Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.297/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 1/2}
                   
1C_297/2015

Urteil vom 29. September 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio, Chaix, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Stohner.

Verfahrensbeteiligte
Peter Roth,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Kettiger,

gegen

Einwohnergemeinde Grindelwald, 3818 Grindelwald,
handelnd durch den Gemeinderat,
dieser vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Hubacher,
Regierungsstatthalteramt Interlaken-Oberhasli,
Schloss 1, Postfach 276, 3800 Interlaken.

Gegenstand
Beschluss der Gemeindeversammlung vom 24. Oktober 2014,

Beschwerde gegen das Urteil vom 30. April 2015 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung.

Sachverhalt:

A. 
An der ausserordentlichen Gemeindeversammlung der Einwohnergemeinde (EG)
Grindelwald vom 24. Oktober 2014 war über das Traktandum "Überbauungsordnungen
und Zonenplanänderung" zu beschliessen, welches das aktuelle Ausbauprojekt der
Jungfraubahn Holding AG (sog. "V-Projekt") ermöglichen sollte. Die Anwesenden
stimmten dem Antrag des Gemeinderats, die Zonenplanänderung und die
Überbauungsordnungen zu beschliessen, mit 1'046 gegen 419 Stimmen zu (71,5 %
Ja- zu 28,5 % Nein-Stimmen).
Gegen diesen Beschluss der Gemeindeversammlung erhob Peter Roth am 20. November
2014 Beschwerde an das Regierungsstatthalteramt Interlaken-Oberhasli. Mit
Entscheid vom 28. Januar 2015 wies dieses die Beschwerde ab, soweit es darauf
eintrat (Dispositiv-Ziffer 1). Wegen mutwilliger Beschwerdeführung auferlegte
es Peter Roth die Verfahrenskosten in der Höhe von Fr. 800.--
(Dispositiv-Ziffer 2) und verpflichtete ihn, der EG Grindelwald die
Parteikosten von Fr. 3'707.-- zu ersetzen (Dispositiv-Ziffer 3).
Am 24. Februar 2015 reichte Peter Roth gegen diesen Entscheid Beschwerde beim
Verwaltungsgericht des Kantons Bern ein. Mit Urteil vom 30. April 2015 hiess
dieses die Beschwerde teilweise gut. Es hob Dispositiv-Ziffer 3 des Entscheids
des Regierungsstatthalteramts auf und ersetzte sie durch folgende Regelung: "Es
werden keine Parteikosten gesprochen." Soweit weitergehend wies das
Verwaltungsgericht die Beschwerde ab. Die Kosten des verwaltungsgerichtlichen
Verfahrens, bestimmt auf eine reduzierte Pauschalgebühr von Fr. 2'000.--,
auferlegte es Peter Roth. Zugleich verpflichtete es die EG Grindelwald, Peter
Roth für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht die Parteikosten, bestimmt
auf eine Pauschalgebühr von Fr. 5'616.-- (inkl. Auslagen und MWSt), zu einem
Fünftel, ausmachend Fr. 1'123.20, zu ersetzen.

B. 
Mit Eingabe vom 4. Juni 2015 führt Peter Roth Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht. Er beantragt in der
Hauptsache die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 30. April 2015
und die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung ans Regierungsstatthalteramt.
Eventuell sei das angefochtene Urteil hinsichtlich der Verfahrenskosten
aufzuheben; die Kosten des vorinstanzlichen Verfahrens sowie jene des
Verfahrens vor dem Regierungsstatthalteramt seien dem Kanton Bern aufzuerlegen.
Subeventuell seien zumindest die Verfahrenskosten vor dem Verwaltungsgericht
dem Kanton Bern aufzuerlegen.
Mit Verfügung vom 3. Juli 2015 erkannte der Präsident der I.
öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde in Bezug auf
die Verfahrenskosten die aufschiebende Wirkung zu; darüber hinausgehend wies er
das Gesuch um aufschiebende Wirkung ab.
Das Verwaltungsgericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei. Die EG Grindelwald stellt Antrag auf Beschwerdeabweisung.
Mit Stellungnahme vom 24. August 2015 hält der Beschwerdeführer an seinem
Standpunkt und an seinen Anträgen fest. Zudem stellt er weitere
Verfahrensanträge.

Erwägungen:

1.

1.1. Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen kantonal
letztinstanzlichen Endentscheid, gegen den beim Bundesgericht gestützt auf Art.
82 lit. c i.V.m. Art. 86 Abs. 1 lit. d sowie Art. 90 BGG Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten in Form der Stimmrechtsbeschwerde
erhoben werden kann. Von der Stimmrechtsbeschwerde werden sowohl eidgenössische
als auch kantonale und - wie im zu beurteilenden Fall - kommunale
Stimmrechtssachen erfasst (Art. 88 Abs. 1 BGG).

1.2. Mit Blick auf die politischen Rechte prüft das Bundesgericht nicht nur die
Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch
diejenige anderer kantonaler Vorschriften, die den Inhalt des Stimm- und
Wahlrechts normieren oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen (Art. 95 lit.
d BGG; BGE 129 I 185 E. 2 S. 190, 392 E. 2.1 S. 394). Die Anwendung anderer
kantonaler Vorschriften unter Einschluss von kommunalen Bestimmungen und die
Feststellung des Sachverhalts sowie die Beweiswürdigung prüft das Bundesgericht
hingegen nur unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots (vgl. BGE 129 I 392 E.
2.1 S. 394; 123 I 175 E. 2d/aa mit Hinweisen).

1.3.

1.3.1. Der Beschwerdeführer stellt in seiner Stellungnahme vom 24. August 2015
verschiedene Verfahrensanträge. Er beantragt, die Beschwerdeantwort der
Beschwerdegegnerin sei zur Änderung zurückzuweisen, und der Beschwerdegegnerin
respektive ihrem Anwalt sei disziplinarisch ein Verweis zu erteilen oder eine
Busse aufzuerlegen. Des Weiteren sei abzuklären, ob die urteilenden Richter
oder der beteiligte Gerichtsschreiber der Vorinstanz eine besondere Verbindung
zu Grindelwald oder zur Jungfraubahn Holding AG aufwiesen. Er begründet seine
Anträge im Wesentlichen damit, die Beschwerdegegnerin und die Vorinstanz hätten
bei ihren Eingaben im bundesgerichtlichen Verfahren den gebotenen
prozessrechtlichen Anstand nicht gewahrt.

1.3.2. Diese Anträge sind abzuweisen. Die in der Beschwerdeantwort vom 7. Juli
2015 geäusserte Kritik ist scharf, steht aber noch in einem hinreichenden
Zusammenhang mit dem Streitgegenstand (vgl. Urteil 2C_55/2015 vom 6. August
2015 E. 2 mit Hinweis). Es liegt keine ungebührliche Rechtsschrift i.S.v. Art.
42 Abs. 6 BGG vor, welche zur Änderung zurückzuweisen ist. Entsprechend sind
auch keine Disziplinarmassnahmen zu prüfen.
Die Vorinstanz hat in ihrer Vernehmlassung vom 17. Juni 2015 an ihrer
Auffassung der mutwilligen Beschwerdeführung seitens des Beschwerdeführers
festgehalten. Daraus folgt indes nicht, dass die Unbefangenheit bzw.
Unabhängigkeit der urteilenden Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter
in Frage gestellt werden müsste. Es bestehen entgegen der Behauptung des
Beschwerdeführers keinerlei Hinweise auf eine Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV
und Art. 6 EMRK.

1.4. Nicht einzutreten ist auf die vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde
erhobenen datenschutzrechtlichen Rügen, mit welchen er die Nichtverwertbarkeit
verschiedener Beweismittel begründet (SMS-Verkehr mit dem Verantwortlichen der
Jungfraubahn Holding AG; Aktennotiz vom 10. Oktober 2014). Die Vorinstanz hat
diese angeblich unverwertbaren Beweismittel nicht berücksichtigt, weshalb sich
ein Eingehen auf die Vorbringen des Beschwerdeführers mangels Entscheidrelevanz
erübrigt. Seine vermeintliche Geschäftsidee, ein "International Bed &
Breakfast" zu errichten und zu betreiben, auf welche die Vorinstanz in der
Urteilsbegründung Bezug genommen hat, hat der Beschwerdeführer selber ins
verwaltungsgerichtliche Verfahren eingebracht (Beschwerde vom 24. Februar 2015
Rz. 10).

2.

2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Verfahrensrechten. Er macht
geltend, die Vorinstanz habe ihre Pflicht zur Sachverhaltsabklärung von Amtes
wegen nicht erfüllt, was seinen Anspruch auf ein faires Verfahren nach Art. 29
Abs. 1 BV verletze. Zugleich sei die Vorinstanz ihrer Begründungspflicht nicht
nachgekommen und habe hierdurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss
Art. 29 Abs. 2 BV missachtet.

2.2. Die Vorbringen erweisen sich als nicht stichhaltig. Die Vorinstanz hat
sich mit sämtlichen entscheiderheblichen Argumenten des Beschwerdeführers
auseinandergesetzt und ist dadurch ihrer Begründungspflicht nachgekommen.
Insbesondere bestand für sie kein Anlass zu weiteren Sachverhaltsabklärungen
von Amtes wegen in Bezug auf die vor der Abstimmung durchgeführte
Unterschriftensammlung (Petition für eine von der Jungfraubahn Holding AG zu
entrichtenden Abgabe von Fr. 2.-- pro beförderten Passagier). Diese
Unterschriftensammlung ist für die Beurteilung der Frage, ob anlässlich der
Gemeindeversammlung vom 24. Oktober 2014 die Abstimmungsfreiheit verletzt
worden ist, nicht entscheidrelevant.

3. 
In der Sache macht der Beschwerdeführer unter Berufung auf Art. 34 Abs. 2 BV
eine Verletzung der Abstimmungsfreiheit geltend. Er beanstandet, dass an der
Gemeindeversammlung vom 24. Oktober 2014 kurzfristig eine Ergänzung des mit den
Initiantinnen des "V-Projekts" am 12. August 2014 abgeschlossenen und
öffentlich aufgelegten Infrastrukturvertrags präsentiert worden sei. Er bezieht
sich dabei auf den am Tag der Abstimmung vereinbarten Vertragszusatz, mit dem
die Errichtung eines "Fonds zur nachhaltigen Entwicklung in den Gemeinden
Grindelwald und Lauterbrunnen" (nachfolgend: Entwicklungsfonds) beschlossen
worden ist. Aus diesem Fonds, in welchen die Jungfraubahn Holding AG jährlich
einen Beitrag von Fr. 200'000.-- einzahlt, sollen in den beiden Gemeinden
Projekte im Allgemeininteresse unterstützt werden. Gemäss Protokoll der
Gemeindeversammlung sollen namentlich ökologisch vorteilhafte Projekte,
Projekte der Landwirtschaft, der jungen Bevölkerung oder zugunsten von Senioren
hohe Priorität geniessen. Bei diesem Entwicklungsfonds handelt es sich um einen
von insgesamt acht Regelungspunkten des vorgelegten Infrastrukturvertrags. Mit
letzterem verpflichtete sich die Jungfraubahn Holding AG unter anderem dazu, in
Grindelwald auf eigene Kosten ein Parkhaus mit 1'000 Plätzen zu bauen und zu
betreiben und im Winter zusätzliche 1'300 Autoabstellplätze bereitzuhalten
sowie ausserdem die neue Zufahrtsstrasse, den neuen Fussweg und den Unterhalt
der Schwarzen Lütschine zu finanzieren.

4.

4.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Verknüpfung des Traktandums
"Überbauungsordnungen und Zonenplanänderung" mit dem Entwicklungsfonds verletze
die Einheit der Materie. Für den Entwicklungsfonds müsse zwingend eine
reglementarische Grundlage geschaffen werden. Dieses Reglement hätte den
Stimmberechtigten gleichzeitig mit den Planungsvorlagen zum Beschluss vorgelegt
werden müssen.

4.2. Die Vorinstanz hat eine Verletzung des Grundsatzes der Einheit der Materie
verneint. Es sei nicht ersichtlich, wieso die traktandierte Planungsvorlage und
die reglementarische Umsetzung eines einzelnen Aspekts des
Infrastrukturvertrags eine untrennbare Einheit bilden sollten. Von der Sache
her bestehe ohnehin keine zwingende Verbindung. Im Übrigen drohe insoweit von
vornherein keine Umgehung der Entscheidzuständigkeit der Gemeindeversammlung,
werde diese doch zu einem späteren Zeitpunkt zwingend über das Reglement
betreffend den Entwicklungsfonds zu beschliessen haben.

4.3. Die in Art. 34 Abs. 2 BV verankerte Abstimmungsfreiheit gibt den
Stimmberechtigten Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt
wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und
unverfälscht zum Ausdruck bringt (BGE 137 I 200 E. 2.1 S. 203 mit Hinweisen).
Der Grundsatz der Einheit der Materie stellt einen Teilaspekt von Art. 34 Abs.
2 BV dar. Die Stimmberechtigten können ihren Willen nur dann unverfälscht zum
Ausdruck bringen, wenn nicht mehrere unterschiedliche Sachfragen derart
miteinander verbunden werden, dass die Bürgerinnen und Bürger in eine
Zwangslage versetzt werden, weil sie nicht frei zwischen den einzelnen Teilen
wählen können. Der Grundsatz der Einheit der Materie verbietet es deshalb,
unterschiedliche Materien und Sachfragen ohne gemeinsame Ausrichtung zu einer
einzigen Abstimmungsvorlage zu verbinden (Gerold Steinmann, St. Galler
Kommentar BV, 3. Aufl. 2014, Art. 34 N. 23; Jörg Paul Müller / Markus Schefer /
Michel Besson, Grundrechte im Bereich politischer Meinungsbildung, in: Jörg
Paul Müller / Markus Schefer, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 615
f.). Eine besondere Ausprägung erfährt der Grundsatz der Einheit der Materie
beim Finanzreferendum. Ausgaben, die sich gegenseitig bedingen oder einem
gemeinsamen Zweck dienen, dürfen nicht künstlich in einzelne, dem Referendum
nicht unterstehende Teile aufgeteilt werden, um so den Gegenstand dem
Referendum zu entziehen (Müller / Schefer / Besson, a.a.O., S. 617). Die
Verletzung des Grundsatzes der Einheit der Materie führt grundsätzlich zur
Aufhebung der Abstimmung (Steinmann, a.a.O., Art. 34 N. 28; vgl. zum Ganzen
auch BGE 137 I 200).

4.4. Den Stimmberechtigten war zum Abstimmungszeitpunkt bekannt, dass die
Jungfraubahn Holding AG vertraglich zugesichert hat, jährlich Fr. 200'000.-- in
den Entwicklungsfonds zur Unterstützung von Projekten im Allgemeininteresse in
den beiden Gemeinden Grindelwald und Lauterbrunnen einzuzahlen. Beim neu
einzurichtenden Fonds handelt es sich nur um eine von mehreren Leistungen der
Jungfraubahn Holding AG an die betroffenen Gemeinden. Er steht insofern in
engem thematischem Zusammenhang mit den übrigen Massnahmen, die Teil der
Vereinbarung darstellen. Ausserdem ist es nicht unüblich, dass sich ein Bauherr
im Rahmen von derartigen Infrastrukturverträgen zu diversen kompensatorischen
Leistungen an ein Gemeinwesen verpflichtet. Es handelt sich mithin nicht um
eine unzulässige Verbindung mehrerer unterschiedlicher Sachfragen. Die
Stimmberechtigten wurden mit der Abstimmung vom 24. Oktober 2014 nicht in eine
Zwangslage versetzt, sondern konnten ihren Willen unverfälscht äussern.
Die Zweckausrichtung und die Rahmenbedingungen des Entwicklungsfonds standen im
Abstimmungszeitpunkt fest. Es verletzt den Grundsatz der Einheit der Materie
nicht, dass die konkrete reglementarische Ausgestaltung später erfolgt.
Insbesondere wird hierdurch die Entscheidzuständigkeit der Gemeindeversammlung
nicht umgangen, wird diese doch obligatorisch über das Reglement betreffend den
Entwicklungsfonds zu beschliessen haben (Art. 24 lit. a der Gemeindeordnung).

5.

5.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, Art. 27 der Gemeindeordnung der EG
Grindelwald sei verletzt worden. Nach dieser Bestimmung sind die notwendigen
Unterlagen mit den Anträgen des Gemeinderats während 30 Tagen vor dem
Versammlungstermin zuhanden der Stimmberechtigten bei der Gemeindeverwaltung
öffentlich aufzulegen. Der Beschwerdeführer argumentiert, zu den notwendigen
Unterlagen zähle alles, was die Willensbildung beeinflussen könne. Somit gehöre
auch die Vereinbarung über den Entwicklungsfonds, über welche erst anlässlich
der Gemeindeversammlung vom 24. Oktober 2014 mündlich informiert worden sei, zu
den notwendigen Unterlagen. Mangels vorgängiger Auflage und Kenntnis des
genauen Wortlauts der Vereinbarung sei die freie Willensbildung im Sinne von
Art. 34 Abs. 2 BV vorliegend nicht möglich gewesen. Die fehlende Auflage stelle
einen schweren Mangel dar, was zur Aufhebung des Gemeinderatsbeschlusses vom
24. Oktober 2014 führen müsse. Hinzu komme, dass die ausserordentliche
Gemeindeversammlung um 20.15 Uhr begonnen habe, aber erst um 21.11 Uhr über den
Entwicklungsfonds informiert worden sei.

5.2.

5.2.1. Die Vorinstanz hat erwogen, die Vereinbarung mit der Jungfraubahn
Holding AG über den Entwicklungsfonds sei erst am Tag der Versammlung vom 24.
Oktober 2014 getroffen worden, sodass nicht früher habe informiert werden
können. Weshalb es den Anwesenden nicht möglich gewesen sein sollte, das - doch
relativ simple - Konzept des Fonds aufgrund einer mündlichen Präsentation ohne
vorgängige schriftliche Information zu erfassen, sei nicht ersichtlich.
Jedenfalls liege nicht bereits darum eine Beeinträchtigung der Meinungsbildung
der Stimmbürgerschaft vor, weil der streitige Vertragszusatz weder vorgängig
bekannt gemacht, noch an der Versammlung schriftlich im Volltext abgegeben
worden sei. Die Zusatzvereinbarung betreffend den Entwicklungsfonds habe auch
nicht öffentlich aufgelegt werden müssen. Da an der Gemeindeversammlung ein
Beschluss über planungsrechtliche Fragen zu fassen gewesen sei, sei die
Information für die Stimmbürgerschaft nicht derart wesentlich gewesen, dass
eine vorgängige Auflage erforderlich gewesen wäre. Die Präsentation des neuen
Elements des Infrastrukturvertrags sei sachlich erfolgt. Unerheblich sei, dass
die Versammlung in diesem Zeitpunkt offenbar bereits gut fünfzig Minuten
gedauert habe.

5.2.2. Die Vorinstanz hat weiter ausgeführt, der angefochtene Entscheid wäre
selbst dann nicht aufzuheben, wenn der streitbetroffene Beschluss der
Gemeindeversammlung an einem Mangel leiden würde. Die Errichtung eines
Entwicklungsfonds sei verglichen mit den übrigen Punkten des
Infrastrukturvertrags von untergeordneter Bedeutung. Selbst wenn die
Meinungsbildung an der Gemeindeversammlung durch die kurzfristige Präsentation
des Fonds beeinträchtigt gewesen wäre, würde der Beschluss deshalb an keinem
schweren Mangel leiden. Angesichts des klaren Stimmenverhältnisses sei nicht
davon auszugehen, dass das Abstimmungsergebnis anders ausgefallen wäre.

5.3.

5.3.1. Durch Art. 34 Abs. 2 BV soll garantiert werden, dass jeder
Stimmberechtigte seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und
umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen und entsprechend mit seiner
Stimme zum Ausdruck bringen kann. Die Stimmberechtigten werden insbesondere vor
unzulässiger behördlicher Beeinflussung geschützt. Gemeindebehörden dürfen an
Gemeindeversammlungen Vorlagen erklären und zur Annahme oder Ablehnung
empfehlen. Sie sind jedoch zur Objektivität und zu sachlicher Information
verpflichtet und dürfen Zweck und Tragweite einer Vorlage nicht falsch
darstellen (BGE 135 I 292 E. 4.2 S. 297 f.).

5.3.2. Werden bei der Durchführung von Abstimmungen Mängel festgestellt, so ist
der gefällte Beschluss nur dann aufzuheben, wenn die gerügten
Unregelmässigkeiten erheblich sind und das Ergebnis beeinflusst haben könnten.
Soweit sich die Auswirkung eines Verfahrensmangels nicht ziffernmässig
feststellen lässt, ist dessen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis nach den
gesamten Umständen zu beurteilen. Dabei wird namentlich auf die Schwere des
festgestellten Mangels und dessen Bedeutung im Rahmen der gesamten Abstimmung
sowie auf die Grösse des Stimmenunterschieds abgestellt. Erscheint die
Möglichkeit, dass die Abstimmung ohne den Mangel anders ausgefallen wäre, nach
den gesamten Umständen als derart gering, dass sie nicht mehr ernsthaft in
Betracht fällt, so kann von der Aufhebung der Abstimmung abgesehen werden (BGE
135 I 292 E. 4.4 S. 301).

5.4.

5.4.1. Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, ist die Ausgestaltung des
Entwicklungsfonds, nämlich die Zahlung von Fr. 200'000.-- pro Jahr durch die
Jungfraubahn Holding AG zur Unterstützung von Projekten im Allgemeininteresse
in den Gemeinden Grindelwald und Lauterbrunnen, nicht derart komplex, dass es
den Stimmberechtigten nicht möglich gewesen wäre, das Konzept aufgrund der
mündlichen Präsentation anlässlich der Gemeindeversammlung zu verstehen.
Entscheidend und unbestritten ist insoweit, dass die Gemeindebehörden die
Stimmbürgerinnen und Stimmbürger objektiv und sachlich über den
Entwicklungsfonds informiert und nicht ungebührlich beeinflusst haben (vgl.
auch Protokoll der Gemeindeversammlung vom 24. Oktober 2014). Es bestehen auch
keine Hinweise darauf, dass die anwesenden Personen zum Zeitpunkt der
Vorstellung des Entwicklungsfonds nicht mehr genügend aufnahmefähig gewesen
wären. Im Übrigen hätte es den Stimmberechtigten offen gestanden, Nachfragen zu
stellen. Zusätzliche Erläuterungen wurden jedoch von den
Versammlungsteilnehmern nicht verlangt.

5.4.2. Ob die Zusatzvereinbarung betreffend den Entwicklungsfonds in Anwendung
von Art. 27 der Gemeindeordnung der EG Grindelwald hätte öffentlich aufgelegt
werden müssen, kann offen bleiben. Selbst wenn dies der Fall wäre, läge darin
kein schwerer Mangel begründet. Eine Beeinträchtigung der Meinungsbildung der
Stimmbürgerschaft aufgrund dieses allfälligen formellen Fehlers bei der
öffentlichen Auflage ist nicht erkennbar. In Anbetracht der sachlichen
Information seitens der Gemeindebehörden anlässlich der Gemeindeversammlung
(vgl. E. 5.4.1 hiervor) und ausgehend vom sehr deutlichen Abstimmungsergebnis
von 71,5 % Ja- zu 28,5 % Nein-Stimmen erscheint die Möglichkeit, dass die
Abstimmung bei einer öffentlichen Auflage 30 Tage vor dem Versammlungstermin
anders ausgefallen wäre, nach den gesamten Umständen als derart gering, dass
sie nicht ernsthaft in Betracht fällt.

5.4.3. Nichts zu seinen Gunsten abzuleiten vermag der Beschwerdeführer im
Übrigen aus dem von ihm in diesem Zusammenhang angerufenen Art. 60 Abs. 3 des
kantonalen Baugesetzes vom 9. Juni 1985 (BauG/BE; BSG 721.0). Nach dieser
Bestimmung ist den Betroffenen Kenntnis und Gelegenheit zur Einsprache oder
Beschwerde zu geben, falls öffentlich aufgelegte Vorschriften oder Pläne vor
oder bei der Beschlussfassung oder im Genehmigungsverfahren geändert werden.
Wie die Vorinstanz zu Recht festgehalten hat, führt Art. 60 Abs. 3 BauG/BE
nicht zu einer Beschränkung der Entscheidungsbefugnisse der
Gemeindeversammlung, sondern verpflichtet die Behörde bloss zur Information der
betroffenen Kreise, falls die aufgelegten Unterlagen nachträgliche Änderungen
erfahren.

6.

6.1. Der Beschwerdeführer beanstandet die Auflage von Verfahrenskosten in den
Verfahren vor dem Regierungsstatthalteramt und vor der Vorinstanz wegen
mutwilliger Beschwerdeführung. Von einer solchen könne keine Rede sein. Die
Vorinstanz sei in Willkür verfallen, indem sie gestützt auf ein Schreiben vom
22. Dezember 2014 auf eine mutwillige Beschwerdeführung geschlossen habe. Mit
diesem Schreiben habe er die Verantwortlichen der Jungfraubahn Holding AG nicht
unter Druck gesetzt und insbesondere nicht mit Verfahrensverzögerungen gedroht.
Zudem fehle es an einem objektiven Zusammenhang zwischen der bereits am 20.
November 2014 erfolgten Beschwerdeeinreichung an das Regierungsstatthalteramt
und dem Schreiben vom 22. Dezember 2014. In seinen Beschwerden habe er valable
Einwände gegen die Gültigkeit des Gemeindeversammlungsbeschlusses erhoben. Die
Beschwerdeführung sei nicht mutwillig erfolgt. Die Auflage der Verfahrenskosten
verletze Art. 108a des kantonalen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom
23. Mai 1989 (VRPG/BE; BSG 155.21) und damit auch sein politisches Stimmrecht
(Art. 34 BV).

6.2. Die Vorinstanz hat im Kostenpunkt ausgeführt, der Beschwerdeführer habe
die Jungfraubahn Holding AG von seiner "Geschäftsidee" zu überzeugen versucht,
ein "International Bed & Breakfast" zu errichten und zu betreiben. Vor diesem
Hintergrund ergebe sich seine Absicht, über das Rechtsmittelverfahren bzw. die
für das "V-Projekt" daraus resultierende Verzögerung Druck auszuüben, klar und
deutlich aus seinem Schreiben vom 22. Dezember 2014. Darin habe er gegenüber
der EG Grindelwald und der Jungfraubahn Holding AG erklärt, das
Planerlassverfahren zunächst mit seiner Abstimmungsbeschwerde, die er bis vor
Bundesgericht zu ziehen gedenke, für rund drei Jahre "blockieren" zu wollen;
anschliessend werde er das Planerlassverfahren ebenfalls über vier Instanzen
bis zum Bundesgericht führen, was erfahrungsgemäss rund drei bis fünf Jahre
beanspruchen werde. Zum Schluss signalisiere der Beschwerdeführer
"Dialogbereitschaft", offensichtlich im Hinblick auf ein Entgegenkommen
bezüglich seiner "Geschäftsidee". Der Beschwerdeführer habe weder im
vorinstanzlichen noch im Verfahren vor Verwaltungsgericht einen vertretbaren
Einwand gegen die Rechtsmässigkeit der Abstimmung erhoben. Angesichts seiner
offen erklärten Absicht, das "V-Projekt" zu "blockieren", habe das
Regierungsstatthalteramt zu Recht auf eine mutwillige Prozessführung erkannt.
Die Erhebung von Verfahrenskosten sei deshalb nicht zu beanstanden. Gleiches
gelte für das verwaltungsgerichtliche Verfahren.

6.3. Art. 108a Abs. 1 VRPG/BE bestimmt, dass im Beschwerdeverfahren in
kommunalen Wahl- und Abstimmungssachen vorbehältlich mutwilliger oder
leichtfertiger Prozessführung keine Verfahrenskosten erhoben werden.

6.4. Die Vorinstanz ist bei ihrer Beweiswürdigung, d.h. bei ihrer Auslegung des
Schreibens des Beschwerdeführers vom 22. Dezember 2014, nicht in Willkür
verfallen. Auch wenn das Schreiben erst nach erfolgter Beschwerdeeinreichung an
das Regierungsstatthalteramt am 20. November 2014 verfasst wurde, ist es
keineswegs unhaltbar, hieraus Schlüsse auf das Motiv der Beschwerdeführung zu
ziehen. Eine Druckausübung war auch in diesem Zeitpunkt weiterhin möglich,
zumal der Beschwerdeführer bei einem Entgegenkommen seitens der Jungfraubahn
Holding AG seine Beschwerde hätte zurückziehen können. Gleiches gilt für das
Verfahren vor der Vorinstanz. Der Schluss der Vorinstanz auf eine mutwillige
Beschwerdeführung verletzt kein Bundesrecht.

7. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer an sich die Kosten
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung gestellt, welches gutzuheissen ist, da die Beschwerde nicht
von vornherein aussichtslos war und seine Bedürftigkeit ausgewiesen scheint
(Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Die vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers
eingereichte Kostennote im Betrag von Fr. 6'242.50 ist deutlich übersetzt, da
der Fall weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht besondere
Schwierigkeiten bot und der Anwalt damit aufgrund des kantonalen Verfahrens
bereits vertraut war. Angemessen ist eine pauschale Entschädigung von Fr.
3'000.-- (inkl. MWSt).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:

2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

2.2. Rechtsanwalt Daniel Kettiger wird für das bundesgerichtliche Verfahren als
amtlicher Vertreter eingesetzt und mit Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse
entschädigt.

3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Einwohnergemeinde Grin delwald,
dem Regierungsstatthalteramt Interlaken-Oberhasli und dem Verwaltungsgericht
des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. September 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Stohner

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