Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.264/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_264/2015

Urteil vom 27. August 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Misic.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Gemeindeamt des Kantons Zürich, Abteilung Einbürgerungen, Wilhelmstrasse 10,
Postfach, 8090 Zürich.

Gegenstand
Nichtigerklärung der Einbürgerung,

Beschwerde gegen das Urteil vom 8. April 2015 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich, 4. Abteilung, 4. Kammer.

Sachverhalt:

A. 
A.________ (aus N.________) wurde im ordentlichen Einbürgerungsverfahren das
Bürgerrecht der Stadt Winterthur (am 28. März 2011) sowie das Schweizer- und
Kantonsbürgerrecht (am 3. August 2011) verliehen.

 In der Folge ergaben Nachforschungen des Gemeindeamts des Kantons Zürich, dass
A.________ mit Strafbefehl vom 10. Juni 2013 sowie mit Urteil vom 19. März 2014
wegen verschiedener Delikte, die er im Jahr 2009 begangen hatte, rechtskräftig
verurteilt worden war. Am 4. Juli 2014 erklärte das Gemeindeamt die
Einbürgerung für nichtig.

 Die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich wies den Rekurs von
A.________ am 10. Oktober ab. Mit Urteil vom 8. April 2015 wies auch das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich seine Beschwerde ab.

B. 
A.________ erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er
beantragt im Wesentlichen, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben.
Zudem sei die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen.

C. 
Das Verwaltungsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Gemeindeamt
beantragt die Abweisung der Beschwerde. A.________ hält an seinem Antrag fest.

Erwägungen:

1.

1.1. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts ist ein Endentscheid einer
letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Ihm liegt ein
Beschwerdeverfahren über eine Nichtigerklärung einer Einbürgerung und damit
eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit zugrunde. Die Ausnahme der
ordentlichen Einbürgerung gemäss Art. 83 lit. b BGG erstreckt sich nicht auf
die Nichtigerklärung der Einbürgerung. Der Beschwerdeführer ist als direkt
Betroffener, der am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen hat, zur
Beschwerde berechtigt (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, weshalb auf die
Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist.

1.2. Mit der Beschwerde an das Bundesgericht kann die Verletzung von
Bundesrecht (inkl. Verfassungsrecht) und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95
lit. a und b BGG). Nach Art. 105 Abs. 1 BGG stellt das Bundesgericht auf den
Sachverhalt ab, den die Vorinstanz erhoben hat, ausser wenn diese
Feststellungen an einem qualifizierten Mangel gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG
leiden. Ein solcher Mangel wird hier nicht geltend gemacht.

2. 
Die Einbürgerung kann vom Bundesamt mit Zustimmung der Behörde des
Heimatkantons nichtig erklärt werden, wenn sie durch falsche Angaben oder
Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen worden ist (Art. 41 Abs. 1
BüG). "Erschlichen" heisst, dass die Einbürgerung durch unlauteres und
täuschendes Verhalten erwirkt worden ist. Arglist im Sinne des strafrechtlichen
Betrugstatbestands ist jedoch nicht erforderlich. Immerhin ist notwendig, dass
der Betroffene bewusst falsche Angaben macht bzw. die Behörde bewusst in einem
falschen Glauben lässt und so den Vorwurf auf sich zieht, es unterlassen zu
haben, die Behörde über eine erhebliche Tatsache zu informieren. Der Betroffene
muss die Behörden unaufgefordert über eine nachträgliche Änderung in seinen
Verhältnissen informieren, von der er weiss oder wissen muss, dass sie einer
Einbürgerung entgegensteht (BGE 140 II 65 E. 2.2 S. 67 f. mit Hinweisen). Die
Behörde darf sich ihrerseits darauf verlassen, dass die einmal erteilten
Auskünfte bei passivem Verhalten des Gesuchstellers nach wie vor zutreffen
(vgl. BGE 140 II 65 E. 2.2 S. 67 f.; 132 II 113 E. 3.2 S. 115 f.).

3.

3.1. Der Beschwerdeführer unterzeichnete am 5. Juni 2010 anlässlich der
Gesuchseinreichung das Formular "Erklärung betreffend Beachten der
Rechtsordnung und Vollmacht". Mit seiner Unterschrift bestätigte er unter
anderem, dass er "keine Delikte begangen" habe, "für die [er] in der Schweiz
oder im Ausland mit einer Strafverfolgung oder einer Verurteilung rechnen"
müsse (Ziff. 3). Weiter verpflichtete er sich, die Behörden unverzüglich zu
informieren, wenn sich während des Einbürgerungsverfahrens Veränderungen in den
Verhältnissen ergeben würden (namentlich in Bezug auf Ziff. 3).

3.2. Den Akten ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer vor und während des
von ihm angestossenen Einbürgerungsverfahrens mehrere strafrechtlich relevante
Handlungen begangen hat:

 Gemäss Strafbefehl vom 10. Juni 2013 wurde er zu einer bedingten Geldstrafe
von 120 Tagessätzen, bei einer Probezeit von drei Jahren, sowie zu einer Busse
von Fr. 3'600.-- verurteilt, weil er zwischen dem 19. August 2009 und dem 30.
April 2010 unrechtmässig Versicherungsleistungen (Art. 105 Abs. 1 AVlG) in der
Höhe von Fr. 41'773.75 bezogen hatte. Ausserdem hatte er im Verfahren
betreffend Erteilung der Niederlassungsbewilligung gegenüber dem Migrationsamt
des Kantons Zürich den Bezug von Arbeitslosentaggeldern verschwiegen und (um
seine vermeintliche berufliche Integration zu belegen) am 19. November 2009
gefälschte Lohnabrechnungen eingereicht (Art. 90 lit. a i.V.m. Art. 118 Abs. 1
AuG; Art. 251 Ziff. 1 StGB).

 Am 19. März 2014 verurteilte das Bezirksgericht Horgen den Beschwerdeführer zu
einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten, abzüglich 29 Tagen Haft, und zu einer
Geldstrafe von 30 Tagessätzen, beide bedingt bei einer Probezeit von zwei
Jahren, sowie zu einer Busse von Fr. 2'000.--. Im Zeitraum zwischen dem 1.
September 2009 und dem 11. Oktober 2010 sowie am 10./11. März 2011 hatte er
einem Schüler der von ihm geführten Schule Fr. 35'000.-- bzw. Fr. 5'000.--
übergeben, um diesem zu ermöglichen, eine Scheinehe mit einer Schweizerin
einzugehen und auf diesem Weg eine Aufenthaltsbewilligung zu erlangen. Die
Verurteilung wegen Urkundenfälschung beruhte auf Handlungen vom 29. November
2011 und vom 7. Januar 2013. Dabei erstellte der Beschwerdeführer einen
wahrheitswidrigen Darlehensvertrag, um die Fr. 35'000.-- auf dem Betreibungsweg
wieder einzubringen.

3.3. Der Beschwerdeführer rügt, er habe erst nach seiner Verhaftung am 10.
August 2011, d.h. eine Woche nach der Verleihung des Schweizer- und
Kantonsbürgerrechts, von der gegen ihn laufenden Strafuntersuchung Kenntnis
erhalten. Die Einbürgerungsvoraussetzung der Beachtung der Rechtsordnung bzw.
die entsprechende Informationspflicht würden sich einzig auf bereits eröffnete
und dem Gesuchsteller bekannte Strafuntersuchungen bzw. Strafurteile beziehen
und nicht auf erst später entdeckte strafbare Handlungen, selbst wenn diese vor
der Einbürgerung begangen worden seien.

3.4. Es ist unbestritten, dass das Verschweigen von ergangenen Strafurteilen
oder hängigen Strafverfahren zur Nichtigerklärung der Einbürgerung führen kann.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kommt es bei der Beurteilung, ob
der Einbürgerungswillige die Rechtsordnung beachtet, aber nicht einzig auf die
bereits bekannten Strafuntersuchungen und -urteile an. Entscheidend ist das
tatsächliche Verhalten des Bewerbers und nicht, ob allfällige Strafdelikte
schon vor der Einbürgerung entdeckt worden sind oder nicht. Kann der Bewerber
selbst keine berechtigten Zweifel an der Strafbarkeit seines Verhaltens haben,
täuscht er über eine Einbürgerungsvoraussetzung, wenn er nicht auf mögliche
Straffolgen hinweist (BGE 140 II 65 E. 3.3.2 S. 69).

3.5. Entscheidet sich der Bewerber, ein Einbürgerungsgesuch zu stellen, ist es
grundsätzlich zumutbar und verhältnismässig, dass er über alle für die
Einbürgerung wesentlichen Umstände Auskunft zu erteilen hat. Das gilt auch,
wenn sich dies auf strafbares oder auf potentiell strafbares Verhalten bezieht,
soweit dies dem Bewerber bekannt oder jedenfalls erkennbar war. Bei Unklarheit
über die strafrechtliche Tragweite einer Handlung wäre gegebenenfalls wie bei
hängigen Ermittlungen die Sistierung des Einbürgerungsverfahrens zu erwägen (
BGE 140 II 65 E. 3.4.2 S. 71).

3.6. Wie die Vorinstanz überzeugend darlegt, war sich der Beschwerdeführer der
Strafbarkeit seiner Handlungen bewusst und sie war für ihn auch ohne Weiteres
erkennbar. Er hätte deshalb die Pflicht gehabt, die Einbürgerungsbehörde über
sein strafrechtlich relevantes Verhalten bzw. seine Handlungen zu informieren
oder dafür zu sorgen, dass das Verfahren bis auf Weiteres nicht fortgesetzt
wird. Dies hat er jedoch unterlassen. Mit der Unterzeichnung des Formulars hat
er gegenüber den Behörden den Eindruck erwecken wollen, dass er strafrechtlich
in keiner Weise in Erscheinung getreten sei. Damit hat sich der
Beschwerdeführer seine Einbürgerung durch bewusst wahrheitswidrige Angaben
gegenüber den Einbürgerungsbehörden erschlichen und einen Nichtigkeitsgrund
nach Art. 41 Abs. 1 BüG gesetzt. Die diesbezüglichen Ausführungen der
Vorinstanz sind daher nicht zu beanstanden.

4.

4.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Nichtigerklärung der Einbürgerung sei
unverhältnismässig, weil sie seine berufliche, wirtschaftliche und
gesellschaftliche Situation erschweren würde. Ausserdem sei er von
Staatenlosigkeit bedroht. Überdies handle es sich bei Art. 41 BüG um eine
Ermessensnorm. Die Vorinstanzen hätten dieses Ermessen nicht pflichtgemäss
ausgeübt.

4.2. Wie dargelegt, hat der Beschwerdeführer vor, während und auch noch nach
Abschluss des Einbürgerungsverfahrens Straftaten begangen. Auch wenn nicht von
massiver Delinquenz gesprochen werden kann, sind die seit 2009 immer wieder und
zum Teil über einen längeren Zeitraum verübten Straftaten trotzdem als
erheblich zu bezeichnen. Er hat zudem nicht aus wirtschaftlicher Not heraus
gehandelt (z.B. der Bezug von Taggeldern der Arbeitslosenkasse während der
nicht deklarierten Erwerbstätigkeit an einer Hotelfachschule), sondern er hat
die Behörden getäuscht, um sich geldwerte oder statusmässige Vorteile zu
verschaffen, die ihm sonst nicht gewährt worden wären. Im Zusammenhang mit dem
zum Abschluss der Scheinehe gewährten Darlehen hat er, wie die Vorinstanz
festhält, "offenkundig einzig aus eigennützigen Motiven" gehandelt. Dies
belastet den Beschwerdeführer schwer.

4.3. Dass der Beschwerdeführer durch die Nichtigerklärung der Einbürgerung nun
allfällige Einschränkungen in seiner Berufs- und Reisetätigkeit hinnehmen muss,
hat er sich selber zuzuschreiben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass seine
Einbürgerung schon nach einer relativ kurzen Zeit (nach knapp drei Jahren)
nichtig erklärt wurde und er bereits vor der Einbürgerung offenbar ohne
Probleme ins Ausland reisen konnte. Der Beschwerdeführer behauptet auch nicht,
die Nichtigerklärung des Bürgerrechts würde seine Reisetätigkeiten völlig
verunmöglichen. Unbehelflich ist auch sein Vorbringen, durch die
Nichtigerklärung der Einbürgerung würde er seine Stelle als
Flughafenmitarbeiter verlieren, da nur Schweizer oder EU-Bürger für diese
Position zugelassen seien. Dies vermag ihn vor einer Nichtigerklärung nicht zu
schützen, zumal den Akten auch zu entnehmen ist, dass er die Arbeitsstelle am
3. Juni 2013 angetreten hat (d.h. eine Woche vor dem Erlass des Strafbefehls
vom 10. Juni 2013) und er mit Eintritt der Rechtskraft damit rechnen musste,
dass gegen ihn ein Verfahren zwecks Nichtigerklärung des Bürgerrechts
eingeleitet werden würde. Auch das Argument, ihm drohe Staatenlosigkeit,
überzeugt nicht. Wie der Beschwerdeführer selber einräumt, hat er nämlich das
Bürgerrecht von N.________ mit der Einbürgerung in der Schweiz nicht
automatisch verloren. Dass sich die Wiedererlangung des Passes als schwierig
erweist, ist hier ohne Belang.

4.4. Die Vorinstanz weist im Übrigen zu Recht darauf hin, das Schweizer
Bürgerrecht der Frau und der Kinder werde durch die Nichtigerklärung des
Bürgerrechts des Beschwerdeführers nicht berührt. Dieser kann sich auf die
ausländerrechtlichen Bestimmungen zum Familiennachzug berufen und sich gestützt
darauf um einen entsprechenden Aufenthaltstitel bemühen. Er hat allenfalls auch
die Möglichkeit, sich erneut einbürgern zu lassen; dies wird ihm durch die
Nichtigerklärung nicht definitiv verwehrt.

4.5. Im Ergebnis erweist sich die Nichtigerklärung der Einbürgerung als vom
Gesetzeszweck gedeckt und verhältnismässig (BGE 140 II 65 E. 4.2 S. 72 mit
Hinweis).

4.6. Schliesslich ist nicht ersichtlich, weshalb die Vorinstanzen ihr Ermessen
pflichtwidrig ausgeübt haben sollten. Der Beschwerdeführer hat die Einbürgerung
unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erwirkt. Angesichts dieses Umstandes
verletzt es Bundesrecht nicht (auch nicht unter dem Gesichtspunkt der
Ermessensausübung), seine Einbürgerung nichtig zu erklären.

5. 
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.

 Die finanzielle Bedürftigkeit wird nicht ausreichend belegt, weshalb die
unentgeltliche Rechtspflege nicht gewährt werden kann.

 Bei diesem Verfahrensausgang wird der unterliegende Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Gemeindeamt des Kantons Zürich und
dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, 4. Kammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 27. August 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Misic

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