - an den Wohnzimmersessel fixiert wurde oder dass sie wegen
Selbstgefährdung oder anderen Sicherheitsbedenken an gewissen Handlungen
gehindert werden musste (z.B. ein Glas Wasser zu trinken, die Zahnprothese ein-
und die Brille aufzusetzen oder die Toilette aufzusuchen). Der Polizeirapport
lässt auch nicht darauf schliessen, dass die Beschwerdeführerin von den
Polizeibeamten jemals gehalten, getreten, gestossen oder auf ihr Bett
zurückgeworfen wurde. Vielmehr scheint es, dass sich der einzige Körperkontakt
darauf beschränkte, der Beschwerdeführerin beim Anziehen der Kleider zu helfen.
Bei den im Bericht erwähnten Zurechtweisungen während des Transports ist davon
auszugehen, dass diese verbaler Natur gewesen sind.

4.3.2. Damit bleibt die Frage unbeantwortet, wie und zu welchem Zeitpunkt sich
die Beschwerdeführerin die Hämatome zugezogen hat.

 Dem (aus unbekannten Gründen undatierten und nicht unterschriebenen)
Arztbericht von Frau Dr. med. F.________ kann entnommen werden, dass die
Beschwerdeführerin beispielsweise zwei 5,5 x 4 cm bzw. 4 x 4 cm grosse
Blutergüsse am linken bzw. rechten lateralen Oberarm im mittleren Drittel
aufweist. Weitere Blutergüsse befinden sich unter anderem auch über dem linken
Schulterdach (ca. 5,5 cm), am rechten unteren Augenlid (ca. 4 x 1-2 cm), am
dorsalen rechten Oberarm und am Schulterblatt sowie am linken bzw. rechten
dorsalen Unterschenkel direkt cranial des oberen Sprunggelenks (5 x 7 cm). Die
kleineren Hämatome am linken medialen und lateralen Oberarm könnten auf
Fingerabdrücke hindeuten. Die an den distalen Unterarmen befindlichen kleinen
Hämatome könnten durch Handschellen verursacht worden sein.

 Die Behauptung der Beschwerdegegner, die Beschwerdeführerin habe sich die
Hämatome im Keller (und somit  vor dem Polizeieinsatz) selber zugezogen,
erscheint aufgrund des im Arztbericht erwähnten symmetrischen Verletzungsbildes
und der fehlenden Hautschürfungen als wenig plausibel. Es ist auch davon
auszugehen, dass allfällige Verletzungen dem einweisenden Arzt, Dr. med.
D.________, aufgefallen und entsprechend dokumentiert worden wären. Dies
scheint aber nicht der Fall gewesen zu sein.

 Dass die Beschwerdeführerin sich die Hämatome  nach dem Polizeieinsatz vom 27.
August 2015 in der Kantonalen Psychiatrischen Klinik U.________ selber zugefügt
haben könnte, ist zwar denkbar. Es wird von den Beschwerdegegnern indes nicht
behauptet und erscheint auch eher unwahrscheinlich, denn die Beschwerdeführerin
wurde in der Isolierstation bis zum Ärztekonsilium am nächsten Tag ständig
überwacht. Nach Einweisung der Beschwerdeführerin wurden jedoch Hämatome
festgestellt. Wie dem Hauptbehandlungsplan der Klinik entnommen werden kann,
wurde deshalb am 28. August 2014 die "Dokumentation der Hämatome" ärztlich
angeordnet. Weshalb die Untersuchung jedoch nicht sofort, sondern erst am 2.
September 2014 erfolgte, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Weitere
sachdienliche Hinweise zu den zahlreichen frischen Blutergüssen am Körper der
Beschwerdeführerin hätten auch die behandelnden Ärzte und das Pflegepersonal
der Kantonalen Psychiatrischen Klinik U.________ machen können, welche die
Beschwerdeführerin unmittelbar nach Eintritt gesehen und untersucht haben.

4.3.3. Dass während des Polizeieinsatzes "mehr" vorgefallen sein könnte als im
Polizeibericht festgehalten, wird im Rahmen der Vernehmlassung seitens der
Beschwerdegegner auch nicht mehr in Frage gestellt (vgl. Vernehmlassung des
Untersuchungsamts St. Gallen vom 20. Februar 2015). Danach sei es "zutreffend",
dass die Beschwerdeführerin an gewissen Handlungen "aktiv gehindert" werden
musste. Auch habe man sie "schieben" müssen, um sie ins Polizeifahrzeug zu
bringen. Die festgestellten Hämatome könnten damit erklärt werden, dass
angemessene Gewalt angewendet werden musste, um die Beschwerdeführerin zunächst
bis zum Eintreffen des Arztes "ruhig zu stellen" und sie danach gegen ihren
Willen in die Klinik zu bringen. Davon ist jedoch im Polizeibericht, wie
dargelegt, keine Rede. Bei dieser Ausgangslage konnte es die Vorinstanz deshalb
nicht dabei belassen, die Sachverhaltsdarstellung der Polizei "insgesamt als
stimmig und insbesondere als glaubhaft" zu bezeichnen und den Ausführungen der
Beschwerdeführerin lediglich eine reduzierte Glaubwürdigkeit zu attestieren.

 Nicht ersichtlich ist auch, weshalb die Vorinstanz zum Ergebnis gelangt, die
ärztliche Untersuchung vom 2. September 2014 lasse den Schluss nicht zu, die
Verletzungen seien der Beschwerdeführerin anlässlich des Polizeieinsatzes
zugefügt worden. Dem Arztbericht kann entnommen werden, dass die Hämatome "vom
Tag der Einweisung stammen". Dieser Befund wird von Frau Dr. med. F.________
damit begründet, dass der Beschwerdeführerin anlässlich ihrer Einweisung in die
Klinik Blut entnommen worden sei, wobei sich an der Einstichstelle ein Hämatom
gebildet habe. Vom Stadium dieses Hämatoms könne darauf geschlossen werden,
dass die Hämatome am Körper der Beschwerdeführerin vom 27. August 2015
stammten. Weshalb die Ärztin sich nicht auf einen genauen (bzw. genaueren)
Zeitpunkt festlegen konnte, lässt sich dem Bericht hingegen nicht entnehmen.

4.4. Bei Würdigung der gesamten Umstände und Unstimmigkeiten ist das von der
Rechtsprechung geforderte Mindestmass an Schwere als gegeben zu betrachten.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin ihre
Anschuldigungen in vertretbarer Weise erhoben. Somit kann sie sich auf Art. 3
EMRK berufen. Wie ausgeführt verschafft ihr der prozessuale Teilgehalt dieser
Bestimmung einen Rechtsanspruch auf eine wirksame und vertiefte amtliche
Untersuchung ihrer Vorwürfe.

4.5. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und der angefochtene Entscheid
aufzuheben. Die Ermächtigung zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen die
angezeigten Beschwerdegegner ist zu erteilen. Im Rahmen des
Untersuchungsverfahrens wird auf einen korrekten Einbezug der
Beschwerdeführerin zu achten sein.

 Der spätere Entscheid über die Erhebung einer Anklage oder Einstellung des
Strafverfahrens bleibt vorbehalten.

 Bei diesem Ergebnis muss auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin nicht
mehr eingegangen werden.

 Zu betonen ist Folgendes: Die Ermächtigung zur Eröffnung einer Untersuchung
kommt keiner Vorverurteilung der betroffenen Polizeibeamten gleich (Art. 6
Ziff. 2 EMRK und Art. 32 Abs. 1 BV). Es geht einzig darum, dass die von der
Beschwerdeführerin erhobenen Vorwürfe gründlich und sorgfältig abgeklärt
werden.

5.

5.1. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihres Anspruchs auf
unentgeltliche Verbeiständung im vorinstanzlichen Verfahren (Art. 29 Abs. 3
BV). Die Anklagekammer hat ihr Gesuch mit dem Argument abgewiesen, für die
Einreichung einer Strafanzeige sei die Verbeiständung durch einen Anwalt
grundsätzlich nicht erforderlich. Die Notwendigkeit einer anwaltlichen
Vertretung sei hier nicht gegeben, weil der Fall keine rechtlichen
Schwierigkeiten aufwerfe. Die Anwaltskosten könnten grundsätzlich erst nach
Eröffnung eines Strafverfahrens geltend gemacht werden (Art. 433 StPO).

5.2. Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die
erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn
ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer
Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen
Rechtsbeistand.

 Ein verfassungsmässiger Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege besteht für
jedes staatliche Verfahren, in welches der Gesuchsteller einbezogen wird oder
welches zur Wahrung seiner Rechte notwendig ist. Nicht entscheidend ist dabei
die Rechtsnatur der Entscheidungsgrundlagen oder jene des in Frage stehenden
Verfahrens (BGE 128 I 225 E. 2.3 S. 227; 121 I 60 E. 2a/bb S. 62; 119 Ia 264 E.
3a S. 265). Neben der sachlichen Notwendigkeit und der Nichtaussichtslosigkeit
des vom Geschädigten verfolgten Prozessziels verlangt eine unentgeltliche
Rechtsverbeiständung die finanzielle Bedürftigkeit des Gesuchstellers (BGE 127
I 202 E. 3b S. 205 mit Hinweisen). Sachliche Notwendigkeit bedeutet, dass der
Rechtsuchende, auf sich alleine gestellt, seine prozessualen Interessen nicht
ausreichend wirksam wahren kann. Sie beurteilt sich aufgrund der Gesamtheit der
konkreten Umstände des Einzelfalles. Dazu zählen namentlich die tatsächlichen
und rechtlichen Schwierigkeiten des Falles sowie die Fähigkeit, sich im
Verfahren zurechtzufinden (BGE 128 I 225 E. 2.5.2 S. 232 f.; Urteil 1B_314/2010
vom 22. November 2010 E. 2.2).

5.3. Mit dem Einreichen der Strafanzeige befindet sich die Beschwerdeführerin
in einem staatlichen Verfahren (Urteil 1B_314/2010 vom 22. November 2010 E.
2.3). Sie hat ein erhebliches Interesse an der Erteilung der Ermächtigung zur
Eröffnung eines Strafverfahrens, damit eine wirksame und vertiefte amtliche
Untersuchung der von ihr erhobenen Vorwürfe stattfinden kann. Die von ihr
eingereichte Strafanzeige erscheint nicht von vornherein aussichtslos. Ihre
Bedürftigkeit im Zeitpunkt der Urteilsfällung durch die Vorinstanz ist belegt.
Zudem ist die 65-jährige Beschwerdeführerin W.________er Muttersprache,
verfahrensungewohnt und gemäss psychiatrischer Einschätzung nicht in der Lage,
in dieser Angelegenheit für sich selber zu handeln (vgl. Bestätigungsschreiben
vom 5. März 2015 von Med. pract. E.________). Entgegen der Auffassung der
Vorinstanz liegt kein "einfacher und übersichtlicher Sachverhalt" vor, weshalb
die Notwendigkeit der Verbeiständung im vorinstanzlichen Verfahren, gestützt
auf Art. 29 Abs. 3 BV, zu bejahen ist.

6.

 Die Beschwerde ist gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die
Ermächtigung zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen die Beschwerdegegner zu
erteilen.

 Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4
BGG). Hingegen hat der Kanton St. Gallen die obsiegende Beschwerdeführerin für
das bundesgerichtliche Verfahren sowie für das Verfahren vor der Anklagekammer
angemessen zu entschädigen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist
insoweit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid der Anklagekammer des
Kantons St. Gallen vom 11. Dezember 2014 aufgehoben.

2. 
Es werden keine Kosten erhoben.

3. 
Der Kanton St. Gallen hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.

4. 
Für das Verfahren vor der Anklagekammer der Kantons St. Gallen hat der Kanton
St. Gallen der Beschwerdeführerin eine Entschädigung von Fr. 1'000.-- zu
bezahlen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen,
Untersuchungsamt St. Gallen, und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. September 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Misic

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben