Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.369/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_369/2015

Urteil vom 16. November 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, als Einzelrichter,
Gerichtsschreiber Misic.

Verfahrensbeteiligte
Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern,
Massnahmen, Arsenalstrasse 45, 6010 Kriens,
Beschwerdeführer,

gegen

A.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans-Jakob Studer.

Gegenstand
vorsorglicher Führerausweisentzug,

Beschwerde gegen das Urteil vom 5. Juni 2015 des Kantonsgerichts Luzern, 4.
Abteilung.

Sachverhalt:

A. 
A.________ (geb. 1965) wurde am 5. März 2015 von der Polizei und ihrem Hausarzt
in stark alkoholisiertem Zustand in ihrer Wohnung angetroffen. In der Folge
ordnete der Arzt ihre fürsorgerische Unterbringung wegen akuter
Selbstgefährdung an. Bereits in der Vergangenheit war die Polizei wegen
Streitigkeiten, Nachtruhestörung, Trunkenheit oder eines medizinischen
Notfalles zum Wohnort von A.________ gerufen worden und hatte diese jeweils
alkoholisiert vorgefunden.
Wegen Bedenken an der Fahreignung von A.________ verfügte das
Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern am 27. März 2015 unter anderem den
vorsorglichen Entzug des Führerausweises bis zur Abklärung von
Ausschlussgründen. Mit Urteil vom 5. Juni 2015 hiess das Kantonsgericht Luzern
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde von A.________ gut und hob die Verfügung des
Strassenverkehrsamtes auf. Mit Verfügung vom 22. Juni 2015 erklärte das
Strassenverkehrsamt den Entzug des Führerausweises für beendet und erteilte
diesen A.________ wieder unter Auflagen.

B. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 10. Juli 2015
gelangte das Strassenverkehrsamt an das Bundesgericht und beantragte in der
Hauptsache, das Urteil des Kantonsgerichts vom 5. Juni 2015 sei vollumfänglich
aufzuheben.
Das Kantonsgericht schloss auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Strassen (ASTRA) hatte Bemerkungen eingereicht, ohne einen formellen Antrag zu
stellen. Dazu hatte sich A.________ geäussert.

C. 
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2015 gab das Bundesgericht den Parteien
Gelegenheit, zur Gegenstandslosigkeit und zur Kosten- und
Entschädigungsregelung Stellung zu nehmen.
Mit Eingabe vom 5. November 2015 stellt sich das Strassenverkehrsamt auf den
Standpunkt, es habe weiterhin ein Rechtsschutzinteresse. Die Beschwerdegegnerin
beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten.

Erwägungen:

1.

1.1. Der angefochtene kantonal letztinstanzliche Entscheid über einen
vorsorglichen Führerausweisentzug unterliegt der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG).

1.2. Der Beschwerdeführer ist grundsätzlich zur Beschwerde berechtigt (Art. 89
Abs. 2 lit. d BGG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 lit. a SVG; vgl. nur Urteil 1C_602/2013
vom 11. Dezember 2013 E. 1). Er hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen
und ist als Adressat des angefochtenen Entscheids besonders berührt (Art. 89
Abs. 1 lit. a und lit. b BGG). Indessen hat er mit Verfügung vom 22. Juni 2015
den Entzug des Führerausweises für beendet erklärt und damit das Urteil des
Kantonsgerichts bereits vollzogen. Insoweit fehlt es an einem aktuellen
praktischen Interesse an der Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen
Entscheids (Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG). Das Verfahren ist deshalb
gegenstandslos geworden, zumal ein ausnahmeweises Absehen vom Erfordernis des
aktuellen praktischen Interesses vom Beschwerdeführer nicht substanziiert
dargelegt wird (Art. 42 Abs. 2 BGG). Er kann es (insbesondere mit Blick auf das
Schreiben des Bundesgerichts vom 26. Oktober 2015) nicht dabei belassen,
pauschal auf die grundsätzliche Bedeutung des Falls für die Praxis hinzuweisen.
Das Verfahren ist daher mit einzelrichterlichem Entscheid vom
Geschäftsverzeichnis abzuschreiben (Art. 32 Abs. 2 BGG).

1.3. Erklärt das Bundesgericht einen Rechtsstreit als erledigt, entscheidet es
mit summarischer Begründung über die Prozesskosten aufgrund der Sachlage vor
Eintritt des Erledigungsgrunds (Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 72 BZP [SR
273]). Bei der Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist somit in
erster Linie auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen. Dem
Bundesgericht steht dabei ein weites Ermessen zu. Nach ständiger Praxis kann es
nicht darum gehen, bei der Beurteilung des Kostenpunkts über die materielle
Begründetheit der Beschwerde abschliessend zu befinden (BGE 125 V 373 E. 2a S.
374 f.; 118 Ia 488 E. 4a S. 494 f.).
Im Folgenden ist summarisch zu prüfen, ob die Beschwerde erfolgreich gewesen
wäre.

2.

2.1. Die Vorinstanz hat festgehalten, es gebe keine Hinweise auf
Trunkenheitsfahrten der Beschwerdegegnerin und es seien keine Verstösse gegen
Strassenverkehrsvorschriften bekannt. Wenn auch die aktenkundigen
Konsumgewohnheiten der Beschwerdegegnerin unter gesundheitlichen und sozialen
Aspekten bedenklich seien, bestehen aufgrund ihres unbescholtenen
automobilistischen Leumunds und des Umstands, dass sie sich anscheinend
vorwiegend zu Hause betrinke, keine erhärteten Indizien dafür, dass sie in
Zukunft Trinken und Fahren nicht mehr zuverlässig werde auseinander halten
können. Ihr Alkoholkonsum erscheine vor diesem Hintergrund als nicht
verkehrsrelevant.
Die Vorinstanz räumte zwar ein, die Anordnung einer verkehrsmedizinischen
Begutachtung in Verbindung mit einem vorsorglichen Führerausweisentzug setze
nicht zwingend voraus, dass die Betroffene unter Alkoholeinfluss ein Fahrzeug
gelenkt habe. Es sei aber hervorzuheben, dass sich die Beschwerdegegnerin seit
ihrer Entlassung aus der psychiatrischen Klinik der Problematik stelle, indem
sie regelmässig ein Entwöhnungsmittel (Antabus) einnehme und ihren Hausarzt
angewiesen habe, dem Strassenverkehrsamt Mitteilung zu erstatten, falls sie
unentschuldigt nicht zum vereinbarten Einnahmetermin erscheinen oder falls sie
die Antabus-Einnahme unterbrechen sollte. Daran habe sich die
Beschwerdegegnerin bislang gehalten. Dies zeige die Ernsthaftigkeit ihrer
Bemühungen.
Solange die Beschwerdegegnerin Antabus einnehme, so die Einschätzung der
Vorinstanz, sei die Wahrscheinlichkeit "verschwindend gering", dass sie sich
alkoholisiert an das Steuer eines Motorfahrzeugs setze. Damit erscheine der
sofort vollstreckbare vorsorgliche Führerausweisentzug unter dem Aspekt der
Verhältnismässigkeit nicht mehr vertretbar. Er sei auch nicht erforderlich, um
die Sicherheit des Strassenverkehrs zu gewährleisten, da diese durch weniger
einschneidende Massnahmen (z.B. durch Einholen von Berichten und Gutachten des
Hausarztes, eines Amtsarztes, Psychologen etc.) gewahrt werden könne. Zudem
könne der Beschwerdeführer immer und sofort eingreifen, sollten sich die
Umstände ändern.

2.2. Eine summarische Prüfung der erhobenen Rügen ergibt, dass sich der
mutmassliche Ausgang des Verfahrens nicht ohne weiteres feststellen lässt. In
solchen Fällen auferlegt das Bundesgericht die Kosten in erster Linie jener
Partei, die das gegenstandslos gewordene Verfahren veranlasst hat oder bei der
die Gründe eingetreten sind, die zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens
geführt haben. Der Beschwerdeführer hat vorliegend Beschwerde geführt, nachdem
er seine Verfügung in Wiedererwägung gezogen hat. Damit hat er die
Gegenstandslosigkeit des Verfahrens zu verantworten. Demnach hat der Kanton
Luzern die Beschwerdegegnerin angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2
BGG). Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Das Gesuch der
Beschwerdegegnerin um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist
insoweit gegenstandslos.

 Demnach erkennt der Einzelrichter:

1. 
Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden vom Geschäftsverzeichnis
abgeschrieben.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Der Kanton Luzern hat dem Vertreter der Beschwerdegegnerin für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, und
dem Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 16. November 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Einzelrichter: Kneubühler

Der Gerichtsschreiber: Misic

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