Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.63/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]                                       
{T 1/2}
                                                     
1C_63/2015, 1C_109/2015, 1C_237/2015, 1C_293/2015

Urteil vom 24. August 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen, Chaix, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Mattle.

Verfahrensbeteiligte
1. Tomas Poledna,
2. David Gibor,
Beschwerdeführer,

gegen

1C_63/2015, 1C_237/2015
Schweizerischer Bundesrat, vertreten durch die Schweizerische Bundeskanzlei,

und

1C_109/2015, 1C_293/2015
Schweizerischer Bundesrat, vertreten durch die Schweizerische Bundeskanzlei,
Regierungsrat des Kantons Zürich. 

weitere Beteiligte:

Schweizerische Volkspartei,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Wirz.

Gegenstand
Eidgenössische Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung" (Ergebnis der
Volksabstimmung
vom 9. Februar 2014),

Beschwerden gegen den Erwahrungsbeschluss
vom 13. Mai 2014 des Schweizerischen Bundesrats
und der Beschlüsse vom 11. Februar 2015 sowie vom 20. Mai 2015 des
Regierungsrats des Kantons Zürich.

Sachverhalt:

A.

 Am 9. Februar 2014 fand die eidgenössische Volksabstimmung zur Volksinitiative
"Gegen Masseneinwanderung" statt. Mit Beschluss vom 12. Februar 2014
veröffentlichte der Regierungsrat des Kantons Zürich das kantonale Ergebnis der
Volksabstimmung (Amtsblatt des Kantons Zürich vom 14. Februar 2014). Mit
Erwahrungsbeschluss vom 13. Mai 2014 stellte der Bundesrat fest, dass die
Volksinitiative vom Volk mit 1'463'854 Ja-Stimmen gegen 1'444'552 Nein-Stimmen
und von den Ständen mit 125/2 Ja gegen 8½ Nein angenommen worden ist (BBl 2014
4117).

B.

 Am 28. Januar 2015 ersuchten Tomas Poledna und David Gibor den Bundesrat um
Wiedererwägung des Erwahrungsbeschlusses vom 13. Mai 2014. Der Bundesrat hat am
25. Februar 2015 beschlossen, auf das Gesuch um Wiedererwägung des
Erwahrungsbeschlusses nicht einzutreten. Er führte indessen aus, dass er
gehalten wäre, den Erwahrungsbeschluss anzupassen, falls sich im
bundesgerichtlichen Verfahren erweisen sollte, dass das Abstimmungsergebnis vom
9. Februar 2014 ungültig sei.

C.

 Am 28. Januar 2015 sowie am 4. Mai 2015 haben Tomas Poledna und David Gibor
gemeinsam Beschwerde ans Bundesgericht erhoben (Verfahren 1C_63/2015 sowie
Verfahren 1C_237/2015). Sie beantragen, die Abstimmung vom 9. Februar 2014 zur
Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung" sowie der Erwahrungsbeschluss des
Bundesrats vom 13. Mai 2014 seien aufzuheben; eventualiter sei festzustellen,
dass die Abstimmung mit derartigen Mängeln behaftet sei, dass die Angelegenheit
an den Bundesrat zur Fassung eines neuen Erwahrungsbeschlusses zu überweisen
sei. Die Beschwerdeführer machen geltend, vor der eidgenössischen
Volksabstimmung zur Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung" seien die
Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mittels rassendiskriminierender Inserate in
unzulässiger Weise beeinflusst worden.

D.

 In der gleichen Sache erhoben Tomas Poledna und David Gibor ebenfalls am 28.
Januar 2015 sowie am 4. Mai 2015 gemeinsam Beschwerde an den Regierungsrat des
Kantons Zürich. Mit Beschlüssen vom 11. Februar 2015 sowie vom 20. Mai 2015
trat der Regierungsrat auf diese Beschwerden nicht ein. Gegen die Beschlüsse
des Regierungsrats vom 11. Februar 2015 sowie vom 20. Mai 2015 haben Tomas
Poledna und David Gibor am 19. Februar 2015 sowie am 2. Juni 2015 wiederum
gemeinsam Beschwerde ans Bundesgericht erhoben (Verfahren 1C_109/2015 sowie
Verfahren 1C_293/2015). Sie stellen in der Sache die gleichen Anträge wie in
ihren Beschwerden ans Bundesgericht vom 28. Januar 2015 sowie vom 4. Mai 2015.

E.

 Die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich für den
Regierungsrat sowie die Schweizerische Bundeskanzlei für den Bundesrat
beantragen, die Beschwerden seien abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Die Schweizerische Volkspartei beantragt, auf die Beschwerden sei nicht
einzutreten, eventualiter seien sie abzuweisen. Mit Eingaben vom 10. April 2015
sowie vom 6. Juli 2015 halten die Beschwerdeführer an ihren Anträgen fest.

Erwägungen:

1.

 Die vier von den beiden Beschwerdeführern gemeinsam erhobenen Beschwerden
(Verfahren 1C_63/2015, 1C_109/2015, 1C_237/2015 sowie 1C_293/2015) betreffen
alle die eidgenössische Volksabstimmung vom 9. Februar 2014 zur Volksinitiative
"Gegen Masseneinwanderung". Es rechtfertigt sich, die vier Verfahren zu
vereinigen (vgl. Art. 71 BGG i.V.m. Art. 24 BZP).

2.

 Unregelmässigkeiten bei eidgenössischen Volksabstimmungen sind mit
Abstimmungsbeschwerde bei der Kantonsregierung zu rügen (Art. 77 Abs. 1 des
Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 17. Dezember 1976 [BPR; SR
161.1]). Die Abstimmungsbeschwerde ist im Vorfeld der Abstimmung oder
unmittelbar danach innert dreier Tage seit Entdeckung einer Unregelmässigkeit
zu erheben, spätestens am dritten Tag nach Veröffentlichung der kantonalen
Ergebnisse im Amtsblatt (Art. 77 Abs. 2 BPR). Eine Abstimmungsbeschwerde im
Sinne von Art. 77 BPR haben die Beschwerdeführer seinerzeit nicht erhoben. Sie
machen indessen geltend, die Abstimmung vom 9. Februar 2014 sei wegen
nachträglich bekannt gewordener Unregelmässigkeiten aufzuheben, weil die in
Art. 34 Abs. 2 BV verankerte Abstimmungsfreiheit verletzt worden sei.

2.1. Ein Rechtsmittel, mit welchem nachträglich bekannt gewordene
Unregelmässigkeiten bei eidgenössischen Abstimmungen gerügt werden können,
sieht das BPR nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts leitet sich
indessen (wie in kantonalen Stimmrechtssachen) direkt aus Art. 29 Abs. 1 i.V.m.
Art. 29a BV ein Recht auf Überprüfung der Regularität einer eidgenössischen
Volksabstimmung ab, wenn im Nachhinein eine massive Beeinflussung der
Volksbefragung zutage tritt (BGE 138 I 61 E. 4.2 f. S. 71 ff.).

2.2. Zuständig zur Beurteilung von Beschwerden, mit denen die Rechts- und
Verfassungsmässigkeit einer eidgenössischen Volksabstimmung wegen erst
nachträglich bekannt gewordener schwerwiegender Mängel in Frage gestellt wird,
ist in letzter Instanz das Bundesgericht (Art. 189 Abs. 1 lit. f. BV; BGE 138 I
61 E. 4.4 S. 75). Kommt in einem solchen Fall das Revisionsverfahren nach Art.
121 ff. BGG nicht in Frage, weil im Zeitraum der eidgenössischen
Volksabstimmung keine Abstimmungsbeschwerde bei der zuständigen
Kantonsregierung und hernach keine Beschwerde beim Bundesgericht erhoben worden
ist, rechtfertigt es sich, die Verfahrensbestimmungen des BPR analog
anzuwenden. Demzufolge ist das Verfahren diesfalls grundsätzlich bei der
Kantonsregierung einzuleiten (BGE 138 I 61 E. 4.6 S. 77). Dies gilt analog zur
Abstimmungsbeschwerde gemäss Art. 77 Abs. 1 BPR auch, wenn Anträge gestellt
oder Sachverhalte beanstandet werden, welche die Kantonsregierung mangels
Zuständigkeit nicht materiell beurteilen kann. Das ist etwa der Fall, wenn die
Verschiebung oder Absetzung einer eidgenössischen Abstimmung verlangt wird oder
wenn Eingriffe in den Abstimmungskampf beanstandet werden, die
kantonsübergreifend wirken, weil sie von Bundesbehörden, eidgenössischen
Parteien oder anderen schweizweit tätigen Personen oder Vereinigungen ausgehen
oder durch nationale Medien verbreitet werden. In solchen Fällen hat die
Kantonsregierung einen formellen Nichteintretensentscheid zu fällen (BGE 137 II
177 E. 1.2.3 S. 180 f.; Urteil 1C_372/2014, 1C_373/2014 vom 4. September 2014
E. 3.1, nicht publiziert in: BGE 140 I 338).
Weist die Kantonsregierung eine wegen nachträglich bekannt gewordener
schwerwiegender Mängel im Abstimmungsverfahren erhobene Beschwerde ab oder
tritt sie darauf nicht ein, kann dagegen Beschwerde ans Bundesgericht erhoben
werden (Art. 80 Abs. 1 BPR analog i.V.m. Art. 82 lit. c und Art. 88 Abs. 1 lit.
b BGG). Darin können dem Bundesgericht auch Fragen unterbreitet werden, welche
die Kantonsregierung mangels Zuständigkeit nicht behandeln konnte, sofern sie
auf kantonaler Ebene bereits aufgeworfen wurden. Dies gilt auch, wenn der
Beschwerdeführer dazu bisher keine formellen Anträge gestellt hat (BGE 137 II
177 E. 1.2.3 S. 181; Urteil 1C_372/2014, 1C_373/2014 vom 4. September 2014 E.
3.1, nicht publiziert in: BGE 140 I 338).

 Die Durchführung eines Meinungsaustauschs zwischen dem Bundesgericht und dem
Regierungsrat des Kantons Zürich zur Frage der Zuständigkeit ist nach dem
Ausgeführten nicht erforderlich, sodass der entsprechende Antrag der
Beschwerdeführer abzuweisen ist.

2.3. Gegen die in den Verfahren 1C_109/2015 sowie 1C_293/2015 angefochtenen
Beschlüsse des Regierungsrats vom 11. Februar 2015 sowie vom 20. Mai 2015 steht
grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans
Bundesgericht in der Form der Stimmrechtsbeschwerde offen, mit welcher die
Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer politischen Rechte rügen können (Art. 80
Abs. 1 BPR analog i.V.m. Art. 82 lit. c und Art. 88 Abs. 1 lit. b BGG). Die
Beschwerdeführer sind in eidgenössischen Angelegenheiten stimmberechtigt und
damit zur Beschwerde berechtigt (vgl. Art. 89 Abs. 3 BGG). Sie haben die
Beschlüsse des Regierungsrats innert der Frist von Art. 100 Abs. 3 lit. b BGG
angefochten. Auf die Beschwerden in den Verfahren 1C_109/2015 sowie 1C_293/2015
ist einzutreten, soweit die Beschwerdeführer die Überprüfung der Regularität
der eidgenössischen Volksabstimmung vom 9. Februar 2014 zur Volksinitiative
"Gegen Masseneinwanderung" beantragen (zur Entscheidbefugnis des Bundesgerichts
im Verfahren von nachträglichem Rechtsschutz bei eidgenössischen Abstimmungen
vgl. E. 3.3 nachfolgend). Nicht auf sie einzutreten ist hingegen, soweit die
Beschwerdeführer unmittelbar die Aufhebung des Erwahrungsbeschlusses des
Bundesrats vom 13. Mai 2014 durch das Bundesgericht beantragen (vgl. Art. 189
Abs. 4 BV i.V.m. Art. 88 Abs. 1 BGG; BGE 138 I 61 E. 4.7 S. 78).

2.4. Nicht einzutreten ist sodann auf die in den Verfahren 1C_63/2015 sowie
1C_237/2015 in der gleichen Sache unmittelbar beim Bundesgericht erhobenen
Beschwerden. Es kann offen bleiben, wie diese Beschwerden zu behandeln gewesen
wären, wenn die Beschwerdeführer es unterlassen hätten, gleichzeitig mit
Beschwerde an den Regierungsrat zu gelangen (vgl. BGE 138 I 61 E. 4.6 S. 77).

3.

 Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von Art. 34 BV. Sie machen geltend,
die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger seien vor der eidgenössischen
Volksabstimmung zur Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung" in unzulässiger
Weise beeinflusst worden.

3.1. Die in der Bundesverfassung verankerte Garantie der politischen Rechte
(Art. 34 Abs. 1 BV) schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte
Stimmabgabe (Art. 34 Abs. 2 BV). Geschützt wird namentlich das Recht der aktiv
Stimmberechtigten, weder bei der Bildung noch bei der Äusserung des politischen
Willens unter Druck gesetzt oder in unzulässiger Weise beeinflusst zu werden.
Sie sollen ihre politische Entscheidung gestützt auf einen gesetzeskonformen
sowie möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen
können. Die Abstimmungsfreiheit gewährleistet die für den demokratischen
Prozess und die Legitimität direktdemokratischer Entscheidungen erforderliche
Offenheit der Auseinandersetzung (BGE 140 I 338 E. 5 S. 341 f. mit Hinweisen).
Aus Art. 34 Abs. 2 BV wird namentlich eine Verpflichtung der Behörden auf
korrekte und zurückhaltende Information im Vorfeld von Abstimmungen abgeleitet.
Diese unterliegt den Geboten der Sachlichkeit, der Transparenz und der
Verhältnismässigkeit. Behördliche Informationen müssen geeignet sein, zur
offenen Meinungsbildung beizutragen, und dürfen nicht in dominanter und
unverhältnismässiger Art im Sinne eigentlicher Propaganda eine freie
Willensbildung der Stimmberechtigten erschweren oder geradezu verunmöglichen (
BGE 140 I 338 E. 5.1 S. 342 mit Hinweisen). Auch private Informationen im
Vorfeld von Sachabstimmungen können in unzulässiger Weise die Willensbildung
der Stimmberechtigten beeinflussen. Private Äusserungen stehen allerdings
grundsätzlich unter dem Schutz der Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit,
weshalb eine derartige Beeinträchtigung nicht leichthin angenommen wird.
Private Äusserungen führen nur ausnahmsweise zu einer Interventionspflicht der
Behörden oder gar zu einer Aufhebung der Abstimmung, nämlich bei einer
schwerwiegenden Irreführung der Stimmbürger über zentrale Abstimmungsinhalte (
BGE 140 I 338 E. 5.3 S. 343 mit Hinweisen).

3.2. Beschwerden, mit denen die Rechts- und Verfassungsmässigkeit einer
eidgenössischen Volksabstimmung wegen erst nachträglich bekannt gewordener
schwerwiegender Mängel in Frage gestellt wird, prüft das Bundesgericht in zwei
Schritten.
In einem ersten Schritt untersucht es, ob die Voraussetzungen für eine
Neubeurteilung des bereits abgeschlossenen Abstimmungsverfahrens gegeben sind.
Erforderlich ist zunächst, dass die Beschwerdeführer gravierende Mängel
vorbringen, welche die Abstimmung massiv und entscheidend beeinflusst haben
könnten und das Abstimmungsverfahren als fragwürdig erscheinen lassen könnten.
Die vorgebrachten Unregelmässigkeiten müssen von einer erheblichen Tragweite
sein. Ferner ist erforderlich, dass Tatsachen und Beweismittel vorgebracht
werden, die im Zeitraum der Abstimmung und während der anschliessenden
Beschwerdefrist nicht bekannt waren, die aus rechtlichen oder tatsächlichen
Gründen nicht geltend gemacht werden konnten oder die mangels Veranlassung
nicht geltend gemacht werden mussten. Die Tatsachen und Beweismittel müssen
sich somit auf Fakten beziehen, die zur Zeit der Abstimmung bereits vorhanden,
aber noch unbekannt waren bzw. unbeachtet bleiben konnten (sog. unechte Noven).
Das nachträgliche Verfahren kann nicht dazu dienen, Unterlassungen der Beweis-
und Beschwerdeführung im Zeitpunkt der Abstimmung wieder gutzumachen. Umgekehrt
sind erst im Laufe der Zeit sich ergebende Tatsachen (sog. echte Noven) ohne
Bedeutung. Schliesslich gilt, dass zeitlich nicht unbegrenzt um Neubeurteilung
eines weit zurückliegenden Abstimmungsverfahrens ersucht werden kann. An die
genannten Voraussetzungen ist ein strenger Massstab anzulegen. Wegen der
Bedeutung der Beständigkeit direktdemokratisch getroffener Entscheidungen und
aus Gründen der Rechtssicherheit soll nicht leichthin auf ein abgeschlossenes
Abstimmungsverfahren und auf ein erwahrtes Abstimmungsergebnis zurückgekommen
werden können.
Sind die Voraussetzungen für eine Neubeurteilung eines abgeschlossenen
Abstimmungsverfahrens erfüllt, so ist die Abstimmung in einem zweiten Schritt
unter Berücksichtigung der neuen Tatsachen und Beweise und allenfalls nach
Abschluss eines Instruktions- und Beweisverfahrens einer materiellen (Neu-)
Beurteilung zu unterziehen. Es ist diesfalls zu prüfen, ob und welche
Unregelmässigkeiten tatsächlich vorgekommen sind, welche Schwere sie
aufgewiesen haben und welche Bedeutung ihnen im demokratischen
Entscheidungsprozess zugekommen ist (zum Ganzen vgl. BGE 138 I 61 E. 4.5 S. 75
ff. mit Hinweisen auf Lehre und Praxis).

3.3. Gelangt das Bundesgericht in einem Verfahren von nachträglichem
Rechtsschutz zum Schluss, eine vom Bundesrat bereits erwahrte eidgenössische
Volksabstimmung sei mit erheblichen Mängeln behaftet gewesen, stellt sich die
Frage nach der Entscheidbefugnis des Bundesgerichts. Zeigt sich, dass die
Mängel vor dem Hintergrund der gesamten konkreten Verhältnisse nicht von
ausschlaggebendem Gewicht waren, sodass das Abstimmungsverfahren insgesamt
nicht als irregulär erscheint, kann das Bundesgericht die Beschwerde abweisen
und die Mängel sowie eine Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV in den Erwägungen
formlos feststellen. Denkbar ist aber auch, dass das Bundesgericht die
Beschwerde in einem solchen Fall teilweise gutheisst und im Dispositiv förmlich
feststellt, dass die eidgenössische Abstimmung mit erheblichen Mängeln behaftet
war und damit die Abstimmungsfreiheit gemäss Art. 34 Abs. 2 BV verletzt worden
ist. Ergibt die Prüfung des Bundesgerichts hingegen, dass die Mängel in
Anbetracht der gesamten konkreten Verhältnisse von ausschlaggebender Bedeutung
für die eidgenössische Volksabstimmung gewesen sind, stellt sich in Anbetracht
der Besonderheiten des Verhältnisses unter den höchsten Gewalten des Bundes die
Frage, ob und unter welchen weiteren Voraussetzungen das Bundesgericht befugt
ist, die eidgenössische Volksabstimmung nachträglich noch aufzuheben (zum
Ganzen BGE 138 I 61 E. 4.7 S. 78 f. mit Hinweisen). Wie es sich damit im
Einzelnen verhält, braucht im vorliegenden Fall angesichts der nachfolgenden
Ausführungen nicht vertieft zu werden.

4.

 Die Beschwerdeführer machen geltend, die Stimmberechtigten seien vor der
Abstimmung über die Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung" durch ein Plakat
in unzulässiger Weise beeinflusst worden. Die Schweizerische Volkspartei habe
das umstrittene Plakat in verschiedenen Presseerzeugnissen inserieren lassen
und auf der Website der Partei sowie einer Kampagnen-Website publiziert. Den
Grund, der ihnen einen Anspruch auf eine Neubeurteilung des abgeschlossenen
Abstimmungsverfahrens vermitteln soll, erblicken die Beschwerdeführer darin,
dass die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, welche wegen des Plakats bzw. der
Inserate eine Strafuntersuchung führte, am 15. Dezember 2014 gegen zwei
Personen Anklage erhob, dass das Regionalgericht Bern-Mittelland am 23. Januar
2015 diese Anklage zuliess und dass das Regionalgericht die zwei Personen am
30. April 2015 gestützt auf Art. 261bis Abs. 1 StGB erstinstanzlich der
Rassendiskriminierung schuldig sprach.

4.1. Zu prüfen ist zunächst, ob die Beschwerdeführer gravierende Mängel
vorbringen, welche die Abstimmung massiv und entscheidend beeinflusst haben
könnten. Sie führen diesbezüglich aus, das erwähnte Plakat habe bereits mit
seiner ersten Veröffentlichung in verschiedenen Zeitungen landesweite Empörung
und ein grosses mediales Echo ausgelöst, was ihm einen sehr hohen
Bekanntheitsgrad verschafft habe. Das Inserat sei im Zusammenhang mit einer
eingereichten Strafanzeige in der Folge immer wieder thematisiert und teilweise
wiederholt abgebildet worden. Zudem sei es während rund 28 Monaten bis wenige
Wochen vor dem Abstimmungstermin auf der Kampagnen-Website bzw. noch über den
Abstimmungstermin hinaus auf der Website der Schweizerischen Volkspartei
öffentlich einsehbar gewesen. Das Inserat habe somit fortdauernd prägend auf
die Meinungsbildung der Stimmberechtigten eingewirkt. Dem entgegnen die
Bundeskanzlei sowie die Schweizerische Volkspartei, im Internet sei das Inserat
zwar lange verfügbar gewesen, es habe sich aber ausdrücklich auf die
Unterschriftensammlung bezogen und sei für den eigentlichen Abstimmungskampf,
wenn überhaupt, nur von untergeordneter Bedeutung gewesen.
Unabhängig davon, ob das umstrittene Plakat von strafrechtlicher Relevanz war
oder nicht, ist zweifelhaft, ob es sich bei den von den Beschwerdeführern
vorgebrachten Mängeln am Abstimmungsverfahren um derart gravierende bzw.
erhebliche Mängel handelt, dass sie eine Neubeurteilung des bereits
abgeschlossenen Verfahrens rechtfertigen könnten. Angesichts des frühen
Zeitpunkts, in welchem das Plakat als Inserat in verschiedenen
Presseerzeugnissen erschien, erscheint insbesondere fraglich, ob es die
Abstimmung tatsächlich noch beeinflussen konnte und falls ja, ob der Einfluss
so gross sein konnte, wie die Beschwerdeführer dies annehmen. Wie es sich damit
verhält, kann letztlich offen bleiben, weil - wie nachfolgend aufzuzeigen ist -
eine Neubeurteilung des Abstimmungsverfahrens ohnehin ausgeschlossen ist.

4.2. Die Beschwerdeführer haben von der Existenz des erwähnten Plakats, von
seinem Inhalt sowie der Art und Weise seiner Verwendung unbestrittenerweise
bereits vor der eidgenössischen Volksabstimmung vom 9. Februar 2014 Kenntnis
erlangt. Sie hätten ohne weiteres innert der Frist von Art. 77 Abs. 2 BPR
Abstimmungsbeschwerde beim Regierungsrat erheben und rügen können, das Plakat
bzw. die Inserate beeinflussten die Stimmberechtigten in unzulässiger Weise.
Soweit die Beschwerdeführer (sinngemäss) geltend machen, sie hätten erst
anlässlich der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft im Dezember 2014,
der Anklagezulassung durch das Regionalgericht im Januar 2015 bzw. der
erstinstanzlichen Verurteilung von zwei Personen durch das Regionalgericht Ende
April 2015 erkennen können, dass das umstrittene Plakat strafrechtlich relevant
sein könnte, beziehen sie sich nicht auf Fakten, die zur Zeit der Abstimmung
bereits vorhanden, aber noch unbekannt waren bzw. unbeachtet bleiben konnten.
Was die Anklageerhebung, die Anklagezulassung und das erstinstanzliche Urteil
des Regionalgerichts angeht, handelt es sich vielmehr um Vorgänge, die sich
erst im Laufe der Zeit ergeben haben (echte Noven; vgl. E. 3.2 hiervor). Zudem
ist die Frage, ob das umstrittene Plakat bzw. Inserat strafrechtlich relevant
sei oder nicht, nicht eine Tat- sondern eine Rechtsfrage, welche die
Beschwerdeführer bereits im Rahmen einer Abstimmungsbeschwerde im Zusammenhang
mit der Abstimmung hätten aufwerfen können.

4.3. Damit sind die Voraussetzungen für eine Neubeurteilung des bereits
abgeschlossenen Abstimmungsverfahrens nicht gegeben. Die entsprechenden Anträge
der Beschwerdeführer sind abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Unter
diesen Umständen braucht nicht weiter auf die in der jüngsten Doktrin
diskutierte Frage eingegangen zu werden, ob und gegebenenfalls unter welchen
Voraussetzungen rassistische Äusserungen im Sinne von Art. 261bis StGB im
Abstimmungskampf unter dem Gesichtspunkt der Wahl- und Abstimmungsfreiheit
überhaupt als unzulässige Einwirkung qualifiziert werden können (Denise Buser,
Gibt es Grenzen der Einflussnahme Privater in Abstimmungskampagnen?, Jusletter
18. Mai 2015 Rz. 32 ff.; Andreas Glaser/Arthur Brunner, Der Einsatz
strafrechtlich verbotener Mittel bei Abstimmungen aus verfassungsrechtlicher
Perspektive, Jusletter 8. Juni 2015 Rz. 10 ff.; Markus Schefer/Lukas Schaub,
Rassendiskriminierende Propaganda im Abstimmungskampf, Jusletter 10. August
2015 Rz. 14 ff.).

5.

 In Ziffer II des angefochtenen Beschlusses vom 20. Mai 2015 hat der
Regierungsrat den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftung
Verfahrenskosten in der Höhe von Fr. 1'240.-- auferlegt. Die Beschwerdeführer
stellen im Verfahren 1C_293/2015 den Antrag, die entsprechende Kostenauflage
des Regierungsrats sei aufzuheben. Sie rügen sinngemäss eine Verletzung von
Art. 86 Abs. 1 BPR sowie Art. 9 BV.

5.1. Für Amtshandlungen aufgrund des BPR dürfen keine Kosten erhoben werden
(Art. 86 Abs. 1 Satz 1 BPR). Bei trölerischen oder gegen den guten Glauben
verstossenden Beschwerden können die Kosten dem Beschwerdeführer überbunden
werden (Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BPR).

5.2. Der Regierungsrat hat dazu im angefochtenen Beschluss vom 20. Mai 2015
ausgeführt, den Beschwerdeführern habe bewusst sein müssen, dass sie mit der
Beschwerde keinen Erfolg haben werden, da sich die Gründe für das
Nichteintreten des Regierungsrats am 11. Februar 2015 nicht verändert hätten.
Insbesondere sei den Beschwerdeführern bewusst gewesen, dass der Regierungsrat
mangels Zuständigkeit auf die Beschwerde nicht werde eintreten können.
Gleichwohl hätten sie erneut Beschwerde erhoben, was trölerisch sei und gegen
den guten Glauben verstosse.

5.3. Wie die Beschwerdeführer zu Recht ausführen, ist ihnen grundsätzlich nicht
vorzuwerfen, dass sie zunächst Beschwerde beim Regierungsrat erhoben haben,
zumal das Bundesrecht ein solches Vorgehen gebietet (vgl. E. 2.2 hiervor).
Näher zu prüfen ist immerhin, ob die am 4. Mai 2015 eingereichte zweite
Beschwerde an den Regierungsrat als im Sinne von Art. 86 Abs. 1 Satz 2
trölerisch oder gegen den guten Glauben verstossend einzustufen ist, nachdem
der Regierungsrat bereits auf die am 28. Januar 2015 eingereichte erste
Beschwerde nicht eingetreten war.
Es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer befürchtet haben, das
Bundesgericht könnte ihre Beschwerde vom 19. Februar 2015 gegen den
Regierungsratsbeschluss vom 11. Februar 2015 im Verfahren 1C_109/2015 mit der
Begründung abweisen, dass das Regionalgericht Bern-Mittelland wegen des
umstrittenen Plakats zwar die Anklage gegen zwei Personen zugelassen habe, dass
angesichts des noch ausstehenden Strafurteils allerdings noch gar nicht
feststehe, ob das Plakat strafrechtlich relevant sei oder nicht. Zwar
rechtfertigen wie erwähnt weder die Anklagezulassung noch das erstinstanzliche
Strafurteil eine Neubeurteilung des bereits abgeschlossenen
Abstimmungsverfahrens (vgl. E. 4.2 hiervor). Dass die Beschwerdeführer
befürchtet haben, das Bundesgericht könnte ihre Beschwerde vom 19. Februar 2015
unter Hinweis auf das noch ausstehende Strafurteil abweisen, und dass sie aus
diesem Grund unmittelbar im Anschluss an das Strafurteil des Regionalgerichts
erneut Beschwerde an den Regierungsrat erhoben haben, kann allerdings nicht als
geradezu trölerisch oder gegen den guten Glauben verstossend bezeichnet werden.
Damit steht das Auferlegen von Verfahrenskosten gemäss Beschluss des
Regierungsrats vom 20. Mai 2015 im Widerspruch zu Art. 86 Abs. 1 BPR und ist
die Beschwerde der Beschwerdeführer im Verfahren 1C_293/2015 insoweit
gutzuheissen.

6.

 Nach dem Ausgeführten ist auf die beiden Beschwerden in den Verfahren 1C_63/
2015 sowie 1C_237/2015 ist nicht einzutreten. Die Beschwerde im Verfahren
1C_109/2015 ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Beschwerde im
Verfahren 1C_293/2015 ist teilweise gutzuheissen und Ziffer II des Beschlusses
des Regierungsrats vom 20. Mai 2015 aufzuheben. Im Übrigen ist die Beschwerde
abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Mit dem Entscheid in der Sache
werden die Begehren der Beschwerdeführer um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos. Die Beschwerdeführer werden im Umfang ihres Unterliegens
kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 86 Abs. 2 BPR).
Parteientschädigungen für das bundesgerichtliche Verfahren sind keine
zuzusprechen (vgl. Art. 68 Abs. 1 und 3 BGG).

 

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Verfahren 1C_63/2015, 1C_109/2015, 1C_237/2015 sowie 1C_293/2015 werden
vereinigt.

2.
Auf die Beschwerden in den Verfahren 1C_63/2015 sowie 1C_237/2015 wird nicht
eingetreten. Die Beschwerde im Verfahren 1C_109/2015 wird abgewiesen, soweit
darauf einzutreten ist. Die Beschwerde im Verfahren 1C_293/2015 wird teilweise
gutgeheissen und Ziffer II des Beschlusses des Regierungsrats vom 20. Mai 2015
aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

3. 
Den Beschwerdeführern werden unter solidarischer Haftung reduzierte
Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Schweizerischen Volkspartei, dem
Schweizerischen Bundesrat und dem Regierungsrat des Kantons Zürich schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 24. August 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Mattle

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