Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.522/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]                           
{T 1/2}
                                         
1C_522/2015, 1C_527/2015, 1C_535/2015

Urteil vom 29. Oktober 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen, Eusebio, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Mattle.

Verfahrensbeteiligte
1C_522/2015
1. Piratenpartei Schweiz,
handelnd durch Stefan Thöni,
2. Kilian Brogli,
vertreten durch Stefan Thöni,
Beschwerdeführer,

gegen

Regierungsrat des Kantons Aargau, Regierungsgebäude, 5000 Aarau,

1C_527/2015
1. Piratenpartei Schweiz,
handelnd durch Stefan Thöni,
2. Piratenpartei Zentralschweiz,
handelnd durch Florian Mauchle,
3. Florian Mauchle,
beide vertreten durch Stefan Thöni,
4. Stefan Thöni,
Beschwerdeführer,

gegen

Regierungsrat des Kantons Zug,
Regierungsgebäude am Postplatz, 6301 Zug,

1C_535/2015
1. Piratenpartei Schweiz,
handelnd durch Stefan Thöni,
2. Piratenpartei Bern,
handelnd durch Jorgo Ananiadis,
3. Jorgo Ananiadis,
4. Denis Simonet,
alle drei vertreten durch Stefan Thöni,
Beschwerdeführer,

gegen

Regierungsrat des Kantons Bern, Staatskanzlei, Postgasse 68, 3000 Bern 8,

Bundeskanzlei, Bundeshaus West, 3003 Bern.

Gegenstand
NR/CN-2015 - Selbstporträts der Parteien in der Wahlanleitung der Bundeskanzlei
für die Nationalratswahlen vom 18. Oktober 2015,

Beschwerden gegen die Beschlüsse vom 7. Oktober 2015 des Regierungsrats des
Kantons Aargau, vom 9. Oktober 2015 des Regierungsrats des Kantons Zug und vom
14. Oktober 2015 des Regierungsrats des Kantons Bern.

Sachverhalt:

A. 
Vor der Wahl zur Gesamterneuerung des Nationalrats vom 18. Oktober 2015 wurde
den Stimmberechtigten der Kantone mit Verhältniswahl zusammen mit den übrigen
Wahlunterlagen die von der Bundeskanzlei herausgegebene Broschüre
"Wahlanleitung für die Nationalratswahlen vom 18. Oktober 2015" zugestellt.
Nebst Angaben über die Organisation und die Aufgaben des Schweizer Parlaments
sowie einer technischen Anleitung für die Wahl des Nationalrats enthielt die
Broschüre ein jeweils eine Seite umfassendes Selbstporträt der elf in der
ablaufenden Legislaturperiode im Nationalrat vertretenen Parteien in der
Reihenfolge der Anzahl Nationalratssitze. Nicht in der Broschüre porträtiert
wurde die in verschiedenen Kantonen zu den Nationalratswahlen angetretene, in
der ablaufenden Legislaturperiode nicht im Nationalrat vertretene Piratenpartei
Schweiz.

B. 
Am 3. Oktober 2015 hat die Piratenpartei Schweiz wegen der in der Wahlanleitung
der Bundeskanzlei abgedruckten Selbstporträts der Parteien jeweils gemeinsam
mit weiteren Personen Wahlbeschwerden unter anderem an die Regierungen der
Kantone Aargau, Bern und Zug eingereicht. Die Beschwerdeführer haben
übereinstimmend beantragt, die Gesamterneuerungswahl des Nationalrats vom 18.
Oktober 2015 sei abzubrechen bzw. aufzuheben und die Wahl neu anzusetzen;
eventualiter sei die Rechtswidrigkeit der Selbstporträts der Parteien in der
Wahlanleitung der Bundeskanzlei festzustellen. Mit Entscheiden vom 7. Oktober
2015, vom 9. Oktober 2015 sowie vom 14. Oktober 2015 sind die Regierungen der
Kantone Aargau, Zug sowie Bern auf die an sie gerichteten Wahlbeschwerden nicht
eingetreten, weil sie für die Behandlung der vorgebrachten Rügen nicht
zuständig seien.

C. 
Gegen den Entscheid des Regierungsrats des Kantons Aargau vom 7. Oktober 2015
haben die Piratenpartei Schweiz und Kilian Brogli am 11. Oktober 2015 gemeinsam
Beschwerde ans Bundesgericht erhoben (Verfahren 1C_522/2015). Gegen den
Entscheid des Regierungsrats des Kantons Zug vom 9. Oktober 2015 haben die
Piratenpartei Schweiz, die Piratenpartei Zentralschweiz, Florian Mauchle und
Stefan Thöni am 13. Oktober 2015 gemeinsam Beschwerde ans Bundesgericht erhoben
(Verfahren 1C_527/2015). Gegen den Entscheid des Regierungsrats des Kantons
Bern vom 14. Oktober 2015 haben die Piratenpartei Schweiz, die Piratenpartei
Bern, Jorgo Ananiadis und Denis Simonet am 16. Oktober 2015 gemeinsam
Beschwerde ans Bundesgericht erhoben (Verfahren 1C_535/2015). Die
Beschwerdeführer beantragen je die Aufhebung des angefochtenen Entscheids sowie
übereinstimmend, die Gesamterneuerungswahl des Nationalrats vom 18. Oktober
2015 sei abzubrechen bzw. aufzuheben und die Wahl neu anzusetzen. Eventualiter
sei festzustellen, dass die Selbstporträts der Parteien in der Wahlanleitung
der Bundeskanzlei rechtswidrig seien.

D. 
Mit Verfügungen vom 12. Oktober 2015 sowie 13. Oktober 2015 haben der Präsident
bzw. der zuständige Instruktionsrichter der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Bundesgerichts die von den Beschwerdeführern in den Verfahren 1C_522/2015
sowie 1C_527/2015 gestellten Gesuche um Anordnung vorsorglicher Massnahmen
abgewiesen. Die Bundeskanzlei beantragt, die Beschwerden seien abzuweisen,
soweit darauf einzutreten sei. Mit Eingabe vom 23. Oktober 2015 halten die
Beschwerdeführer an ihren Beschwerden fest.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerden in den Verfahren 1C_522/2015, 1C_527/2015 und 1C_535/2015
betreffen alle die Wahl zur Gesamterneuerung des Nationalrats vom 18. Oktober
2015. Die drei Beschwerden nehmen Bezug auf den gleichen Sachverhalt und es
stellen sich die gleichen Rechtsfragen. Es rechtfertigt sich, die drei
Verfahren zu vereinigen.

2.

2.1. Die Herausgabe der Wahlanleitung der Bundeskanzlei mit den umstrittenen
Selbstporträts der Parteien sowie das Zusenden der Broschüre an die
Stimmberechtigten stellen behördliche Vorbereitungshandlungen zur
Gesamterneuerungswahl des Nationalrates vom 18. Oktober 2015 dar. Die
Beschwerdeführer haben dagegen erfolglos Wahlbeschwerde im Sinne von Art. 77
Abs. 1 lit. c des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1976 über die politischen
Rechte (BPR; SR 161.1) unter anderem an die Regierungen der Kantone Aargau,
Bern sowie Zug geführt. Gegen die entsprechenden Entscheide der
Kantonsregierungen steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten in der Form der Beschwerde in Stimmrechtssachen ans
Bundesgericht offen (Art. 80 Abs. 1 BPR i.V.m. Art. 82 lit. c und Art. 88 Abs.
1 lit. b BGG). Art. 189 Abs. 4 BV, wonach Akte der Bundesversammlung und des
Bundesrates grundsätzlich nicht beim Bundesgericht angefochten werden können,
kommt nicht zur Anwendung, zumal nicht die Bundesversammlung oder der
Bundesrat, sondern die Bundeskanzlei Herausgeberin der Wahlanleitung für die
Nationalratswahlen ist (vgl. Art. 34 BPR).

2.2. Die Anträge, die Gesamterneuerungswahl des Nationalrats vom 18. Oktober
2015 sei abzubrechen bzw. aufzuheben und die Wahl neu anzusetzen sowie
eventualiter, es sei festzustellen, dass die Selbstporträts der Parteien in der
Wahlanleitung der Bundeskanzlei rechtswidrig seien, sind zulässig, selbst wenn
die Vorinstanzen diese Begehren zuständigkeitshalber nicht materiell behandeln
konnten (vgl. BGE 137 II 177 E. 1.2.3 S. 180 f.). Die beschwerdeführenden
Einzelpersonen, welche je erfolglos Beschwerde an die Regierung desjenigen
Kantons geführt haben, in welchem sie stimm- und wahlberechtigt sind, sind
gestützt auf Art. 89 Abs. 3 BGG zur Beschwerde nach Art. 82 lit. c BGG
legitimiert. Daneben sind auch die unter anderem in den Kantonen Aargau, Bern
und Zug an den Nationalratswahlen teilnehmende Piratenpartei Schweiz bzw. die
jeweiligen Sektionen (Piratenpartei Bern und Piratenpartei Zentralschweiz)
beschwerdelegitimiert (vgl. BGE 139 I 195 E. 1.4 S. 201 mit Hinweisen). Auf die
innert der Frist von Art. 100 Abs. 4 BGG erhobenen Beschwerden ist
vorbehältlich zulässiger und genügend begründeter Rügen (vgl. Art. 95 i.V.m.
Art. 42 Abs. 2 sowie Art. 106 Abs. 2 BGG) einzutreten.

2.3. Die Verfassungsbeschwerde ist im Verhältnis zur Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten subsidiär (Art. 113 BGG). Weil
vorliegend die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig
ist, ist auf die von den Beschwerdeführern gleichzeitig erhobenen
Verfassungsbeschwerden nicht einzutreten. Soweit sie eine Verletzung ihrer
verfassungsmässigen Rechte in genügender Weise rügen, ist darauf im Rahmen der
von ihnen erhobenen Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
einzugehen.

3. 
Die Bundeskanzlei wirft die Frage auf, ob die Beschwerdeführer nicht schon
früher Wahlbeschwerde an die jeweilige Kantonsregierung hätten führen müssen,
weil sie die Öffentlichkeit über die Wahlanleitung zu den Nationalratswahlen
vom 18. Oktober 2015 anlässlich einer Medienkonferenz schon am 7. Mai 2015
informiert habe und die Wahlanleitung seither auf ihrer Homepage öffentlich
zugänglich gewesen sei.

3.1. Wahlbeschwerden an die Kantonsregierung wegen Unregelmässigkeiten bei der
Vorbereitung und Durchführung der Nationalratswahlen sind innert drei Tagen
seit der Entdeckung des Beschwerdegrundes, spätestens jedoch am dritten Tag
nach Veröffentlichung der Ergebnisse im kantonalen Amtsblatt einzureichen (Art.
77 Abs. 1 und 2 BPR).

3.2. Die Beschwerdeführer haben in den vorinstanzlichen Verfahren vorgebracht,
sie bzw. ihre Mitglieder hätten das ihnen zugesandte Wahlmaterial für die
Nationalratswahlen am 1. Oktober 2015 geöffnet und dabei die umstrittenen
Selbstporträts in der Broschüre der Bundeskanzlei entdeckt. Mit
Beschwerdeerhebung am 3. Oktober 2015 sei die Beschwerdefrist gemäss Art. 77
Abs. 2 BPR eingehalten.
Auch wenn die Wahlanleitung der Bundeskanzlei bereits am 7. Mai 2015 anlässlich
einer Medienkonferenz öffentlich vorgestellt wurde und seither auf der Homepage
der Bundeskanzlei zugänglich war, kann nicht als erstellt gelten, dass die
Beschwerdeführer davon schon im Vorfeld des Versandes an die Stimmberechtigten
Kenntnis erhalten haben. Es erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die
Beschwerdeführer bzw. ihre Mitglieder erst am 1. Oktober 2015 entdeckt haben,
dass in der Broschüre nur die elf in der ablaufenden Legislaturperiode im
Nationalrat vertretenen Parteien porträtiert wurden, womit sie die
Beschwerdefrist gemäss Art. 77 Abs. 2 BPR eingehalten hätten. Wie es sich damit
verhält, kann letztlich offen bleiben, da die Beschwerden - wie nachfolgend
aufzuzeigen ist - ohnehin abzuweisen sind.

4.

4.1. Gestützt auf Art. 34 BPR erstellt die Bundeskanzlei vor jeder
Gesamterneuerungswahl des Nationalrats eine kurze Wahlanleitung, die den
Stimmberechtigten der Kantone mit Verhältniswahl zusammen mit den Wahlzetteln
zugestellt wird. Seit den Nationalratswahlen 2007 können sich die im
Nationalrat vertretenen Parteien im Rahmen dieser Publikation selber kurz
darstellen. Dies wurde von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats
als eine Massnahme zur Stärkung der Stellung der Parteien im politischen System
angeregt (Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats vom 7. Mai
2009 zur parlamentarischen Initiative "Faire Abstimmungskampagnen", BBl 2009
5840 f. Ziff. 1.3 und 1.4.2 sowie Stellungnahme des Bundesrats vom 19. August
2009, BBl 2009 5886 Ziff. 1).

4.2. Die Beschwerdeführer machen geltend, mit der Publikation der
Selbstporträts der Parteien sei die Bundeskanzlei über ihren Auftrag gemäss
Art. 34 BPR zur Erstellung einer kurzen Wahlanleitung hinausgegangen. Indem sie
nur Porträts der im Nationalrat vertretenen Parteien publiziert habe, greife
die Bundeskanzlei ausschliesslich zugunsten dieser Parteien direkt in den
Wahlkampf ein und diskriminiere damit die Beschwerdeführer, womit sie Art. 34
Abs. 2 BV i.V.m. Art. 8 Abs. 1 BV verletze. Zudem sei das von der Bundeskanzlei
gewählte Kriterium zur Abgrenzung der in der Broschüre erwähnten bzw. nicht
erwähnten Parteien willkürlich.

4.3.

4.3.1. Art. 34 Abs. 1 BV gewährleistet die politischen Rechte auf Bundes- sowie
Kantons- und Gemeindeebene in abstrakter Weise und ordnet die wesentlichen
Grundzüge der demokratischen Partizipation im Allgemeinen. Der Gewährleistung
kommt Grundsatzcharakter zu. Sie weist Bezüge auf zur Rechtsgleichheit (Art. 8
BV). Der konkrete Gehalt der politischen Rechte mit ihren mannigfaltigen
Teilgehalten ergibt sich nicht aus der Bundesverfassung, sondern in erster
Linie aus dem spezifischen Organisationsrecht des Bundes bzw. der Kantone (BGE
140 I 394 E. 8.2 S. 402; 138 I 189 E. 2.1 S. 190 f.; je mit Hinweisen).
Die in Art. 34 Abs. 2 BV verankerte Wahl- und Abstimmungsfreiheit gibt den
Stimmberechtigten Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt
wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und
unverfälscht zum Ausdruck bringt. Geschützt wird namentlich das Recht der aktiv
Stimmberechtigten, weder bei der Bildung noch bei der Äusserung des politischen
Willens unter Druck gesetzt oder in unzulässiger Weise beeinflusst zu werden.
Die Stimmberechtigten sollen ihren Entscheid gestützt auf einen möglichst
freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen und entsprechend mit
ihrer Stimme zum Ausdruck bringen können. Die Wahl- und Abstimmungsfreiheit
gewährleistet die für den demokratischen Prozess und die Legitimität
direktdemokratischer Entscheidungen erforderliche Offenheit der
Auseinandersetzung (BGE 140 I 394 E. 8.2 S. 402 mit Hinweisen).

4.3.2. Art. 34 Abs. 2 BV schützt das aktive sowie passive Wahlrecht. Dazu
gehört, dass jeder Stimmbürger bei gegebenen Voraussetzungen mit gleichen
Chancen als Wähler oder Kandidat an einer Wahl teilnehmen können soll.
Desgleichen soll die Teilnahme von Parteien an Wahlen unter gleichen
Bedingungen möglich sein. Insofern bilden das Gleichheitsgebot und
Diskriminierungsverbot einen Bestandteil der Stimm- und Wahlfreiheit (BGE 124 I
55 E. 2a S. 57 mit Hinweis). Behördliche Interventionen im Wahlkampf sind
grundsätzlich ausgeschlossen. Die Behörden haben bei Wahlen keine öffentlichen
Interessen wahrzunehmen, es kommt ihnen keine Beratungsfunktion zu. Der Staat
soll sich im Wahlkampf weder direkt noch indirekt in den Dienst parteiischer
Interessen stellen; die Behörden haben sich parteipolitisch neutral zu
verhalten und dürfen sich nicht mit einzelnen Gruppen oder Richtungen
identifizieren (BGE 124 I 55 E. 2a S. 57 f. mit Hinweisen). In einem gewissen
Umfang zulässig ist hingegen im Hinblick auf bevorstehende Wahlen ein
indirektes behördliches Eingreifen in Form von Unterstützungen und
Hilfeleistungen. Solche Massnahmen müssen mit Bezug auf die Willensbildung und
-betätigung der Wähler prinzipiell neutral sein und dürfen grundsätzlich nicht
einzelne Kandidaten oder Parteien und Gruppierungen bevorzugen oder
benachteiligen (vgl. BGE 124 I 55 E. 2a S. 58 mit Hinweisen sowie E. 5a S. 62;
vgl. auch BGE 136 I 167 E. 3.3.2 S. 174 für Radio- und Fernsehsendungen im
Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen).

4.3.3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt der Grundsatz der
Chancengleichheit bei Wahlen nicht nur für die traditionellen Parteien, sondern
auch für andere Gruppierungen und neue Bewegungen (BGE 124 I 55 E. 5a S. 63).
Andererseits anerkennt das Bundesgericht ein öffentliches Interesse daran, in
erster Linie solche Parteien und Gruppierungen zu unterstützen, welche über ein
Minimum an Anhang und eine gewisse Breite der politischen Anliegen verfügen und
im Falle von Mandatsgewinnen eine minimale Gewähr für eine gewisse Dauer und
Kontinuität bei der politischen Tätigkeit im Parlament bieten. In diesem Sinne
kann sich im Rahmen von staatlichen Unterstützungen und Hilfeleistungen eine
Differenzierung zwischen Parteien nach ihrer Bedeutung sowie eine
unterschiedliche Behandlung als zulässig erweisen, wenn dabei auf objektive
Kriterien abgestützt und der Zugang zur Beteiligung an Wahlen nicht übermässig
beschränkt wird (ausführlich BGE 124 I 55 E. 5c f. S. 65 ff.).

4.4.

4.4.1. Die Publikation der Selbstporträts der im Nationalrat vertretenen
Parteien in der Wahlanleitung der Bundeskanzlei dient der Stärkung der Stellung
der Parteien im Wahlkampf sowie der Orientierung der Stimmbürger und stellt im
Gegensatz zur Ansicht der Beschwerdeführer keine grundsätzlich unerlaubte,
direkte Intervention in den Wahlkampf dar. Vielmehr handelt es sich um eine im
öffentlichen Interesse liegende staatliche Hilfeleistung im Hinblick auf die
bevorstehende Wahl. Sie steht zu Art. 34 BPR nicht im Widerspruch, zumal kein
Anlass besteht, den Begriff der Wahlanleitung so auszulegen, dass diese zur
Orientierung der Stimmbürger neben einer technischen Anleitung nicht auch ein
kurzes Porträt der im Nationalrat vertretenen Parteien enthalten dürfte. Näher
zu prüfen ist, ob die Publikation der Selbstporträts der Parteien in der
Wahlanleitung in einer Weise geschehen ist, die mit dem in Art. 34 Abs. 2 BV
enthaltenen Grundsatz der Chancengleichheit der zur Wahl antretenden Parteien
und Gruppierungen vereinbar ist.

4.4.2. Dass in der Wahlanleitung der Bundeskanzlei nur die im Nationalrat
vertretenen Parteien porträtiert werden, führt zu einer gewissen
Benachteiligung der übrigen zur Wahl antretenden Parteien und Gruppierungen.
Die absolute Gleichbehandlung sämtlicher mit einer Liste zur Nationalratswahl
antretender Parteien und Gruppierungen würde voraussetzen, dass entweder ganz
auf die im öffentlichen Interesse bzw. im Interesse der Stimmbürger liegenden
Selbstporträts verzichtet würde oder dass bundesweit bzw. allenfalls je Kanton
Porträts sämtlicher zur Wahl antretender Parteien und Gruppierungen publiziert
werden müssten, was aufgrund der zahlreichen Listen kaum praktikabel wäre,
jedenfalls aber sehr aufwändig und angesichts des Umfangs einer solchen
Publikation einer sachgerechten Information der Stimmbürger auch nicht
dienlich.
Die mit der Praxis der Bundeskanzlei verbundene Benachteiligung trifft Parteien
und Gruppierungen, welche nicht im Nationalrat vertreten sind und somit bis
anhin weder bundesweit noch kantonal eine nennenswerte Bedeutung erlangt haben,
was nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts eine gewisse Ungleichbehandlung
rechtfertigen kann. Das von der Bundeskanzlei für die Einschränkung der Anzahl
porträtierter Parteien angewandte Kriterium der bisherigen Vertretung im
Nationalrat ist objektiv sowie einfach anwendbar, somit vertretbar und nicht
rechtsungleich oder willkürlich im Sinne von Art. 9 BV. Andere Kriterien wären
zwar auch denkbar, würden aber ebenfalls nicht zu einer absoluten
Gleichbehandlung sämtlicher zur Wahl antretender Gruppierungen führen. Die
Beschwerdeführer halten dafür, statt auf die Vertretung im Nationalrat müsste
wenn schon darauf abgestellt werden, ob eine Gruppierung national organisiert
sei oder nicht. Wie die Bundeskanzlei zu Recht vorbringt, handelt es sich dabei
aber um ein für eine Differenzierung zwischen den Parteien und Gruppierungen
wenig taugliches, zumal nicht messbares bzw. kaum kontrollierbares Kriterium.
Zu berücksichtigen ist zudem, dass die mit der Praxis der Bundeskanzlei
verbundene Ungleichbehandlung dadurch relativiert wird, dass den
Stimmberechtigten in den Kantonen mit Verhältniswahl von Gesetzes wegen
gleichzeitig mit der Wahlanleitung der Bundeskanzlei für alle Listen Wahlzettel
mit Vordruck zugesandt werden (Art. 23 i.V.m. Art. 33 Abs. 1 BPR), sodass die
Stimmberechtigten ohne weiteres nachvollziehen können, welche Gruppierungen in
ihrem Kanton zur Wahl antreten. Selbst die in der Wahlanleitung nicht
vorgestellten Parteien werden den Stimmberechtigten auf diese Weise
gleichzeitig mit den vorgestellten und rechtsgleich zur Kenntnis gebracht.
Damit kann auch nicht gesagt werden, wegen der Nichterwähnung in der
Wahlanleitung der Bundeskanzlei würde der Zugang zur Beteiligung an den Wahlen
für die bisher nicht im Nationalrat vertretenen Parteien und Gruppierungen
übermässig beschränkt oder die freie Bildung bzw. freie Äusserung des
politischen Willens der Stimmberechtigten beeinträchtigt. Unter den gegebenen
Umständen erweist sich die Publikation der Selbstporträts der im Nationalrat
vertretenen Parteien in der Wahlanleitung der Bundeskanzlei bzw. die
Nichterwähnung der übrigen zur Nationalratswahl antretenden Parteien und
Gruppierungen als verfassungs- und gesetzeskonform.

5. 
Nach dem Ausgeführten sind die Beschwerden abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist. Auf die subsidiären Verfassungsbeschwerden ist nicht
einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden die Beschwerdeführer
kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Verfahren 1C_522/2015, 1C_527/2015 und 1C_535/2015 werden vereinigt.

2. 
Die Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten werden abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

3. 
Auf die subsidiären Verfassungsbeschwerden wird nicht eingetreten.

4. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden den in den Verfahren 1C_522/2015,
1C_527/2015 und 1C_535/2015 beschwerdeführenden Parteien je zu einem Drittel
(Fr. 500.--) und unter solidarischer Haftung der am jeweiligen Verfahren
beteiligten Beschwerdeführer auferlegt.

5. 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Bundeskanzlei, dem Regierungsrat
des Kantons Aargau, dem Regierungsrat des Kantons Zug, dem Regierungsrat des
Kantons Bern, dem Generalsekretariat der Bundesversammlung, dem
Generalsekretariat der Parlamentsdienste sowie dem Rechtsdienst der
Parlamentsdienste schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Oktober 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Mattle

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