Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.651/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_651/2015

Urteil vom 15. Februar 2017

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Karlen, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Eusebio, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Misic.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Alessandro Palombo,

gegen

Staatssekretariat für Migration,
Quellenweg 6, 3003 Bern.

Gegenstand
Erleichterte Einbürgerung; Akteneinsichtnahme,

Beschwerde gegen das Urteil vom 30. Oktober 2015 des Bundesverwaltungsgerichts,
Abteilung III.

Sachverhalt:

A. 
Der aus Deutschland stammende A.________ lebt seit 2007 in der Schweiz und ist
seit dem Januar 2008 mit einer Schweizer Bürgerin verheiratet. Im April 2012
ersuchte er um erleichterte Einbürgerung. Mit Bericht vom 22. Februar 2013 wies
die kantonale Behörde das Staatssekretariat für Migration (SEM) darauf hin,
dass gegen A.________ ein in Deutschland ergangener Haftbefehl betreffend
Finanzdelikte vorliegt. Am 16. September 2013 verlangte das SEM von A.________
unter anderem eine aktuelle Erklärung zur Beachtung der Rechtsordnung sowie
einen Auszug aus dem deutschen Strafregister. Die Unterlagen wurden in der
Folge eingereicht.
Am 12. März 2014 wurde A.________ erleichtert eingebürgert. Gleichentags teilte
ihm das SEM mit, dass er in rund zwei Monaten schriftlich über den definitiven
Charakter der Einbürgerung informiert werde. Zwei Wochen später eröffnete das
SEM A.________, dass sein Einbürgerungsgesuch erneut geprüft werden müsse. Am
25. April 2014 verfügte das SEM die Rücknahme des Einbürgerungsentscheids.

B. 
Mit Eingabe vom 27. Mai 2014 erhob A.________ Beschwerde beim
Bundesverwaltungsgericht. Mit Zwischenverfügung vom 3. März 2015 wies dieses
seinen Antrag, die Akten des Bundesamts für Justiz (BJ) aus dem Recht zu
weisen, ab, und entsprach dem Eventualantrag um Einsichtnahme teilweise. Das
SEM wurde ersucht, dem Beschwerdeführer gewisse BJ-Aktenstücke zuzustellen. Im
darüber hinausgehenden Umfang wurde der Eventualantrag abgewiesen. Es wurde
festgehalten, dass die BJ-Akten gemäss Art. 28 VwVG zur Entscheidfindung
herangezogen werden. Am 30. Oktober 2015 wurde die Beschwerde abgewiesen.

C. 
A.________ erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sei aufzuheben. Es sei ihm
volle Akteneinsicht zu gewähren und insoweit die Zwischenverfügung vom 3. März
2015 aufzuheben. Es sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer das Schweizer
Bürgerrecht erlangt habe, eventualiter sei ihm dieses durch das Bundesgericht
zu erteilen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das SEM
beantragt die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat sich nicht
mehr geäussert.
Am 14. November 2016 wurden dem Bundesgericht sämtliche BJ-Akten eingereicht.

Erwägungen:

1.

1.1. Angefochten ist ein Endentscheid des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 86
Abs. 1 lit. a, Art. 90 BGG) betreffend die Rücknahme einer erleichterten
Einbürgerung gestützt auf Art. 27 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 29. September
1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (BüG; SR 141.0). Dabei
handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit im Sinn von Art. 82
lit. a BGG (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_835/2014 vom 14. Februar 2014 E.
1.1, nicht publ. in BGE 140 II 65). Eine Ausnahme gemäss Art. 83 lit. b BGG ist
nicht gegeben. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren
teilgenommen (Art. 89 Abs. 1 lit. a BGG). Er ist durch den vorinstanzlichen
Entscheid besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen
Aufhebung (Art. 89 Abs. 1 lit. b und c BGG). Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich
einzutreten.

1.2. Mit der Beschwerde an das Bundesgericht kann, von hier nicht
interessierenden Tatbeständen abgesehen, die Verletzung von Bundesrecht und
Völkerrecht gerügt werden (vgl. Art. 95 lit. a und b BGG). Nach Art. 105 Abs. 1
BGG stellt das Bundesgericht auf den Sachverhalt ab, den die Vorinstanz erhoben
hat, ausser wenn diese Feststellungen an einem qualifizierten Mangel gemäss
Art. 105 Abs. 2 BGG leiden.

1.3. Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdebegründung in gedrängter Form
darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Bezüglich der
Verletzung von verfassungsmässigen Rechten tritt das Bundesgericht auf solche
Rügen nur ein, wenn sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet
worden sind (Art. 42 Abs. 2 BGG i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG).
Es genügt nicht, wenn der Beschwerdeführer beiläufig behauptet, vorliegend sei
die Unschuldsvermutung verletzt (Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK, Art.
14 Ziff. 2 UNO-Pakt II). Abgesehen davon, dass die erleichterte Einbürgerung
keine Administrativmassnahme mit strafähnlichen Androhungen ist (ALFRED KÖLZ/
ISABELLE HÄNER/MARTIN BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und
Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, Rz. 486), ist dergleichen
auch nicht ersichtlich. Darauf ist nicht einzutreten.

1.4. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zur angeblich materiell-rechtlichen
Unbegründetheit des gegen ihn in Deutschland hängigen Steuerstrafverfahrens
sind im vorliegenden einbürgerungsrechtlichen Kontext ohne Belang. Darauf ist
nicht einzutreten. Die Prüfung der Vorwürfe in der Sache, die ein fiskalisches
(und kein politisches) Delikt betreffen, bleibt den Gerichten in Deutschland
vorbehalten.

2.

2.1. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) formeller Natur
ist, dessen Verletzung ungeachtet der Begründetheit des Rechtsmittels
grundsätzlich zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des
angefochtenen Entscheids führt, sind die vom Beschwerdeführer diesbezüglich
erhobenen Rügen vorweg zu behandeln (vgl. BGE 137 I 195 E. 2.2 S. 197 mit
Hinweis).

2.2. Soweit er vorbringt, das SEM habe sich mit seiner Stellungnahme vom 15.
April 2014 zur beabsichtigten Rücknahme der Einbürgerungsverfügung überhaupt
nicht auseinandergesetzt, und dies vor allem mit der zeitlichen Nähe zwischen
seiner Eingabe und der Rücknahmeverfügung vom 25. April 2014 begründet, ist
eine Verletzung der Berücksichtigungspflicht nicht ersichtlich. Entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers erscheint die Stellungnahme, die am 17. April
2014 beim SEM eingegangen ist, nicht derart umfangreich, dass sie innert
Wochenfrist von der Behörde nicht hätte zur Kenntnis genommen werden können.
Der Rücknahmeverfügung kann denn auch ohne Weiteres entnommen werden, dass die
in der Stellungnahme thematisierten Vorbringen, sofern rechtserheblich (vgl. E.
1.4 hiervor), vom SEM berücksichtigt und gewürdigt wurden. Ebensowenig liegt
die vom Beschwerdeführer gerügte Verletzung der Begründungspflicht vor, zumal
der Rücknahmeverfügung die wesentlichen Überlegungen entnommen werden können,
von denen sich das SEM hat leiten lassen und auf die es seinen Entscheid
abgestützt hat. Wie die Vorinstanz zutreffend hervorhebt, musste sich die
verfügende Behörde in der Begründung nicht mit allen Parteistandpunkten
einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich
widerlegen (vgl. BGE 137 II 266 E. 3.2 S. 270; 136 I 229 E. 5.2 S. 236, 136 I
184 E. 2.2.1 S. 188; je mit Hinweis). Dass diese ständige Rechtsprechung den
Beschwerdeführer nicht überzeugt, stellt nicht bereits eine Gehörsverletzung
dar.

2.3. Der Beschwerdeführer bringt sodann vor, es hätte ihm vollumfängliche
Akteneinsicht gewährt werden müssen. Er habe Grund zur Annahme, dass ihm
geheime Akten vorenthalten worden seien.
Mit Zwischenverfügung vom 3. März 2015 entsprach die Vorinstanz dem
Eventualantrag des Beschwerdeführers um Einsichtnahme in die BJ-Akten
teilweise. Das SEM wurde ersucht, dem Beschwerdeführer gewisse Aktenstücke
zuzustellen. Im darüber hinausgehenden Umfang wurde der Eventualantrag
abgewiesen, was entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers aus folgenden
Gründen nicht zu beanstanden ist: Bei BJ act. 25 handelt es sich um ein
verwaltungsinternes Dokument, das grundsätzlich - besondere (hier nicht
vorliegende) Ausnahmefälle vorbehalten - nicht dem rechtlichen Gehör der
Parteien untersteht (BGE 132 II 485 E. 3.4 S. 495 mit Hinweisen). Die
restlichen BJ-Akten betreffen das in Deutschland hängige Verfahren gegen den
Beschwerdeführer wegen Steuerhinterziehung. Insoweit steht dem
Akteneinsichtsrecht des Beschwerdeführers das öffentliche Interesse an der
Geheimhaltung von Informationen im Rahmen einer noch nicht abgeschlossenen
amtlichen Untersuchung entgegen (Art. 27 Abs. 1 Bst. c VwVG). Dieses
öffentliche Interesse ist im vorliegenden Fall höher zu gewichten, zumal das
SEM dem Beschwerdeführer vom wesentlichen Inhalt dieser Akten bereits Kenntnis
gegeben hat und er sich dazu äussern konnte. Eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2
BV ist daher zu verneinen.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, die Rücknahme der
Einbürgerungsverfügung hätte ausschliesslich nach den Voraussetzungen gemäss
Art. 41 BüG vorgenommen werden dürfen. Da er die Behörden in zwei Schreiben auf
das gegen ihn hängige Steuerermittlungsverfahren in Deutschland aufmerksam
gemacht habe, könne von einer Erschleichung des Bürgerrechts keine Rede sein.
Die Rücknahme sei daher zu Unrecht erfolgt.

3.2. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gibt es bei der Einbürgerung
keinen ordentlichen Widerruf, wenn sich  nach Eintritt der formellen
Rechtskraft herausstellt, dass die Einbürgerungsvoraussetzungen entgegen der
Auffassung der entscheidenden Behörde nicht erfüllt waren (BGE 140 II 65 E.
3.4.3 S. 71; 120 Ib 193 E. 4 S. 198 mit Hinweisen; KARL HARTMANN/LAURENT MERZ,
in: Uebersax et al. [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl. 2009, § 12 Rz. 12.55
ff.). In Betracht fällt einzig die Nichtigerklärung nach Art. 41 Abs. 1 BüG,
wenn die Einbürgerung durch falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher
Tatsachen erschlichen worden ist. Im Unterschied zum ordentlichen Widerruf geht
die Möglichkeit der Nichtigerklärung zudem durch Zeitablauf unter, was
spätestens nach acht Jahren nach der Einbürgerung der Fall ist. Damit erweist
sich ein Rückkommen auf einen Einbürgerungsentscheid - im Vergleich zum
ordentlichen Widerruf von behördlichen Verfügungen - als doppelt erschwert
(vgl. BGE 140 II 65 E. 3.4.3 S. 71; 120 Ib 193 E. 4 S. 198; PETER UEBERSAX, Das
Bundesgericht und das Bürgerrechtsgesetz, mit einem Blick auf das neue Gesetz,
BJM 2016 S. 205 ff. mit Hinweisen).

3.3. Wie die Vorinstanz jedoch zutreffend vorbringt, war die
Einbürgerungsverfügung im Zeitpunkt der Rücknahme noch nicht in formelle
Rechtskraft erwachsen. Damit sind behördliche Interventionen, wie vorliegend
die Rücknahme der unangefochten gebliebenen Einbürgerungsverfügung durch das
SEM, nicht den soeben dargelegten strengen Voraussetzungen unterworfen, wie sie
im Einbürgerungsrecht für den Widerruf formell rechtskräftiger Verfügungen
gelten. In dieser Konstellation muss die Verfügung weder zweifellos unrichtig
sein noch der Berichtigung erhebliche Bedeutung zukommen (BGE 107 V 191 E. 1 S.
191). Massgebend hierfür ist die Überlegung, dass das Gebot der
Rechtssicherheit und der Vertrauensgrundsatz bis zum Eintritt der formellen
Rechtskraft der Verfügung nicht die gleiche Bedeutung haben können wie nach
diesem Zeitpunkt (BGE 134 V 257 E. 2.2 S. 261 mit Hinweisen). In der Regel darf
die Behörde daher, ohne dass besondere Voraussetzungen erfüllt sein müssen, auf
eine unangefochtene Verfügung zurückkommen, solange die Rechtsmittelfrist nicht
abgelaufen ist (BGE 121 II 273 E. 1 S. 276 f. mit Hinweisen; vgl. Art. 58 Abs.
1 VwVG, wonach die Behörde die angefochtene Verfügung selbst vor der
Rechtsmittelinstanz noch in Wiedererwägung ziehen kann; KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI,
a.a.O., Rz. 713). Es soll damit dem objektiven Recht auf möglichst einfache
Weise zur Durchsetzung verholfen werden (BGE 103 V 107 E. 2 S. 109 f.; 107 V
191 E. 1 S. 191).

4.

4.1. Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, die
Einbürgerungsverfügung vom 12. März 2014 entspreche sehr wohl dem objektiven
Recht. Er habe die schweizerische Rechtsordnung beachtet und erfülle auch die
übrigen Voraussetzungen der erleichterten Einbürgerung. Er sei weder
vorbestraft noch rechtskräftig verurteilt. Das Strafverfahren im Ausland sei
noch hängig. Zudem werde das Beachten der ausländischen Rechtsordnung als
Einbürgerungsvoraussetzung im BüG nicht ausdrücklich genannt.

4.2. Die erleichterte Einbürgerung setzt nach Art. 26 Abs. 1 BüG voraus, dass
die Bewerberin bzw. der Bewerber in der Schweiz integriert ist (lit. a), die
schweizerische Rechtsordnung beachtet (lit. b) und die innere oder äussere
Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet (lit. c). Diese Voraussetzungen müssen
sowohl im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung als auch in demjenigen der
Einbürgerung erfüllt sein (BGE 140 II 65 E. 2.1 S. 67 mit Hinweis).

4.3. Das Kriterium des Beachtens der schweizerischen Rechtsordnung i.S.v. Art.
26 Abs. 1 lit. b BüG bedeutet, dass ein guter straf- und betreibungsrechtlicher
Leumund vorliegen muss (DORIS BIANCHI, Die Integration der ausländischen
Bevölkerung, 2003, S. 180 mit Hinweis) und im Einbürgerungsverfahren unter
anderem keine Strafverfahren gegen die Bewerberin bzw. den Bewerber hängig sein
dürfen (so ausdrücklich die Botschaft zum Bürgerrecht für junge Ausländerinnen
und Ausländer und zur Revision des Bürgerrechtsgesetzes vom 21. November 2001,
in BBl 2002 1911, 1943; vgl. auch BGE 140 II 65 E. 3.3.2 S. 69, wonach nicht
nur ergangene Strafurteile, sondern auch hängige Strafverfahren zur Nichtigkeit
der Einbürgerung führen können). Die Behörde hat in solchen Fällen das
Verfahren für die Dauer des laufenden Strafverfahrens auszusetzen (SPESCHA/
KERLAND/BOLZLI, Handbuch zum Migrationsrecht, 2. Aufl. 2015, S. 424; HARTMANN/
MERZ, a.a.O., Rz. 12.19) oder - nötigenfalls - die noch nicht rechtskräftige
Einbürgerungsverfügung zurückzunehmen.

4.4. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist im Rahmen von Art. 26
Abs. 1 lit. b BüG der Auslandsbezug durchaus von Relevanz, denn das Beachten
der Rechtsordnung setzt nicht nur voraus, dass eine einbürgerungswillige Person
die schweizerische Rechtsordnung eingehalten hat, sondern auch diejenige
allfälliger anderer Aufenthaltsstaaten, sofern die ausländischen Bestimmungen
im schweizerischen Recht (sinngemäss) Geltung finden (vgl. bloss für Ehegatten
eines Auslandsschweizers: Art. 28 i.V.m. Art. 26 Abs. 2 BüG; CÉLINE GUTZWILER,
Droit de la nationalité et fédéralisme en Suisse, 2008, Rz. 559; SAMAH OUSMANE,
in: Amarelle/Nguyen [Hrsg.], Code annoté de droit des migrations, Bd. V, 2014,
S. 100). Dies erschien dem Gesetzgeber bisher derart selbstverständlich, dass
er auf eine ausdrückliche Normierung verzichtete (und voraussichtlich auch
weiterhin davon absehen wird; vgl. die Botschaft zur Totalrevision des
Bundesgesetzes über das Schweizer Bürgerrecht vom 4. März 2011, in: BBl 2011
2825, 2833 [das Beachten der "öffentlichen Ordnung" als "Einhalten der
schweizerischen und [...] ausländischen Rechtsordnung"]; CÉLINE GUTZWILER,
Droit de la nationalité suisse, 2016, S. 30). In ständiger Behördenpraxis wird
denn auch seit jeher von allen Einbürgerungswilligen verlangt, ein Formular zu
unterschreiben, in dem sie bekräftigen, dass "keine Strafverfahren in der
Schweiz oder in anderen Staaten gegen [sie] hängig" sind (vgl. Ziff. 1 der
Erklärung betreffend Beachten der Rechtsordnung). Auch der Beschwerdeführer hat
diese Erklärung am 4. Dezember 2013 vorbehaltslos unterzeichnet.

4.5.

4.5.1. Dem vorinstanzlichen Entscheid und den Akten kann Folgendes entnommen
werden: Mit Beschluss vom 29. April 2005 ordnete das Amtsgericht München im
Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen den Beschwerdeführer die
Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr an. Er verfüge über intensive
Auslandsbeziehungen. Im Inland sei er weitgehend vermögenslos, habe aber
erhebliche Vermögenswerte im Ausland und stehe - in Kenntnis des anhängigen
Verfahrens - im Begriff, die Bundesrepublik Deutschland dauerhaft zu verlassen
(ein Wohnsitz in Neuseeland sei bereits vorhanden). Der Beschwerdeführer entzog
sich der Verhaftung. Im September 2005 wurde er zur internationalen Fahndung
ausgeschrieben. Am 21. Juli 2010 erliess das Amtsgericht einen neuen
Haftbefehl, in dem ihm Steuerhinterziehung von 1'097'881.59 Euro durch neun
Handlungen vorgeworfen wurde. Die Schweiz kam einem Auslieferungsbegehren
Deutschlands nicht nach, weil die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen
Steuerdelikte nach (auch heute noch) geltendem Schweizer Recht nicht
auslieferungsfähig waren. Das Steuerstrafverfahren ist, soweit ersichtlich,
noch nicht verjährt.

4.5.2. Zu prüfen ist, ob ein im Ausland hängiges Strafverfahren im Bereich der
Fiskaldelikte einer erleichterten Einbürgerung entgegenstehen kann. Der
Beschwerdeführer bringt diesbezüglich vor, da es sich bei einer
Steuerhinterziehung nach schweizerischem Recht lediglich um eine Übertretung
handle, sei der Ausgang des Verfahrens in Deutschland für die Beurteilung
seines Gesuchs letztlich nicht von Belang.

4.5.3. Grundsätzlich ist unbestritten, dass Personen, die wegen Verbrechen oder
Vergehen in der Schweiz oder im Ausland angeklagt sind, in der Regel nicht
eingebürgert werden können. Dagegen ist ungeklärt, ob auch Übertretungen gemäss
Art. 103 StGB ein Einbürgerungshindernis darstellen können. Die Frage wird,
sofern sie thematisiert wird, in der Literatur unterschiedlich beantwortet
(verneinend: HARTMANN/MERZ, a.a.O., Rz. 12.19, und SPESCHA/KERLAND/BOLZLI,
a.a.O., S. 424; relativierend: GUTZWILER, a.a.O., Rz. 559 [Einbürgerung auch
bei "infractions mineures"], unter Berufung auf BBl 2002 1911, 1943 ["in
Bagatellfällen ist die Einbürgerung trotzdem möglich"]; CHRISTIAN R.
TAPPENBECK, Das Bürgerrecht in der Schweiz und seine persönlichkeitsrechtliche
Dimension, 2011, S. 375 [Einbürgerung auch bei "einmaligen Verfehlungen"]).

4.5.4. Die Vorinstanz hat zunächst geprüft, ob ein  in der Schweiz hängiges
Strafverfahren wegen einer Übertretung einer erleichterten Einbürgerung
entgegen stehen könne. Sie hat zutreffend ausgeführt, in solchen Fällen wäre
eine Verweigerung der Einbürgerung ohne Ansehen des konkreten Einzelfalls
unverhältnismässig. Steuerhinterziehung werde in der Schweiz zwar nur mit Busse
bestraft, doch handle es sich dabei um eine schwere Übertretung, was sich darin
äussere, dass die Busse (abhängig vom Verschulden) einen Drittel bis zum
Dreifachen der hinterzogenen Steuer betragen könne (Art. 56 Abs. 1 StHG [SR
642.14] sowie Art. 175 Abs. 2 und Art. 176 Abs. 2 DBG [SR 642.11]) und damit
weit über den bei "normalen" Übertretungen gesetzlich festgelegten Höchstbetrag
von Fr. 10'000.-- (Art. 106 Abs. 1 StGB) hinausgehe. Der Straftatbestand der
Steuerhinterziehung diene dem Schutz des Anspruchs des Gemeinwesens auf die
Erhebung der gesetzlich vorgesehenen Steuer sowie der Durchsetzung der
allgemeinen und gleichmässigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit. Diesem Grundsatz komme im Einbürgerungsrecht eine erhöhte
Bedeutung zu, gehe es doch darum, dass ein Tatbeweis der Zustimmung zum
Schweizer Staatswesen verlangt werde. In der Schweiz wäre eine Einbürgerung
während eines hängigen Verfahrens wegen Steuerhinterziehung daher rechtswidrig
(praxisgemäss wäre in solchen Fällen der Ausgang des Verfahrens abzuwarten).
Dies müsse umso mehr gelten, als je nach den Umständen bereits Bewerbern, die
fällige Steuerrechnungen nicht bezahlt haben, die Einbürgerung verweigert werde
(vgl. E. 6.5 des angefochtenen Entscheids). Diese Ausführungen werden vom
Beschwerdeführer nicht beanstandet.

4.5.5. In einem zweiten Schritt hat die Vorinstanz geprüft, ob die Sachlage
anders zu beurteilen wäre, weil das Steuerstrafverfahren  im Ausland und nicht
in der Schweiz hängig ist. Sie hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich
Ziffer 1 der Erklärung betreffend Beachten der Rechtsordnung vorbehaltslos auf
alle in der Schweiz und im Ausland hängigen Strafverfahren beziehe (vgl. E. 4.4
hiervor). Zwar enthalte die Erklärung den Hinweis, das Erfordernis des
Beachtens der schweizerischen Rechtsordnung gelte analog auch für im Ausland
begangene Straftaten, die in der Schweiz mit Freiheitsstrafe bestraft würden.
Daraus lasse sich aber nicht ableiten, dass im Ausland hängige Strafverfahren
betreffend Delikten, die in der Schweiz mit Busse bestraft werden, bei der
Einbürgerung in keinem Fall zu berücksichtigen seien, zumal es vorliegend nicht
um untergeordnete Vorwürfe gehe, sondern um ein Verfahren betreffend
Steuerhinterziehung in einem schweren Fall, der in Deutschland mit einer
Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 der deutschen
Abgabenordnung [AO/DE; i.d.F. vom 1. Oktober 2002, BGBl. Teil I S. 3866; 2003 I
S. 61, zuletzt geändert durch Art. 19 Abs. 12 des Gesetzes vom 23. Dezember
2016, BGBl. Teil I S. 3234]) sanktioniert werden könne (vgl. E. 6.6.2 des
angefochtenen Entscheids). Mithin, so die Vorinstanz, divergierten die deutsche
und schweizerische Rechtsordnung betreffend der Art der Strafandrohung, jedoch
bestehe insofern Übereinstimmung, als Steuerhinterziehung in beiden Ländern als
ein sich gegen die Interessen der Allgemeinheit richtendes Verhalten
strafrechtlich sanktioniert werde. Unter Berücksichtigung des konkreten
Einzelfalls erweise sich deshalb die Rücknahme der Einbürgerungsverfügung
sowohl als verhältnis- als auch rechtmässig.

4.5.6. Der differenzierte Ansatz der Vorinstanz, der nach Massgabe des
Einzelfalls und der Verhältnismässigkeit der Heterogenität der vom
Übertretungsstrafrecht normierten Tatbestände Rechnung trägt, und der auch in
einem Teil des Schrifttums eine Stütze findet (E. 4.5.3 hiervor), verdient
Zustimmung, namentlich in Bezug auf ein im Ausland hängiges Strafverfahren
betreffend ein fiskalisches Delikt in einem schweren Fall, für das auch nach
schweizerischem Recht eine einschneidende Strafe droht. Das vom
Beschwerdeführer dagegen vorgebrachte Argument, wonach Übertretungen kein
Einbürgerungshindernis darstellen können, erweist sich dagegen als zu
schematisch.

4.6. Unter den gegebenen Umständen war es dem SEM nach dem Ausgeführten nicht
verwehrt, zur Durchsetzung des objektiven Rechts während der Rechtsmittelfrist
auf die fälschlicherweise erteilte erleichterte Einbürgerung des
Beschwerdeführers zurückzukommen. Besonders ausgeprägte private Interessen,
ausnahmsweise von dieser Regel abzuweichen, sind, wie die Vorinstanz zutreffend
ausführt, nicht ersichtlich.

4.7. Auch aus dem offensichtlich nicht mängelfreien Verlauf des
Einbürgerungsverfahrens, zu dem beide Parteien beigetragen haben, vermag der
Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten abzuleiten. Zwar trifft es einerseits
zu, dass er die Einbürgerungsbehörde von sich aus - wenngleich nicht schon
bereits bei Gesuchstellung - am 27. Juni 2013 über ein
Steuerermittlungsverfahren in Deutschland, das "nie vollständig" erledigt
worden sei, informiert hat (sowie in der Folge weitere Unterlagen eingereicht
hat, die er dem SEM jedoch erst im Rahmen seiner Stellungnahme vom 15. April
2014 zukommen liess, d.h. nachdem ihm die Behörde bereits eröffnet hatte, dass
sie eine Rücknahme der Einbürgerungsverfügung in Erwägung zieht). Andererseits
hat er die Erklärung betreffend das Beachten der Rechtsordnung am 4. Dezember
2013 unterschrieben und damit vorbehaltslos bestätigt, dass gegen ihn keine
Strafverfahren in der Schweiz oder in anderen Staaten hängig seien. Das war
jedoch offensichtlich unzutreffend. Das Formular weist unter der Rubrik
"Wichtige Bemerkung" ausdrücklich darauf hin, dass, falls ein Punkt bzw. Satz
der Erklärung nicht der Situation des Bewerbers entsprechen sollte, der
betreffende Text zu markieren ist und die nötigen Ausführungen in einem
separaten Begleitschreiben festgehalten werden müssen. Der Beschwerdeführer hat
seiner Erklärung kein Begleitschreiben beigelegt, das präzise und detaillierte
Angaben über das hängige Verfahren in Deutschland enthalten hätte. Dies wäre
jedoch zwingend erforderlich gewesen, zumal bei der Lektüre seines Schreibens
vom 27. Juni 2013 der Eindruck ersteht, beim laufenden
Steuerermittlungsverfahren in Deutschland handle es sich lediglich um einen
Bagatellfall, nicht aber, dass die deutschen Behörden dem Beschwerdeführer
einen schweren Fall von Steuerhinterziehung in Millionenhöhe vorwerfen.
Fragwürdig erscheint aber auch das Vorgehen der Einbürgerungsbehörde, die, wie
die Vorinstanz zu Recht hervorhebt, genügend Anlass und Gelegenheit gehabt
hätte, den Sachverhalt vollständig und rechtzeitig abzuklären. Sie hätte das
Einbürgerungsverfahren für die Dauer des laufenden Strafverfahrens ohne
Weiteres aussetzen können, statt eine Verfügung zu erlassen, die sie dann -
gewissermassen "in letzter Minute" vor Eintritt der formellen Rechtskraft -
zurücknehmen musste. Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass solche Situationen
zukünftig vermieden werden könnten, indem die Einbürgerungsbehörde die
Erklärung betreffend Beachten der Rechtsordnung überarbeitet und diese im Sinne
der vorangehenden Erwägungen anpasst.

5. 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art.
66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Kosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Staatssekretariat für Migration
und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. Februar 2017

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Karlen

Der Gerichtsschreiber: Misic

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