Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.310/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
1C_310/2015

Urteil vom 8. Dezember 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Chaix
Gerichtsschreiber Härri.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Rolf Engler,

gegen

Strassenverkehrsamt des Kantons Appenzell Ausserrhoden, Abteilung
Administrativmassnahmen,
Departement Sicherheit und Justiz des Kantons Appenzell Ausserrhoden.

Gegenstand
Vorsorglicher Führerausweisentzug,

Beschwerde gegen das Urteil vom 2. Juli 2014 des Obergerichts Appenzell
Ausserrhoden 4. Abteilung.

Sachverhalt:

A.
A.________, geboren 1921, unterzog sich am 12. August 2013 bei Dr. med.
B.________ der vertrauensärztlichen Kontrolluntersuchung zur Abklärung der
Fahreignung. Dieser verneinte die Fahreignung.

B.
Am 7. Oktober 2013 verbot das Strassenverkehrsamt des Kantons Appenzell
Ausserrhoden (im Folgenden: Strassenverkehrsamt) A.________ bis zur Abklärung
der Ausschlussgründe das Führen von Motorfahrzeugen vorsorglich.
Den von A.________ hiergegen erhobenen Rekurs wies das Departement Sicherheit
und Justiz des Kantons Appenzell Ausserrhoden (im Folgenden: Departement) am
15. Oktober 2013 ab.
Dagegen reichte A.________ Beschwerde beim Obergericht Appenzell Ausserrhoden
ein. Dieses wies die Beschwerde am 2. Juli 2014 ab.

C.
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben; es sei ihm per sofort wieder zu
erlauben, Motorfahrzeuge der Kategorie B (und deren Spezial- und
Unterkategorien [inkl. Mofa] zu führen.

D.
Das Strassenverkehrsamt und das Departement haben auf Gegenbemerkungen
verzichtet.
Das Obergericht hat eine Vernehmlassung eingereicht mit dem An-trag, die
Beschwerde abzuweisen.
Das Bundesamt für Strassen beantragt unter Hinweis auf das seines Erachtens
zutreffende Urteil des Obergerichts die Abweisung der Beschwerde.
A.________ hat zur Vernehmlassung des Obergerichts Stellung genommen.

Erwägungen:

1.
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 82 lit. a BGG die Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegeben. Eine Ausnahme nach Art. 83
BGG besteht nicht.
Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist somit
gemäss Art. 86 Abs. 1 lit. d i.V.m. Abs. 2 BGG zulässig.
Der Beschwerdeführer ist nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt.
Der angefochtene Entscheid stellt einen Zwischenentscheid dar, der dem
Beschwerdeführer einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art.
93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann (Urteile 1C_264/2014 vom 19. Februar 2015 E.
2; 1C_233/2007 vom 14. Februar 2008 E. 1.1; je mit Hinweisen). Die Beschwerde
ist demnach auch insoweit zulässig.
Beim vorsorglichen Führerausweisentzug handelt es sich um eine vorsorgliche
Massnahme gemäss Art. 98 BGG (Urteile 1C_264/2014 vom 19. Februar 2015 E. 2;
1C_233/2007 vom 14. Februar 2008 E. 1.2; je mit Hinweisen). Der
Beschwerdeführer kann daher nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte
rügen. Insoweit gelten die qualifizierten Begründungsanforderungen nach Art.
106 Abs. 2 BGG. Der Beschwerdeführer muss darlegen, welche verfassungsmässigen
Rechte bzw. welche Rechtssätze der angefochtene Entscheid inwiefern verletzen
soll. Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert erhobene und, soweit
möglich, belegte Rügen (BGE 141 I 78 E. 4.1 S. 82; 141 I 36 E. 1.3 S. 41; je
mit Hinweisen).

2.

2.1. Gemäss Art. 14 Abs. 1 SVG (SR 741.01) müssen Motorfahrzeugführer über
Fahreignung verfügen. Bestehen ernsthafte Zweifel an der Fahreignung, so kann
nach Art. 30 der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von
Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) der Führerausweis
vorsorglich entzogen werden.
Die Vorinstanz bejaht ernsthafte Zweifel an der Fahreignung des
Beschwerdeführers. Dieser macht geltend, damit verletze die Vorinstanz das
Willkürverbot gemäss Art. 9 BV.

2.2. Nach dieser Bestimmung hat jede Person Anspruch darauf, von den
staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Willkürlich ist ein
Entscheid nicht schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar
erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst dann, wenn er offensichtlich
unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine
Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in
stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkür liegt nur
vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheides, sondern auch das
Ergebnis unhaltbar ist (BGE 141 I 70 E. 2.2 S. 72; 139 III 334 E. 3.2.5 S. 339;
je mit Hinweisen).

2.3.

2.3.1. Zur Feststellung ernsthafter Zweifel an der Fahreignung dient
insbesondere die standardisierte vertrauensärztliche Kontrolluntersuchung, der
sich gemäss Art. 27 Abs. 1 lit. b VZV über 70-jährige Ausweisinhaber alle zwei
Jahre zu unterziehen haben (Urteil 1C_242/2013 vom 17. Mai 2013 E. 3.4).
Der Beschwerdeführer unterzog sich am 12. August 2013 bei Dr. med. B.________
der vertrauensärztlichen Untersuchung. Dieser kam zum Schluss, der
Beschwerdeführer erfülle die medizinischen Mindestanforderungen zum Führen von
Motorfahrzeugen nicht.
Am 16. Oktober 2013 schrieb Dr. med. B.________ dem Anwalt des
Beschwerdeführers, Letzterer habe Dr. med. B.________ bei der
vertrauensärztlichen Untersuchung gesagt, er nehme "Aspirin Cardio" und weitere
Medikamente ein. Der Beschwerdeführer habe jedoch keinerlei Gründe dafür
angeben können, weshalb er weitere Medikamente einnehme. Aus folgenden Gründen
habe er - Dr. med. B.________ - die Fahrtauglichkeit negativ beurteilt: 1.
Visuseinschränkung (bei praktischer Einäugigkeit Residualvisus rechts knapp
0,6); 2. Relevante Gedächtnisbeeinträchtigung; 3. Neurologisch: Sturzgefahr
beim Tretversuch (welcher der klinischen Untersuchung von Stand und Gang
dient).
Am 18. Dezember 2013 erstattete das Institut für Rechtsmedizin des
Kantonsspitals St. Gallen (IRM) der Vorinstanz ein verkehrsmedizinisches
Aktengutachten über den Beschwerdeführer. Persönlich untersuchte ihn das IRM
also nicht. Es führt insbesondere aus, bei der Beurteilung der Fahreignung
stünden aus verkehrsmedizinischer Sicht der Fernvisus-Befund und die kognitive
Leistungsfähigkeit im Vordergrund. Dem augenärztlichen Zeugnis vom 4. November
2013 zufolge liege praktisch eine Einäugigkeit vor mit Fernvisus von 0,6 am
rechten Auge. Gemäss den medizinischen Mindestanforderungen werde bei
Einäugigkeit ein minimaler Fernvisus von 0,8 verlangt. Damit erfülle der
Beschwerdeführer die Anforderungen für die Bejahung der Fahreignung nicht.
Neben der Visusproblematik sei auch die Hirnleistungsfähigkeit zu
berücksichtigen. Allein aufgrund der dem IRM vorliegenden Angaben lasse sich
die Verkehrsrelevanz der Leistungsdefizite nicht schlüssig beurteilen. Dabei
müsse auch beachtet werden, dass sich mehrere verkehrsmedizinisch relevante
gesundheitliche Störungen, wie hier in Form einer reduzierten Sehleistung und
einer eingeschränkten Kognition, gegenseitig ungünstig beeinflussen und
zusammen unter Umständen eine fehlende Fahreignung begründen könnten. Dem
Bericht des Hausarztes des Beschwerdeführers seien keine Angaben über
Hirnleistungsdefizite zu entnehmen; es werde auf einen guten Allgemeinzustand
ohne gesundheitliche Einschränkungen hingewiesen. Es dürfe aber - so das IRM
weiter - nicht übersehen werden, dass mit zunehmendem Alter physiologisch die
Hirnleistungsfähigkeit nachlasse, was letztlich auch zu einer Beschränkung der
Fahreignung führen könne. In Anbetracht des reduzierten Sehvermögens, den von
Dr. med. B.________ erwähnten Leistungseinbussen und dem Umstand, dass der
Beschwerdeführer bereits 93-jährig sei, seien weitere Abklärungen erforderlich.

2.3.2. Der Beschwerdeführer verweist demgegenüber auf Berichte seines
langjährigen Hausarztes, zweier ihn behandelnden Spezialärztinnen und eines
Physiotherapeuten, welche sich im Wesentlichen positiv zu seinem
Gesundheitszustand und seiner Fahreignung äussern. Diesen Berichten kommt
jedoch nicht dasselbe Gewicht zu wie jenen von Dr. med. B.________ und des IRM.
Nach der Rechtsprechung sind Stellungnahmen von Hausärzten und behandelnden
Spezialisten wegen der zum Patienten bestehenden auftragsrechtlichen
Vertrauensstellung mit Zurückhaltung zu würdigen (BGE 135 V 465 E. 4.5 S. 470
f.; 125 V 351 E. 3b/cc S. 353, Urteil 1C_12/2014 vom 7. März 2014 E. 2.4; je
mit Hinweisen).

2.3.3. Abzustellen ist demnach in erster Linie auf die Berichte von Dr. med.
B.________ und des IRM. Danach bestehen konkrete Anhaltspunkte für eine
Beeinträchtigung des Gedächtnisses des Beschwerdeführers und neurologische
Defizite (Sturzgefahr beim Tretversuch). Zu berücksichtigen ist auch sein hohes
Alter. Wie das IRM ausführt, lässt mit zunehmenden Alter die
Hirnleistungsfähigkeit nach, was sich auf die Fahreignung auswirken kann. Unter
diesen Umständen ist es jedenfalls nicht schlechterdings unhaltbar und damit
nicht geradezu willkürlich, wenn die Vorinstanz ernsthafte Zweifel an der
Fahreignung bejaht hat; dies auch dann, wenn sich - was mit der Vorinstanz
offen bleiben kann - das Sehvermögen des Beschwerdeführers nach einer
Augenoperation inzwischen verbessert haben und den Anforderungen nunmehr
(knapp) genügen sollte. Willkür kann der Vorinstanz umso weniger vorgeworfen
werden, als selbst die vom Beschwerdeführer aufgesuchte Neurologin in ihrem
Bericht vom 24. April 2014 ausführt, mittelfristig stelle sich natürlich die
Frage, ob er in Anbetracht des hohen Alters und des zu erwartenden abnehmenden
Reaktionsvermögens nicht auf das Autofahren verzichten sollte.
Die Beschwerde erweist sich im vorliegenden Punkt demnach als unbegründet.

3.
Der Beschwerdeführer bringt vor, die lange Verfahrensdauer verstosse gegen
Grundrechte (Beschwerde S. 15 Ziff. 42). Er sagt nicht, welche Grundrechte
verletzt sein sollen. Damit genügt er seiner qualifizierten Begründungspflicht
gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG nicht. Er hätte nach der erwähnten Rechtsprechung im
Einzelnen darlegen müssen, welche Grundrechte inwiefern verletzt sein sollen.
Da er das nicht tut, kann auf die Beschwerde im vorliegenden Punkt nicht
eingetreten werden.

4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art.
66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt des Kantons
Appenzell Ausserrhoden, dem Departement Sicherheit und Justiz des Kantons
Appenzell Ausserrhoden, dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden, 4. Abteilung,
und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. Dezember 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Härri

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