Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.612/2015
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_612/2015

Urteil vom 17. Mai 2016

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Kneubühler,
Gerichtsschreiberin Pedretti.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin,

gegen

Dienststelle Soziales und Gesellschaft
des Kantons Luzern, Opferhilfe,
Rösslimattstrasse 37, Postfach 3439, 6002 Luzern.

Gegenstand
Längerfristige Hilfe nach Opferhilfegesetz,

Beschwerde gegen das Urteil vom 13. Oktober 2015
des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung.

Sachverhalt:

A. 
A.________ wurde am 11. Januar 2011 auf der Rothenburgstrasse in Emmenbrücke in
einen Auffahrunfall verwickelt. Seither leidet er nach eigenen Angaben
zumindest an einem cervico-cephalen Syndrom, allenfalls auch an einer auf den
Unfall zurückgehenden Depression.

B. 
Am 15. Oktober 2014 gelangte er an die Dienststelle für Soziales und
Gesellschaft des Kantons Luzern (DISG) und beantragte die Ausrichtung einer
Entschädigung von Fr. 100'000.-- und einer Genugtuung von Fr. 50'000.-- sowie
die Übernahme der Anwaltskosten. Auf entsprechende Aufforderung der DISG hin,
präzisierte sein Rechtsvertreter, es werde um Kostengutsprache entweder für
einen Prozess gegen die B.________ Rechtsschutz-Versicherung AG oder "für das
Haftpflicht- und Sozialversicherungsverfahren" ersucht. Die B.________
Rechtsschutz-Versicherung AG, bei der A.________ versichert sei, weigere sich,
Unterstützungsbeiträge zu leisten, nachdem die von ihr verlangten,
umfangreichen Unterlagen aus Gründen des Anwaltsgeheimnisses und der Wahrung
der Interessen seines Klienten nicht eingereicht worden seien. Da die
B.________ Rechtsschutz-Versicherung AG eine Tochtergesellschaft der C.________
Versicherungs-Gesellschaft AG sei, bei welcher der Unfallverursacher versichert
sei, habe er sich zu einem solchen Schritt veranlasst gesehen, um zu
verhindern, dass die eingeforderten Dokumente an die Gegenseite weitergegeben
würden.

C. 
Am 25. Februar 2015 sistierte die DISG das Verfahren betreffend Entschädigung
bzw. Genugtuung und mit Entscheid vom 19. März 2015 wies sie das Gesuch um
längerfristige Hilfe für die anwaltliche Vertretung im Verfahren gegen die
B.________ Rechtsschutz-Versicherung AG bzw. gegen die Haftpflicht- und
Sozialversicherung ab. Zur Begründung führte sie an, sie habe mit Blick auf die
Beurteilung der Opferstellung und der Kausalität der geltend gemachten
Beeinträchtigung bei der zuständigen Staatsanwaltschaft sowie bei der
involvierten Unfall- bzw. Krankentaggeldversicherung die Akten einfordern
wollen, weshalb sie A.________ um Unterzeichnung einer Entbindungserklärung und
Vollmacht zur Aktenedition gebeten habe. Da er diesem Ersuchen unter Verletzung
seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, habe sie nicht beurteilen
können, ob ihm Opferstellung mit der für die Kostengutsprache gebotenen
Wahrscheinlichkeit zukomme. Selbst wenn aber seine Opfereigenschaft zu bejahen
gewesen wäre, hätte infolge Nichtwahrung der Subsidiarität keine
Kostengutsprache geleistet werden können. Bei den involvierten Rechtsschutz-
und Haftpflichtversicherungen handle es sich um zwei verschiedene, voneinander
unabhängige Unternehmen, weshalb die Befürchtung von A.________, Unterlagen
könnten weitergegeben werden, unbegründet sei. Verzichte er auf die Leistungen
seiner Rechtsschutzversicherung, könne seitens der Opferhilfe keine
Kostengutsprache für die anwaltliche Vertretung erfolgen. Der Grundsatz der
Subsidiarität gelte auch für das Haftpflicht- und Sozialversicherungsverfahren.

D. 
Diesen Entscheid focht A.________ beim Kantonsgericht Luzern an, das seine
Beschwerde und die mit ihr gestellten Anträge mit Urteil vom 13. Oktober 2015
abwies (Dispositiv Ziff. 1). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gab es
ebenfalls nicht statt (Ziff. 2). Verfahrenskosten erhob es keine (Ziff. 3). Das
Kantonsgericht erwog im Wesentlichen, die DISG sei zu Recht von einer
Verletzung der Mitwirkungspflicht ausgegangen, da A.________ weder die in
seinem Besitz befindlichen Unterlagen (Strafakten, Angaben über seine
finanziellen Verhältnisse und die Korrespondenz mit der
Rechtsschutzversicherung) eingereicht noch die Entbindungserklärung bzw.
Vollmacht unterzeichnet habe. Ausserdem sei nicht glaubhaft gemacht worden,
dass er keine oder nur ungenügende Leistungen von Dritten erhalten könne bzw.
es ihm nicht zuzumuten sei, sich um diese Leistungen zu bemühen (Art. 4 des
Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten vom 23. März 2007 [OHG;
SR 312.5]). Gleiches gelte für die Notwendigkeit einer rechtlichen
Verbeiständung, für die Nicht-Aussichtslosigkeit der Verfahren gegen die
Rechtsschutz- bzw. die Haftpflicht- und Sozialversicherung sowie für die
finanzielle Bedürftigkeit.
Das Kantonsgericht führte zudem aus, A.________ sei gegenüber der B.________
Rechtsschutz-Versicherung AG mangels Interessenkollision im Hinblick auf die
geplanten Verfahren mitwirkungspflichtig, weshalb er die von ihr verlangten IV-
und UV-Akten hätte einreichen müssen. Da er dem nicht nachgekommen sei, habe er
mit dem Verlust des Versicherungsanspruchs rechnen müssen. Ob sich die
Rechtsschutzversicherung zu Recht auf den Verlust des Versicherungsanspruchs
und/oder auf fehlende Fälligkeit berufe, könne nicht in dem von ihm
angestrebten Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten geklärt werden. Somit sei
das Vorgehen gegen die Rechtsschutzversicherung im Sinne einer Einleitung eines
Schiedsverfahrens aussichtslos. Da die Opferhilfe nicht gehalten sei, solche
Verfahren zu finanzieren, sei der Antrag auf längerfristige Hilfe zu Recht
abgewiesen worden. Im Falle eines ordentlichen Gerichtsverfahrens gegen die
Rechtsschutzversicherung könne A.________ die unentgeltliche Rechtspflege
beantragen, die der opferhilferechtlichen Kostengutsprache vorginge. Falls
diese wegen Aussichtslosigkeit verweigert werde, müsse auch die Opferhilfe das
Verfahren nicht finanzieren. Seitens der Opferhilfe könne keine
Kostengutsprache für das Haftpflicht- und Sozialversicherungsverfahren
geleistet werden, wenn A.________ durch seine ungerechtfertigte
Mitwirkungsverweigerung auf die Leistung der Rechtsschutzversicherung verzichte
bzw. diese gegebenenfalls sogar verwirkt habe.

E. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 20. November 2015
gelangt A.________ an das Bundesgericht und beantragt, Ziff. 1 des Urteils des
Kantonsgerichts sei aufzuheben und die Beschwerdegegnerin anzuweisen, eine
Kostengutsprache für das Verfahren gegen die B.________
Rechtsschutz-Versicherung AG abzugeben. Zudem sei dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung für das vorinstanzliche Verfahren zuzubilligen. Jedenfalls
sei Ziff. 2 des Urteils des Kantonsgerichts aufzuheben und dem Beschwerdeführer
für das vorinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege unter
Beiordnung seines Vertreters, Rechtsanwalt Philip Stolkin, zu gewähren.
Eventualiter sei die Angelegenheit an die Vorinstanz zur Neubehandlung
zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersucht er um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren.
Das Kantonsgericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei. Die DISG hat sich nicht vernehmen lassen. Das Bundesamt für
Justiz (BJ) verzichtet auf eine Stellungnahme. Der Beschwerdeführer hält im
weiteren Schriftenwechsel an seinen Anträgen fest.

Erwägungen:

1.

1.1. Der angefochtene, kantonal letztinstanzliche Entscheid betrifft die
Abweisung eines Gesuchs um finanzielle Leistung nach dem OHG. Dagegen steht die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG
offen; ein Ausschlussgrund nach Art. 83 BGG ist nicht gegeben. Der
Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ist als
direkter Adressat der Gesuchsabweisung zur Beschwerde an das Bundesgericht
legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde ist grundsätzlich
einzutreten.

1.2. Der Beschwerdeführer beantragt im bundesgerichtlichen Verfahren eine
Kostengutsprache für das Verfahren gegen die B.________
Rechtsschutz-Versicherung AG. Nicht verlangt wird dagegen - anders als noch im
Gesuch an die DISG und in den Rechtsbegehren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
- die Übernahme der Anwaltskosten für das Haftpflicht- und
Sozialversicherungsverfahren. Auch in der Beschwerdebegründung werden nur die
Anwaltskosten für das Verfahren gegen die Rechtsschutzversicherung
thematisiert. Da das Bundesgericht an die Begehren der Parteien gebunden ist
(Art. 107 Abs. 1 BGG) und im bundesgerichtlichen Verfahren keine weitergehenden
Begehren gestellt werden können als im kantonal letztinstanzlichen Verfahren
(Art. 99 Abs. 2 BGG), ist der Streitgegenstand vorliegend auf die Frage der
längerfristigen juristischen Hilfe durch einen Dritten, in der Person von
Rechtsanwalt Stolkin, für das angestrebte Verfahren gegen die B.________
Rechtsschutz-Versicherung AG nach Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 OHG
beschränkt.

1.3. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann
insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).
Das Bundesgericht wendet das Bundesrecht grundsätzlich von Amtes wegen an (
iura novit curia; Art. 106 Abs. 1 BGG). Es kann daher eine Beschwerde aus
anderen als den vom Beschwerdeführer vorgetragenen Gründen gutheissen oder den
Entscheid mit einer von der Vorinstanz abweichenden Begründung bestätigen (BGE
133 V 196 E. 1.4 S. 200; BGE 122 V 34 E. 2b S. 36 mit Hinweisen). Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG).

1.4. Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung der Beschwerde in
gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht
verletzt. Beruht dieser auf mehreren selbstständigen Begründungen, die je für
sich den Ausgang des Rechtsstreits besiegeln, so hat der Beschwerdeführer nach
ständiger Rechtsprechung darzulegen, dass jede von ihnen Recht verletzt.
Andernfalls kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden (BGE 138 III 728
E. 3.4 S. 734 f.; 133 IV 119 E. 6.3 S. 120 f.).

1.4.1. Das Kantonsgericht bringt in seiner Stellungnahme vor, die Abweisung des
Gesuchs um längerfristige Hilfe aufgrund einer Verletzung der
Mitwirkungspflicht gegenüber der DISG sei vom Beschwerdeführer nicht
angefochten worden. Ausserdem habe er sich nicht zum Vorwurf geäussert, seine
Beschwerde sei von vornherein aussichtslos gewesen, da er der Opferhilfestelle
nicht die von ihr verlangten Unterlagen eingereicht habe.

1.4.2. Opfer und damit anspruchsberechtigt im Sinne des OHG ist jede Person,
die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen
Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Art. 1 Abs. 1 OHG).

1.4.3. Die DISG wies das Gesuch um längerfristige juristische Hilfe durch einen
Dritten mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer habe weder die von ihr
verlangten Unterlagen eingereicht noch eine entsprechende Entbindungserklärung
bzw. Vollmacht zur Aktenedition unterzeichnet, so dass es ihr nicht möglich
gewesen sei, seine Opferstellung zu beurteilen. Das Kantonsgericht führte im
angefochtenen Entscheid aus, die DISG sei zu Recht von einer Verletzung der
Mitwirkungspflicht ausgegangen. Der Beschwerdeführer legt in seiner
Rechtsschrift nicht dar, inwiefern diese Begründung der Vorinstanz Bundesrecht
verletzen soll. Vielmehr beschränkt er sich darauf, die Erwägungen des
Verwaltungsgerichts zur Aussichtslosigkeit eines (schieds-) gerichtlichen
Verfahrens gegen die Rechtsschutzversicherung zu bestreiten. Damit vermag er
jedoch den Begründungsanforderungen nicht zu genügen. Bei der Folgerung der
Vorinstanz, die DISG sei zu Recht von einer Verletzung der Mitwirkungspflicht
ausgegangen, handelt es sich um eine selbstständige Begründung, die für sich
geeignet war, zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu führen.
Insoweit ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

2. 
Im Übrigen erfüllte der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für eine
längerfristige juristische Hilfe durch einen Dritten für das angestrebte
Verfahren gegen die B.________ Rechtsschutz-Versicherung AG gemäss Art. 13 Abs.
2 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 OHG ohnehin nicht.

2.1. Nach Art. 13 OHG leisten die Beratungsstellen dem Opfer und seinen
Angehörigen sofort Hilfe für die dringenden Bedürfnisse, die als Folge der
Straftat entstehen (Soforthilfe; Abs. 1). Sie leisten dem Opfer und dessen
Angehörigen soweit nötig zusätzliche Hilfe, bis sich der gesundheitliche
Zustand der betroffenen Person stabilisiert hat und bis die übrigen Folgen der
Straftat möglichst beseitigt oder ausgeglichen worden sind (längerfristige
Hilfe; Abs. 2). Die Beratungsstellen können die Soforthilfe und die
längerfristige Hilfe durch Dritte erbringen lassen (Abs. 3). Gemäss Art. 14
Abs. 1 OHG umfassen die Leistungen unter anderem die angemessene juristische
Hilfe in der Schweiz, die als Folge der Straftat notwendig geworden ist. Art.
16 OHG bestimmt den Umfang der Kosten für die längerfristige Hilfe Dritter.
Leistungen der Opferhilfe werden nur endgültig gewährt, wenn der Täter oder
eine andere verpflichtete Person oder Institution keine oder keine genügende
Leistung erbringt (Art. 4 Abs. 1 OHG). Wer Kostenbeiträge für die
längerfristige Hilfe Dritter beansprucht, muss glaubhaft machen, dass die
Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt sind, es sei denn, es sei ihm oder ihr
angesichts der besonderen Umstände nicht zumutbar, sich um Leistungen Dritter
zu bemühen (Art. 4 Abs. 2 OHG).

2.2. Die Vorinstanz erwog, das vom Beschwerdeführer angestrebte Verfahren bei
Meinungsverschiedenheiten gemäss Art. 169 der Verordnung über die
Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen (AVO; SR 961.011) sei zur
Klärung der Frage, ob sich der Versicherer zu Recht auf den Verlust des
Versicherungsanspruchs und/oder auf fehlende Fälligkeit berufe, nicht
vorgesehen und somit aussichtslos. Da die Opferhilfe keine aussichtslosen
Verfahren zu finanzieren habe, sei der Antrag auf längerfristige Hilfe für das
Verfahren gegen die Rechtsschutzversicherung zu Recht abgewiesen worden.
Ausserdem ginge im Falle eines ordentlichen Gerichtsverfahrens die
unentgeltliche Rechtspflege der opferhilferechtlichen Kostengutsprache vor.
Würde Erstere wegen Aussichtslosigkeit verweigert, müsste auch die Opferhilfe
das Verfahren nicht finanzieren.

2.3. Gemäss Art. 14 Abs. 1 OHG sind ausschliesslich angemessene Leistungen, die
als Folge der Straftat notwendig geworden sind, von der Opferhilfe zu
übernehmen. Damit wird ein kausaler Zusammenhang zwischen der Straftat und der
beantragten Leistung gefordert. Die juristische Hilfe muss zudem notwendig
sein. Insoweit befand das Bundesgericht, dass das Opfer keiner staatlichen
Hilfe bedarf, wenn es sich in zumutbarer Weise selber helfen kann (Urteil 1C_32
/2014 vom 6. Oktober 2014 E. 2.3 mit Hinweisen). Des Weiteren muss die Hilfe
angemessen sein. In seiner Rechtsprechung zum alten Opferhilfegesetz vom 4.
Oktober 1991 (aOHG) ging das Bundesgericht davon aus, dass die Opferhilfestelle
die Übernahme von Anwaltskosten verweigern kann, wenn diese offensichtlich
nutzlos aufgewendet erscheinen (BGE 122 II 211 E. 4b S. 218; 121 II 209 E. 3b
S. 212 f.). So erachtete es beispielsweise die Verweigerung einer
Kostengutsprache für ein Verfahren zur Geltendmachung einer zusätzlichen
Entschädigung als bundesrechtskonform, wenn der Beschwerdeführer zuvor bereits
eine Ausgleichszahlung für alle haftpflichtrechtlichen Ansprüche erhalten hat
(Urteil 1C_443/2009 vom 5. Januar 2010 E. 3.1). Vorliegend sind keine
sachlichen Gründe ersichtlich, weshalb diese Praxis unter dem neuen OHG nicht
zur Anwendung gelangen sollte (vgl. Urteil 1B_114/2010 vom 28. Juni 2010 E.
3.1; AEMISEGGER/SCHODER, Opferhilfe in der Gerichtspraxis, insbesondere in der
Rechtsprechung des Bundesgerichts, in: Ehrenzeller/Guy-Ecabert/Kuhn (Hrsg.),
Das revidierte Opferhilfegesetz, 2009, S. 25). Namentlich orientiert sich auch
die Botschaft zur Totalrevision des Opferhilfegesetzes vom 9. November 2005 an
dieser Rechtsprechung, indem sie die juristische Hilfe dann als angemessen
betrachtet, wenn sie sich nicht auf offensichtlich nutzlose Schritte erstreckt
(BBl 2005 7165, S. 7212). Auch in der Lehre wird dieser Ansatz vertreten (vgl.
PETER GOMM, Kommentar zum OHG, 3. Aufl. 2009, Rz. 17 zu Art. 4 OHG).

2.4. Das Bundesgericht hatte im Urteil 8C_27/2016 vom 5. April 2016 bereits zu
beurteilen, ob eine mögliche Interessenkollision des Rechtsschutzversicherers
wegen seiner Zugehörigkeit zum selben Konzern wie der Haftpflichtversicherer
des Unfallverursachers den Versicherungsnehmer dazu berechtigt, die zur
Abklärung der Leistungspflicht eingeforderten Unterlagen zu verweigern. In
jenem Verfahren wehrte sich der gleiche Beschwerdeführer wie im vorliegenden
Fall gegen die Abweisung seines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege in einer
sozialversicherungsrechtlichen Streitigkeit. Das Bundesgericht erwog, zur
Leistungsauslösung reiche nicht aus, lediglich einen Versicherungsfall mit
Interessenkollision zu behaupten. Vielmehr müsse der Rechtsschutzversicherer in
die Lage versetzt werden, die Anspruchsvoraussetzungen eigenständig zu prüfen.
Komme der Anspruchsberechtigte seinen damit zusammenhängenden Obliegenheiten
nicht nach, setze dies die Fälligkeit des Leistungsanspruchs nach Art. 41 des
Versicherungsvertragsgesetzes (VVG; SR 221.229.1) aus. Der auf Art. 39 VVG
zurückgehende Bst. E Ziff. 2e der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AGB)
nehme den Leistungsansprecher ausdrücklich in die Pflicht, die zur Beurteilung
der Prozessaussichten nötigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Auf die in
Art. 168 der Aufsichtsverordnung (AVO; SR 961.011) vorgesehene
Nichtanwendbarkeit der Entbindung des Rechtsvertreters vom Berufsgeheimnis
gegenüber dem Versicherer könne sich im Einzelfall nur der Rechtsanwalt, nicht
jedoch der Anspruchsberechtigte berufen. Dieser habe die zur Abklärung der
Leistungspflicht erforderlichen Belege beizubringen, wobei dem
Rechtsschutzversicherer bei der Bestimmung, welcher Informationen es dafür
bedürfe, ein weites Ermessen zustehe. Art. 165 Abs. 3 AVO untersage es den
Rechtsschutzversicherern, diese Unterlagen bzw. daraus gewonnene Erkenntnisse
innerhalb des Konzerns weiterzugeben (vgl. E. 4.2.2).

2.5. Steht somit bereits fest, dass der Beschwerdeführer eine mögliche
Leistungserbringung des Rechtsschutzversicherers durch sein Verhalten in
Verletzung seiner Mitwirkungspflicht bisher verunmöglicht hat, erscheint das
angestrebte (Schieds-) Verfahren gegen B.________ Rechtsschutz-Versicherung AG
von vornherein als aussichtslos bzw. als offensichtlich nutzlos. Daran vermögen
die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Einwände nichts zu ändern.
Insbesondere tut nichts zur Sache, dass das Urteil 8C_27/2016 vom 5. April 2016
nicht in einem Verfahren nach Art. 23 BGG ergangen ist. Auch lässt sich aus
diesem nicht ableiten, dass vorliegend ein Schiedsverfahren nach Art. 169 AVO
einzuleiten sei, geht es hier doch nicht um eine Meinungsverschiedenheit
zwischen dem Beschwerdeführer und der Rechtsschutzversicherung über die zu
treffenden Schadenregelungsmassnahmen. Soweit der Beschwerdeführer seine
Weigerung, die geforderten Unterlagen einzureichen, weiterhin mit der genannten
Interessenkollision begründet und sich dabei auf den Schutz der Privatsphäre
nach Art. 8 EMRK beruft, kann auf das Vorerwähnte verwiesen werden.
Insbesondere kann aufgrund der im Urteil 8C_27/2016 angeführten Gründe nicht
von einer unzulässigen Druckausübung gesprochen werden. Der vorinstanzliche
Entscheid ist mithin nicht zu beanstanden und die Opferhilfe hat die
Anwaltskosten für ein Verfahren gegen die Rechtsschutzversicherung zu Recht
nicht übernommen.

3.
Zu prüfen bleibt, ob die Vorinstanz mit der Abweisung des Gesuchs um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege gegen Bundes- bzw. Konventionsrecht verstossen
hat. Das Kantonsgericht wies dieses wegen Aussichtslosigkeit ab. Der
Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 29 BV und Art. 6 EMRK.

3.1. Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer
sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet
werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich
Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur
wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die
nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem
Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene
Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil
er sie nichts kostet. Wie es sich damit verhält, prüft das Bundesgericht in
rechtlicher Hinsicht mit freier Kognition. Ob im Einzelfall genügende
Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich nach den Verhältnissen zur Zeit, in
der das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wird (BGE 140 V 521 E.
9.1 S. 537 mit Hinweisen).

3.2. Da der Beschwerdeführer es klarerweise unterlassen hat, diejenigen
zumutbaren Angaben zu machen und die Vollmacht zur Aktenedition zu
unterzeichnen, die es der Behörde erlaubt hätten, den Sachverhalt und damit die
Anspruchsberechtigung näher abzuklären, war einer gegen den Entscheid des DISG
erhobenen Beschwerde beim Kantonsgericht von vornherein kein Erfolg beschieden.
Wie die Vorinstanz zu Recht hervorhebt, bedingt die in Art. 29 OHG verlangte
Einfachheit und Raschheit des Verfahrens, dass Opfer die in ihrem Besitz
befindlichen Unterlagen offenlegen. Die Abweisung des Gesuchs um unentgeltliche
Rechtspflege im kantonsgerichtlichen Verfahren ist somit nicht zu beanstanden.

4.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist
abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Es sind keine Gerichtskosten zu
erheben (Art. 30 Abs. 1 OHG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren ist abzuweisen, da die
Beschwerde schon zum Vornherein aussichtslos erschien (Art. 64 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Dienststelle Soziales und
Gesellschaft des Kantons Luzern, Opferhilfe, dem Kantonsgericht Luzern, 1.
Abteilung, und dem Bundesamt für Justiz BJ schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. Mai 2016

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Die Gerichtsschreiberin: Pedretti

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben