Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.408/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_408/2015

Urteil vom 14. Oktober 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio
Gerichtsschreiberin Pedretti.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Einwohnergemeinde Wynau, Baupolizeibehörde,
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern.

Gegenstand
Ablagerung von Gegenständen; Wiederherstellung; unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerde gegen das Urteil vom 10. Juni 2015 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, Einzelrichter.

Sachverhalt:

A.

 Die Einwohnergemeinde Wynau forderte A.________ mit
Wiederherstellungsverfügung vom 9. Mai 2014 auf, sämtliche auf der Parzelle Nr.
xxx im Freien gelagerten Materialien bis am 30. Juni 2014 vollständig zu
räumen, unter Androhung einer Ersatzvornahme und Busse bei Nichtbefolgung.

 Die dagegen erhobene Beschwerde wies die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion
des Kantons Bern (BVE) am 12. März 2015 ab, unter Ansetzung einer neuen
Räumungsfrist. Am 13. April 2015 führte A.________ dagegen Beschwerde an das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern.

B.

 Mit Verfügung vom 14. April 2015 wurde A.________ aufgefordert, einen
Gerichtskostenvorschuss in der Höhe von Fr. 3'000.-- zu bezahlen, was er jedoch
unterliess. Daraufhin wurde ihm unter Androhung des Nichteintretens eine
Nachfrist bis 19. Mai 2015 angesetzt, wobei zudem auf die Möglichkeit eines
Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege hingewiesen wurde.

C.

 Mit Schreiben vom 19. Mai 2015 machte A.________ unter dem Titel "Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege" Angaben zu seinen Einkünften und Ausgaben, belegte
diese jedoch nicht, und ersuchte sinngemäss um Ratenzahlung. Der
Abteilungspräsident wies dieses Gesuch am 20. Mai 2015 ab und stellte das
Fehlen jeglicher Belege fest. Ausserdem führte er aus, dass bei einer
vorläufigen, auf den gemachten Angaben basierenden Einschätzung, die Einkünfte
die anrechenbaren Ausgaben wohl bei weitem überstiegen. A.________ wurde eine
letzte Frist bis 1. Juni 2015 eingeräumt, um das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege zu ergänzen und die erforderlichen Belege beizubringen.

D.

 A.________ liess dem Verwaltungsgericht das ausgefüllte Gesuchsformular am 1.
Juni 2015 zukommen, wobei er als Beleg einzig eine Bescheinigung der
Wohnsitzgemeinde über das steuerbare Einkommen und Vermögen beibrachte. Mit
Urteil vom 10. Juni 2015 wies das Verwaltungsgericht das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege wegen lückenhafter Angaben bzw. fehlender Belege
zur aktuellen finanziellen Situation ab, soweit darauf eingetreten werden
konnte, und trat auf die Beschwerde mangels Bezahlung des Kostenvorschusses
innert Nachfrist nicht ein.

E.

 Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 17. August 2015
gelangt A.________ an das Bundesgericht und beantragt, das Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 10. Juni 2015 sei aufzuheben und ihm sei die
unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.

 Das BVE schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht
beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden
könne. Die Einwohnergemeinde Wynau verzichtet auf eine Vernehmlassung.

 Der Beschwerdeführer hält in der Replik an seinen Anträgen fest.

Erwägungen:

1.

1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Prozessentscheid. Dagegen
steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff.
BGG offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (Art. 83 BGG).

1.2. Mit der Beschwerde können Rechtsverletzungen im Sinne von Art. 95 BGG
gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Allerdings prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich
nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind. Bezüglich der Verletzung von verfassungsmässigen Rechten -
einschliesslich der willkürlichen Anwendung von kantonalem Recht - gilt eine
qualifizierte Rügepflicht: Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert
erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 171
E. 1.4 S. 176 mit Hinweisen).

1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und
Beweismittel können nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der
Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Unbeachtlich sind deshalb die
vom Beschwerdeführer in der Replik, und damit ohnehin verspätet (Art. 42 Abs. 2
BGG), vorgebrachten Ausführungen zu den erst nach Ergehen des angefochtenen
Entscheids erhobenen Einsprachen gegen die Veranlagungsverfügungen 2011 und
2012.

1.4. Streitgegenstand vor Bundesgericht ist einzig, ob das Verwaltungsgericht
zu Recht nicht auf die Beschwerde eingetreten ist. Trifft seine Erwägung zu,
dass der Beschwerdeführer seine Prozessarmut nicht hinreichend belegt hat,
diese nicht ersichtlich ist und der Kostenvorschuss nicht innert Nachfrist
bezahlt wurde, hat es damit sein Bewenden.

2.

 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV. Er macht
geltend, seine Vermögensbestände lägen in Grundstücken, die er erst verwerten
müsse, um an Geld zu kommen. Im Zeitpunkt des Gesuchs habe er nicht über
genügend flüssige Mittel verfügt, um den Gerichtskostenvorschuss zu bezahlen.
Ebenfalls sei sein Gesuch um Ratenzahlung abgelehnt worden.

2.1. Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen
Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr
Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte
notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand.
Dass sich aus dem kantonalen Recht - mithin Art. 111 des Gesetzes über die
Verwaltungsrechtspflege (VRPG/BE; BSG 155.21) - ein weitergehender Anspruch
ergeben würde, behauptet der Beschwerdeführer nicht. Als bedürftig im Sinne von
Art. 29 Abs. 3 BV gilt eine Person dann, wenn sie die Kosten eines Prozesses
nicht aufzubringen vermag, ohne jene Mittel anzugreifen, die für die Deckung
des eigenen notwendigen Lebensunterhalts und desjenigen ihrer Familie
erforderlich sind (BGE 135 I 221 E. 5.1 S. 223; 128 I 225 E. 2.5.1 S. 232; je
mit Hinweis). Die prozessuale Bedürftigkeit beurteilt sich grundsätzlich nach
der gesamten wirtschaftlichen Situation des Rechtsuchenden im Zeitpunkt der
Einreichung des Gesuchs. Dazu gehören einerseits sämtliche finanzielle
Verpflichtungen, anderseits die Einkommens- und Vermögensverhältnisse (BGE 135
I 221 E. 5.1 S. 223 f.).

2.2. Nach der Rechtsprechung hat der Gesuchsteller zur Glaubhaftmachung seiner
Bedürftigkeit seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend
darzustellen und soweit möglich auch zu belegen (BGE 125 IV 161 E. 4a S. 164
f.; 120 Ia 179 E. 3a S. 181 f. mit Hinweis). Dabei dürfen umso höhere
Anforderungen an eine umfassende und klare Darstellung der finanziellen
Situation durch den Gesuchsteller selbst gestellt werden, je komplexer diese
Verhältnisse sind. Die entscheidende Behörde hat allenfalls unbeholfene
Rechtsuchende auf die Angaben hinzuweisen, die sie zur Beurteilung des Gesuches
benötigt (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 182 f.). Aus den eingereichten Belegen muss
der aktuelle Grundbedarf des Gesuchstellers hervorgehen. Die Belege haben zudem
über sämtliche finanzielle Verpflichtungen des Gesuchstellers sowie über seine
Einkommens- und Vermögensverhältnisse Aufschluss zu geben. Verweigert der
Gesuchsteller die zur Beurteilung seiner aktuellen Gesamtsituation
erforderlichen Angaben oder Belege, resp. kommt er seiner Obliegenheit nicht
nach, so kann die Behörde die Bedürftigkeit ohne Verletzung des
verfassungsmässigen Anspruchs verneinen und das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege abweisen (BGE 125 IV 161 E. 4a S. 164 f.; 120 Ia 179 E. 3a S. 181
f.).

2.3. Angesichts dieser Rechtsprechung trifft den Gesuchsteller eine umfassende
Mitwirkungsobliegenheit. Vorliegend ist zwar zugunsten des Beschwerdeführers zu
würdigen, dass dieser in seinem Schreiben vom 19. Mai 2015 seine Einkünfte und
Auslagen aufgelistet und im Gesuchsformular des Verwaltungsgerichts Angaben zur
wirtschaftlichen Lage gemacht hat. Er unterliess es jedoch, alle zur
Beurteilung der finanziellen Verhältnisse nötigen Beweisstücke vorzuweisen.
Seine Prozessarmut hätte beispielsweise anhand einer aktuellen Steuererklärung
oder mithilfe von Ausgabenbelegen, Kontoauszügen und Einkommensnachweisen
belegt werden können. Auch ging aus dem Gesuchsformular des Verwaltungsgerichts
hinreichend klar hervor, welche Belege zur Feststellung der wirtschaftlichen
Gesamtsituation des Gesuchstellers vorgelegt werden müssen. Indes reichte er
trotz mehrmaliger Aufforderung bloss eine Bescheinigung der Steuerbehörde der
Wohnsitzgemeinde ein, aus der hervorgeht, dass das steuerbare Einkommen in den
letzten drei Jahren jeweils mit Fr. 180'000.-- veranlagt wurde und dass er in
dieser Zeitspanne über kein steuerbares Vermögen verfügte. Unterlagen zu den
übrigen Positionen und insbesondere zu den Ausgaben und zu weiteren
finanziellen Verpflichtungen wurden - wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt
hat - nicht beigebracht. Dass ihm diese einzureichen nicht möglich gewesen sein
soll, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich.
Insoweit ist er seiner Beleg- bzw. Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen,
wodurch eine Überprüfung seiner finanziellen Gesamtsituation verunmöglicht
wurde.
Überdies ist die Vorinstanz nicht in überspitzten Formalismus verfallen, indem
sie vom Beschwerdeführer verlangt hat, die zur Beurteilung der finanziellen
Verhältnisse nötigen Belege beizubringen. Als besondere Form der
Rechtsverweigerung liegt überspitzter Formalismus insbesondere dann vor, wenn
die Behörde an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und damit dem
Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt (BGE 135 I 6 E. 2.1 S. 9
mit Hinweisen ). Nach der Rechtsprechung darf die Behörde die Beweismittel für
die Feststellung der wirtschaftlichen Situation nicht formalistisch beschränken
und etwa nur amtliche Belege über die finanziellen Verhältnisse zulassen (vgl.
BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181 f.; 119 III 28 E. 3b S. 31). Dass die Vorinstanz
ausschliesslich offizielle Dokumente als Nachweis für die Bedürftigkeit des
Beschwerdeführers entgegengenommen hätte, wird zu Recht nicht behauptet. Im
Gegenteil, gemäss Gesuchsformular wären auch aktuelle Kontoauszüge oder andere
Nachweise über die Einkommenssituation, die Auslagen und die Schulden als
Belege in Frage gekommen. Die Gesuchsabweisung durch die Vorinstanz beruht auf
dem Umstand, dass sie vom Beschwerdeführer nur unvollständig über seine
finanziellen Verhältnisse in Kenntnis gesetzt wurde, was - angesichts der
dargelegten Rechtsprechung - nicht zu beanstanden ist.
Im Übrigen ist seine Bedürftigkeit dem ersten Anschein nach auch nicht
ersichtlich. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer in den letzten Jahren
ein beachtliches Einkommen vorzuweisen vermochte, verfügt er nachweislich über
Grundeigentum in der Gemeinde Roggwil im Wert von über einer halben Million
Franken. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, er besitze vorübergehend nicht
genügend liquide Mittel, da sein Vermögen in Grundstücke investiert sei, vermag
er damit nicht durchzudringen. Nach der Rechtsprechung ist es dem Gesuchsteller
unbesehen der Art der Vermögensanlage zumutbar, das Vermögen, das einen
angemessenen "Notgroschen" übersteigt, zur Finanzierung des Prozesses zu
verwenden. Die Art der Vermögensanlage beeinflusst allenfalls die Verfügbarkeit
der Mittel, nicht aber die Zumutbarkeit, sie vor der Beanspruchung des Rechts
auf unentgeltliche Prozessführung anzugreifen. Der um unentgeltliche
Rechtspflege ersuchende Grundeigentümer hat sich daher die für den Prozess
benötigten Mittel allenfalls durch Belehnung der Liegenschaft zu beschaffen (
BGE 119 Ia 11 E. 5 S. 12 f.). Vorliegend hat der Beschwerdeführer nicht
dargetan, dass ihm eine Hypothekarbelastung des Grundeigentums zwecks
Begleichung der Verfahrenskosten unmöglich oder unzumutbar sei.
Die Vorinstanz durfte demnach die unentgeltliche Rechtspflege zu Recht
verweigern und nicht auf die Beschwerde eintreten.

3.

 Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein
Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist wegen
Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Eine
Parteientschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren ist nicht zuzusprechen
(Art. 68 Abs. 1 und 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

 Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.

 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.

 Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.

 Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

5.

 Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Einwohnergemeinde Wynau,
Baupolizeibehörde, der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion, und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung,
Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Oktober 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Die Gerichtsschreiberin: Pedretti

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