Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.589/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_589/2015

Urteil vom 16. März 2016

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Chaix,
Gerichtsschreiber Mattle.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Stulz,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen,
Verkehrsabteilung,
Bahnhofstrasse 29, 8200 Schaffhausen,
Regierungsrat des Kantons Schaffhausen,
Beckenstube 7, 8200 Schaffhausen.

Gegenstand
Entzug des Führerausweises Kat. M/G,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 16. Oktober 2015 des Obergerichts des
Kantons Schaffhausen.

Sachverhalt:

A. 
Die Jugendanwaltschaft des Kantons Schaffhausen erteilte A.________ mit
Strafbefehl vom 10. Februar 2015 einen Verweis wegen mehrfachen Führens eines
Motorfahrzeugs, ohne hierfür den erforderlichen Führerausweis zu besitzen, und
mehrfacher Übertretung der Verkehrsregelverordnung durch Verwendung eines
landwirtschaftlich immatrikulierten Fahrzeugs für gewerbliche Fahrten. Am 12.
März 2015 verfügte die Verkehrsabteilung der Staatsanwaltschaft des Kantons
Schaffhausen den Entzug des Führerausweises Kategorie M/G von A.________ für
die Dauer von einem Monat. Während der Strafbefehl vom 10. Februar 2015
unangefochten blieb, erhob A.________ gegen die Verfügung der Verkehrsabteilung
vom 12. März 2015 Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Schaffhausen. Mit
Beschluss vom 1. September 2015 wies der Regierungsrat den Rekurs ab.

B. 
Am Donnerstag, 24. September 2015 um 17.56 Uhr übermittelte der Rechtsvertreter
von A.________ dem Obergericht des Kantons Schaffhausen per Fax eine Beschwerde
gegen den Beschluss des Regierungsrats vom 1. September 2015. Am Montag, 28.
September 2015 ging die vorab per Fax eingereichte, auf den 24. September 2015
datierte Beschwerde im Original beim Obergericht ein, wobei der Poststempel das
Datum vom 25. September 2015 trug. Mit Verfügung vom 16. Oktober 2015 trat das
Obergericht des Kantons Schaffhausen auf die Beschwerde von A.________ nicht
ein, weil die Rechtsmittelfrist gemäss den anwendbaren Bestimmungen am 24.
September 2015 geendet habe, die Beschwerde aber erst am 25. September 2015
eingereicht worden und somit verspätet sei.

C. 
Gegen die Verfügung des Obergerichts hat A.________ am 9. November 2015
Beschwerde ans Bundesgericht erhoben. Er beantragt die Aufhebung der
angefochtenen Verfügung und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur
materiellen Beurteilung. Eventualiter sei der Beschwerdeführer vom Vorwurf des
Fahrens ohne gültigen Fahrausweis freizusprechen. Die Vorinstanz verzichtet
unter Verweis auf den angefochtenen Entscheid auf Vernehmlassung. Die
Verkehrsabteilung beantragt unter Verweis auf den angefochtenen Entscheid
Beschwerdeabweisung. Der Regierungsrat verzichtet auf eine Stellungnahme zur
Frage, ob die Vorinstanz auf die Beschwerde hätte eintreten müssen, und
beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werde. Mit
Eingabe vom 28. Januar 2016 hat der Beschwerdeführer an seinen Anträgen
festgehalten.

Erwägungen:

1.

1.1. Beim angefochtenen Entscheid des Obergerichts handelt es sich um einen
kantonal letztinstanzlichen Endentscheid, gegen den die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich offen steht (vgl. Art. 82
lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG). Zur Anfechtung des
Nichteintretensentscheids ist der Beschwerdeführer nach Art. 89 Abs. 1 BGG
unabhängig von seiner Legitimation in der Sache berechtigt, wobei sich der
Streitgegenstand vor Bundesgericht auf die Eintretensfrage beschränkt, weshalb
auf die Ausführungen des Beschwerdeführers in der Sache nicht einzugehen ist
und entsprechende Beweisanträge abzuweisen sind.

1.2. Nicht einzutreten ist auf den Eventualantrag, der Beschwerdeführer sei vom
Vorwurf des Fahrens ohne gültigen Fahrausweis freizusprechen, zumal der
Strafbefehl vom 10. Februar 2015 unangefochten blieb und nicht Gegenstand des
vorliegend angefochtenen Entscheids bildete.

2. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe die Beschwerde an die Vorinstanz
gemäss den anwendbaren kantonalen Bestimmungen rechtzeitig eingereicht. Der
angefochtene Nichteintretensentscheid der Vorinstanz sei insoweit willkürlich
bzw. formalistisch. Ausserdem habe die Vorinstanz seinen Anspruch auf
rechtliches Gehör verletzt.

2.1. Unumstritten steht fest, dass die 20-tägige Frist für eine Beschwerde
gegen den Beschluss des Regierungsrats am 24. September 2015 abgelaufen ist und
die Beschwerde an die Vorinstanz demnach spätestens an diesem Tag bis um 24 Uhr
der Post hätte übergeben werden müssen (vgl. Art. 39 Abs. 1 des
Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Schaffhausen vom 20. September 1971
[VRG; SHR 172.200]). Der Beschwerdeführer bestreitet auch nicht die
vorinstanzlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid, wonach die
Beschwerde der Schriftform bedarf und somit die Einreichung der Beschwerde per
Fax am 24. September 2015 zur Fristwahrung nicht ausreicht. Er bringt aber vor,
sein Rechtsvertreter habe die Beschwerde am 24. September 2015 am Abend in
einen Briefkasten der Schweizerischen Post eingeworfen. Zum Beweis hat er mit
der Beschwerde ans Bundesgericht entsprechende schriftliche Bestätigungen von
zwei verschiedenen Personen eingereicht. Beim erwähnten Einwand und den
eingereichten schriftlichen Bestätigungen handelt es sich um zulässige neue
tatsächliche Vorbringen, weil - wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen
ergibt - erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gegeben hat (vgl. Art.
99 Abs. 1 BGG).

2.2. Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit einer Parteihandlung im Verfahren
trifft grundsätzlich die Partei, welche die betreffende Handlung vorzunehmen
hat. Dem Absender obliegt somit der Nachweis, dass er seine Eingabe bis um 24
Uhr des letzten Tages der laufenden Frist der Post übergeben hat (vgl. BGE 92 I
253 E. 3 S. 257). Die Aufgabe am Postschalter und der Einwurf in den
Postbriefkasten sind einander gleichgestellt (BGE 109 Ia 183 E. 3a S. 184).
Hier wie dort wird vermutet, dass das Datum des Poststempels mit demjenigen der
Übergabe an die Post übereinstimmt. Wer behauptet, er habe einen Brief schon am
Vortag seiner Abstempelung in einen Postbriefkasten eingeworfen, hat das Recht,
die sich aus dem Poststempel ergebende Vermutung verspäteter Postaufgabe mit
allen tauglichen Beweismitteln zu widerlegen (BGE 124 V 372 E. 3b S. 375; 115
Ia 8 E. 3a S. 11 f. mit Hinweis). Diesfalls erbringt der Absender den
entsprechenden Nachweis insbesondere mit dem Vermerk auf dem Briefumschlag,
wonach die Postsendung vor Fristablauf in Anwesenheit von Zeugen in einen
Briefkasten gelegt worden ist (z.B. BGE 115 Ia 8 E. 3; vgl. Urteile 1C_458/2015
vom 16. November 2015 E. 2.1 sowie 5A_201/2014 vom 26. Juni 2014 E. 1.1).

2.3.

2.3.1. Zum Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) gehört das Recht
des Betroffenen, sich vorgängig zur Sache zu äussern, sowie auf Abnahme der
rechtzeitig und formrichtig angebotenen rechtserheblichen Beweismittel. Ergibt
sich aus den Akten ohne Zweifel, dass eine Beschwerdefrist nicht eingehalten
worden ist, kann der Richter - ohne Art. 29 Abs. 2 BV zu verletzen -
entscheiden, ohne dass er dem Beschwerdeführer vorgängig eine Frist ansetzt, um
sich zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde zu äussern und entsprechende Beweise
einzureichen. Hat der Richter hingegen Zweifel oder müsste er aufgrund der
Umstände Zweifel haben, ob die Beschwerdefrist tatsächlich verpasst worden ist,
muss er dem Beschwerdeführer zur Wahrung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör
grundsätzlich eine Frist ansetzen, um ihm die Gelegenheit zu geben, sich zur
Rechtzeitigkeit der Beschwerde zu äussern und entsprechende Beweise
einzureichen (vgl. BGE 94 I 15 E. 2 S. 16 f.; Urteil 5A_28/2015 vom 22. Mai
2015 E. 3.1.1. mit Hinweisen). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss
allerdings ein vor Gericht tätiger Rechtsvertreter um das Risiko wissen, dass
seine Postsendung möglicherweise nicht am gleichen Tag abgestempelt wird, wenn
er sie nicht am Postschalter aufgibt, sondern nach Schalterschluss in einen
Briefkasten einwirft. Wenn er eine derartige verfahrensmässige Unsicherheit
über die Fristwahrung schafft, muss er - besondere Umstände vorbehalten - für
seine Behauptung der Rechtzeitigkeit unaufgefordert Beweismittel anbieten,
indem er beispielsweise auf dem Briefumschlag vermerkt, die Postsendung sei
kurz vor Fristablauf in Anwesenheit von Zeugen in einen Briefkasten gelegt
worden (Urteile 6B_397/2012 vom 20. September 2012 E. 1.2 mit Hinweis sowie
5P.113/2005 vom 13. September 2006 E. 3.1).

2.3.2. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers hat zwar eine gewisse
Unsicherheit über die Fristwahrung geschaffen, indem er die Beschwerde nicht am
Postschalter aufgegeben und keinen entsprechenden Vermerk auf dem Briefumschlag
angebracht hat. Er hat aber die auf den 24. September 2015 datierte Beschwerde,
die er anschliessend unverändert im Original eingereicht hat, der Vorinstanz am
24. September 2015 um 17.56 Uhr und damit vor Ablauf der Beschwerdefrist per
Fax übermittelt. Der per Fax übermittelten Beschwerde beigelegt war (wie der im
Original eingereichten) unter anderem der angefochtene Entscheid, auf welchem
der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers den 24. September 2015 als letzten
Tag der einzuhaltenden Frist vermerkt hatte. Weshalb der Rechtsvertreter des
Beschwerdeführers die fertiggestellte, bereits per Fax versandte Beschwerde
erst am 25. September 2015 der Post hätte übergeben haben sollen, obwohl er
wusste, dass er sie bis am 24. September 2015 einzureichen hatte, konnte sich
der Vorinstanz nicht ohne weiteres erschliessen. Unter diesen besonderen
Umständen durfte die Vorinstanz - selbst wenn die Beschwerde von einem vor
Gericht tätigen Rechtsvertreter eingereicht worden war - nicht ohne Zweifel
annehmen, die Beschwerde sei erst am 25. September 2015 der Post übergeben
worden. Zur Wahrung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs.
2 BV hätte die Vorinstanz dem Beschwerdeführer folglich eine Frist ansetzen
müssen, um ihm Gelegenheit zu geben, sich zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde zu
äussern und entsprechende Beweise einzureichen.

2.4.

2.4.1. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz
berichtigen oder ergänzen, wenn sie wie vorliegend (vgl. E. 2.3 hiervor) auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (vgl. Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.4.2. Die Schilderung des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers, wonach er
die Beschwerde an die Vorinstanz noch am 24. September 2015 am Abend in den
wenige Meter von seinem Arbeitsort entfernten Briefkasten eingeworfen habe,
erscheint unter den gegebenen Umständen plausibel, zumal nicht einzusehen ist,
weshalb er die am 24. September 2015 fertiggestellte, bereits per Fax versandte
Beschwerde erst am 25. September 2015 in einen Briefkasten der Schweizerischen
Post geworfen haben sollte, obwohl er wusste, dass er sie bis am 24. September
2015 einzureichen hatte (vgl. E. 2.3.2 hiervor). Ausserdem ist nicht
ersichtlich, dass es in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsort des Rechtsvertreters
eine Poststelle gäbe, welche - wie etwa die Sihlpost in Zürich - deutlich
länger als bis 18 Uhr Postsendungen entgegen nehmen würde (vgl. Urteil 1C_458/
2015 vom 16. November 2015 E. 2.2 ff.). Die mit der Beschwerde ans
Bundesgericht eingereichten schriftlichen Bestätigungen von zwei verschiedenen
Personen untermauern den vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers
geschilderten Sachverhalt, auch wenn die Beweiskraft entsprechender
Bestätigungen grösser wäre, wenn sie auf dem Briefumschlag vermerkt gewesen und
nicht erst mit der Beschwerde ans Bundesgericht beigebracht worden wären.

2.4.3. In Ergänzung des von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalts und in
Würdigung der gesamten Umstände ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer
den Beweis erbracht hat, wonach er die am Montag, 28. September 2015 bei der
Vorinstanz eingegangene Beschwerde schon am Donnerstag, 24. September 2015 und
somit am Vortag des Datums des Poststempels in einen Briefkasten der
Schweizerischen Post eingeworfen hat. Damit erweist sich die vorinstanzliche
Feststellung im angefochtenen Entscheid, dass die auf den 24. September 2015
datierte Beschwerde erst am 25. September 2015 bei der Post aufgegeben worden
und demnach in Anwendung von Art. 39 Abs. 1 VRG verspätet sei, als willkürlich
im Sinne von Art. 9 BV.

3.

3.1. Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde gutzuheissen, soweit darauf
einzutreten ist. Die angefochtene Verfügung ist aufzuheben und die Sache zur
weiteren Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Vorinstanz wird auch
über die Kosten- und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens neu
zu entscheiden haben.

3.2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben
(vgl. Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Schaffhausen hat dem
Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene
Parteientschädigung auszurichten (vgl. Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Die Verfügung
des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 16. Oktober 2015 wird aufgehoben
und die Sache zur weiteren Behandlung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Der Kanton Schaffhausen hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- auszurichten.

4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Schaffhausen, dem Regierungsrat des Kantons Schaffhausen und dem Obergericht
des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. März 2016

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Mattle

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