Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.374/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]               
{T 0/2}
                             
1C_374/2015, 1C_394/2015

Urteil vom 10. Juni 2016

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
1C_374/2015
A.________ AG,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Werner Ritter,

und

1C_394/2015
B.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Mullis,

gegen

Oberforstamt Appenzell AR,
Regierungsgebäude, 9100 Herisau,
vertreten durch den Rechtsdienst der Kantonskanzlei Appenzell Ausserrhoden,
Regierungsgebäude, 9102 Herisau,

Departement Volks- und Landwirtschaft, Regierungsgebäude, 9102 Herisau,
vertreten durch den Rechtsdienst der Kantonskanzlei Appenzell Ausserrhoden,
Regierungsgebäude, 9102 Herisau.

Gegenstand
Waldfeststellung,

Beschwerden gegen die Urteile vom 29. Oktober 2014 des Obergerichts Appenzell
Ausserrhoden, 4. Abteilung.

Sachverhalt:

A. 
In der Gemeinde Walzenhausen, im Gebiet Wilen, befindet sich auf den Parzellen
Nrn. 526 (Eigentümer: B.________ und Miteigentümer), 527 und 1461 (Eigentümer:
C.________) ein Gehölz, welches an die Parzelle Nr. 529 (Eigentümerin:
A.________ AG) grenzt. Im Zuge eines Waldfeststellungsverfahrens legte das
Oberforstamt des Kantons Appenzell Ausserrhoden den Plan "Festlegung der
Waldgrenzen" vom 17. Januar 2012 öffentlich auf. Gleichzeitig legte der
Gemeinderat Walzenhausen den von ihm erlassenen Plan "Festlegung der
Waldabstandslinien" öffentlich auf.

B.                                                         1C_374/2015

B.a. Die A.________ AG erhob Einsprache gegen die aufgelegten Pläne, welche vom
Oberforstamt am 8. Juni 2012 abgewiesen wurde.

Die A.________ AG rekurrierte ans Departement Volks- und Landwirtschaft (im
Folgenden: Departement) mit dem Antrag, es sei davon abzusehen, auf den
Parzellen Nrn. 526, 527 und 1461 Wald auszuscheiden bzw. es sei festzustellen,
dass es sich beim Gehölz nicht um Wald handle. Das Departement wies den Rekurs
am 8. Juli 2013 ab, soweit es darauf eintrat.
Die A.________ AG focht diesen Entscheid des Departements beim Obergericht des
Kantons Appenzell Ausserrhoden an. Dieses führte am 29. Oktober 2014 einen
Augenschein durch und wies die Beschwerde gleichentags ab, soweit es darauf
eintrat. Auf Verlangen der A.________ AG begründete es sein Urteil und stellte
es am 11. Juni 2015 zu.

B.b. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
A.________ AG, dieses Urteil aufzuheben und festzustellen, dass es sich beim
fraglichen Gehölz nicht um Wald handle. Eventuell sei die Sache zur
Neubeurteilung an eine der Vorinstanzen zurückzuweisen.

B.c. Das Departement verzichtet auf Vernehmlassung. Das Obergericht beantragt,
die Beschwerde abzuweisen.
Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) reicht eine Stellungnahme ein, ohne einen
Antrag zu stellen.
Die A.________ AG hält an der Beschwerde fest.
Das Obergericht nimmt zu dieser Eingabe der A.________ AG Stellung.

C.                                                         1C_394/2015

C.a. B.________ erhob Einsprache gegen die aufgelegten Pläne, welche vom
Oberforstamt am 8. Juni 2012 abgewiesen wurde.
B.________ rekurrierte ans Departement mit dem Antrag, der Entscheid des
Oberforstamts sei aufzuheben und es sei davon abzusehen, auf den Parzellen Nrn.
526, 527 und 1461 Wald auszuscheiden bzw. es sei festzustellen, dass es sich
beim fraglichen Gehölz nicht um Wald handle. Das Departement wies den Rekurs am
8. Juli 2013 ab.
B.________ focht diesen Entscheid des Departements beim Obergericht des Kantons
Appenzell Ausserrhoden an. Dieses führte am 29. Oktober 2014 einen Augenschein
durch und wies die Beschwerde gleichentags ab, soweit es darauf eintrat. Auf
Verlangen von B.________ begründete es sein Urteil und stellte es am 11. Juni
2015 zu.

A.b. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt
B.________, dieses Urteil aufzuheben und festzustellen, dass es sich beim
fraglichen Gehölz nicht um Wald handle. Eventuell sei die Sache zur
Neubeurteilung an eine der Vorinstanzen zurückzuweisen.

A.c. Das Oberforstamt und das Departement verzichten auf Vernehmlassung. Das
Obergericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) reicht eine Stellungnahme ein, ohne einen
Antrag zu stellen.
B.________ hält an der Beschwerde fest.
Das Obergericht nimmt zu dieser Eingabe von B.________ Stellung.

Erwägungen:

1. 
Die beiden Beschwerden betreffen das gleiche Waldfeststellungsverfahren und
stehen in engem sachlichem Zusammenhang, weshalb sie zu vereinigen sind.

2. 
Die angefochtenen Urteile des Obergerichts sind kantonal letztinstanzlich (Art.
86 Abs. 1 lit. d BGG). Es hat mit ihnen Waldfeststellungsentscheide des
Departements geschützt (Art. 10 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 1 und 2 des
Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über den Wald, Waldgesetz, WaG, SR 921.0).
Die angefochtenen Entscheide schliessen die Verfahren ab, sind mithin
Endentscheide im Sinn von Art. 90 BGG in einer öffentlich-rechtlichen
Angelegenheit, die nicht von einem Ausschlussgrund von der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erfasst sind (Art. 82 lit. a und Art. 83
BGG). Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82
lit. a BGG steht somit zur Verfügung. Die Beschwerdeführer haben am
vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und sind als Grundeigentümer einer von
der Waldfeststellung betroffenen Parzelle bzw. einer unmittelbar anstossenden
Parzelle von den angefochtenen Entscheiden besonders berührt und haben ein
schutzwürdiges Interesse an ihrer Aufhebung, womit sie zur Beschwerde befugt
sind (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu
keinen Bemerkungen Anlass, weshalb auf die Beschwerden einzutreten ist.

3.

3.1. Die Beschwerdeführer machen geltend, das Obergericht habe ihren Anspruch
auf rechtliches Gehör verletzt, weil sie sich nicht zu den Ergebnissen des
Augenscheins hätten äussern können. Zwar hätten sie am Augenschein
teilgenommen, bis heute sei ihnen jedoch kein Augenscheinsprotokoll zugestellt
geschweige denn die Möglichkeit eingeräumt worden, dazu Stellung zu nehmen. Das
Obergericht habe am Tag des Augenscheins - dem 29. Oktober 2014 - entschieden.
Das Urteil sei bei ihnen im Dispositiv am 7. November 2014 und in begründeter
Form am 15. Juni 2015 eingegangen. Mit Schreiben vom 15. Juni 2015 - nach
Eingang des begründeten Urteils - habe ihnen das Obergericht zwar die
Fotodokumentation des Augenscheins zugestellt; diese könne aber nicht als
Augenscheinsprotokoll gewertet werden, da nicht alle Parteivorbringen
wiedergegeben würden. Auch das Obergericht benenne das Dokument denn auch
selber als "Fotodokumentation des Augenscheins", nicht als
"Augenscheinsprotokoll". So oder so hätten sie jedenfalls keine Gelegenheit
gehabt, sich dazu zu äussern, womit ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt
sei.

3.2. Das Obergericht hat in corpore am Augenschein teilgenommen, im Anschluss
daran seine Urteile gefällt und im Dispositiv verschickt. Nachdem die Parteien
eine Begründung verlangt hatten, erstellte es eine umfangreiche
Fotodokumentation des Augenscheins, auf die es sich in der Urteilsbegründung
massgeblich stützte und die es den Parteien nach der Zustellung des begründeten
Urteils verschickte. Das Bundesgericht hat sich mit dieser Vorgehensweise des
Obergerichts im kürzlich ergangenen, zur Publikation bestimmten Urteil 1C_457/
2015 vom 3. Mai 2015 vertieft beschäftigt. Es ist zum Schluss gekommen, dass
das Obergericht das rechtliche Gehör der Parteien verletzt, wenn es unmittelbar
nach dem Augenschein urteilt, ohne dass sich die Parteien zu dessen Ergebnis
hätten äussern können, und seine Urteilsbegründung auf eine (nachher erstellte)
umfangreiche Fotodokumentation des Augenscheins stützt, die es den Parteien
nach dem begründeten Urteil zustellt. Die Gehörsverweigerungsrüge ist
begründet, es wird auf E. 2 des oben angeführten Leiturteils verwiesen. Daraus
ergibt sich im Weiteren, dass und weshalb die Gehörsverweigerung im
bundesgerichtlichen Verfahren nicht geheilt werden kann.

4. 
Die Beschwerden sind damit aus formellen Gründen gutzuheissen, die
angefochtenen Entscheide aufzuheben und die Sachen ans Obergericht
zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben
(Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat der Kanton Appenzell Ausserrhoden den
Beschwerdeführern eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68
Abs. 1 und 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Verfahren 1C_374/2015 und 1C_394/2015 werden vereinigt.

2. 
Die Beschwerden werden gutgeheissen und die angefochtenen Urteile des
Obergerichts vom 29. Oktober 2014 aufgehoben. Die Sachen werden zur neuen
Beurteilung im Sinn der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3. 
Es werden keine Kosten erhoben.

4. 
Der Kanton Appenzell Ausserrhoden hat den beiden Beschwerdeführern für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von je Fr. 3'000.-- zu
bezahlen.

5. 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Departement Volks- und
Landwirtschaft, dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden, 4. Abteilung, und dem
Bundesamt für Umwelt schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Juni 2016

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi

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