Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.286/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_286/2015

Urteil vom 13. Oktober 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Chaix,
Gerichtsschreiber Misic.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Bruno Derungs, Bezirksgericht Horgen,
Burghaldenstrasse 3, 8810 Horgen,
Beschwerdegegner,

Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis,
Postfach, 8953 Dietikon,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
Florhofgasse 2, 8090 Zürich.

Gegenstand
Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, vom 30. April 2015.

Sachverhalt:

A.
Mit Eingabe vom 1. März 2015 erstattete A.________ Strafanzeige gegen
Bezirksrichter Bruno Derungs. Er wirft ihm unter anderem Körperverletzung,
Unterlassung der Nothilfe sowie Amtsmissbrauch vor, dies im Zusammenhang mit
einem vor dem Bezirksgericht Horgen hängigen Scheidungsverfahren.
Am 23. März 2015 überwies die Staatsanwaltschaft Limmattal-Albis die Anzeige an
das Obergericht des Kantons Zürich. Mit Beschluss vom 30. April 2015 hat dessen
III. Strafkammer der Staatsanwaltschaft die Ermächtigung zum Entscheid über die
Untersuchungseröffnung bzw. die Nichtanhandnahme eines Strafverfahrens gegen
Bruno Derungs nicht erteilt.

B.
Mit Eingabe vom 25. Mai 2015 erhebt A.________ Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt sinngemäss die Aufhebung
des Entscheids des Obergerichts.
Das Obergericht, die Oberstaatsanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft haben
auf eine Vernehmlassung verzichtet. A.________ hat sich nicht vernehmen lassen.

Erwägungen:

1.

1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid steht die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 S. 272).
Da der Beschwerdegegner nicht den obersten kantonalen Gerichtsbehörden
angehört, gelangt der Ausschlussgrund von Art. 83 lit. e BGG nicht zur
Anwendung (BGE 137 IV 269 E. 1.3.2 S. 272 f.).

1.2. Nach Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO in Verbindung mit § 148 des Gesetzes des
Kantons Zürich vom 10. Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im
Zivil- und Strafprozess (GOG; LS 211.1) entscheidet das Obergericht über die
Eröffnung oder Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung gegen Beamte im Sinn
von Art. 110 Abs. 3 StGB wegen im Amt begangener Vergehen oder Verbrechen; dies
unter Vorbehalt der (hier nicht gegebenen) Zuständigkeit des Kantonsrats (§ 38
Abs. 1 des Kantonsratsgesetzes vom 5. April 1981 [KRG; LS 171.1]). Unter den
Beamtenbegriff nach § 148 GOG fallen auch Angestellte der Rechtspflege ( HAUSER
/SCHWERI/LIEBER, GOG, Kommentar zum zürcherischen Gesetz über die Gerichts- und
Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess vom 10. Mai 2010, 2012, N. 3 zu
§ 148 GOG), weshalb für den Beschwerdegegner als Bezirksrichter das
Ermächtigungserfordernis gilt.

1.3. Mit dem angefochtenen Entscheid hat es das Obergericht abgelehnt, die
Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung der angezeigten Person u.a. wegen
Körperverletzung, unterlassener Hilfeleistung und wegen Amtsmissbrauchs zu
ermächtigen. Damit fehlt es an einer Prozessvoraussetzung für die Durchführung
des Strafverfahrens, womit das Verfahren abgeschlossen ist. Angefochten ist ein
Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1
lit. d BGG), gegen den die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
zulässig ist. Der Beschwerdeführer, der am kantonalen Verfahren beteiligt war
und dessen Strafanzeige nicht mehr weiter behandelt werden kann, ist zu deren
Erhebung berechtigt (Art. 89 Abs. 1 BGG).

1.4. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.

1.5. Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdebegründung in gedrängter Form
darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (s. auch Art.
106 Abs. 2 BGG; zudem BGE 136 I 65 E. 1.3.1 S. 68 mit Hinweisen). Die
Bestimmungen von Art. 95 ff. BGG nennen die vor Bundesgericht zulässigen
Beschwerdegründe. Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid
tritt das Bundesgericht nicht ein.

2.

2.1. Im Ermächtigungsverfahren dürfen - ausser bei obersten Vollziehungs- und
Gerichtsbehörden - nur strafrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden (
BGE 137 IV 269 E. 2.4 S. 277 f.). Das Ermächtigungserfordernis dient namentlich
dem Zweck, Behördenmitglieder und Beamte vor mutwilliger Strafverfolgung zu
schützen und damit das reibungslose Funktionieren staatlicher Organe
sicherzustellen. Ein Strafverfahren soll daher erst durchgeführt werden können,
wenn das Obergericht vorher seine Zustimmung dazu erteilt hat. Gestützt darauf
kann die Staatsanwaltschaft dann die Untersuchung eröffnen. Der förmliche
Entscheid über die Eröffnung oder die Nichtanhandnahme obliegt Kraft
ausdrücklicher bundesrechtlicher Regelung (Art. 309 und 310 StPO) in jedem Fall
der Staatsanwaltschaft (BGE 137 IV 269 E. 2.3 S. 277).

2.2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist für die Erteilung der
Ermächtigung ein Mindestmass an Hinweisen auf strafrechtlich relevantes
Verhalten zu verlangen (Urteil 1C_524/2013 vom 2. Oktober 2013 E. 2). Dabei
muss eine Kompetenzüberschreitung oder eine gemessen an den Amtspflichten
missbräuchliche Vorgehensweise oder ein sonstiges Verhalten, das
strafrechtliche Konsequenzen zu zeitigen vermag, in minimaler Weise glaubhaft
erscheinen und genügende Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung vorliegen
(vgl. statt vieler Urteil 1C_633/2013 vom 23. April 2014 E. 2.3 mit Hinweis).
Der Entscheid über die Erteilung der Ermächtigung zur Strafuntersuchung ist
demjenigen über die Anhandnahme eines Strafverfahrens bzw. über die Einstellung
eines eröffneten Strafverfahrens vorangestellt. Es ist daher zwangsläufig, dass
die Ermächtigung bereits bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit einer
strafrechtlichen Verantwortlichkeit erteilt werden muss, als sie für die
Einstellung eines schon eröffneten Strafverfahrens erforderlich ist. Während
also für die Anklageerhebung die Wahrscheinlichkeiten einer Verurteilung und
eines Freispruchs zumindest vergleichbar zu sein haben, genügt bereits eine
geringere Wahrscheinlichkeit für strafbares Verhalten, um die
Ermächtigungserteilung auszulösen (Urteil 1C_633/2013 vom 23. April 2014 E.
3.4).

3.

3.1. Der Beschwerdeführer rügt sinngemäss eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV). Er bringt vor, die Vorinstanz nehme keine
inhaltliche Würdigung seiner Vorwürfe vor und behaupte stattdessen, dass nicht
der geringste Hinweis auf ein strafbares Verhalten des Beschwerdegegners
vorliege.

3.2. Das Recht, angehört zu werden, ist formeller Natur. Seine Verletzung führt
in der Regel ungeachtet der materiellen Begründetheit der Beschwerde zu deren
Gutheissung und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 137 I 195 E.
2.2 S. 197 mit Hinweis). Eine behauptete Verletzung des verfassungsmässigen
Gehöranspruchs betrifft eine bundesrechtliche Rechtsfrage, die mit freier
Kognition zu prüfen ist. Aus Art. 29 Abs. 2 BV leitet sich die Verpflichtung
der Behörde ab, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich,
dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und
jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf
die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so
abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids
Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz
weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen
genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich
ihr Entscheid stützt (vgl. BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen).

3.3.

3.3.1. Hintergrund der vorliegenden Beschwerde bildet ein vor dem
Bezirksgerichts Horgen hängiges Scheidungsverfahren, das nach Auffassung des
Beschwerdeführers zu Gesundheitsschäden bei seinem Sohn geführt habe und auch
weiterhin führe. Die Bezirksrichter würden die gesundheitlichen Risiken
ignorieren und untätig bleiben. In der Folge erhob der Beschwerdeführer mehrere
Strafanzeigen gegen drei Richter des Bezirksgerichts Horgen, denen er
insbesondere Unterlassung der Hilfeleistung, Verletzung der Fürsorgepflicht
sowie Amtsmissbrauch vorwarf. Das Obergericht hat diese Anschuldigungen
ausführlich geprüft und einlässlich begründet, weshalb keine Anhaltspunkte für
strafrechtlich relevantes Verhalten ersichtlich seien und daher keine
Ermächtigung für die Eröffnung einer Strafuntersuchung erteilt werden könne
(Beschlüsse des Obergerichts TB130166 vom 16. Dezember 2013 [auf die dagegen
erhobene Beschwerde ist das Bundesgericht mit Urteil 1C_26/2014 vom 3. Februar
2014 nicht eingetreten]; TB130229 vom 27. Februar 2014; TB140064 vom 24. Juni
2014).

3.3.2. Der angefochtene Entscheid enthält keine ausformulierte Begründung,
sondern ist als sog. dass-Entscheid abgefasst. Darin wird festgehalten, dass
dem Beschwerdeführer das Ermächtigungsverfahren schon "mehrfach erläutert"
worden sei. Dabei verweist die Vorinstanz auf die früheren Verfahren. Diese
Strafanzeigen hätten sich "allesamt als völlig haltlos" erwiesen. Nach
Auffassung der Vorinstanz sei "nicht der geringste Hinweis auf ein strafbares
Verhalten" des Beschwerdegegners zu erkennen. Vielmehr erwecke das Vorgehen des
Beschwerdeführers den "Anschein des Rechtsmissbrauchs".

3.3.3. Grundsätzlich ist es nicht unzulässig, bei sich wiederholenden
Streitpunkten, die sich auf die gleiche Sache beziehen, auf bereits frühere
Entscheide zu verweisen. Allerdings müssen die Verhältnisse immer noch
vergleichbar sein, muss aus dem Verweis mit genügender Klarheit hervorgehen,
welche Argumente die Behörde weiterhin als massgeblich erachtet und müssen neue
Argumente der Verfahrensbeteiligten angemessen berücksichtigt werden, so dass
eine aktuelle Würdigung der wesentlichen Tat- und Rechtsfragen stattfinden kann
(Urteil des Bundesgerichts 1B_281/2015 vom 15. September 2015 E. 4.3).

3.3.4. In der Strafanzeige vom 1. März 2015, die Gegenstand des angefochtenen
Entscheids bildet, erneuert der Beschwerdeführer seine Vorwürfe. Bezirksrichter
Derungs habe im Rahmen der Vorladung zur Hauptverhandlung betreffend
Ehescheidung wiederum nicht angeordnet, dass der Sohn des Beschwerdeführers
ärztlich behandelt werde. Deshalb kämen die Straftatbestände der
Körperverletzung, der Beihilfe zur Körperverletzung, der unterlassenen
Hilfeleistung und des Amtsmissbrauchs in Frage.
In Bezug auf die behauptete Unterlassung der Nothilfe (Art. 128 StGB) hat das
Obergericht mehrmals hervorgehoben und ausführlich begründet, dass keine
Anhaltspunkte für das Bestehen einer unmittelbaren Lebensgefahr des Sohnes des
Beschwerdeführers gegeben seien (TB130229 vom 27. Februar 2014 E. 3.3 S. 5 und
TB130166 vom 16. Dezember 2013 E. 3.3 S. 6). An diesem Befund vermögen auch die
Ausführungen in der vorliegenden Beschwerde nichts zu ändern, zumal der
Beschwerdeführer darin keine neuen Tatsachen nennt, die auf strafrechtlich
relevantes Verhalten hinweisen könnten. Gleiches gilt in Bezug auf den Vorwurf
des Amtsmissbrauchs (Art. 312 StGB), den der Beschwerdeführer namens seines
Sohnes bereits in einer früheren Strafanzeige gegen den Beschwerdegegner
erhoben hat (TB140064 vom 24. Juni 2014). Den Akten ist auch nicht zu
entnehmen, inwiefern Anhaltspunkte für eine einfache Körperverletzung im Sinne
von Art. 123 bzw. Art. 125 StGB vorliegen sollen. Dass ein Arzt angeblich einen
"Verdacht auf eine depressive Entwicklung" beim Sohn des Beschwerdeführers
geäussert haben soll, sich jedoch in der Folge geweigert habe, diese Diagnose
schriftlich zu bestätigen, genügt offensichtlich nicht. Da sich somit weder die
Tat- noch die Rechtslage geändert hat, konnte die Vorinstanz im angefochtenen
Entscheid auf frühere Beschlüsse zur gleichen Sache verweisen, ohne das
rechtliche Gehör zu verletzen.

3.3.5. Im Übrigen beanstandet der Beschwerdeführer den obergerichtlichen
Beschluss ganz allgemein, indem er die bereits in den kantonalen Verfahren
mehrfach geübte Kritik am bezirksgerichtlichen Verfahren bzw. an der
Amtsführung von Bezirksrichter Derungs wiederholt. Dabei beschränkt er sich im
Wesentlichen darauf, seine Sicht der Dinge vorzutragen, ohne im Einzelnen
darzulegen, inwiefern der vorinstanzliche Entscheid im Ergebnis Recht im Sinne
von Art. 42 Abs. 2 BGG verletzt haben soll. Diese appellatorische Kritik ist
nicht zu hören.

4.

4.1. Nach dem Gesagten ergibt sich bezüglich der angezeigten Straftatbestände
kein hinreichender Tatverdacht, der die Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen
den Beschwerdegegner rechtfertigen würde. Das Obergericht hat, indem es die
Ermächtigung zur Strafverfolgung verweigert hat, kein Bundesrecht verletzt.

4.2. Bei diesem Ausgang ist die Beschwerde abzuweisen. Unter den gegebenen
Umständen ist auf eine Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs.
1 Satz 2 BGG), womit das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos
wird.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis, der
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons
Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Oktober 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Misic

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