Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.387/2015
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 1/2}
                   
1C_387/2015

Urteil vom 13. November 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiber Stohner.

Verfahrensbeteiligte
Magdalena Rinderer,
Beschwerdeführerin,

gegen

Politische Gemeinde Wagenhausen,
handelnd durch den Gemeinderat Wagenhausen,
Talacker 1, 8259 Kaltenbach,
und dieser vertreten durch Rechtsanwalt Frank Zellweger,
Departement für Inneres und Volkswirtschaft des Kantons Thurgau,
Verwaltungsgebäude, Promenadenstrasse 8, 8500 Frauenfeld.

Gegenstand
Geringfügige Zonenplanänderung; Volksabstimmung,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 8. Juli 2015 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Thurgau.

Sachverhalt:

A. 
Am 3. April 2014 beschloss der Gemeinderat der Politischen Gemeinde Wagenhausen
eine "geringfügige Zonenplanänderung". Diese sah vor, Teilflächen der Parzellen
Gbbl. Nrn. 892 und 896, die bisher als Flurweg genutzt und keiner Bauzone
zugewiesen waren, neu dem Baugebiet zuzuweisen und mit der Bezeichnung
"Strassen und Wege innerhalb von Bauzonen" zu versehen. Mit der
Zonenplanänderung sollte die Erschliessung für ein Geothermiekraftwerk-Projekt
sichergestellt werden. Der Beschluss lag vom 4. bis 23. April 2014 öffentlich
auf.
Gegen diese Zonenplanänderung erhob unter anderen Magdalena Rinderer am 22.
April 2014 Einsprache. Gleichentags wurde beim Gemeinderat ein "Referendum
gegen die Zonenplanänderung" eingereicht, welches mit 251 Unterschriften
rechtsgültig zustanden gekommen war.
Am 1. Mai 2014 traten die revidierten Art. 8 und 8a RPG (SR 700) in Kraft
(Mindestinhalt der Richtpläne / Richtplaninhalt im Bereich Siedlung). Nach der
Übergangsbestimmung von Art. 38a RPG haben die Kantone innert fünf Jahren ihre
Richtpläne an das geänderte Bundesrecht anzupassen. Bis zur Genehmigung dieser
Richtplananpassung durch den Bundesrat darf im betreffenden Kanton die Fläche
der Bauzonen insgesamt nicht vergrössert werden. Im Kanton Thurgau setzten die
kantonalen Behörden per 1. Mai 2014 ein Moratorium in Kraft, nach welchem
Einzonungen nur dann zulässig sind, wenn seit Inkrafttreten der erwähnten
RPG-Bestimmungen mindestens die gleiche Fläche ausgezont wurde oder eine
derartige Auszonung mit dem gleichen Entscheid erfolgt.
Da der mit der Zonenplanänderung vom 3. April 2014 verbundenen Einzonung von
Bauland keine Auszonung im gleichen Umfang gegenübersteht, entschied der
Gemeinderat am 11. August 2014, den Beschluss vom 3. April 2014 zu widerrufen.
Zugleich schrieb er die gegen die Änderung des Zonenplans erhobenen Einsprachen
und das Referendum als gegenstandslos geworden am Protokoll ab.
Diesen Beschluss focht Magdalena Rinderer am 20. September 2014 mit Rekurs
sowohl beim kantonalen Departement für Inneres und Volkswirtschaft (DVI/TG) als
auch beim kantonalen Departement für Bau und Umwelt (DBU/TG) an.
Mit Entscheid vom 18. November 2014 wies das DVI/TG den Rekurs ab. Dagegen
erhob Magdalena Rinderer mit Eingabe vom 5. Dezember 2014 Beschwerde beim
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau.
Mit Entscheid vom 10. Dezember 2014 trat das DBU/TG auf den Rekurs von
Magdalena Rinderer nicht ein. Dieser Entscheid ist unangefochten in Rechtskraft
erwachsen.
Mit Entscheid vom 8. Juli 2015 wies das Verwaltungsgericht die von Magdalena
Rinderer gegen den Entscheid des DVI/TG vom 18. November 2014 erhobene
Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.

B. 
Mit Beschwerde an das Bundesgericht vom 4. August 2015 beantragt Magdalena
Rinderer, der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 8. Juli 2015 sei
aufzuheben, und es sei über die "geringfügige Zonenplanänderung" mit dem
zustande gekommenen Referendum eine Volksabstimmung durchzuführen.
Das Verwaltungsgericht und die Politische Gemeinde Wagenhausen stellen Antrag
auf Beschwerdeabweisung. Die Beschwerdeführerin hält an ihren Anträgen fest.

Erwägungen:

1.

1.1. Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen kantonal
letztinstanzlichen Endentscheid, gegen den beim Bundesgericht gestützt auf Art.
82 lit. c i.V.m. Art. 86 Abs. 1 lit. d sowie Art. 90 BGG Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten in Form der Stimmrechtsbeschwerde
erhoben werden kann. Von der Stimmrechtsbeschwerde werden sowohl eidgenössische
als auch kantonale und - wie im zu beurteilenden Fall - kommunale
Stimmrechtssachen erfasst (Art. 88 Abs. 1 BGG). Das Beschwerderecht steht
gemäss Art. 89 Abs. 3 BGG jeder Person zu, die in der betreffenden
Angelegenheit stimmberechtigt ist; ein besonderes (rechtliches) Interesse in
der Sache selbst ist nicht erforderlich (vgl. BGE 134 I 172 E. 1.3.3 S. 176).
Die Beschwerdeführerin ist in der Politischen Gemeinde Wagenhausen
stimmberechtigt. Ihre Rüge, es sei zu Unrecht keine Abstimmung über ein
zustande gekommenes Referendum durchgeführt worden, ist zulässig. Auf die
Beschwerde ist einzutreten.

1.2. Mit Blick auf die politischen Rechte prüft das Bundesgericht nicht nur die
Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch
diejenige anderer kantonaler Vorschriften, die den Inhalt des Stimm- und
Wahlrechts normieren oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen (Art. 95 lit.
d BGG; BGE 129 I 185 E. 2 S. 190). Die Anwendung anderer kantonaler
Vorschriften unter Einschluss von kommunalen Bestimmungen und die Feststellung
des Sachverhalts sowie die Beweiswürdigung prüft das Bundesgericht hingegen nur
unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots (vgl. BGE 129 I 392 E. 2.1 S. 394).

2.

2.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, ein zustande gekommenes Referendum
ermögliche den Stimmberechtigten in einer Volksabstimmung über eine von der
gewählten politischen Vertretung zuvor beschlossene Sachvorlage abzustimmen.
Eine Aufhebung oder ein Widerruf eines Beschlusses nach zustande gekommenem
Referendum sei unzulässig und verletze ihre politischen Rechte, konkret ihr
Recht auf eine Volksabstimmung.

2.2. Die Vorinstanz hat unter Verweis auf § 23 des kantonalen Gesetzes über die
Verwaltungsrechtspflege vom 23. Februar 1981 (VRG/ TG; RB 170.1), welcher die
Änderung und den Widerruf von Entscheiden regelt, erwogen, der Beschluss vom 3.
April 2014 sei aufgrund von Einsprachen (und des ergriffenen Referendums) nicht
in Rechtskraft erwachsen und mit der Revision des RPG habe sich die Rechtslage
geändert. Der Widerruf der Zonenplanänderung sei deshalb zulässig gewesen. Mit
diesem Widerruf habe die Beschwerdeführerin im Ergebnis ihre Ziele erreicht,
denn sowohl die Einsprache als auch das Referendum hätten sich gegen die
Zonenplanänderung gerichtet. Aus der Abschreibung des Referendums habe die
Beschwerdeführerin keinerlei Rechtsnachteile erlitten. Bei einer erneuten
Zonenplanänderung würden wiederum die gleichen Rechtsmittel und die Möglichkeit
eines Referendums offen stehen. Eine Verletzung des Stimmrechts sei nicht
ersichtlich. Gemäss Art. 34 Abs. 2 BV schütze die Garantie der politischen
Rechte die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe. Diese
Garantie werde nicht verletzt, wenn mangels Sachvorlage auf die Durchführung
einer Referendumsabstimmung verzichtet werde.

2.3. Die Ausführungen der Vorinstanz sind zutreffend.
Aufgrund der erwähnten Revision des RPG hat sich die Rechtslage wesentlich
geändert, sodass der Widerruf der nicht in Rechtskraft erwachsenen
Zonenplanänderung sachlich begründet und rechtmässig war. Dies wird von der
Beschwerdeführerin auch nicht substanziiert in Frage gestellt; insbesondere
rügt sie keine willkürliche Anwendung von § 23 VRG/TG, welcher die Änderung und
den Widerruf von Entscheiden regelt. Dass der Gemeinderat die Zonenplanänderung
am 3. April 2014 überhaupt (noch) beschlossen hat, ist aus rechtlicher Sicht
nicht zu beanstanden. Wären während der Auflagefrist keine Einsprachen erhoben
worden, hätte die Zonenplanänderung unter Umständen noch vor dem Inkrafttreten
der revidierten Bestimmungen des RPG am 1. Mai 2014 vom Kanton genehmigt werden
können.
Mit dem zulässigen Widerruf der Zonenplanänderung ist die Sachvorlage
weggefallen, über die aufgrund des zustande gekommenen Referendums hätte
abgestimmt werden sollen. Damit hat der Gemeinderat das Referendum zu Recht als
gegenstandslos geworden abgeschrieben. Die Durchführung einer Abstimmung ergäbe
auch keinen Sinn. Würde abgestimmt und die widerrufene Zonenplanänderung
angenommen, so könnte diese wegen Verstosses gegen das revidierte RPG
respektive das kantonale Moratorium nicht umgesetzt werden. Es ist mit der
Garantie der politischen Rechte nicht zu vereinbaren, eine Abstimmung über eine
hinfällig gewordene und nicht umsetzbare Vorlage durchzuführen.
Der Beschwerdeführerin erwächst hieraus auch kein Rechtsnachteil; vielmehr
wurde ihrem ursprünglichen Antrag entsprochen. An dieser Beurteilung ändert
nichts, dass gegen einen allfälligen künftigen Beschluss einer
Zonenplanänderung erneut das Referendum ergriffen werden müsste, denn die
politischen Rechte der Beschwerdeführerin und der Stimmbürgerschaft bleiben
hierdurch gewahrt.

3. 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang sind die Kosten des
bundesgerichtlichen Verfahrens der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1-3
BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Politischen Gemeinde
Wagenhausen, dem Departement für Inneres und Volkswirtschaft des Kantons
Thurgau und dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. November 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Stohner

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben