Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.621/2015
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_621/2015

Urteil vom 1. März 2016

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Dold.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Mitarbeitende des RAV - Regionale Arbeitsvermittlung Sargans, p.A. Amtsleitung,
Langgrabenweg, Postfach, 7320 Sargans,
Beschwerdegegner,

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Uznach,
Grynaustrasse 3, 8730 Uznach.

Gegenstand
Ermächtigungsverfahren,

Beschwerde gegen die Entscheide vom 6. Oktober 2015 und vom 3. November 2015
der Anklagekammer des Kantons St. Gallen.

Sachverhalt:

A. 
A.________ ist beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) Sargans zum
Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung angemeldet. Im Zusammenhang
mit Massnahmen zur Verbesserung der Vermittlungsfähigkeit kam es zu
Meinungsverschiedenheiten darüber, welche Ausgaben zu erstatten sind.
A.________ machte insbesondere geltend, ein Pauschalbeitrag für ein Mittagessen
sei noch nicht bei ihm eingetroffen. Mit einem an das kantonale Amt für
Wirtschaft und Arbeit gerichteten Schreiben vom 9. Juli 2015 forderte er eine
schriftliche Bestätigung "für die Durchsetzung von [...] finanziellen
Interessen". Das Amt legte mit Antwortschreiben vom 20. Juli 2015 dar, die ihm
zustehenden Kosten seien vergütet worden.
Am 3. September 2015 reichte A.________ beim Untersuchungsamt St. Gallen
Anzeige gegen Unbekannt wegen mutmasslicher Urkundenunterdrückung ein. Das
Untersuchungsamt leitete die Anzeige an die Anklagekammer des Kantons St.
Gallen weiter, damit diese über die Ermächtigung zur Durchführung einer
Strafuntersuchung entscheide. Mit Entscheid vom 6. Oktober 2015 verweigerte die
Anklagekammer die Ermächtigung.

B. 
Mit Schreiben vom 2. Oktober 2015 an das Untersuchungsamt Uznach reichte
A.________ eine weitere Strafanzeige ein. Er machte erneut eine
Urkundenunterdrückung und zudem neu eine Falschbeurkundung bezüglich einer
Bescheinigung vom 21. Januar 2015 des RAV Sargans geltend. Die Bescheinigung
sei inhaltlich teilweise unzutreffend und weise angefallene Spesen nicht aus.
Das Untersuchungsamt leitete die Anzeige wiederum an die Anklagekammer weiter,
welche die Ermächtigung mit Entscheid vom 3. November 2015 verweigerte.

C. 
Mit Beschwerde ans Bundesgericht vom 28. November 2015 beantragt A.________, es
seien verschiedene Erwägungen in den beiden Entscheiden der Anklagekammer
richtigzustellen, es seien zusätzliche Abklärungen zu tätigen und die Frage der
Ermächtigung sei neu zu beurteilen.
Die Staatsanwaltschaft St. Gallen hat auf eine Vernehmlassung verzichtet,
ebenso die Anklagekammer. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit beantragt die
Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat dazu Stellung genommen.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Ermächtigung zur Strafverfolgung stellt eine Prozessvoraussetzung für
das Strafverfahren dar, wird jedoch in einem davon getrennten
Verwaltungsverfahren erteilt. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten ist deshalb das zutreffende Rechtsmittel (BGE 137 IV 269 E.
1.3.1 S. 272 mit Hinweisen).

1.2. Angefochten sind zwei Entscheide einer letzten kantonalen Instanz, die das
Verfahren abschliessen (Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). Eine Ausnahme
von der Zulässigkeit der Beschwerde nach Art. 83 BGG besteht nicht. Lit. e
dieser Bestimmung, wonach Entscheide über die Verweigerung der Ermächtigung zur
Strafverfolgung von Behördenmitgliedern oder von Bundespersonal von der
Beschwerdemöglichkeit ausgenommen sind, ist nur auf die obersten Vollziehungs-
und Gerichtsbehörden anwendbar, denn nur bei diesen dürfen politische
Gesichtspunkte in den Entscheid einfliessen (BGE 137 IV 269 E. 1.3.2 S. 272 f.
mit Hinweis).

1.3. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Anklagekammer teilgenommen
und ist von den behaupteten Straftatbeständen potenziell direkt betroffen (vgl.
Urteil 1C_382/2012 vom 10. Oktober 2012 E. 2.6). Er ist nach Art. 89 Abs. 1 BGG
grundsätzlich zur Beschwerde legitimiert (vgl. jedoch E. 3.5 hiernach).

1.4. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
Auf die Beschwerde ist unter dem Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen
einzutreten.

2. 
Die Anklagekammer hielt in den angefochtenen Entscheiden fest, die Anzeige
richte sich gegen Handlungen von Mitarbeitern des RAV Sargans und des Amts für
Wirtschaft und Arbeit, die im Zusammenhang mit ihrer amtlichen Tätigkeit
stünden. Die Ermächtigung zur Strafverfolgung setze Anhaltspunkte für ein
strafbares Verhalten voraus, die indessen fehlten. Der Tatbestand der
Urkundenunterdrückung nach Art. 254 StGB setze eine Urkunde voraus. Vorliegend
gebe es keine Urkunde, vielmehr werde die Ausfertigung einer solchen vom
Beschwerdeführer ja erst verlangt. Hinsichtlich des Tatbestands der
Urkundenfälschung gemäss Art. 251 StGB fehle es an einer Benachteiligungs- oder
Vorteilsabsicht. Ein strafrechtliches Verhalten sei somit nicht erkennbar. Im
Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass dem Beschwerdeführer für seine Forderungen
sozialversicherungsrechtliche Rechtsbehelfe offenstünden.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer verlangt in verschiedener Hinsicht Richtigstellungen
und vertiefte Abklärungen zur Frage, ob er Anspruch auf Leistungen der
Arbeitslosenversicherung habe. Dies geht am Prozessgegenstand vorbei. Wie die
Anklagekammer bereits dargelegt hat, beschränkt sich dieser auf die Frage, ob
hinreichende Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten vorliegen.

3.2. Zu den vorinstanzlichen Erwägungen bezüglich des Tatbestands der
Unterdrückung von Urkunden (Art. 254 StGB) bringt der Beschwerdeführer vor,
dass es eine wichtige Erkenntnis darstelle, sollte tatsächlich keine Urkunde
vorhanden sein; diesfalls gelange man in die Nähe von Amtsmissbrauch oder
anderer Delikte. Inwiefern konkrete Anhaltspunkte für Amtsmissbrauch (Art. 312
StGB) oder andere Delikte bestehen sollen, ist indessen nicht erkennbar und
wird vom Beschwerdeführer auch nicht näher ausgeführt (Art. 42 Abs. 2 BGG).

3.3. Zum Tatbestand der Urkundenfälschung führt der Beschwerdeführer aus, dass
der Aussteller der Bescheinigung vom 21. Januar 2015 vorsätzlich nicht
sämtliche Spesen aufgeführt und ihn dadurch im Vermögen geschädigt habe. Eine
unrichtige Beurkundung im strafrechtlichen Sinne liegt hierin jedoch nicht
begründet. Die beanstandete Bescheinigung hält einzig fest, welche Spesen das
RAV bzw. der Aussteller der Bescheinigung als ersatzfähig ansah. Selbst wenn
die Auffassung des Beschwerdeführers zutreffen sollte, dass er Anspruch auf
weitergehende Entschädigungen hat, so wäre der Inhalt der Urkunde deshalb nicht
unwahr (vgl. BGE 131 IV 125 E. 4.5 S. 130 f. mit Hinweisen). Eine
Urkundenfälschung liegt somit nicht vor, wobei im Ergebnis nicht von Bedeutung
ist, dass die Vorinstanz statt der Voraussetzungen von Art. 317 StGB
(Urkundenfälschung im Amt) jene von Art. 251 StGB (Urkundenfälschung) prüfte
(vgl. BGE 81 IV 90 E. I/3 S. 290, wonach es sich bei Art. 317 StGB um eine
Spezialbestimmung zu Art. 251 StGB handelt).

3.4. Weiter verlangt der Beschwerdeführer mehrfach, die Anklagekammer habe
Beweise für ihre Sachverhaltsfeststellungen zu liefern und bezeichnet mehrere
davon als reine Vermutungen. Inwiefern die Sachverhaltsfeststellung im
angefochtenen Entscheid offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und zudem für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend ist (Art. 97 Abs. 1 BGG), geht aus der Beschwerde
jedoch nicht hervor. Darauf ist nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 2 BGG).

3.5. Der Beschwerdeführer kritisiert die im Entscheid vom 3. November 2015
enthaltene Ankündigung, wonach der Anzeiger darauf hingewiesen wird, dass
Eingaben der gleichen Art und in gleichem Zusammenhang inskünftig ohne
förmliche Erledigung abgelehnt werden. Er ist der Auffassung, dass die
Anklagekammer in künftigen Fällen deshalb nicht mehr als unabhängiges Gericht
angesehen werden könne. Wie es sich damit verhält, kann offenbleiben. Der
Beschwerdeführer ist durch den Hinweis zum heutigen Zeitpunkt nicht beschwert,
zumal er nicht geltend macht, dass ein entsprechender Mangel bereits bei
Ergehen des angefochtenen Entscheids bestanden hat.

3.6. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung seines Anspruchs auf Zugang zu
einem Gericht geltend (Art. 29a BV). Er ist der Auffassung, bei der
Anklagekammer handle es sich aufgrund ihres Namens nicht um ein Gericht. Dies
ist unzutreffend. Ob eine Behörde als eine richterliche im Sinne von Art. 29a
BV zu qualifizieren ist, ist von ihrer Bezeichnung unabhängig. So können
beispielsweise auch "Rekurskommissionen" die Voraussetzungen an eine
richterliche Behörde erfüllen.

3.7. Schliesslich kritisiert der Beschwerdeführer, er werde als Arbeitsloser
diskriminiert. Er bezieht sich dabei jedoch nicht konkret auf den angefochtenen
Entscheid, sondern allgemein auf seine Erfahrungen mit den Behörden. Darauf ist
nicht weiter einzugehen (Art. 42 Abs. 2 BGG).

4. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann wegen Aussichtslosigkeit der
Vorbringen nicht entsprochen werden (vgl. Art. 64 Abs. 1 BGG). Die Umstände
rechtfertigen indessen, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art.
66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen,
Untersuchungsamt Uznach, und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. März 2016

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Dold

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben