Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.458/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_458/2015

Urteil vom 16. November 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Chaix,
Gerichtsschreiberin Pedretti.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Yann Moor,

gegen

Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau,
Beschwerdegegner,

Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau.

Gegenstand
Entzug des Führerausweises; Nichteintretensentscheid,

Beschwerde gegen das Urteil vom 3. Juni 2015 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Aargau, 1. Kammer.

Sachverhalt:

A.
A.________ erwarb den Führerausweis der Kategorie B (Personenwagen) am 28.
Januar 2011, wobei ihm dieser drei Jahre später nach Ablauf der Probezeit
unbefristet erteilt wurde.
Mit Verfügung vom 21. November 2014 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons
Aargau A.________ vorsorglich ab sofort und auf unbestimmte Zeit bis zur
Abklärung von Ausschlussgründen den Führerausweis und den Lernfahrausweis der
Kategorie BE gestützt auf Art. 16d Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 14 Abs. 2 SVG und
Art. 30 der Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum
Strassenverkehr (VZV, SR 741.51) sowie § 17 des Gesetzes über die
Verwaltungsrechtspflege (VRPG; SAR 271.200), weil er innerhalb eines Jahres
drei Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsvorschriften begangen hatte.
Gleichzeitig wurde eine eingehende verkehrspsychologische Begutachtung
angeordnet und einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen.

B.
Die dagegen von A.________ erhobene Verwaltungsbeschwerde wies das Departement
Volkswirtschaft und Inneres (DVI) des Kantons Aargau am 13. März 2015 ab. Gegen
diesen am 16. März 2015 in vollständiger Ausfertigung zugestellten Entscheid
reichte er, vertreten durch Rechtsanwalt Yann Moor, sodann mit Eingabe vom 30.
April 2015 (Datum der Postaufgabe: 1. Mai 2015; Posteingang beim
Verwaltungsgericht: 4. Mai 2015) Beschwerde ein. Mit Urteil vom 3. Juni 2015
trat das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau mangels Fristwahrung auf das
Rechtsmittel nicht ein.

C.
Mit Beschwerde vom 14. September 2015 gelangt A.________ ans Bundesgericht und
beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Sache sei
zur materiellen Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei
die Angelegenheit zur Erhebung der relevanten Beweise an die Vorinstanz
zurückzuweisen.
Das Strassenverkehrsamt, das DVI und das Verwaltungsgericht verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Prozessentscheid. Dagegen steht
die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG
offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (Art. 83 BGG). Da die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen zu keinen Bemerkungen Anlass geben, ist auf die
Beschwerde grundsätzlich einzutreten.
Streitgegenstand ist einzig, ob das Verwaltungsgericht zu Recht nicht auf das
Begehren eingetreten ist. Trifft seine Erwägung zu, dass die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde verspätet eingereicht worden ist, hat es dabei
sein Bewenden.

2.
Unangefochten steht fest, dass die 30-tätige Frist am 30. April 2015 abgelaufen
ist und die Beschwerde demnach spätestens an diesem Tag bis um 24 Uhr der Post
hätte übergeben werden müssen (§ 44 VRPG, § 28 VRPG i.V.m. Art. 143 Abs. 1
ZPO). Der Briefumschlag, mit dem die Beschwerde dem Verwaltungsgericht
zugestellt worden ist, trägt den Poststempel vom 1. Mai 2015.

2.1. Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit einer Parteihandlung im Verfahren
trifft grundsätzlich die Partei, welche die betreffende Handlung vorzunehmen
hat. Dem Absender obliegt somit der Nachweis, dass er seine Eingabe bis um 24
Uhr des letzten Tages der laufenden Frist der Post übergeben hat (vgl. BGE 92 I
253 E. 3 S. 257). Die Aufgabe am Postschalter und der Einwurf in den
Postbriefkasten sind einander gleichgestellt (BGE 109 Ia 183 E. 3a S. 184).
Hier wie dort wird vermutet, dass das Datum des Poststempels mit demjenigen der
Übergabe an die Post übereinstimmt. Wer behauptet, er habe einen Brief schon am
Vortag seiner Abstempelung in einen Postbriefkasten eingeworfen, hat das Recht,
die sich aus dem Poststempel ergebende Vermutung verspäteter Postaufgabe mit
allen tauglichen Beweismitteln zu widerlegen (BGE 124 V 372 E. 3b S. 375; 115
Ia 8 E. 3a S. 11 f. mit Hinweis). Der verfassungsmässige Beweisanspruch setzt
dabei unter anderem voraus, dass Beweismittel nach kantonalem Recht form- und
fristgerecht angeboten worden sind (BGE 119 Ib 492 E. 5b/bb S. 505; 117 Ia 262
E. 4b S. 268 f.). Der Absender kann den entsprechenden Nachweis insbesondere
mit dem Vermerk auf dem Briefumschlag erbringen, wonach die Postsendung vor
Fristablauf in Anwesenheit von Zeugen in einen Briefkasten gelegt worden ist
(z.B. BGE 115 Ia 8 Nr. 3; Urteil 5A_201/2014 vom 26. Juni 2014 E. 1.1).

2.2. Das Verwaltungsgericht hat im Wesentlichen erwogen, das vom
Beschwerdeführer beigebrachte Schreiben vom 17. Mai 2015, in dem dieser
vorbringe, der Brief mit der Beschwerde sei am 30. April 2015 um ungefähr 19.30
Uhr in den Briefkasten bei der Bushaltestelle Löwenplatz in Zürich eingeworfen
worden - was sein als Chauffeur bezeichneter Begleiter im selben Schreiben
unterschriftlich bestätige - genüge nicht, um es von der Wahrheit der darin
enthaltenen Darstellungen zu überzeugen. Dies insbesondere deshalb, da die
schriftlichen Partei- und Zeugenaussagen nicht unter mit Strafdrohung bewehrter
Wahrheitspflicht abgegeben worden seien und das Gericht keine Möglichkeit zum
Nachhaken resp. zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit gehabt hätte. Ausserdem sei
das Schreiben vom 17. Mai 2015 aufgrund gewisser Ungereimtheiten mit
erheblichen Zweifeln behaftet. So enthalte die Beschwerde keinen Hinweis auf
die (behauptete) Fristwahrung und es würden darin keinerlei Beweismittel für
die Postaufgabe am 30. April 2015 angeboten. Diese seien erst nach Erhalt der
Instruktionsverfügung des Verwaltungsgerichts mit der Aufforderung zur
Stellungnahme zur Fristwahrung beigebracht worden. Die vom Rechtsanwalt des
Beschwerdeführers abgegebene Erklärung, er könne zusichern, dass die Beschwerde
fristgerecht am 30. April 2015 der Schweizerischen Post (Briefkasten
Löwenplatz) übergeben worden sei, erweise sich als blosse Parteibehauptung und
sei für sich allein kein Beweis rechtzeitiger Postaufgabe. Alsdann könne davon
ausgegangen werden, dass jeder vor Gericht tätige Rechtsvertreter um das Risiko
wisse, dass seine Postsendung möglicherweise nicht am gleichen Tag abgestempelt
werde, wenn er sie nicht am Postschalter aufgebe. Wer nun aber eine solche
verfahrensmässige Unsicherheit schaffe, habe für die Rechtzeitigkeit
unaufgefordert Beweismittel anzubieten, indem er beispielsweise auf dem
Briefumschlag vermerke, die Postsendung sei kurz vor Fristablauf in Anwesenheit
von Zeugen in den Briefkasten gelegt worden, was hier jedoch nicht geschehen
sei. Da der Einwurf um ca. 19.30 Uhr stattgefunden haben soll, konnte er sich
keineswegs darauf verlassen, dass die Leerung um 19.30 Uhr nicht schon erfolgt
sei. Weshalb er den Brief nicht auf die Sihlpost gebracht habe, sei schwer
nachvollziehbar, liege diese doch in Gehdistanz von der Kanzlei entfernt und
habe der Schalter dort bis 22.30 Uhr geöffnet. Der Annahmeschluss für
A-Post-Sendung sei um 20 Uhr gewesen. Zudem sei der Umstand, dass der
Beschwerdeführer den Rechtsvertreter am 30. April 2015 aufgesucht haben soll,
um den noch offenen Kostenvorschuss in bar zu bezahlen, ungewöhnlich und
erscheine konstruiert.
Das Verwaltungsgericht sah ferner von einer Einvernahme des Beschwerdeführers,
dessen Begleiter und dem Rechtsvertreter ab, da sie mit hoher
Wahrscheinlichkeit bloss das bereits Vorgebrachte bestätigen würden und keine
neuen plausiblen Tatsachenbehauptungen, die das Gegenteil nachwiesen,
ersichtlich seien. Da sich das Verwaltungsgericht in antizipierter
Beweiswürdigung seine Überzeugung aufgrund der im Recht liegenden Urkunden und
gerichtsnotorischen Tatsachen gebildet habe, bedeutete eine Partei- bzw.
Zeugenbefragung einen prozessualen Leerlauf und liefe dem Gebot der
Prozessökonomie zuwider.

2.3. Das Verwaltungsgericht ist in Würdigung des für einen Anwalt unüblichen
Vorgehens, der Umstände des Einwurfs der Sendung in den Briefkasten, der erst
nachträglich beigebrachten Bestätigungen des Beschwerdeführers, seines
Begleiters und des Rechtsvertreters und insbesondere in Anbetracht der längeren
Schalteröffnungszeiten der in Gehdistanz liegenden Sihlpost zum Schluss
gelangt, der rechtzeitige Briefeinwurf sei nicht erwiesen. Damit liegt eine
konkrete Beweiswürdigung vor, in die das Bundesgericht nur eingreift, sofern
sie offensichtlich unrichtig ist (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 BGG;
Urteile 2C_704/2014 vom 10. Februar 2015 E. 3.4; 5A_201/2014 vom 26. Juni 2014
E. 2). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Gericht Sinn und Tragweite
eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund
ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen
oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare
Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 137 III 226 E.
4.2 S. 234; je mit Hinweisen).

2.4. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einwände, sofern sie denn überhaupt
zulässig sind (Art. 99 Abs. 1 BGG), vermögen die Beweiswürdigung des
Verwaltungsgerichts nicht zu entkräften bzw. als unhaltbar erscheinen lassen.
Soweit er sich darauf beruft, dass sowohl die Beschwerde als auch die
Frankierung auf dem Briefumschlag vom 30. April 2015 datierten, ist ihm
entgegen zuhalten, dass nach der Rechtsprechung das Datum des Poststempels für
den Nachweis der Übergabe an die Post massgeblich ist (vgl. E. 2.1). Da die
Beschwerdeschrift nach Angaben des Rechtsvertreters bereits einige Tage vor
Fristablauf erstellt worden war und für deren Versand bloss die
Vorschusszahlung noch beglichen werden musste, konnte der Brief am 30. April
2015 ohne Weiteres vorbereitet und das Porto mit dem Frankiergerät auf den
Umschlag gedruckt werden. Das Datum der Frankierung resp. der Beschwerdeschrift
stellen somit keinen geeigneten Beweis dafür dar, dass die Sendung tatsächlich
rechtzeitig in den Briefkasten eingeworfen wurde. Die in diesem Zusammenhang
sinngemäss geltend gemachte Gehörsverletzung durch die Vorinstanz ist somit
unbegründet. Auch leuchtet nicht ein, weshalb es nicht möglich gewesen sein
soll, anlässlich des Briefeinwurfs einen Nachweis für die rechtzeitige Aufgabe
anzubieten, hätte doch ein unterschriftlich von den Zeugen bestätigter Vermerk
auf dem Briefumschlag Abhilfe verschaffen können. Selbstredend ist, dass dieser
der Wahrheit entsprechen muss, weshalb der Beschwerdeführer aus dem Einwand,
die Bestätigung auf dem Umschlag hätte auch am 1. Mai 2015 angebracht werden
können, nichts zu seinen Gunsten ableiten kann. Angesichts der bereits von der
Vorinstanz dargelegten Zweifel an der Stichhaltigkeit der schriftlichen
Zeugenaussage (vgl. E. 2.2) und der fehlenden Angaben zum Begleiter, ist nicht
nachvollziehbar, inwiefern davon ausgegangen werden konnte, diese ins Recht
gelegte Stellungnahme reiche für den Nachweis der Rechtzeitigkeit aus. Überdies
schliesst der Umstand, dass der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 1. Mai
2015 - einem Feiertag in Zürich - nicht gearbeitet haben soll, die Möglichkeit
einer verspäteten Postaufgabe am 30. April 2015 nicht aus. Schliesslich zielen
auch die weiteren Erklärungen, insbesondere diejenige zur Praxis hinsichtlich
der Bezahlung eines Kostenvorschusses, an der Streitsache vorbei und vermögen
den verwaltungsgerichtlichen Schluss, dass der strikte Beweis für die
Fristwahrung nicht erbracht werden konnte, nicht in Frage zu stellen. Vor
diesem Hintergrund erscheint der Verzicht auf die Einvernahme der Beteiligten
in vorweggenommener Beweiswürdigung nicht als willkürlich.
Die Erwägungen der Vorinstanz sind schlüssig und plausibel. Insbesondere
überzeugt, dass sie das ungewöhnliche Vorgehen des Anwalts ohne erkennbaren
sachlichen Grund für die Aufgabe einer derart wichtigen Sendung, wie einer
Beschwerde, berücksichtigt hat, genauso wie den Umstand, dass er den angeblich
Frist einhaltenden Briefkasteneinwurf auf dem Umschlag nicht durch Zeugen
unterschriftlich bestätigen liess. Wesentlich war ferner, dass die
Stellungnahmen zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde erst nachgereicht worden
waren, als ihnen dies mit Instruktionsverfügung eröffnet wurde. Hätten sie
mithin ihre Erklärungen absprechen wollen, wäre ihnen dazu genügend Zeit
geblieben. Schliesslich widerspricht es der anwaltlichen Vorsicht, einen die
Beschwerde enthaltenen Umschlag ungefähr zur Zeit der Briefkastenleerung in
diesen einzulegen, wenn die Schalter der Sihlpost, die in Gehdistanz von der
Kanzlei und vom Briefkasten am Löwenplatz liegen, bis um 22.30 Uhr geöffnet
waren. Die verwaltungsgerichtliche Würdigung ist somit nicht zu beanstanden und
lässt im Übrigen auch keinen überspitzten Formalismus erkennen.

3.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist
abzuweisen. Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG)
und hat ausgangsgemäss keinen Anspruch auf Parteikostenersatz (Art. 68 Abs. 1
und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt des Kantons
Aargau, dem Departement Volkswirtschaft und Inneres und dem Verwaltungsgericht
des Kantons Aargau, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. November 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Die Gerichtsschreiberin: Pedretti

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