Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.401/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_401/2015

Urteil vom 10. Dezember 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Eusebio, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Härri.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Michael Burkard,

gegen

Staatssekretariat für Migration,
Quellenweg 6, 3003 Bern.

Gegenstand
Asyl,

Beschwerde gegen das Urteil vom 13. Juli 2015 des Bundesverwaltungsgerichts,
Abteilung V.

Sachverhalt:

A. 
Der türkische Staatsangehörige A.________ verliess nach seinen Angaben sein
Heimatland am 19. Juni 2009 und reiste am 24. Juni 2009 in die Schweiz ein, wo
er gleichentags um Asyl ersuchte.
Mit Verfügung vom 13. August 2014 stellte das Bundesamt für Migration (BFM;
heute: Staatssekretariat für Migration) fest, A.________ erfülle die
Flüchtlingseigenschaft nicht. Es lehnte das Asylgesuch ab und ordnete die
Wegweisung sowie deren Vollzug an; dies unter Vorbehalt einer rechtskräftigen
Auslieferungsbewilligung durch die Schweiz an die Türkei.
Die von A.________ hiergegen erhobene Beschwerde wies das
Bundesverwaltungsgericht (Abteilung V) am 13. Juli 2015 im Flüchtlings- und
Asylpunkt ab.

B. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben. Eventualiter sei
die Sache zu neuer oder weiterer Sachverhaltsfeststellung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

C. 
Es wurde kein Schriftenwechsel durchgeführt.

Erwägungen:

1. 
Am 1. April 2011 trat das Bundesgesetz vom 1. Oktober 2010 über die
Koordination des Asyl- und des Auslieferungsverfahrens (Koordinationsgesetz; AS
2011 925 ff.) in Kraft. Dieses stellt einen Mantelerlass dar. Damit wurden
ausschliesslich das Bundesgerichtsgesetz, das Asylgesetz (AsylG; SR 142.31) und
das Rechtshilfegesetz (IRSG SR 351.1) geändert. Das Koordinationsgesetz
bezweckt die Behebung der Probleme, die bei parallelen Auslieferungs- und
Asylverfahren auftraten. Diese Verfahren werden nunmehr auf der Stufe des
Bundesgerichts zusammengeführt. Das gewährleistet eine widerspruchsfreie
Rechtsprechung unter Beachtung des Gebots des Non-Refoulement (näher dazu BGE
138 II 513 E. 1.2.1 S. 515 f. mit Hinweisen).
Die Türkei ersuchte um die Auslieferung des Beschwerdeführers zur Vollstreckung
einer Freiheitsstrafe wegen mehrfacher vorsätzlicher Tötung und mehrfachen
Versuchs dazu. Am 25. März 2015 bewilligte das Bundesamt für Justiz die
Auslieferung unter der Voraussetzung eines rechtskräftigen ablehnenden
Asylentscheids. Die vom Beschwerdeführer hiergegen erhobene Beschwerde wies das
Bundesstrafgericht (Beschwerdekammer) am 10. November 2015 ab; ebenso die
Einrede des politischen Delikts. Dagegen reichte der Beschwerdeführer
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ein. Darüber befindet das
Bundesgericht mit separatem Urteil vom heutigen Tag (1C_611/2015). Die
Koordination des Asyl- und des Auslieferungsverfahrens ist damit
sichergestellt.
Die Akten des Auslieferungsverfahrens liegen dem Bundesgericht vor. Art. 108a
AsylG, der ihren Beizug vorschreibt, ist damit Genüge getan.

2. 
Gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts ist nach Art. 82 lit. a BGG
die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegeben.
Gemäss Art. 83 lit. d Ziff. 1 BGG ist die Beschwerde unzulässig gegen
Entscheide auf dem Gebiet des Asyls, die vom Bundesverwaltungsgericht getroffen
worden sind, ausser sie betreffen Personen, gegen die ein Auslieferungsersuchen
des Staates vorliegt, vor welchem sie Schutz suchen. Gegen den Beschwerdeführer
liegt ein türkisches Auslieferungsersuchen vor. Die Beschwerde ist daher
zulässig.
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt
und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung. Er ist
nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt.
Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts stellt einen nach Art. 90 BGG
anfechtbaren Endentscheid dar.
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, das gegen ihn in der Türkei geführte
Strafverfahren sei lediglich vorgeschoben. In Wirklichkeit werde er wegen
seiner kurdisch-patriotischen Gesinnung verfolgt. Für die ihm vorgeworfene Tat
verfüge er über ein Alibi. Wenn die Vorinstanz dem nicht folge, würdige sie die
Beweise willkürlich.

3.2. Gemäss Art. 97 BGG kann der Beschwerdeführer eine offensichtlich
unrichtige Sachverhaltsfeststellung und damit Beweiswürdigung rügen.
Offensichtlich unrichtig bedeutet willkürlich (Art. 9 BV). Insoweit gelten
qualifizierte Begründungsanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht
prüft nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Auf
appellatorische Kritik tritt es nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266 mit
Hinweisen).
Willkürlich ist ein Entscheid nicht schon dann, wenn eine andere Lösung
ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst dann,
wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken
zuwiderläuft. Willkür liegt nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines
Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 141 I 70 E. 2.2 S. 72
mit Hinweisen).

3.3. Was der Beschwerdeführer vorbringt, ist nicht geeignet, Willkür darzutun.
Dafür hätte er sich mit dem gesamten Beweisergebnis auseinandersetzen müssen,
was er unterlässt. Bei der in Frage stehenden Schiesserei waren zahlreiche
Personen anwesend. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es mehrere direkte
Tatzeugen gibt. Da es um ein schweres Verbrechen geht, ist zudem anzunehmen,
dass Sachbeweise, insbesondere Tatspuren, erhoben worden sind. Sollte aufgrund
von Zeugenaussagen und Sachbeweisen die (Mit) -Täterschaft des
Beschwerdeführers ohne Zweifel feststehen, nützte es ihm von Vornherein wenig,
wenn er geltend macht, er habe aus örtlichen und zeitlichen Gründen nicht an
der Tat beteiligt sein können. Der geltend gemachte Alibibeweis darf mit
anderen Worten nicht, wie der Beschwerdeführer das tut, isoliert betrachtet
werden.
Selbst wenn es sich anders verhielte, würde das dem Beschwerdeführer nicht
helfen. Einlässlicher als das Bundesverwaltungsgericht hat sich das
Bundesstrafgericht mit dem Einwand des Alibibeweises befasst. Das
Bundesstrafgericht kommt (E. 5.3 S. 8 f.) zum Schluss, insbesondere die Aussage
des angeblichen Hauptentlastungszeugen sei nicht zum Nachweis geeignet, dass
der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt nicht am Tatort gewesen sein konnte. Die
eingehenden Erwägungen des Bundesstrafgerichts, auf welche verwiesen werden
kann, sind nicht zu beanstanden.
Angesichts dessen ist es jedenfalls im Ergebnis nicht offensichtlich unhaltbar
und damit nicht willkürlich, wenn das Bundesverwaltungsgericht den Einwand des
Alibibeweises ebenso als unbehelflich beurteilt hat. Was der Beschwerdeführer
vorbringt, beschränkt sich im Wesentlichen auf appellatorische Kritik.
Die Willkürrüge geht demnach fehl.

3.4. Dass der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts sonst wie Bundesrecht
verletze, macht der Beschwerdeführer nicht substanziiert geltend und ist nicht
ersichtlich.

4. 
Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden
kann.
Da sie aussichtlos war, kann die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
nach Art. 64 BGG nicht bewilligt werden. Unter den gegebenen Umständen -
insbesondere in Anbetracht der offenbar schwierigen finanziellen Verhältnisse
des Beschwerdeführers - rechtfertigt es sich jedoch, auf die Erhebung von
Kosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Staatssekretariat für Migration,
dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung V, dem Bundesamt für Justiz und dem
Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Dezember 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Härri

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