Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.460/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_460/2015

Urteil vom 6. Mai 2016

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Karlen, Chaix,
Gerichtsschreiber Dold.

Verfahrensbeteiligte
1. A.________ AG,
2. B.________ AG,
Beschwerdeführerinnen,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Marc Dörflinger,

gegen

Einwohnergemeinde Lyss, Baupolizeibehörde,
Bahnhofstrasse 10, Postfach 368, 3250 Lyss,
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, Rechtsamt,
Reiterstrasse 11, 3011 Bern.

Gegenstand
Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands (baupolizeiliches Benützungs- und
Zweckentfremdungsverbot für Lagergebäude und Vorplätze),

Beschwerde gegen das Urteil vom 6. Juli 2015 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern.

Sachverhalt:

A. 
Die B.________ AG ist Eigentümerin des ehemaligen Lagerhauses an der
Bürenstrasse 1 in Lyss (Parzelle Nr. 948). Das Grundstück befindet sich in der
Mischzone Kern a (MKa). Im Januar 2009 reichte die A.________ AG ein Baugesuch
für die Umnutzung des Gebäudes in Büroräume ein. Nachdem die
Baubewilligungsbehörde die Parkplatzsituation beanstandet hatte, zog sie das
Gesuch am 5. März 2009 zurück und stellte sich auf den Standpunkt, die
Umnutzung benötige keine Bewilligung bzw. sei bereits früher bewilligt worden.
Am 26. März 2009 teilte die Einwohnergemeinde Lyss der A.________ AG mit, es
liege keine rechtskräftige Bewilligung für die Umnutzung des Lagerhauses in ein
Bürogebäude vor, das Baugesuch könne deshalb nicht zurückgezogen werden. Am 25.
Mai 2009 erteilte sie die Gesamtbewilligung für die Umnutzung, mit Auflagen
namentlich betreffend Anzahl und Anordnung der Parkplätze. Die A.________ AG
hielt mit Schreiben vom 24. Juni 2009 daran fest, dass sie das Baugesuch
zurückgezogen habe und Auflagen betreffend Parkplätze nicht akzeptiere. Mit
Verfügung vom 13. November 2009 hob die Gemeinde die Gesamtbewilligung vom 25.
Mai 2009 deshalb auf, schrieb das Baugesuchsverfahren ab und eröffnete mit
separater Verfügung ein Baupolizeiverfahren.
Auf Ersuchen der Gemeinde stellte das Regierungsstatthalteramt Seeland am 17.
Mai 2011 fest, dass die Umnutzung bewilligungspflichtig sei. Diese Verfügung
wurde von der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern (BVE) am
11. November 2011 bestätigt. Deren Entscheid blieb unangefochten.
Am 28. Dezember 2012 erliess die Gemeinde eine Wiederherstellungsverfügung mit
- soweit hier interessierend - folgendem Wortlaut:

"1. Nach einem Wegzug der Verfügungsadressatin 3 [C.________ AG] aus der
Liegenschaft Bürenstrasse 1 3250 Lyss (Grundbuchblatt Lyss GB-Nr. 948) gilt für
das Dachgeschoss, das 3. und das zweite Obergeschoss ein Verbot, diese
Geschosse als Büroräume zu nutzen (Zweckentfremdungsverbot: ausschliesslich
Gewerbe-/Lagernutzung zulässig). Die Baupolizeibehörde wird dieses
Benützungsverbot im Widerhandlungsfalle mit der Abschaltung der Wasserzufuhr
durchsetzen.

2. Das Untergeschoss, das Erdgeschoss und das 1. Obergeschoss dürfen nicht zu
Dienstleistungszwecken genutzt werden (Zweckentfremdungsverbot: ausschliesslich
Gewerbe-/Lagernutzung zulässig). Nötigenfalls wird die Baupolizeibehörde dieses
Zweckentfremdungsverbot durch die Abschaltung der Wasserzufuhr
ersatzvornahmeweise durchsetzen.

3. Der Vorplatz im Süden des Gebäudes Bürenstrasse 1 darf innert zweier Monate
ab Eröffnung der vorliegenden Verfügung, das heisst ab 01. März 2013, nicht
mehr für Zwecke der Zu- und Wegfahrt sowie der Parkierung benutzt werden
(Zweckentfremdungs- und Benützungsverbot: Abstellen von Fahrzeugen verboten).
Wird der Vorplatz nach Ablauf dieser Frist weiterhin als Zu- und Wegfahrt
benutzt, wird die Baupolizeibehörde das Zweckentfremdungs- und Benützungsverbot
durch das Anbringen eine[s] Stellstreifens, Natursteinquadern oder ähnlichem
sowie einer entsprechenden Markierung auf Kosten der Verfügungsadressatin 1
(Grundeigentümerin) ersatzvornahmeweise durchsetzen.

4. Der Vorplatz im Norden des Gebäudes Bürenstrasse darf innert zweier Monate
ab Eröffnung der vorliegenden Verfügung nur zur Parkierung von Fahrzeugen
benützt werden, die de[n] bewilligten Nutzungen im Hauptgebäude oder der
Nutzung durch die Verfügungsadressatin 3 dienen (Zweckentfremdungsverbot:
Verbot der Fremdparkierung).

5. [Strafandrohung]

6. [Anmerkung im Grundbuch]

7. Einer allfälligen Beschwerde gegen Ziffer 3 der vorliegenden Verfügung und
der Anordnung die Zweckentfremdungsverbote im Grundbuch anzumerken (Ziffer 6
der Verfügung) wird die aufschiebende Wirkung entzogen.

8. [Hinweis auf nachträgliches Baugesuch]

9.-12. [Kosten, Rechtsmittelbelehrung, Eröffnung und Mitteilung]"

Dagegen erhoben die A.________ AG und die B.________ AG am 4. Februar 2013
Beschwerde bei der BVE. Ihre prozessualen Begehren um Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung bzw. Erlass vorsorglicher Massnahmen wies die BVE mit
Verfügung vom 1. März 2013 ab, was das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 1.
Oktober 2013 und das Bundesgericht mit Urteil 1C_826/2013 vom 20. Januar 2014
bestätigten.
Mit Entscheid vom 18. September 2014 wies die BVE die Beschwerde ab und
korrigierte die angefochtene Verfügung wie folgt:

"Ziff. III.3: Der Vorplatz im Süden des Gebäudes Bürenstrasse 1 darf innert
zweier Monate ab Eröffnung der vorliegenden Verfügung, das heisst ab 01. März
2013, nur noch für Zu- und Wegfahrten im Rahmen der bewilligten Nutzungen des
Hauptgebäudes genutzt werden. Das Parkieren von Fahrzeugen ist untersagt. (...)
"

Gegen diesen Entscheid erhoben die A.________ AG und die B.________ AG am 20.
Oktober 2014 Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Neben der Aufhebung des
angefochtenen Entscheids beantragten sie, das Verfahren sei auf unbestimmte
Zeit zu sistieren, und stellten in Aussicht, ein Baugesuch einzureichen.
Mit Urteil vom 6. Juli 2015 wies das Verwaltungsgericht sowohl das Gesuch um
Sistierung des Verfahrens (Dispositiv-Ziffer 1) als auch die Beschwerde
(Dispositiv-Ziffer 2) ab.

B. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 14. September 2015
beantragen die A.________ AG und die B.________ AG die Aufhebung des
verwaltungsgerichtlichen Urteils.
Das Verwaltungsgericht, die Einwohnergemeinde Lyss und die Bau-, Verkehrs- und
Energiedirektion beantragen die Abweisung der Beschwerde. Die
Beschwerdeführerinnen halten in ihrer Stellungnahme dazu an ihren Anträgen
fest.
Mit Präsidialverfügung vom 7. Oktober 2015 hat das Bundesgericht der Beschwerde
die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1. 
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über baurechtliche
Wiederherstellungsmassnahmen. Dieser unterliegt der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG). Die
Beschwerdeführerinnen sind Adressatinnen des angefochtenen Entscheids und in
schutzwürdigen Interessen betroffen. Sie sind somit nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur
Beschwerde legitimiert. Auf ihre Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.

2. 
Gemäss den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz wurde das Gebäude an der
Bürenstrasse 1 1956 als Lagerhaus mit angebauter einstöckiger Garage bewilligt.
Es diente zunächst überwiegend als Lager (und Labor) einer Drogerie. Nachdem es
längere Zeit leer gestanden hatte, wurde im Jahr 2006 die Sanierung der
Fassaden bewilligt. Inzwischen sind jedenfalls das zweite und dritte Stockwerk
sowie das Dachgeschoss als Büroräume vermietet. Westlich des Grundstücks
verläuft die Bahnlinie, östlich liegt die Bürenstrasse, die südlich durch eine
Unterführung die Bahnlinie kreuzt. Nördlich und südlich des Gebäudes befinden
sich zwei getrennte Vorplätze. Der nördliche Vorplatz mit Garagengebäude wird
derzeit als Parkfläche genutzt, wobei zusätzlich zu den zwei Garagenplätzen
neun stirnseitig angeordnete Parkfelder markiert sind. Der südliche
viertelkreisförmige Vorplatz wird nördlich durch die Südfassade des Gebäudes
(mit Eingangstor zum Warenlift), westlich durch die Bahnlinie und im Übrigen
durch das angrenzende Trottoir der Bürenstrasse begrenzt. Auf diesem Vorplatz
sind derzeit vier Parkfelder markiert.

3.

3.1. Gesetzliche Grundlage für die vom Verwaltungsgericht bestätigte Anordnung
bildet Art. 46 des Baugesetzes des Kantons Bern vom 9. Juni 1985 (BauG; BSG
721.0). Danach verfügt die zuständige Baupolizeibehörde die Einstellung der
Bauarbeiten, wenn ein Bauvorhaben ohne Baubewilligung oder in Überschreitung
einer Baubewilligung ausgeführt wird oder bei der Ausführung eines bewilligten
Vorhabens Vorschriften missachtet werden (Abs. 1). Die Baupolizeibehörde setzt
sodann dem jeweiligen Grundeigentümer oder Baurechtsinhaber eine angemessene
Frist zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes unter Androhung der
Ersatzvornahme (Abs. 2).

3.2. Das Verwaltungsgericht führte zusammengefasst aus, die Umnutzung der
Liegenschaft sei ohne Baubewilligung vorgenommen worden. Bei der aktuellen
Gestaltung des Vorplatzes beeinträchtige sie die Verkehrssicherheit, weil das
Trottoir und/oder die Kantonsstrasse zum Wenden benützt werden müssten. Ohne
eine verkehrssichere Anordnung der Parkplätze sei die Umnutzung des Gebäudes
deshalb rechtswidrig. Die angeordneten Wiederherstellungsmassnahmen seien zudem
verhältnismässig, weshalb sie zu bestätigen seien.

4. 
Hiergegen bringen die Beschwerdeführerinnen zunächst vor, mit der
Baubewilligung vom 17. Februar 2006 sei die Nutzung des Gebäudes für Büros mit
der entsprechenden Anzahl Parkplätze genehmigt worden.
Das Verwaltungsgericht hielt im angefochtenen Entscheid fest, dass die BVE am
11. November 2011 entschieden habe, dass die Umnutzung des Gebäudes zu
Büroräumen einer Bewilligung bedurft hätte. Die Beschwerdeführerinnen hätten
diesen Entscheid damals nicht angefochten.
Mit diesen Erwägungen betreffend die rechtskräftige Feststellung der
Bewilligungspflicht setzen sich die Beschwerdeführerinnen nicht auseinander
(Art. 42 Abs. 2 BGG). Zudem hat das Verwaltungsgericht dargelegt, dass nicht
eine Büronutzung Gegenstand der Baubewilligung vom 17. Februar 2006 war,
sondern einzig eine Fassadensanierung. Die Akten bestätigen dies.

5.

5.1. Die Beschwerdeführerinnen sind weiter der Auffassung, das
Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt offensichtlich falsch und aktenwidrig
festgestellt, wenn es davon ausging, dass die Parkplätze 1956 nicht bewilligt
worden seien. Sie weisen darauf hin, dass der Kanton Bern damals beim Bau der
Strasse den Trottoirrand im Bereich der Vorplätze abgesenkt und damit die
Nutzung dieser Flächen als Parkplätze bestätigt habe.

5.2. Das Verwaltungsgericht führte aus, den Akten seien keine Hinweise darauf
zu entnehmen, dass auf den Vorplätzen jemals Parkfelder bewilligt worden wären;
namentlich seien solche in der Bewilligung vom 27. September 1956 nicht erwähnt
und im Situationsplan nicht eingezeichnet. Dass diese Feststellungen
aktenwidrig wären, ist nicht ersichtlich. Weiter hielt das Verwaltungsgericht
fest, es könne im Ergebnis ohnehin offen bleiben, ob von der zuständigen
Behörde Parkplätze bewilligt oder zugesichert worden seien und ob die
vorhandenen Parkplätze im Zeitpunkt ihrer Erstellung oder Einrichtung überhaupt
bewilligungspflichtig gewesen seien. Denn durch die Umnutzung des Gebäudes zu
Büroräumen könne die Anzahl der täglichen Zu- und Wegfahrten (von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie je nach Branche insbesondere auch von
der Kundschaft) gegenüber einer Nutzung als Lager- und Gewerbehaus erheblich
zunehmen. Die Erschliessung und ausreichende Anzahl verkehrssicherer
Abstellplätze sei daher für die Nutzung als Bürogebäude neu zu prüfen.

5.3. Die Beschwerdeführerinnen übersehen mit ihrer Kritik, dass das
Verwaltungsgericht die Frage, inwiefern die bestehenden Parkplätze für die
ursprüngliche Nutzung des Gebäudes als zulässig zu erachten seien, nicht für
entscheidend hielt. Stattdessen ging es davon aus, dass aufgrund der
bewilligungspflichtigen Umnutzung des Gebäudes (vgl. E. 4 hiervor) die
Erschliessung neu zu prüfen sei. Dass es damit Bundesrecht verletzte, legen die
Beschwerdeführerinnen nicht dar. Ihre Rüge erweist sich damit als unbegründet,
soweit sie hinreichend substanziiert wurde.

6.

6.1. Die Beschwerdeführerinnen sind der Ansicht, es reiche nicht aus, nur den
Sachverhalt ab dem Jahr 2009 zu betrachten. Inwiefern der angefochtene
Entscheid in diesem Punkt Bundesrecht verletzt, legen sie jedoch nicht
substanziiert dar. Stattdessen verweisen sie pauschal auf ihre Rechtsschrift im
vorinstanzlichen Verfahren. Dies genügt jedoch den gesetzlichen
Begründungsanforderungen nicht (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 134 I 303 E. 1.3 S. 306
mit Hinweisen).

6.2. Weiter machen die Beschwerdeführerinnen geltend, das Verwaltungsgericht
habe die Beweise in unzulässiger Weise antizipiert gewürdigt, indem es auf
einen Augenschein verzichtete. Zur Begründung führen sie aus, das
Verwaltungsgericht hätte nicht auf den Amtsbericht des Strasseninspektorats
Seeland abstellen dürfen. Dieser sei überholt, weil sie den Strassenplan,
"Umgestaltung Bürenstrasse, Hirschenplatz, Einmündung Rosengasse 2" erfolgreich
angefochten hätten. Weshalb der erwähnte Amtsbericht damit, soweit er für den
vorliegenden Fall von Bedeutung ist, nicht mehr massgebend sein soll, legen die
Beschwerdeführerinnen jedoch nicht dar. Die Vorinstanz hat sich mit der
Verkehrssicherheit und in diesem Zusammenhang auch mit dem Amtsbericht des
Strasseninspektorats eingehend auseinandergesetzt und kam zum Schluss, dass die
Verkehrssicherheit gefährdet sei. Darauf gehen die Beschwerdeführerinnen nicht
ein. Auf ihre Rüge ist deshalb nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 2 BGG).

7.

7.1. Die Beschwerdeführerinnen bringen vor, die Gemeinde Lyss habe ihnen in
einem Schreiben vom 8. Januar 2009 zugesichert, dass die bestehenden Parkplätze
bewilligt werden könnten. Sinngemäss berufen sie sich damit auf den
verfassungsmässigen Vertrauensschutz (Art. 9 BV).

7.2. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen geht aus dem genannten
Schreiben der Gemeinde keine Zusicherung hervor. Der darin enthaltene Satz "Bei
der Unterführung dürfen demnach nur noch 3 Parkplätze vorgesehen werden" steht
offensichtlich im Zusammenhang mit dem damaligen Baugesuch, das eine andere
Anordnung der Parkplätze und eine Ein- und Ausfahrt vorsah. Davon haben die
Beschwerdeführer Abstand genommen, indem sie zum einen ihr Baugesuch
zurückzogen und zum andern betonen, der massgebliche Plan ("Grundriss
Erdgeschoss und PP") sei gegen ihren Willen vom zuständigen Architekten zu den
Akten gereicht und von ihnen nie genehmigt worden. Die Rüge erweist sich damit
als unbegründet und es kann offen bleiben, wie es sich mit den weiteren
Voraussetzungen des Vertrauensschutzes verhält (vgl. BGE 137 II 182 E. 3.6.2 S.
193 mit Hinweisen).

8.

8.1. Die Beschwerdeführerinnen kritisieren weiter, dass das Verwaltungsgericht
im Rahmen seiner Ausführungen zur Besitzstandsgarantie die Investitionen für
den Bau der Liegenschaft nicht berücksichtigt habe. Auch sind sie der Ansicht,
dass aufgrund der Besitzstandsgarantie Massnahmen zur Gewährleistung der
Verkehrssicherheit von der öffentlichen Hand zu ergreifen seien und nicht
einseitig ihnen auferlegt werden könnten.

8.2. Das Verwaltungsgericht hielt in dieser Hinsicht fest, die
Besitzstandsgarantie schütze nur die für die bewilligte Nutzung getätigten
Investitionen. Dies ist nicht zu beanstanden. Durch die angeordnete
Wiederherstellung wird weder der Bestand der Baute noch deren bewilligte
Nutzung in Frage gestellt. Ein Anspruch auf Nutzungsänderung vermittelt die
Besitzstandsgarantie dagegen nicht (ALDO ZAUGG/PETER LUDWIG, Baugesetz des
Kantons Bern, Band I, 4. Aufl. 2013, N. 2a zu Art. 3 BauG). Das
Verwaltungsgericht wies zudem darauf hin, dass es den Beschwerdeführerinnen
frei stehe, nach einer Bereinigung der Zufahrts- und Parkplatzsituation erneut
um eine Bewilligung für die Umnutzung zu ersuchen.

9.

9.1. Die Beschwerdeführerinnen halten die Wiederherstellungsmassnahmen
schliesslich für unverhältnismässig.

9.2. Die Beschwerdeführerinnen können sich neben der Eigentumsgarantie auch auf
die Wirtschaftsfreiheit berufen, zumal sie durch die Anordnung in der freien
Ausübung ihrer privatwirtschaftlichen Tätigkeit tangiert werden. In beider
Hinsicht muss die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands verhältnismässig
sein (Art. 36 Abs. 3 BV). Das Verhältnismässigkeitsprinzip verlangt, dass eine
Massnahme für das Erreichen des im öffentlichen oder privaten Interesse
liegenden Ziels geeignet und erforderlich ist und sich für die Betroffenen in
Anbetracht der Schwere der Grundrechtseinschränkung als zumutbar erweist (BGE
140 I 2 E. 9.2.2 S. 24 mit Hinweisen).
Ein Wiederherstellungsbefehl erweist sich dann als unverhältnismässig, wenn die
Abweichung vom Gesetz gering ist und die berührten öffentlichen Rechtsgüter den
Schaden, welcher dem Betroffenen durch die Wiederherstellung entstünde, nicht
zu rechtfertigen vermögen. Auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit kann sich
auch eine Bauherrin berufen, die nicht gutgläubig gehandelt hat. Sie muss aber
in Kauf nehmen, dass die Behörden aus grundsätzlichen Erwägungen, namentlich
zum Schutz der Rechtsgleichheit und der baulichen Ordnung, dem Interesse an der
Wiederherstellung des gesetzmässigen Zustands erhöhtes Gewicht beimessen und
die der Bauherrin allenfalls erwachsenden Nachteile nicht oder nur in
verringertem Masse berücksichtigen (BGE 132 II 21 E. 6.4 S. 39 f.; Urteil
1C_489/2015 vom 25. Februar 2016 E. 3.2 mit Hinweisen).

9.3. Das Verwaltungsgericht führte zur Verhältnismässigkeit der
Wiederherstellungsanordnung aus, die Gemeinde habe das Zweckentfremdungsverbot
für das zweite und dritte Stockwerk sowie das Dachgeschoss nicht per sofort
angeordnet, sondern dulde die Büronutzung durch die derzeitige Mieterin bis zu
deren Wegzug. Zusätzlich habe sie die Nutzung der Parkplätze auf dem nördlichen
Vorplatz auf Fahrzeuge begrenzt, die den bewilligten Nutzungen im Hauptgebäude
oder der Nutzung durch die Mieterin der oberen Stockwerke dienten. Damit habe
sie die Nutzung dieser Parkplätze nicht untersagt, aber die Zu- und Wegfahrten
beschränkt, was ebenfalls der Verkehrssicherheit diene. Auf dem südlichen
Vorplatz blieben Zu- und Wegfahrten im Rahmen der bewilligten Nutzungen des
Hauptgebäudes erlaubt, d.h. namentlich die Anlieferung und der Abtransport von
Gütern zu und von den Lagerräumen. Die BVE habe damit dem Umstand Rechnung
getragen, dass die Zufahrt zum Warenlift für die bewilligte Nutzung
erforderlich sei. Mit den angeordneten Benützungsverboten hätten die Gemeinde
und die BVE den Interessen der Verkehrssicherheit Rechnung getragen, aber auch
die Interessen der Beschwerdeführerinnen und der Mieterin der oberen Stockwerke
gebührend berücksichtigt. Das öffentliche Interesse an der Verkehrssicherheit
sei beträchtlich; ihm stünden keine ähnlich gewichtigen Interessen der
Beschwerdeführerinnen gegenüber; namentlich seien für die (aufgeschobene)
Wiederherstellung keine kostspieligen baulichen Massnahmen erforderlich. Den
Beschwerdeführerinnen steht es im Übrigen frei, nach einer Bereinigung der
Zufahrts- und Parkplatzsituation erneut um eine Bewilligung für die Umnutzung
zu ersuchen. Insoweit sei ihnen das Benützungs- und Zweckentfremdungsverbot
zumutbar.

9.4. Die Beschwerdeführerinnen halten den vorinstanzlichen Entscheid für
unverhältnismässig, weil nur Massnahmen zu ihren Lasten und nicht auch zulasten
der Allgemeinheit angeordnet worden seien. Zudem hätte ihrer Auffassung nach
auch eine weniger einschränkende Massnahme, z.B. die Festsetzung der maximal
zulässigen Zahl Parkplätze, geprüft werden müssen. Schliesslich stünden der
Sicherheit von Personen vorliegend die Eigentumsgarantie, das Gebot von Treu
und Glauben sowie die Besitzstandsgarantie nach bernischem Recht entgegen. Die
Vorinstanz habe diese Interessen nicht in die Abwägung miteinbezogen.

9.5. Die angeordneten Wiederherstellungsmassnahmen tragen zum einen der
Verkehrssicherheit, zum andern auch den Interessen der Beschwerdeführerinnen
Rechnung. Das Zu- und Wegfahren sowie das Parkieren bleibt im Rahmen der
bewilligten Nutzung des Gebäudes zulässig. Darüber hinaus darf die derzeitige
Mieterin bis zu ihrem Wegzug nicht nur die angemieteten Büroräumlichkeiten
nutzen, sondern auch den nördlichen Vorplatz, obwohl für diese Nutzung nach dem
Ausgeführten keine Baubewilligung vorliegt. Das Parkieren ist lediglich auf dem
südlichen Vorplatz, wo die Gefährdung der Verkehrssicherheit erheblich ist
(vgl. Urteil 1C_826/2013 vom 20. Januar 2014 E. 3.3), vollständig
ausgeschlossen. Auf dem nördlichen Vorplatz beschränkt sich das
Zweckentfremdungsverbot auf ein Verbot der Fremdparkierung. Dies dient
ebenfalls der Verkehrssicherheit, da dadurch die Nutzung des Parkplatzes
zurückgeht, und schränkt gleichzeitig die Verfügungsadressatinnen nicht
unverhältnismässig ein. Hinzu kommt, dass Fremdparkierer, insbesondere Kunden,
die Verkehrssicherheit stärker gefährden dürften als die Mitarbeitenden, die
mit der Situation besser vertraut sind. Es ist unter diesem Gesichtswinkel
deshalb auch nicht zu beanstanden, dass die kantonalen Instanzen die
Fremdparkierung vollständig untersagten, statt einfach eine bestimmte Anzahl
Parkplätze der freien Nutzung zu überlassen. Dass nur die Beschwerdeführerinnen
sowie die Mieterin in die Pflicht genommen wurden, verletzt das
Verhältnismässigkeitsprinzip ebenfalls nicht. Es entspricht dem Störerprinzip,
dass sich die Wiederherstellungsverfügung gegen die für eine
Baurechtswidrigkeit verantwortliche Person richtet und nicht gegen Dritte bzw.
die Allgemeinheit (vgl. ZAUGG/LUDWIG, a.a.O., N. 12 zu Art. 46 BauG). Dass der
Grundsatz von Treu und Glauben und die Besitzstandsgarantie der
Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands nicht entgegenstehen, wurde
bereits weiter oben dargelegt. Die Rüge der Verletzung des
Verhältnismässigkeitsprinzips ist somit unbegründet.

10. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten den
Beschwerdeführerinnen aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine
Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1-3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden den Beschwerdeführerinnen auferlegt.

3. 
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4. 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführerinnen, der Einwohnergemeinde Lyss, der
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion sowie dem Verwaltungsgericht des Kantons
Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. Mai 2016

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Merkli

Der Gerichtsschreiber: Dold

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