Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.662/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_662/2015

Urteil vom 2. Mai 2016

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Chaix,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich,
Beschwerdeführer,

gegen

A.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Hans Hegetschweiler.

Gegenstand
Entzug des Führerausweises; Verkehrsmedizinisches Gutachten.

Beschwerde gegen das Urteil vom 17. Dezember 2015 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich, 1. Abteilung, Einzelrichter.

Sachverhalt:

A.
Am 11. Juni 2014 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich (StVA)
A.________ den Führerausweis gestützt auf eine ärztliche Drittmeldung und ein
negativ ausgefallenes verkehrsmedizinisches Gutachten per 19. Juni 2014 auf
unbestimmte Zeit. Die Wiedererteilung des Ausweises machte es von der
Beibringung eines günstigen verkehrsmedizinischen Gutachtens abhängig.
Am 12. Februar 2015 wies die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich den Rekurs
von A.________ gegen diese Entzugsverfügung ab.
A.________ erhob dagegen Beschwerde ans Verwaltungsgericht und reichte ein
günstig lautendes Privatgutachten ein. Sie beantragte die Erstellung eines
Gutachtens über ihre Fahrfähigkeit durch einen unabhängigen Experten und
hernach die Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheide. Das Verwaltungsgericht
ordnete die Erstellung eines Gutachtens durch die universitären psychiatrischen
Kliniken Basel (UPK) an und setzte den Parteien eine Frist von 20 Tagen an, um
Einwendungen gegen die namentlich bezeichneten Gutachter zu erheben. Die
Parteien erhoben keine Einwände. Das Gutachten wurde dem Verwaltungsgericht am
30. November 2015 erstattet.
Am 17. Dezember 2015 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich die
Beschwerde von A.________ teilweise gut, hob beide vorinstanzlichen Entscheide
auf und erkannte, A.________ sei "die Fahrerlaubnis per sofort
wiederzuerteilen, allerdings unter der Auflage, dass die Abstinenz von
Benzodiazepinen über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr mittels dreier
Haarproben im Sinn der Erwägungen nachgewiesen wird und eine mindestens alle 14
Tage stattfindende ambulante psychiatrische oder psychologische Behandlung im
Sinn einer Gesprächstherapie im Rahmen von mindestens 25 Therapiesitzungen
erfolgt".

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt das StVA,
diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

C.
A.________ beantragt in ihrer Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen. Das
Verwaltungsgericht verzichtet auf Vernehmlassung.
Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) beantragt, unter Hinweis auf die ihm
zutreffend scheinende Beschwerdeschrift, die Beschwerde gutzuheissen.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über einen
Führerausweisentzug. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben
(Art. 83 BGG). Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerde befugt (Art. 89 Abs. 2
lit. d BGG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 lit. a SVG). Er rügt die Verletzung von
Bundesrecht, was zulässig ist (Art. 95 BGG). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die
Beschwerde ist somit einzutreten, soweit sie den gesetzlichen
Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG - die Beschwerdeschrift muss
sich wenigstens ansatzweise mit der Begründung des angefochtenen Entscheids
auseinandersetzen und darlegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (
BGE 134 II 244 E. 2.1) - genügt.

2.

2.1. Art. 28a Abs. 1 lit. a VZV betreffend "Fahreignungsuntersuchung lautet:

"1 Bestehen Zweifel an der Fahreignung einer Person (Art. 15d Abs. 1 SVG), so
ordnet die kantonale Behörde an:
a. bei verkehrsmedizinischen Fragestellungen: eine Fahreignungsuntersuchung
durch einen Arzt mit dem Titel «Verkehrsmediziner SGRM» oder einen Arzt mit
einem von der SGRM als gleichwertig anerkannten Titel;"
Der Beschwerdeführer rügt, das Verwaltungsgericht habe diese Bestimmung des
Bundesrechts verletzt, indem es zwei Gutachter bestellt habe, welche nicht über
den erforderlichen Titel verfügten. Er habe zwar von der ihm vom
Verwaltungsgericht eingeräumten Gelegenheit, Einwände gegen die Ernennung der
beiden Gutachter zu erheben, keinen Gebrauch gemacht. Allerdings habe er in
guten Treuen davon ausgehen dürfen, dass das Verwaltungsgericht die anwendbaren
gesetzlichen Bestimmungen - konkret Art. 28a Abs. 1 VZV - kenne und auch
korrekt anwende. Er habe daher stillschweigend darauf vertrauen dürfen, dass
das Verwaltungsgericht vor seinem Entscheid zumindest einen Experten mit
entsprechendem Fachtitel zur Aktenbegutachtung beiziehe. Dass dies vorliegend
nicht geschehen sei, stelle eine offensichtliche und schwere Verletzung von
Bundesrecht dar, die nicht mit dem Stillschweigen des Strassenverkehrsamts zur
Bestimmung der Gutachter gerechtfertigt werden könne.

2.2. Der Beschwerdeführer geht stillschweigend davon aus, dass dem
Verwaltungsgericht ein schwerer Rechtsfehler unterlaufen sei, indem es zwei
Gutachter eingesetzt habe, die nicht über den nach Art. 28a Abs. 1 lit. a VZV
erforderlichen Titel verfügten. Das steht indessen keineswegs fest. Die
Bestimmung wurde mit der Änderung der VZV vom 29. November 2013 (AS 2013 4697),
die keine Übergangsregelung enthält, in die aktuelle Fassung gebracht und auf
den 1. Juli 2014 in Kraft gesetzt. Die neue Fassung von Art. 28a Abs. 1 VZV
trat somit nach dem Ergehen der ersten Entzugsverfügung vom 11. Juni 2014,
mithin bei laufendem Verfahren, in Kraft. Nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung (z.B. BGE 139 II 243 E. 11.1 S. 259 f.; 263 E. 8.2 S. 269; 470
E. 4.2 S. 480 f.; in der Lehre wird etwa postuliert, Rechtsänderungen nach dem
erstinstanzlichen Entscheid nur zu berücksichtigen, wenn sie einen Widerruf
rechtfertigen würden, so Ulrich Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 7. A. 2016, Rz. 294) muss unter diesen Umständen aufgrund
allgemeiner Grundsätze unter Abwägung der entgegenstehenden Interessen wie etwa
der Rechtssicherheit, dem Vertrauensschutz der Parteien und dem öffentlichen
Interesse an der sofortigen Anwendbarkeit neuen Rechts, bestimmt werden, ob
Art. 28a Abs. 1 VZV in der aktuell geltenden Fassung auf das laufende Verfahren
bereits anwendbar war oder nicht. Indem der Beschwerdeführer, ohne sich auch
nur ansatzweise mit der übergangsrechtlichen Frage der Anwendbarkeit von Art.
28a Abs. 1 VZV auf das hängige Verfahren auseinanderzusetzen, stillschweigend
davon ausgeht, dass das Verwaltungsgericht diese Bestimmung bei der Bestellung
der Gutachter hätte berücksichtigen müssen, verletzt er seine gesetzliche
Begründungspflicht. Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten.

2.3. Die Rüge wäre im Übrigen auch offensichtlich verspätet. Ablehnungsgründe
gegen Gutachter sind nach Treu und Glauben unverzüglich zu erheben (BGE 133 III
639 E. 2; 130 III 66 E. 4.2; 124 I 121 E. 2). Dies gilt vorliegend umso mehr,
als das Verwaltungsgericht dem Beschwerdeführer die für das Gutachten
vorgesehenen Experten benannt und ihm ausdrücklich Frist angesetzt hat, um
allfällige Einwände zu erheben. Dieser hat indessen keine solchen erhoben,
obwohl besonders ihm als zuständiger Fachbehörde die neue Regelung von Art. 28a
Abs. 1 VZV geläufig gewesen sein müsste und er damit Anlass und Gelegenheit
gehabt hätte, die Gutachter wegen mangelnder Befähigung bzw. fehlenden Titels
abzulehnen. Hat er dies unterlassen, kann er nicht im Nachhinein das nicht zu
seiner Zufriedenheit ausgefallene Urteil anfechten mit der Begründung, die
Experten hätten nicht über die für die Begutachtung erforderliche Ausbildung
verfügt. Das ist mit Treu und Glauben nicht vereinbar.

2.4. Die Beschwerde wäre zudem auch in der Sache unbegründet. Der
Beschwerdeführer tut weder dar, dass die beiden Experten nicht über die für die
Begutachtung erforderliche Fachkompetenz verfügten, noch weist er nach, dass
das Gutachten in irgend einer Hinsicht mangelhaft sein könnte; in seiner
Vernehmlassung ans Verwaltungsgericht vom 10. Dezember 2015 bezeichnet er es
gegenteils ausdrücklich als "nachvollziehbar". Bei den Experten handelt es sich
um den Leitenden Arzt und einen Oberarzt der Forensisch-Psychiatrischen Klinik
der Universität Basel, mithin um erfahrene Fachärzte für Psychiatrie und
Psychotherapie FMH mit Schwerpunkt Forensische Psychiatrie und Psychotherapie
FMH. Es bestehen keine vernünftigen Zweifel an ihrer fachlichen Befähigung zur
Beurteilung der Fahrfähigkeit der Beschwerdegegnerin, und ihr Gutachten vom 30.
November 2015 bietet auch dem Beschwerdeführer als zuständiger Fachbehörde
keinen Anlass zur Kritik. Ist somit davon auszugehen, dass das Gutachten, auf
welches das Verwaltungsgericht den angefochtenen Entscheid stützt, fachgerecht
erstellt und schlüssig ist, würde allein der Umstand, dass die beiden Gutachter
nicht über den seit kurzem für die Erstellung derartiger Gutachten
erforderlichen Titel "Verkehrsmediziner SGRM" verfügen, die Aufhebung des
angefochtenen Urteils nicht rechtfertigen.

3.
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens
sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat der
Beschwerdeführer der Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren
eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Beschwerdeführer hat der Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1.
Abteilung, Einzelrichter, und dem Bundesamt für Strassen Sekretariat
Administrativmassnahmen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. Mai 2016

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi

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