Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.439/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_439/2015

Urteil vom 21. Dezember 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Chaix,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Fabian Blum,

gegen

Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau,
Postfach, 5001 Aarau,
Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau.

Gegenstand
Entzug des Führerausweises; Nichteintretensentscheid,

Beschwerde gegen das Urteil vom 20. Juli 2015 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Aargau, 1. Kammer.

Sachverhalt:

A. 
Am 5. Dezember 2014 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau
A.________ den Führerausweis vorsorglich und ordnete eine verkehrsmedizinische
Abklärung in Bezug auf eine allfällige Betäubungsmittelabhängigkeit an.
Am 13. März 2015 wies das Departement Volkswirtschaft und Inneres (DVI) die
Beschwerde von A.________ gegen die Verfügung des Strassenverkehrsamts ab und
entzog einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung.
Am 1. Juli 2015 gab A.________ eine Beschwerde ans Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau gegen den ihm am 1. Juni 2015 zugestellten Entscheid des DVI bei
der Post auf.
Am 6. Juli 2015 setzte der Instruktionsrichter des Verwaltungsgerichts
A.________ eine Frist von 10 Tagen ab Zustellung der Verfügung an, um eine im
Sinne der Erwägungen verbesserte Beschwerde einzureichen. Der Beschwerde fehle
die vorgeschriebene Unterschrift, und es werde fälschlicherweise die Aufhebung
der durch den Entscheid des DVI ersetzten Verfügung des Strassenverkehrsamts
beantragt. Werde der Mangel nicht fristgerecht behoben, werde auf die
Beschwerde nicht eingetreten.
Am 7. Juli 2015 wurde A.________ die Instruktionsverfügung vom 6. Juli 2015
zugestellt.
Am 18. Juli 2015 gab A.________ eine verbesserte Beschwerde bei der Post auf.
Am 20. Juli 2015 erwog das Verwaltungsgericht, die verbesserte Beschwerde sei
nach Ablauf der 10-tägigen Frist und damit verspätet der Post übergeben worden,
und trat auf die Beschwerde nicht ein. In seiner Rechtsmittelbelehrung führte
es an, sein Entscheid könne innert 30 Tagen ab Zustellung beim Bundesgericht
angefochten werden; diese Frist stehe u.a. vom 15. Juli bis zum 15. August
still.

B. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 10. September 2015
(Datum und Postaufgabe) beantragt A.________, den Nichteintretensentscheid des
Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache zur Durchführung des weiteren
Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht beantragt
er, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu zuerkennen.

C. 
Das Verwaltungsgericht beantragt in seiner Vernehmlassung sinngemäss, die
Beschwerde abzuweisen. Dies beantragen auch das DVI und das
Strassenverkehrsamt.

D. 
Am 5. Oktober 2015 erkannte der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen
Abteilung der Beschwerde hinsichtlich der angeordneten verkehrspsychiatrischen
Begutachtung aufschiebende Wirkung zu. In Bezug auf den Ausweisentzug wies er
das Gesuch um aufschiebende Wirkung ab.
A.________ hält in seiner Replik an der Beschwerde fest.

Erwägungen:

1. 
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer
Angelegenheit des öffentlichen Rechts. Dagegen steht die Beschwerde nach Art.
82 ff. BGG offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (Art. 83 BGG). Die
kantonalen Instanzen haben dem Beschwerdeführer den Ausweis vorsorglich
entzogen und seine verkehrsmedizinische Begutachtung angeordnet. Der
angefochtene Entscheid schliesst das Verfahren nicht ab; er stellt daher einen
Zwischenentscheid dar, der nach der Rechtsprechung anfechtbar ist, da er einen
nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinn von Art. 93 Abs. 1 lit a BGG
bewirkt. Beim vorsorglichen Führerausweisentzug handelt es sich um eine
vorsorgliche Massnahme nach Art. 98 BGG (Urteile 1C_328/2013 vom 18. September
2013 E. 1.2; 1C_233/2007 vom 14. Februar 2008 E. 1.2; je mit Hinweisen). Der
Beschwerdeführer kann somit nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte rügen
(Urteil 1C_264/2014 vom 15. Februar 2015 E. 2).
Nach Art. 46 Abs. 2 BGG gilt der Fristenstillstand gemäss Art 46 Abs. 1 BGG für
Beschwerden gegen vorsorgliche Massnahmen nicht. Die Rechtsmittelfrist gegen
den dem Beschwerdeführer am 21. Juli 2015 zugestellten Entscheid lief damit am
20. August 2015 ab, die am 10. September 2015 erhobene Beschwerde erweist sich
als verspätet. Allerdings war die Rechtsmittelbelehrung des Verwaltungsgerichts
in diesem Punkt falsch, was für den Beschwerdeführer als Laien kaum erkennbar
war. Einen Anwalt hat er erst nach dem Ablauf der regulären Rechtsmittelfrist
beigezogen, aber noch rechtzeitig, um diesem zu ermöglichen, innert der vom
Verwaltungsgericht fälschlicherweise um den Fristenstillstand vom 15. Juli bis
zum 15. August verlängerten Frist Beschwerde zu führen, was er auch getan hat.
Aus der für ihn nicht leicht erkennbar falschen Rechtsmittelbelehrung darf dem
Beschwerdeführer kein Nachteil erwachsen (Art. 49 BGG; BGE 135 III 374 E.
1.2.2; 134 I 199 E. 1.3.1).
Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass,
sodass auf die innert der um den Fristenstillstand verlängerten Frist
eingereichte Beschwerde einzutreten ist.

2.

2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe in gesetzwidriger
Weise den geltenden Fristenstillstand missachtet. Die ihm zur Verbesserung der
Beschwerde angesetzte 10-Tagesfrist habe am 8. Juli 2015 zu laufen begonnen und
sei am 18. Juli 2015, als er diese eingereicht habe, wegen des gesetzlichen
Fristenstillstands vom 15. Juli bis zum 15. August noch nicht abgelaufen
gewesen. Das Verwaltungsgericht habe eine Rechtsverweigerung begangen bzw.
seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 BV) verletzt, indem es auf die
Beschwerde wegen Verspätung nicht eingetreten sei.

2.2. Das Verfahren vor Verwaltungsgericht wird vom
Verwaltungsrechtspflegegesetz vom 4. Dezember 2007 (VRPG) geregelt. Dieses
übernimmt einzelne Bestimmungen der Zivilprozessordnung durch Verweis und führt
sie dadurch ins kantonale Recht über. Auch die aus dem Bundesrecht übernommenen
Bestimmungen sind damit Bestandteil des anwendbaren kantonalen
Verfahrensrechts, welches vom Bundesgericht nur auf Willkür überprüft wird. Es
fragt sich, ob die Beschwerde den gesetzlichen, für Verfassungsrügen
qualifizierten Begründungsanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E.
1.4.2 S. 254 mit Hinweisen) genügt, da der Beschwerdeführer dem
Verwaltungsgericht jedenfalls nicht explizit eine willkürliche Anwendung des
Verfahrensrechts vorwirft. Das kann indessen offen bleiben, da die Beschwerde
ohnehin unbegründet ist.

2.3. § 28 Abs. 1 VRPG bestimmt, dass für die Berechnung der Fristen, deren
Unterbruch und die Wiederherstellung gegen die Folgen der Säumnis die
Zivilprozessordnung gilt. Nach Abs. 2 gelten die Vorschriften über die
Rechtsstillstandsfristen nur im Verfahren vor den Verwaltungsjustizbehörden.
Nach Art. 145 Abs. 1 lit. b ZPO stehen gesetzliche und gerichtliche Fristen vom
15. Juli bis und mit dem 15. August still. Nach Abs. 2 lit. b dieser Bestimmung
gilt allerdings dieser Fristenstillstand für das summarische Verfahren nicht,
welches nach Art. 248 lit. c ZPO für die vorsorglichen Massnahmen anwendbar
ist.
Unbestritten ist, dass nach dem Verweis von § 28 VRPG die Regelung von Art. 145
ZPO über den Stillstand der Fristen auch im Verfahren vor Verwaltungsgericht
anwendbar ist. Die Verfügung mit der Fristansetzung zur Verbesserung der
Beschwerde wurde dem Beschwerdeführer am 7. Juli 2015 zugestellt. Die
10-Tagesfrist begann tags darauf, am 8. Juli 2015, zu laufen und endete ohne
Berücksichtigung des Fristenstillstands am 17. Juli 2015. Damit wäre die am 18.
Juli 2015 eingereichte Beschwerdeverbesserung verspätet. Unter Berücksichtigung
des Fristenstillstands wäre sie dagegen rechtzeitig gewesen, da eine Frist
während des gesetzlichen Stillstands nicht ablaufen kann.
Es erscheint indessen sachgerecht und jedenfalls nicht willkürlich, das
vorliegende, einen vorsorglichen Führerausweisentzug und die Anordnung einer
verkehrsmedizinischen Abklärung betreffende Verfahren im Hinblick auf die zu
Gunsten des Beschwerdeführers gebotene besonders beförderliche
Verfahrensführung und den vorläufigen Charakter der angefochtenen Anordnungen
als vorsorgliche Massnahme im Sinn von Art. 248 lit. c ZPO einzustufen. Dafür
ist das summarische Verfahren anwendbar, in dem nach Art. 145 Abs. 2 ZPO der
Fristenstillstand nicht gilt. Der Einwand des Beschwerdeführers, diese Ausnahme
finde "rechtsnaturgemäss" im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine
Anwendung, ist unbegründet. Es ist damit nicht bundesrechtswidrig, dass das
Verwaltungsgericht die Beschwerdeverbesserung als verspätet einstufte und auf
die Beschwerde androhungsgemäss nicht eintrat.

3. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs.
1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt des Kantons
Aargau, dem Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau, dem
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, und dem Bundesamt für
Strassen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Dezember 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi

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