Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.643/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_643/2015

Urteil vom 3. August 2016

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Eusebio, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Karlen, Chaix,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
A. ________ und 63 Mitbeteiligte,
Beschwerdeführer,
alle vertreten durch Rechtsanwalt Urs Hofstetter-Arnet,

gegen

Salt Mobile SA,
handelnd durch Alcatel-Lucent Schweiz AG und diese substituiert durch
Rechtsanwalt Lorenzo Marazzotta,
Beschwerdegegnerin,

Politische Gemeinde Gossau, Baukommission,
Bahnhofstrasse 25, 9201 Gossau,
Baudepartement des Kantons St. Gallen,
Lämmlisbrunnenstrasse 54, 9001 St. Gallen.

Gegenstand
Baubewilligung (Neubau einer Mobilfunkanlage),

Beschwerde gegen den Entscheid vom 27. Oktober 2015 des Verwaltungsgerichts des
Kantons St. Gallen.

Sachverhalt:

A. 
Die SBB AG ist Eigentümerin der Parzelle Nr. 5677 in Gossau, welche im Spickel
zweier sich keilförmig verzweigender Bahnlinien, etwa 300 m westlich des
Bahnhofs, liegt; sie ist im Wesentlichen mit Infrastrukturanlagen für den
Bahnbetrieb überbaut.
Am 18. Dezember 2012 erteilte die Baukommission Gossau der Salt Mobile SA (im
Folgenden: Salt) die Baubewilligung für die Errichtung einer Mobilfunkanlage
auf dem Grundstück Nr. 5677 unter verschiedenen Auflagen und Bedingungen und
wies die zahlreichen Einsprachen ab.
Am 13. März 2014 wies das Baudepartement des Kantons St. Gallen den von
A.________ und 63 Mitbeteiligten erhobenen Rekurs im Sinne der Erwägungen ab,
soweit es darauf eintrat.
Am 27. Oktober 2015 wies das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen die von
A.________ und 63 Mitbeteiligten gegen diesen Rekursentscheid erhobene
Beschwerde ab und versah die Baubewilligung im Sinne der Erwägungen mit einer
zusätzlichen Auflage.

B. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen A.________
und 63 Mitbeteiligte, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die
Baubewilligung zu verweigern oder die Sache eventuell ans Verwaltungsgericht zu
neuem Entscheid zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragen
sie, ihrer Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen.

C. 
Am 21. Januar 2016 erkannte der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen
Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu.

D. 
Das Verwaltungsgericht und das Baudepartement beantragen, die Beschwerde
abzuweisen. Die Salt beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei.

E. 
Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) reicht eine Vernehmlassung ein, ohne einen
Antrag zu stellen.

F. 
A.________ und die 63 Mitbeteiligten halten an ihrer Beschwerde fest.

Erwägungen:

1. 
Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen
Entscheid über eine Mobilfunkanlage, welcher der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unterliegt (Art. 82 ff. BGG). Die
Beschwerdeführer sind Eigentümer oder Mieter von Liegenschaften im Umkreis von
700 m um die strittige Mobilfunkanlage herum und damit zur Beschwerde
legitimiert (Art. 89 Abs. 1 lit. b und c BGG; BGE 128 II 168 E. 2 S. 169 ff.
mit Hinweisen). Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.

2.

2.1. Art. 11 Abs. 1 des Umweltschutzgesetzes (SR 814.01; USG) bestimmt, dass
Strahlen durch Massnahmen bei der Quelle (Emissionsbegrenzungen) begrenzt
werden. Anlagen, welche nichtionisierende Strahlung (NIS) emittieren, müssen
deshalb so erstellt und betrieben werden, dass sie die in Anhang 1 der
Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (SR 814.70; NISV)
festgelegten vorsorglichen Emissionsbegrenzungen einhalten (Art. 4 Abs. 1
NISV). Gemäss Anhang 1 Ziffer 65 NISV müssen sämtliche Sendeanlagen für
Mobilfunk im massgebenden Betriebszustand an Orten mit empfindlicher Nutzung
(OMEN) den für sie aufgrund ihrer Sendefrequenz (en) massgebenden
Anlagegrenzwert (AGW) von Anhang 1 Ziffer 64 NISV einhalten.
Als OMEN gelten nach Art. 3 Abs. 3 NISV Räume in Gebäuden, in denen sich
Personen regelmässig während längerer Zeit aufhalten (lit. a), öffentliche oder
private, raumplanungsrechtlich festgesetzte Kinderspielplätze (lit. b) oder
diejenigen Bereiche von unüberbauten Grundstücken, in denen Nutzungen nach den
Buchstaben a und b zugelassen sind (lit. c).

2.2.

2.2.1. In der Sache bringen die Beschwerdeführer vor, die umstrittene Antenne
würde den nach NISV zulässigen Anlagewert an den OMEN 34 (Gozenberg 12) und 28
(Gozenberg 10) deutlich überschreiten. Das Baudepartement ist auf diese Rüge
wegen Verspätung nicht eingetreten, und das Verwaltungsgericht hat dies
geschützt (E. 4.3 S. 16 ff.). Die Beschwerdeführer rügen, dadurch habe es eine
formelle Rechtsverweigerung begangen.

2.2.2. Nach Art. 12 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons
St. Gallen vom 16. Mai 1965 (VRP) ermittelt die Behörde oder das von ihr
beauftragte Verwaltungsorgan den Sachverhalt (Abs. 1). "Sind zur Wahrung des
öffentlichen Interesses keine besonderen Erhebungen nötig, so sind nur die von
den Beteiligten angebotenen und die leicht zugänglichen Beweise über erhebliche
Tatsachen aufzunehmen" (Abs. 2). Nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts
kommt diese Bestimmung auch im Rechtsmittelverfahren zur Anwendung und
bedeutet, dass die Sachverhaltsdarstellung grundsätzlich im Rahmen der
Rekurseingabe zu erfolgen hat; nach Ablauf der Rekursfrist kann der Sachverhalt
von den Beteiligten nur noch ergänzt werden, wenn die Voraussetzungen für eine
nachträgliche Eingabe erfüllt sind. Diese Auslegung des einschlägigen
kantonalen Verfahrensrechts ist klarerweise nicht willkürlich. Die
Beschwerdeführer wurden denn auch anlässlich der Fristansetzung für die
Rekursbegründung vom 29. Januar 2013 ausdrücklich und im Fettdruck
aufgefordert, den "Rekurs bis zum nebenstehenden Termin mit der Darstellung des
Sachverhalts und einer Begründung zu ergänzen".

2.2.3. Die Rekursbegründung enthält keinerlei Vorbehalte bezüglich der OMEN 34
und 28; beide sind nicht Gegenstand des Rekurses. Beanstandet wurde hingegen,
bei OMEN 33 werde der AGW nicht eingehalten. Dies wurde seitens des
Baudepartements am Augenschein vom 27. August 2013 thematisiert; B.________ von
der Fachstelle NIS des AFU erläuterte dabei ausführlich, dass der Grenzwert -
wenn auch knapp - eingehalten sei. Über die OMEN 34 und 28 wurde am Augenschein
nicht gesprochen. Insofern erweist sich die Behauptung der Beschwerdeführer
nicht als schlüssig, (erst) die Ausführungen von B.________ am Augenschein
hätten Zweifel an den massgebenden Höhen der OMEN 34 und 28 erweckt. Dies umso
weniger, als sie auch in ihrer Stellungnahme zum Augenschein vom 25. September
2013 das Thema nicht aufgegriffen haben. Dies taten sie erstmals in ihrer
Eingabe vom 11. November 2013, mit welcher sie es ablehnen, den Rekurs
zurückzuziehen. Darin machten sie geltend, die massgebenden Höhen für die OMEN
34 und 28 seien mindestens 5 m, nicht 3,60 m, wie bisher angenommen, wodurch
sich die Strahlung von 3.78 V/m auf 7.20 V/m bzw. von 4.29 V/m auf 6.51 V/m
erhöhe; der AGW von 5 V/m werde daher bei beiden OMEN überschritten.
Das Baudepartement hat dazu in seinem Entscheid vom 13. März 2014 erwogen (E.
2.1 und 2.2. S. 9 f.), im Rekursverfahren hätten die Rekurrenten darzulegen, in
welchen Punkten die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz unrichtig oder
unvollständig sei, mit welchen Beweismitteln ihre Darstellung belegt werden
könne oder aus welchen Gründen die Beweiswürdigung der Vorinstanz fehl gehe.
Mit diesen Rügen werde der Streitgegenstand grundsätzlich verbindlich
festgelegt. Vorliegend sei nicht ersichtlich, inwiefern es den Rekurrenten erst
nach Abschluss der Sachverhaltsermittlung, in einem Verfahrensstadium, in dem
es nur noch um die Frage eines allfälligen Rückzugs gegangen sei, möglich
gewesen sei, ihre Einwände zu den OMEN 34 und 28 vorzubringen. Abgesehen davon
hätten sie sich lediglich mit der Behauptung begnügt, die massgebenden Höhen
seien falsch gewählt worden, ohne dies zu begründen. Auf die am 11. November
2013 erstmals erhobene Rüge, bei den OMEN 34 und 28 werde der AGW
überschritten, sei nicht einzutreten.

2.2.4. Diese Ausführungen des Baudepartements sind nicht zu beanstanden. Die
Beschwerdeführer bzw. damaligen Rekurrenten haben in ihrem Rekurs die im
"Standortdatenblatt für Mobilfunk- und WLL-Basisstationen (Art. 11 und Anhang 1
Ziff. 6 NISV) " vom 26. Januar 2012 enthaltenen Daten zu den OMEN 34 und 28 und
damit auch deren massgebenden Höhen nicht kritisiert. Dies taten sie auch am
(die Sachverhaltsermittlung grundsätzlich abschliessenden) Augenschein nicht,
und am Augenschein ergaben sich auch keine Hinweise darauf, dass die AGW für
die OMEN 34 und 28 falsch berechnet sein könnten. Unter diesen Umständen konnte
das Baudepartement in willkürfreier Anwendung des kantonalen Verfahrensrechts
auf die erstmals nachträglich erhobene Behauptung, die massgebende Höhe für die
OMEN 34 und 28 seien nicht 3,6 m, sondern mindestens 5 m, wegen Verspätung
nicht eintreten. Dies umso mehr, als die Beschwerdeführer in der Eingabe vom
11. November 2013 mit keinem Wort begründen, weshalb die massgebenden Höhen
falsch gewählt worden sein sollten; sie legen nur ihre Berechnung vor, dass die
AGW bei Annahme einer massgebenden Höhe von 5 m überschritten wären. Das BAFU
hat im Übrigen das Standortdatenblatt vom 26. Januar 2012 überprüft und konnte
keine Mängel feststellen; unter der (für das BAFU nicht überprüfbaren)
Voraussetzung, dass die topographischen Angaben im Standortdatenblatt korrekt
wiedergegeben sind, seien die AGW bei OMEN 34 und 28 eingehalten. Auf diese
Daten des Standortdatenblatts ist indessen abzustellen, da sie von den
Beschwerdeführern nicht rechtzeitig substantiiert kritisiert wurden.
Das Verwaltungsgericht hat damit kein Bundesrecht verletzt, indem es das
Nichteintreten des Baudepartements auf diese verspätete Rüge schützte und sie
dementsprechend - weil ausserhalb des verwaltungsgerichtlichen
Streitgegenstands - auch selber nicht behandelte. Die Rüge ist unbegründet.

2.2.5. Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht den Beschwerdeführern ohnehin
insofern entgegengekommen, als es auch für OMEN 34 eine Abnahmemessung
anordnete. Für OMEN 28 wurde die Beschwerdegegnerin bereits von den
Vorinstanzen zu einer Abnahmemessung verpflichtet. Sollten sich dabei
Strahlengrenzwertüberschreitungen ergeben, wäre die Beschwerdegegnerin
verpflichtet, nachträglich die Voraussetzungen für die Einhaltung der
Grenzwerte zu schaffen. Die Beschwerdeführer tragen damit kein ernsthaftes
Risiko, bei OMEN 34 und 28 unzulässige Strahlengrenzwertüberschreitungen
hinnehmen zu müssen.

3. 
Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und ist abzuweisen. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens werden die Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art.
66 Abs. 1 BGG). Sie haben zudem der obsiegenden Beschwerdegegnerin eine
angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 8'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführer haben der Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Politischen Gemeinde Gossau, dem
Baudepartement des Kantons St. Gallen, dem Verwaltungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Umwelt schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. August 2016

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Eusebio

Der Gerichtsschreiber: Störi

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