Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.587/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_587/2015

Urteil vom 10. März 2016

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio, Chaix, Kneubühler,
Gerichtsschreiberin Pedretti.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Manfred Dähler,

gegen

B.________,
Beschwerdegegner,

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt St. Gallen,
Schützengasse 1, 9001 St. Gallen.

Gegenstand
Ermächtigungsverfahren,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 15. September 2015 der Anklagekammer
des Kantons St. Gallen.

Sachverhalt:

A. 
A.________ (geb. 1931) beging am 25. April 2013 mit seinem Personenwagen eine
(schwere) Widerhandlung gegen das SVG. Das Strassenverkehrs- und
Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen entzog ihm daraufhin vorsorglich den
Führerausweis und ordnete eine verkehrsmedizinische Untersuchung an. Mit
Bericht vom 14. August 2013 teilte Dr. med. B.________ dem Strassenverkehrs-
und Schifffahrtsamt mit, die Fahreignung von A.________ sei insbesondere
aufgrund der festgestellten kognitiven Einschränkung sowie eines
Parkinsonsyndroms nicht mehr gegeben. Infolgedessen wurde A.________ der
Führerausweis auf unbestimmte Zeit entzogen und es wurden eine Sperrfrist von
drei Monaten sowie Bedingungen für die Wiedererlangung des Führerausweises
festgelegt.

B. 
A.________ liess sich am 30. Dezember 2013 in der Klinik für Neurologie des
Kantonsspitals St. Gallen untersuchen, wobei keine Hinweise auf eine
Parkinsonerkrankung gefunden wurden. Zudem ergab eine am 9. Juli 2014
durchgeführte verkehrspsychologische Begutachtung eine positive Beurteilung
seiner Fahreignung.

C. 
Mit Eingabe vom 29. Juli 2015 reichte A.________ bei der Staatsanwaltschaft,
Untersuchungsamt St. Gallen, eine Strafanzeige gegen Dr. med. B.________ "wegen
falschem Arztzeugnis" ein. Er brachte vor, aufgrund der durch ihn veranlassten
nachträglichen Untersuchungen seien die Diagnosen sowie die gestützt darauf
erfolgte negative Beurteilung seiner Fahreignung im ärztlichen Bericht vom 14.
August 2013 erwiesenermassen falsch.
Das Untersuchungsamt übermittelte die Strafanzeige der Anklagekammer zur
Durchführung eines Ermächtigungsverfahrens. Dr. med. B.________ liess sich am
12. August 2015 vernehmen und machte im Wesentlichen geltend, er habe
A.________ gründlich und sorgfältig untersucht sowie anerkannte und
standardisierte Tests zur Prüfung des Gedächtnisses und der Reaktionsfähigkeit
durchgeführt. Er halte an seiner Schlussfolgerung fest, dass die Fahreignung
nicht mehr gegeben sei.
Die Anklagekammer erteilte mit Entscheid vom 15. September 2015 keine
Ermächtigung zur Eröffnung eines Strafverfahrens.

D. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 6. November 2015
gelangt A.________ an das Bundesgericht und beantragt, der Entscheid der
Anklagekammer sei aufzuheben und die Ermächtigung zur Eröffnung eines
Strafverfahrens gegen Dr. med. B.________ sei zu erteilen. Eventualiter sei der
Entscheid der Anklagekammer aufzuheben, soweit er die Ermächtigung zur
Eröffnung eines Strafverfahrens wegen Übertretungen betreffe.
Dr. med. B.________ (Beschwerdegegner) schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Die Staatsanwaltschaft hat sich vernehmen lassen, ohne einen förmlichen Antrag
zu stellen. Die Anklagekammer verzichtet auf eine Stellungnahme. Der
Beschwerdeführer hält in der Replik an seinen Anträgen fest.

Erwägungen:

1. 
Gegen den angefochtenen Entscheid über die Verweigerung der Ermächtigung zur
Strafuntersuchung steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 S. 272).
Der Beschwerdegegner gehört nicht den obersten kantonalen Vollziehungs- und
Gerichtsbehörden an, weshalb der Ausschlussgrund nach Art. 83 lit. e BGG nicht
greift (BGE 137 IV 269 E. 1.3.2 S. 272 f. mit Hinweis). Der Beschwerdeführer,
der am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat und dessen Strafanzeige
nicht weiter behandelt wird, ist nach Art. 89 Abs. 1 BGG beschwerdeberechtigt.
Auf die Beschwerde ist vorbehaltlich zulässiger und genügend begründeter Rügen
einzutreten.

2.

2.1. Nach Art. 7 Abs. 1 StPO sind die Strafbehörden verpflichtet, im Rahmen
ihrer Zuständigkeit ein Verfahren einzuleiten und durchzuführen, wenn ihnen
Straftaten oder auf Straftaten hinweisende Verdachtsgründe bekannt werden.
Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone allerdings vorsehen, dass
die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden
wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer
nicht richterlichen oder richterlichen Behörde abhängt. Diese Möglichkeit steht
den Kantonen für sämtliche Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden
offen (BGE 137 IV 269 E. 2.1 S. 275).

2.2. Der Kanton St. Gallen hat von seiner gesetzlichen Kompetenz Gebrauch
gemacht und ein Ermächtigungsverfahren eingeführt (Art. 17 Abs. 2 lit. b des
Einführungsgesetzes des Kantons St. Gallen vom 3. August 2010 zur
Schweizerischen Straf- und Jugendstrafprozessordnung [EG-StPO]; sGS 962.1). Der
hier angezeigte Beschwerdegegner fällt in den Anwendungsbereich des
Ermächtigungserfordernisses.

2.3. Im Ermächtigungsverfahren dürfen - ausser bei obersten Vollziehungs- und
Gerichtsbehörden - nur strafrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden (
BGE 137 IV 269 E. 2.4 S. 277 f.). Das Ermächtigungserfordernis dient namentlich
dem Zweck, Behördenmitglieder und Beamte vor mutwilliger Strafverfolgung zu
schützen und damit das reibungslose Funktionieren staatlicher Organe
sicherzustellen. Ein Strafverfahren soll daher erst durchgeführt werden können,
wenn die Anklagekammer vorher ihre Zustimmung dazu erteilt hat. Gestützt darauf
kann die Staatsanwaltschaft dann die Untersuchung eröffnen. Der förmliche
Entscheid über die Eröffnung oder die Nichtanhandnahme obliegt kraft
ausdrücklicher bundesrechtlicher Regelung (Art. 309 und 310 StPO) in jedem Fall
der Staatsanwaltschaft (BGE 137 IV 269 E. 2.3 S. 277).

2.4. Nach der Rechtsprechung ist für die Erteilung der Ermächtigung ein
Mindestmass an Hinweisen auf strafrechtlich relevantes Verhalten zu verlangen
(Urteil 1C_453/2015 vom 23. Oktober 2015 E. 2.3 mit Hinweis). Dabei müssen eine
Kompetenzüberschreitung oder eine gemessen an den Amtspflichten missbräuchliche
Vorgehensweise oder ein sonstiges Verhalten, das strafrechtliche Konsequenzen
zu zeitigen vermag, in minimaler Weise glaubhaft erscheinen und hinreichende
Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung vorliegen (vgl. Urteil 1C_97/2015 vom
1. September 2015 E. 2.2 mit Hinweis).

3. 
Nachfolgend ist demnach zu prüfen, ob genügend minimale Hinweise bestehen, dass
das Verhalten, welches der Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner vorwirft,
strafbar sein könnte. Nicht in Frage gestellt wird dabei, dass es sich beim
Beschwerdegegner um einen Beamten im Sinne von Art. 110 Abs. 3 StGB handelt
(vgl. BGE 135 IV 198 E. 3.3 S. 201 f.).

3.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, es bestünde der erhebliche Verdacht, dass
sich der Beschwerdegegner aufgrund seiner Fehldiagnosen der Urkundenfälschung
im Amt nach Art. 317 StGB schuldig gemacht habe. Dieser sei als Amtsarzt mit
hoheitlichen Befugnissen betraut worden und habe den ärztlichen Bericht im Amt
verfasst. Dieses Arztzeugnis sei als Urkunde zu qualifizieren, da es dem Zweck
diene, rechtserhebliche Tatsachen zu beweisen und dazu auch geeignet sei. Da
der Beschwerdegegner wahrheitswidrig kognitive Defizite und ein
Parkinsonsyndrom attestiert habe, liege eine Falschbeurkundung vor, der, weil
sie eine medizinische Fachfrage betreffe, erhöhte Glaubwürdigkeit zukomme. Der
Beschwerdegegner habe dabei vorsätzlich gehandelt, weil er unwahre
rechtserhebliche Tatsachen verurkundet habe. Falls das Vorliegen von Vorsatz
verneint würde, wäre dem Beschwerdegegner - nach Auffassung des
Beschwerdeführers - jedenfalls Fahrlässigkeit vorzuwerfen, da er die
Parkinsondiagnose nicht mittels Tests überprüft habe, sondern diese vom
Hausarzt übernommen und auf das eingenommene Parkinson-Medikament abgestellt
habe. Ausserdem habe der Beschwerdegegner es unterlassen, die Diagnosen mit ihm
zu besprechen und die Tests hätten gezeigt, dass seine kognitiven Fähigkeiten
im Normbereich lägen.

3.2. Gemäss Art. 317 Ziff. 1 StGB werden Beamte oder Personen öffentlichen
Glaubens, die vorsätzlich eine Urkunde fälschen oder verfälschen oder die echte
Unterschrift oder das echte Handzeichen eines andern zur Herstellung einer
unechten Urkunde benützen (Abs. 1), oder die vorsätzlich eine rechtlich
erhebliche Tatsache unrichtig beurkunden, namentlich eine falsche Unterschrift
oder ein falsches Handzeichen oder eine unrichtige Abschrift beglaubigen (Abs.
2), wegen Urkundenfälschung im Amt mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder
Geldstrafe bestraft. Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Busse
(Art. 317 Ziff. 2 StGB).
Bei der Urkundenfälschung handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.
Geschütztes Rechtsgut ist das besondere Vertrauen, das im Rechtsverkehr einer
Urkunde als Beweismittel entgegengebracht wird (BGE 129 IV 53 E. 3.2 S. 58).
Die Tathandlungen gemäss Art. 317 Ziff. 1 StGB entsprechen der
Urkundenfälschung im engeren Sinn (Abs. 1) und der Falschbeurkundung (Abs. 2)
gemäss Art. 251 Ziff. 1 StGB (vgl. BGE 117 IV 286 E. 6b S. 290 f.). Die
Urkundenfälschung im engeren Sinn erfasst das Herstellen einer unechten
Urkunde, deren wirklicher Aussteller mit dem aus ihr ersichtlichen Urheber
nicht identisch ist. Demgegenüber betrifft die Falschbeurkundung die Errichtung
einer echten, aber unwahren Urkunde, bei der also der wirkliche und der in der
Urkunde enthaltene Sachverhalt nicht übereinstimmen. Die Falschbeurkundung
erfordert eine qualifizierte schriftliche Lüge. Eine solche wird nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung angenommen, wenn der Urkunde eine erhöhte
Glaubwürdigkeit zukommt und der Adressat ihr daher ein besonderes Vertrauen
entgegenbringt (BGE 132 IV 12 E. 8.1 S. 14 f.; 129 IV 130 E. 2.1 S. 133 f.).

3.3. In subjektiver Hinsicht verlangt die Urkundenfälschung im Amt - anders als
die Urkundenfälschung gemäss Art. 251 StGB - keine Schädigungs- oder
Vorteilsabsicht. Es genügt der Vorsatz hinsichtlich des tatbestandsmässigen
Verhaltens. Doch muss der Täter mit dem Willen zur Täuschung im Rechtsverkehr
handeln. Die Täuschungsabsicht ergibt sich aus dem Willen des Täters, die
Urkunden als echt zu verwenden (BGE 135 IV 198, nicht publizierte E. 9.4). Dass
eine Person tatsächlich getäuscht wird, ist nicht erforderlich (BGE 121 IV 216
E. 4 S. 223 mit Hinweis). Der Täter muss eine Täuschung im Rechtsverkehr
bezwecken oder zumindest in Kauf nehmen (BGE 100 IV 180 E. 3a S. 182). Das
Delikt ist bereits mit dem Inverkehrbringen der unechten Urkunden vollendet
(vgl. BGE 113 IV 77 E. 4 S. 82).

3.4. Zwar ist im hier zu beurteilenden Fall mit der Vorinstanz davon
auszugehen, dass die vom Beschwerdeführer veranlassten neurologischen und
verkehrspsychologischen Folgeuntersuchungen grundsätzlich Anhaltspunkte dafür
liefern, dass der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und die daraus zu
ziehenden Schlussfolgerungen für die Teilnahme am Strassenverkehr allenfalls
anders als im Arztbericht vom 14. August 2013 beurteilt werden können. Indes
sind keine Hinweise ersichtlich, die beim Beschwerdegegner auf ein
vorsätzliches Handeln schliessen liessen. Insbesondere kann ihm nicht
vorgeworfen werden, bewusst rechtlich erhebliche Tatsachen unwahr verurkundet
zu haben, von denen er wusste, dass sie zum Beweis geeignet oder bestimmt sind
(vgl. BGE 100 IV 180 E. 3a S. 182). Vielmehr ist er der Ansicht, den
Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sorgfältig abgeklärt und im Bericht
korrekt wiedergegeben zu haben. Selbst wenn angenommen werden müsste, er hätte
sich hinsichtlich des Wahrheitsgehalts seiner Diagnosen geirrt, wäre ihm kein
Vorsatz vorzuwerfen (vgl. MARKUS BOOG, in: Basler Kommentar zum StGB II, 3.
Aufl. 2013, N. 18 zu Art. 317 StGB). Ausserdem liegt beim Beschwerdegegner
keine Täuschungsabsicht vor. Insoweit hat die Vorinstanz kein Bundesrecht
verletzt, indem sie die Ermächtigung zur Strafverfolgung verweigert hat.

3.5. Fraglich ist jedoch, ob die Anklagekammer auch die fahrlässige
Urkundenfälschung im Amt nach Art. 317 Ziff. 2 StGB von der
Ermächtigungserteilung abhängig machen durfte. Diesbezüglich wendet der
Beschwerdeführer zu Recht ein, dass es sich hierbei lediglich um eine
Übertretung handelt, die keiner Ermächtigung bedarf. Nach dem klaren Wortlaut
von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone die Strafverfolgung der
Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen im Amt begangener
Verbrechen und Vergehen von der Ermächtigung abhängig machen. Während das
Bundesgericht in BGE 120 IV 78 (noch unter Art. 366 Abs. 2 lit. b aStGB)
offenliess, ob eine Ermächtigung zur Strafverfolgung bei Übertretungen
bundesrechtskonform sei (E. 1a S. 81), sind vorliegend keine sachlichen Gründe
dafür ersichtlich, die Begriffe des Verbrechens und Vergehens anders als im
Sinne von Art. 10 StGB zu verstehen. Insoweit fallen Übertretungen nach Art.
103 StGB nicht unter den Ermächtigungsvorbehalt.
Auch in der Lehre wird grösstenteils die Auffassung vertreten, dass eine
Ausdehnung des Strafverfolgungsprivilegs auf Übertretungen gegen Art. 7 Abs. 2
lit. b StPO verstiesse (vgl. RIEDO/FIOLKA, in: Basler Kommentar StPO, 2. Aufl.
2014, N. 89 zu Art. 7 StPO; CORNELIA HÜRLIMANN, Die Eröffnung einer
Strafuntersuchung im ordentlichen Verfahren gegen Erwachsene im Kanton Zürich,
Diss. 2006, S. 115 Fn. 648; NICCOLÒ RASELLI, Die Ermächtigung zur
Strafverfolgung gegen Mitglieder der obersten kantonalen Behörden, in: Aktuelle
Probleme der Kriminalitätsbekämpfung, Festschrift 1992, S. 142 f.; a. M. ROBERT
ROTH, Commentaire romand CPP, 2011, N. 28 zu Art. 7 StPO). Ausser dem Kanton
St. Gallen, der mit Ausnahme von Widerhandlungen gegen das SVG generell die
Verfolgung "strafbarer Handlungen" von Behördenmitgliedern von einer
Ermächtigung abhängig macht (vgl. Art. 17 Abs. 2 lit. b EG-StPO), beschränken
andere Kantone dieses Erfordernis dem Wortlaut zufolge auf Verbrechen und
Vergehen (vgl. § 148 des Gesetzes über die Gerichts- und Behördenorganisation
im Zivil- und Strafprozess des Kantons Zürich [GOG; LS 211.1]; Art. 10 Abs. 1
Loi d'application du code pénal suisse et d'autres lois fédérales en matière
pénale de l'Etat de Genève [LaCP; RS/GE E 4 10]; Art. 4 des Einführungsgesetzes
zur Schweizerischen Strafprozessordnung des Kantons Appenzell I. Rh. [EG StPO;
GS 312.000]). Insoweit kommt zum Ausdruck, dass mit der Eingrenzung des
Ermächtigungsvorbehalts auf Verbrechen und Vergehen ausreichend Schutz vor
ungerechtfertigter Strafverfolgung bzw. für das reibungslose Funktionieren der
Behörden geboten wird (vgl. Botschaft zur Vereinheitlichung des
Strafprozessrechts, BBl 2006 1085, S. 1131).
Vor diesem Hintergrund hat die Vorinstanz gegen Bundesrecht verstossen, indem
sie das Ermächtigungsverfahren auf eine Übertretung ausgedehnt und hierfür
keine Erlaubnis zur Strafverfolgung erteilt hat. Der angefochtene Entscheid ist
somit aufzuheben und die Strafanzeige wegen fahrlässiger Urkundenfälschung im
Amt nach Art. 317 Ziff. 2 StGB ist an die hierfür zuständige kantonale Behörde
zu übermitteln. Dieser obliegt es über die Eröffnung einer Untersuchung oder
die Nichtanhandnahme zu entscheiden (vgl. E. 2.3 hiervor).

4. 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen und der
angefochtene Entscheid insoweit aufzuheben, als er eine Übertretung vom
Ermächtigungserfordernis abhängig macht. Im Übrigen ist die Beschwerde
abzuweisen.
Bei diesem Verfahrensausgang würden der Beschwerdeführer und Beschwerdegegner
je zur Hälfte kostenpflichtig (Art. 66 BGG) und der Beschwerdegegner hätte dem
anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer eine Parteientschädigung auszurichten
(Art. 68 BGG; BGE 133 III 439 E. 4 S. 446). Unnötige Kosten hat indessen zu
bezahlen, wer sie verursacht (Art. 66 Abs. 3 und Art. 68 Abs. 4 BGG).
Vorliegend hat die Anklagekammer des Kantons St. Gallen in bundesrechtswidriger
Weise das Ermächtigungserfordernis auf eine Übertretung ausgedehnt. Es ist
deshalb gerechtfertigt, den Kanton St. Gallen zu verpflichten, dem
Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene
Entschädigung auszurichten. Aus demselben Grund ist ausserdem davon abzusehen,
dem Beschwerdegegner Gerichtskosten aufzuerlegen.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der angefochtene Entscheid der
Anklagekammer vom 15. September 2015 wird insoweit aufgehoben, als er eine
Übertretung vom Ermächtigungserfordernis abhängig macht. Die Strafanzeige wegen
fahrlässiger Urkundenfälschung im Amt nach Art. 317 Ziff. 2 StGB ist an die
hierfür zuständige kantonale Behörde zu übermitteln. Im Übrigen wird die
Beschwerde abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdeführer werden für das bundesgerichtliche Verfahren reduzierte
Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- auferlegt.

3. 
Der Kanton St. Gallen hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft, Untersuchungsamt St.
Gallen, und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. März 2016

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Die Gerichtsschreiberin: Pedretti

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