Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.550/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 1/2}
                   
1C_550/2015

Urteil vom 18. Januar 2016

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Chaix,
Gerichtsschreiber Mattle.

Verfahrensbeteiligte
Verein gegen Tierfabriken Schweiz,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Christa Rempfler,

gegen

Gemeinderat Regensdorf,
Watterstrasse 116, 8105 Regensdorf.

Gegenstand
Ablehnung eines Bewilligungsgesuches für eine Tierschutzkundgebung,

Beschwerde gegen das Urteil vom 10. September 2015 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich, 3. Abteilung, 3. Kammer.

Sachverhalt:
Am 30. Juli 2014 ersuchte der Verein gegen Tierfabriken Schweiz (VgT) die
Gemeindeverwaltung Regensdorf um Bewilligung für eine ca. halbstündige
Tierschutzkundgebung am 10. August 2014 im Bereich Oeriweg in Regensdorf. Dem
Bewilligungsgesuch war zu entnehmen, dass ca. sieben Personen an der Kundgebung
teilnehmen würden und der Verkehr nicht behindert werden solle. In der Folge
ersuchte die Gemeindeverwaltung den VgT um Mitteilung des Grundes für die
geplante Kundgebung. Nachdem der VgT die entsprechende Auskunft verweigerte,
lehnte der Sicherheitsvorstand des Gemeinderats Regensdorf das
Bewilligungsgesuch am 5. August 2014 ab. Die vom VgT dagegen erhobenen
Rechtsmittel an den Gemeinderat Regensdorf sowie den Statthalter des Bezirks
Dielsdorf wurden abgewiesen. Eine vom VgT gegen den Entscheid des Statthalters
erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich am 10.
September 2015 ebenfalls ab. Gegen das Urteil des Verwaltungsgericht hat der
VgT am 23. Oktober 2015 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
ans Bundesgericht erhoben. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben
und es sei festzustellen, dass das Gesuch vom 30. Juli 2014 um Bewilligung
einer Tierschutzkundgebung zu Unrecht abgewiesen worden sei. Der Gemeinderat
Regensdorf hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Vorinstanz beantragt, die
Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei, und hat im Übrigen
auf Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1. 
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einer
Angelegenheit des öffentlichen Rechts. Dagegen steht grundsätzlich die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht offen
(vgl. Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG). Der
Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ist als
Organisator der nicht bewilligten Kundgebung durch den angefochtenen Entscheid
besonders berührt (vgl. Art. 89 Abs. 1 lit. a und b BGG). Weil die Kundgebung
bereits am 10. August 2014 hätte stattfinden sollen und der erlittene Nachteil
nicht mehr beseitigt werden kann, ist das zur Bejahung der
Beschwerdelegitimation grundsätzlich erforderliche aktuelle praktische
Interesse an der Aufhebung oder Änderung der Bewilligungsverweigerung (Art. 89
Abs. 1 lit. c BGG) dahingefallen. Von diesem Erfordernis ist vorliegend
allerdings abzusehen, da die mit der Beschwerde aufgeworfenen grundsätzlichen
Fragen sich unter ähnlichen Umständen wieder stellen können, ohne dass im
Einzelfall rechtzeitig eine richterliche Prüfung möglich wäre (vgl. BGE 141 II
14 E. 4.4 S. 30; 138 II 42 E. 1.3 S. 45; 137 I 120 E. 2.2 S. 123; je mit
Hinweisen). Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.

2. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verweigerung der ersuchten Bewilligung
verstosse gegen die Meinungsfreiheit (Art. 16 Abs. 1 und 2 BV) sowie die
Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV).

2.1. Kundgebungen auf öffentlichem Grund stehen unter dem Schutz der Meinungs-
und Versammlungsfreiheit (Art. 16 und 22 BV; BGE 132 I 256 E. 3 S. 258 f. mit
Hinweis). Gestützt auf diese Grundrechte besteht grundsätzlich ein bedingter
Anspruch, für Kundgebungen mit Appellwirkung öffentlichen Grund zu benützen
(ausführlich zum bedingten Anspruch auf Bewilligung von gesteigertem
Gemeingebrauch für die Ausübung von Freiheitsrechten auf öffentlichem Grund BGE
138 I 274 E. 2.2.2 S. 282). Im Bewilligungsverfahren sind nicht nur
Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit einer Kundgebung, sondern ebenso sehr die
Randbedingungen, allfällige Auflagen und eventuelle Alternativen zu prüfen (BGE
132 I 256 E. 3 S. 260). Die Garantien gemäss Art. 11 i.V.m. Art. 10 EMRK und
Art. 21 UNO-Pakt II reichen nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht
über die dargelegten, aus Art. 16 und 22 BV abgeleiteten Grundsätze für
Kundgebungen auf öffentlichem Grund hinaus (BGE 132 I 256 E. 3 S. 260).
Die Verweigerung der ersuchten Bewilligung stellt somit eine Einschränkung der
Meinungs- und Versammlungsfreiheit des Beschwerdeführers dar und ist nach Art.
36 BV nur zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht (Abs. 1)
und durch ein öffentliches Interesse oder den Schutz von Grundrechten Dritter
gerechtfertigt (Abs. 2) sowie verhältnismässig (Abs. 3) ist, wobei der
Kerngehalt der Grundrechte unantastbar ist (Abs. 4).

2.2. Unbestritten ist, dass mit Art. 21 und 44 der Polizeiverordnung der
Gemeinde Regensdorf vom 27. November 2011 i.V.m. § 74 des Gemeindegesetzes des
Kantons Zürich vom 6. Juni 1926 (GG; LS 131.1) eine genügende gesetzliche
Grundlage für die mit der Verweigerung der Bewilligung verbundene Einschränkung
der Meinungs- und Versammlungsfreiheit besteht.
Auch wenn eine Kundgebung mit nur ca. sieben Teilnehmern geplant war, die
Kundgebung nicht länger als ca. eine halbe Stunde hätte dauern und der Verkehr
nicht hätte gestört werden sollen, erscheint nicht als ausgeschlossen, dass die
Vorinstanz sodann davon ausgehen konnte, die Verweigerung der Bewilligung diene
der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, dem Schutz der Interessen der
Anwohner sowie dem Schutz der an der Kundgebung teilnehmenden Personen. Dies
zumal der Bereich, in welchem die Kundgebung hätte stattfinden sollen, in einem
Wohnquartier mit beengten räumlichen Verhältnissen liegt und der
Beschwerdeführer Störaktionen von Drittpersonen nicht ausschloss. Wie es sich
damit verhält, braucht mit Blick auf die nachfolgenden Erwägungen jedoch nicht
näher untersucht zu werden und kann offen bleiben.

2.3. Zu prüfen ist in erster Linie, ob die Verweigerung der Bewilligung
verhältnismässig war.

2.3.1. Ist - wie vorliegend - die Ausübung von Freiheitsrechten auf
öffentlichem Grund zu beurteilen, hat die Behörde im Rahmen der
Verhältnismässigkeitsprüfung auch den besonderen ideellen Gehalt der
Freiheitsrechte, um deren Ausübung es geht, in die Interessenabwägung
einzubeziehen. Sie hat die entgegenstehenden Interessen nach objektiven
Gesichtspunkten gegeneinander abzuwägen und dabei dem legitimen Bedürfnis,
Nutzungen mit Appellwirkung an die Öffentlichkeit durchführen zu können,
angemessen Rechnung zu tragen; dabei kann eine dem Grundsatz der
Verhältnismässigkeit genügende Gestaltung die Anordnung von Auflagen und
Bedingungen erfordern. Ob die Auffassungen, die durch die Meinungsäusserung
propagiert werden sollen, der zuständigen Behörde mehr oder weniger wertvoll
oder wichtig erscheinen, kann für den Entscheid über das Gesuch nicht
massgebend sein. Die Behörde ist zu einer neutralen, sachlichen Haltung
verpflichtet (BGE 138 I 274 E. 2.2.2 S. 283; 132 I 256 E. 3 S. 259; je mit
Hinweisen).

2.3.2. Damit die Bewilligungsbehörde im Vorfeld einer geplanten Kundgebung die
entgegenstehenden Interessen gegeneinander abwägen und allfällige
Rahmenbedingungen festlegen kann, ist sie immerhin darauf angewiesen,
rechtzeitig über die für ihren Entscheid massgebenden Gesichtspunkte informiert
zu werden. Dies kann eine Mitwirkungspflicht des Veranstalters im
Bewilligungsverfahren erfordern (BGE 127 I 164 E. 3b S. 171). Gesuche sind wenn
möglich frühzeitig zu stellen und der Veranstalter hat sich zu den
erforderlichen Besprechungen zur Verfügung zu halten (Urteil 1P.53/2001 vom 20.
September 2001 E. 2d/aa). Soweit für den Entscheid der Behörde oder für eine
sichere Durchführung der Kundgebung erforderlich, dürfen vom Veranstalter auch
Angaben bezüglich der Thematik der Veranstaltung verlangt werden (in diesem
Sinne BGE 107 Ia 292 E. 4 S. 297 ff.; Urteil 1C_225/2012 vom 10. Juli 2013 E.
6.1), was namentlich bei der Beurteilung des Sicherheitsrisikos von Bedeutung
sein kann (vgl. MAYA HERTIG, in: Basler Kommentar BV, 2015, N. 21 zu Art. 22;
ANDRÉ WERNER MOSER, Der öffentliche Grund und seine Benützung, 2011, S. 450 f.;
MARTIN PHILIPP WYSS, Appell und Abschreckung, ZBl 103/2002, S. 400 f.).

2.3.3. Der Beschwerdeführer erwähnte im Bewilligungsgesuch, dass es sich bei
der geplanten Kundgebung um eine Tierschutzkundgebung handle. Überdies teilte
er der Bewilligungsbehörde den Zeitpunkt und die Dauer der geplanten Kundgebung
mit (Sonntag, 10. August 2014, 10.30-11.03 Uhr), dass ca. sieben Personen daran
teilnehmen würden und dass der Verkehr nicht behindert werde. Als Ort der
geplanten Kundgebung bezeichnete der Beschwerdeführer den Bereich Oeriweg in
Regensdorf. Hingegen weigerte sich der Beschwerdeführer auch auf konkrete
Nachfrage hin, der Bewilligungsbehörde den genauen Grund für die geplante
Kundgebung bekannt zu geben.
Aus den Angaben im Bewilligungsgesuch war ersichtlich, dass es sich bei der
geplanten Kundgebung um eine kurze Versammlung von wenigen Personen in einem
Wohnquartier gehandelt hätte, von der jedenfalls kein hohes Sicherheitsrisiko
ausgegangen wäre und die den Verkehr nicht hätte behindern sollen. Aufgrund der
Informationen, über welche die Bewilligungsbehörde verfügte, stand nicht in
Frage, dass eine sichere Durchführung der Kundgebung ohne grossen Aufwand
seitens der Behörden möglich gewesen wäre, selbst wenn der Beschwerdeführer
Störaktionen von Drittpersonen nicht ausschloss. Falls die Bewilligungsbehörde
dennoch der Ansicht gewesen wäre, sie könne mangels genügender Kenntnis der
massgebenden Umstände nicht beurteilen, ob die Bewilligung zu erteilen sei und
insbesondere, ob die Bewilligung gegebenenfalls mit Auflagen und Bedingungen zu
verknüpfen sei, hätte sie - wie die Vorinstanz zu Recht festhielt - vom
Beschwerdeführer zwar weitere Informationen zum geplanten Ablauf bzw. zum
genauen Ort der Kundgebung verlangen können. So hätte der Beschwerdeführer im
Hinblick auf die von der Bewilligungsbehörde zu berücksichtigenden Interessen
der Anwohner und der übrigen Strassenbenützer auf konkrete Nachfrage hin etwa
darüber Auskunft erteilen müssen, ob die Veranstalter einen Umzug durch das
Quartier planten oder ob die Kundgebung vor einer bestimmten Liegenschaft
abgehalten werden sollte und gegebenenfalls vor welcher. Was hingegen die
Thematik der geplanten Kundgebung betrifft, ist unter den gegebenen Umständen
nicht ersichtlich, inwiefern die Bewilligungsbehörde für ihren Entscheid darauf
angewiesen war, noch genauer als im Gesuch angegeben zu wissen, worum es dem
Beschwerdeführer inhaltlich ging, zumal dieser deklariert hatte, dass es sich
um eine Tierschutzkundgebung handelte. Die Nichterteilung der Bewilligung wegen
der Weigerung, den genauen Grund für die Kundgebung mitzuteilen, war weder
erforderlich noch zweckangemessen; sie stellt eine unverhältnismässige
Einschränkung in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 16 und Art. 22
BV) des Beschwerdeführers dar.

3.

3.1. Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde im Sinne der Erwägungen
gutzuheissen. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und es ist festzustellen,
dass das Gesuch des Beschwerdeführers vom 30. Juli 2014 um Bewilligung einer
Tierschutzkundgebung nicht mit der Begründung hätte abgewiesen werden dürfen,
der Beschwerdeführer weigere sich, den genauen Grund für die Kundgebung
mitzuteilen.

3.2. Der in ihrem amtlichen Wirkungskreis handelnden Gemeinde Regensdorf sind
keine Gerichtskosten zu auferlegen (vgl. Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Die
Gemeinde Regensdorf hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren aber angemessen zu entschädigen (vgl. Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die
Sache ist zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen. Das Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 10. September 2015 wird aufgehoben und es wird
festgestellt, dass das Gesuch des Beschwerdeführers vom 30. Juli 2014 nicht mit
der Begründung hätte abgewiesen werden dürfen, der Beschwerdeführer weigere
sich, den genauen Grund für die Kundgebung mitzuteilen.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Die Gemeinde Regensdorf hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des Verfahrens vor den kantonalen
Behörden an die Vorinstanz zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Gemeinderat Regensdorf und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 3. Abteilung, 3. Kammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 18. Januar 2016

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Mattle

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