Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.625/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_625/2015

Urteil vom 4. Juli 2016

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiberin Pedretti.

Verfahrensbeteiligte
1. Rechtsamegemeinde Kiesen,
2. A.________AG,
3. B.A.________ und C.A.________,
Beschwerdeführer,
alle drei vertreten durch Fürsprecher Ulrich Keusen, Bratschi Wiederkehr &
Buob,

gegen

Einwohnergemeinde Kiesen,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Gerhard Schnidrig,

Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland.

Gegenstand
Verkehrsbeschränkung Dorfgebiet; Tempo-30-Zone,

Beschwerde gegen das Urteil vom 28. Oktober 2015 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern.

Sachverhalt:

A.
Die Stimmberechtigten der Einwohnergemeinde Kiesen beschlossen an der
Gemeindeversammlung vom 11. Mai 2012 die Einführung einer Tempo-30-Zone im
Dorfgebiet und bewilligten den zugehörigen Kredit. Nachdem das Tiefbauamt des
Kantons Bern (TBA) der "Zone Bahnhofstrasse" unter Bedingungen zugestimmt
hatte, verfügte der Gemeinderat folgende Verkehrsmassnahme mit dem Titel "Zone
Bahnhofstrasse; Zonensignalisation 30 km/h":

"Im Dorfgebiet zwischen Bernstrasse und Autobahn A6 wird zur Verkehrsberuhigung
eine Tempo-30-Zone eingeführt. Abgrenzung (alle Strassen inklusive) :
Allmendstrasse, Bahnhofstrasse, Birkenweg, Chaletweg, Chisemattweg,
Chlinaustrasse, Dorfmatte, Effingerstrasse, Eystrasse, Jabergstrasse,
Mattenweg, Museumweg, Postweg, Professoreistrasse, Ringstrasse, Sagiweg.
Diese Verfügung tritt nach dem Aufstellen der Signale in Kraft."
Die Einwohnergemeinde plant überdies, an den in das Gebiet der
Verkehrsanordnung hineinführenden Strassen Signale und Markierungen
anzubringen. Zusätzlich sind innerhalb der Tempo-30-Zone verschiedene
Markierungen, Einengungen und Schutzpfosten vorgesehen. Darüber soll in einem
eigenständigen Verfahren befunden werden.

B.
Eine gegen die Verkehrsbeschränkung u.a. von der Rechtsamegemeinde Kiesen, der
A.________AG sowie von B.A.________ und C.A.________erhobene Beschwerde wies
der Regierungsstatthalter des Verwaltungskreises Bern-Mittelland nach
Durchführung eines Augenscheins und einer Instruktionsverhandlung am 27. Januar
2015 ab. Diesen Entscheid fochten die Opponenten sodann beim Verwaltungsgericht
des Kantons Bern an, das ihre Beschwerde mit Urteil vom 28. Oktober 2015
teilweise guthiess und die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens im Sinne der
Erwägungen an die Gemeinde Kiesen zurückwies.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 1. Dezember 2015
gelangen die Rechtsamegemeinde Kiesen, die A.________AG sowie B.A.________ und
C.A.________ an das Bundesgericht und beantragen, das Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2015 sei aufzuheben und die
Professoreistrasse sei aus dem Perimeter der Verkehrsbeschränkungsverfügung im
Dorfgebiet Kiesen zu entlassen. Eventualiter sei die Professoreistrasse ab
Bahnhofstrasse bis zur Kreuzung mit der Ringstrasse von der Verkehrsanordnung
auszunehmen. Subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das
Verwaltungsgericht, allenfalls an den Regierungsstatthalter oder die
Einwohnergemeinde Kiesen zurückzuweisen.
Die Einwohnergemeinde und das Verwaltungsgericht schliessen auf Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Das
Regierungsstatthalteramt verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Bundesamt für
Strassen (ASTRA) stellt keinen förmlichen Antrag, ist aber der Auffassung, das
im Rahmen der Verkehrsanordnung erstellte Gutachten erfülle die
bundesrechtlichen Vorgaben nicht. Die Beteiligten halten im weiteren
Schriftenwechsel an ihren Anträgen fest.
Mit Verfügung vom 12. Januar 2016 hat der Präsident der I.
öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde die aufschiebende Wirkung
zuerkannt.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die Zulässigkeit der Beschwerde
von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 141 II 113 E.
1 S. 116).

1.1. Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid in einer
öffentlich-rechtlichen Angelegenheit (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d
BGG). Ein Ausschlussgrund nach Art. 83 BGG liegt nicht vor.

1.2. Das Verwaltungsgericht hob namentlich die gesamte Ziffer 1 des Entscheids
des Regierungsstatthalteramts vom 27. Januar 2015 auf, in welcher die
Einrichtung der Tempo-30-Zone im Dorfgebiet Kiesen bestätigt wurde. Das
Verwaltungsgericht wies die Angelegenheit an die Einwohnergemeinde zur
Fortsetzung des Verfahrens im Sinne der Erwägungen zurück. Aus diesen geht
hervor, dass die Einführung der umstrittenen Verkehrsanordnung im Bezug auf die
Bahnhofsstrasse gegen Bundesrecht verstosse. Aufgrund der veränderten Sachlage
seien Anpassungen notwendig, auch wenn die geplante Tempo-30-Zone im Übrigen
rechtmässig sei. Insbesondere müsse beurteilt werden, wie die Zone im Bereich
des Bahnhofs (Jaberstrasse, Chlinaustrasse) ausgestaltet werden solle. Dabei
liege es nicht am Verwaltungsgericht, diese Anpassungen vorzunehmen. Hierzu sei
vielmehr die Gemeinde berufen, welche die örtlichen Verhältnisse besser kenne.

1.3. Die Beschwerdeführer erblicken im angefochtenen Urteil einen Endentscheid
nach Art. 90 BGG. Dabei übersehen sie aber, dass das Verwaltungsgericht die
gesamte Tempo-30-Zone aufgehoben hat, was sich ausdrücklich aus E. 10.1 des
vorinstanzlichen Entscheids ergibt. Dieser schliesst somit das Verfahren nicht
ab, sondern weist die Sache an die untere Instanz zurück. Die Einwohnergemeinde
Kiesen wird zwar im Rahmen der erneuten Behandlung die Erwägungen des
Verwaltungsgerichts beachten müssen. Ihr verbleibt aber im Speziellen im
Bereich des Bahnhofs ein eigener Entscheidungsspielraum, weshalb die
Rückweisung nicht nur der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient (BGE
134 II 124 E. 1.3 S. 127 mit Hinweisen).
Soweit die Beschwerdeführer ferner geltend machen, es liege ein Teilentscheid
vor, vermögen sie nur schon deshalb nicht durchzudringen, weil das
Verwaltungsgericht über alle Rechtsbegehren formell nicht abschliessend
befunden hat (vgl. Art. 91 lit. a BGG; BGE 141 III 395 E. 2.2 S. 397 mit
Hinweisen). Mithin stellt das angefochtene Urteil weder einen End- noch
Teilentscheid, sondern einen Zwischenentscheid dar (BGE 134 II 124 E. 1.3 S.
127; 133 V 477 E. 4.1.3; je mit Hinweisen).

1.4. Ein Zwischenentscheid ist - von den hier nicht gegebenen Ausnahmen gemäss
Art. 92 BGG abgesehen - beim Bundesgericht nur unter den Voraussetzungen von
Art. 93 Abs. 1 BGG anfechtbar, d.h. wenn er einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil bewirken kann (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort
einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit
oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Diese
Ausnahmevoraussetzungen sollen das Bundesgericht insoweit entlasten, als es
sich möglichst nur einmal mit einer Sache befassen soll. Können allfällige
Nachteile in verhältnismässiger Weise auch noch mit einer bundesgerichtlichen
Beurteilung nach Ausfällung des Endentscheids behoben werden, so tritt das
Bundesgericht auf eine Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid nicht ein (BGE
135 II 30 E. 1.3.2 S. 34 f.). Die Beschwerdeführer haben dabei aufzuzeigen,
dass die Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG erfüllt sind, soweit dies nicht
ohne Weiteres auf der Hand liegt (BGE 137 III 324 E. 1.1 S. 328 f.; 136 IV 92
E. 4 S. 95; je mit Hinweisen).

1.5. Die Beschwerdeführer berufen sich zwar sinngemäss auf Art. 93 Abs. 1 lit.
b BGG, legen aber nicht rechtsgenüglich dar, inwiefern eine Gutheissung der
Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen würde. Dies ist denn auch
nicht ersichtlich. Ebenso wenig liegt ein nicht wieder gutzumachender Nachteil
nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG vor. Die Beschwerdeführer machen zwar geltend,
sie müssten aufgrund der Rückweisung noch einmal den ganzen Instanzenzug
durchlaufen, was mit einem finanziellen Aufwand verbunden sei. Sie verkennen
dabei aber, dass nach ständiger Rechtsprechung die blosse Verlängerung oder
Verteuerung des Verfahrens generell nicht genügt, um einen sofortigen Entscheid
des Bundesgerichts zu erwirken (BGE 136 II 165 E. 1.2.1 S. 170; 135 II 30 E.
1.3.4 S. 36 mit Hinweisen). Soweit sie überdies ein Interesse an der Behandlung
ihrer Vorbringen bekunden, weil sie andernfalls keine Gelegenheit mehr hätten,
die Verkehrsbeschränkung insbesondere mit Blick auf die Professoreistrasse
anzufechten, geht ihr Einwand fehl. Die Einwohnergemeinde wird im Rahmen der
Rückweisung über die Tempo-30-Zone neu befinden müssen. Gegen diesen Entscheid
steht den Beschwerdeführern der Rechtsweg offen. Sie können letztinstanzlich
ans Bundesgericht gelangen, und den Zwischenentscheid des Verwaltungsgerichts
vom 28. Oktober 2015 zusammen mit dem Endentscheid mitanfechten, soweit er sich
auf dessen Inhalt auswirkt (Art. 93 Abs. 3 BGG). Sollten die Beschwerdeführer
gegen die zu beurteilenden Aspekte im neuen Beschluss der Gemeinde nichts
einzuwenden haben und richtet sich ihre Kritik ausschliesslich gegen den
kantonal letztinstanzlichen Zwischenentscheid, ist gemäss bundesgerichtlicher
Rechtsprechung direkt die Beschwerde gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil
zulässig. Ein erneutes Durchlaufen des kantonalen Instanzenzugs stellte unter
diesen Umständen eine nutzlose Formalität dar (BGE 106 Ia 229 E. 4 S. 236;
Urteile 1C_554/2015 vom 2. Mai 2016 E. 1; 1C_519/2012 vom 14. August 2013 E.
1).

1.6. Die Voraussetzungen nach Art. 93 Abs. 1 BGG sind mithin nicht erfüllt,
weshalb auf die Beschwerde nicht einzutreten ist. Es erübrigt sich, die
weiteren Eintretensvoraussetzungen zu prüfen.

2.
Bei diesem Verfahrensausgang werden die Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art.
66 Abs. 1 und 5 BGG). Die Gemeinde hat keinen Anspruch auf Parteikostenersatz
(Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Einwohnergemeinde Kiesen, dem
Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Bern und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Juli 2016

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Die Gerichtsschreiberin: Pedretti

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