Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.258/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_258/2015

Urteil vom 22. März 2016

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Eusebio, Kneubühler,
Gerichtsschreiberin Gerber.

Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Bereuter,

gegen

Politische Gemeinde Neckertal,
Gemeinderat, 9127 St. Peterzell,
Regierung des Kantons St. Gallen, Regierungsgebäude, Klosterhof 3, 9001 St.
Gallen,
handelnd durch das Baudepartement des Kantons St. Gallen, Lämmlisbrunnenstrasse
54, 9001 St. Gallen,

B.________,
C.________,
D.________,
E.________.

Gegenstand
Kiesabbau Nassenfeld Süd,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 24. März 2015 des Verwaltungsgerichts des
Kantons St. Gallen.

Sachverhalt:

A. 
Die A.________ AG baut im Nassenfeld, südwestlich der Gemeinde Neckertal (bis
31. Dezember 2008: Gemeinde Mogelsberg) Kies ab. Eine erste Bewilligung dafür
wurde am 27. März 1975 erteilt.
Am 23. Mai 2002 reichte die A.________ AG zwei Abbau- und Deponiepläne samt
Umweltverträglichkeitsbericht ein für das Teilgebiet Ost und das Teilgebiet Süd
(mit den Unterabschnitten Mitte und West). Insgesamt sollen innerhalb von 30
bis 40 Jahren 3.7 Mio. m3 Kies abgebaut werden, davon liegen (im Teilgebiet
Süd-Mitte) rund 500'000 m3 im Grundwasser. Die vom Gemeinderat am 11. Juni 2002
erlassenen Abbau- und Deponiepläne wurden vom 19. Juni bis 18. Juli 2002
öffentlich aufgelegt.

B. 
Am 10. Februar 2004 bewilligte der Gemeinderat den Kiesabbau im Teilgebiet Ost
(Etappen I bis III) sowie die Wiederauffüllung mit unverschmutztem Material.
Das Baudepartement genehmigte am 30. April 2004 den Abbau-, nicht aber den
Deponieplan.
Für das Teilgebiet Süd verweigerte das St. Galler Amt für Umweltschutz (AFU) am
23. April 2004 die gewässerschutzrechtliche Bewilligung zum Kiesabbau und trat
auf den Antrag auf Errichtung einer Inertstoffdeponie nicht ein. Das geplante
Abbauvorhaben liege nach der kantonalen Gewässerschutzkarte im
Gewässerschutzbereich Au, zum Schutz der nutzbaren unterirdischen Gewässer, in
dem ein Kiesabbau unter dem Grundwasserspiegel unzulässig sei. Mit Verfügung
vom 20. Januar 2003 verweigerte das Kantonsforstamt die nachgesuchte
Rodungsbewilligung aus denselben Gründen.
Daraufhin gelangte der Gemeinderat Neckertal zum Schluss, dass die Genehmigung
des Abbau- und Deponieplans nicht beantragt werden könne; es eröffnete diesen
Beschluss zusammen mit den kantonalen Verfügungen im Oktober 2004 der
A.________ AG.

C. 
Den dagegen erhobenen Rekurs der A.________ AG wies die Regierung des Kantons
St. Gallen am 25. April 2006 ab, soweit sie darauf eintrat.
Am 27. Februar 2007 hiess das Verwaltungsgericht St. Gallen eine Beschwerde der
A.________ AG teilweise gut; es wies die Regierung an, dem Beweisantrag der
A.________ AG stattzugeben und mittels Gutachten festzustellen, ob das
Nassenfeld aus einem zusammenhängenden Grundwasserfeld bestehe oder ob sich im
Gebiet Süd Teilgebiet Mitte ein isoliertes Grundwasserbecken befinde. Treffe
Letzteres zu, sei weiter zu klären, ob dieses Vorkommen für sich allein
genügend ergiebig sei, um zur Trinkwasserversorgung in Notlagen genutzt zu
werden bzw. ob ihm jeweils Wassermengen von 230 l/min. entnommen werden können
und ob es möglich sei, die Entnahmemenge vorübergehend auf ein Mehrfaches zu
steigern, ohne dass befürchtet werden müsse, dass Quellen versiegen.

D. 
Das Baudepartement und die A.________ AG kamen überein, dass sich das für die
A.________ AG tätige Geologiebüro F.________ AG einerseits und das AFU
andererseits um eine übereinstimmende Beurteilung bemühen sollten. Am 9.
Oktober 2009 erklärte sich das AFU mit der von der F.________ AG am 30. Juni
2009 erstatteten «Hydrogeologischen Standortbestimmung im Gebiet Nassenfeld»
(nachfolgend «Standortbestimmung») grundsätzlich einverstanden.
Die Regierung wies den Rekurs am 1. Mai 2012 ab, soweit sie darauf eintrat.
Gestützt auf die Standortbestimmung ging sie davon aus, dass das
Grundwasservorkommen mengenmässig mindestens für die Trinkwasserversorgung in
Notfällen geeignet sei. Die Zuweisung des Teilgebietes zum
Gewässerschutzbereich Au sei daher sachlich begründet, was einen Kiesabbau
unterhalb des Grundwasserspiegels ausschliesse.
Die dagegen erhobene Beschwerde der A.________ AG wies das Verwaltungsgericht
am 24. März 2015 ab.

E. 
Am 12. Mai 2015 hat die A.________ AG Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten ans Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, die Entscheide des
Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 24. März 2015 und vom 27.
Februar 2007 seien aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Regierung
des Kantons St. Gallen zurückzuweisen.

F. 
Das Verwaltungsgericht und das Baudepartement (namens der Regierung) beantragen
die Abweisung der Beschwerde. Der Gemeinderat Neckertal unterstützt die
Beschwerde, da kein Bedarf für das Grundwasservorkommen im Nassental für die
öffentliche Trinkwasserversorgung bestehe. Die übrigen Beteiligten
(Grundeigentümer im geplanten Abbaugebiet) haben sich nicht vernehmen lassen.
Das BAFU kommt in seiner Vernehmlassung zum Ergebnis, das angefochtene Urteil
stehe im Einklang mit den bundesrechtlichen Gewässerschutzvorschriften. Das
Bundesamt für Raumplanung hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

G. 
In ihrer Replik vom 4. Januar 2016 und ihrer Eingabe vom 8. Februar 2016 hält
die Beschwerdeführerin an ihren Anträgen fest und macht ergänzende
Ausführungen, insbesondere zur Beeinträchtigung des Grundwasservorkommens
infolge der mit dem Kiesabbau verbundenen Aufschüttungen.

Erwägungen:

1. 
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid des Verwaltungsgerichts
steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
ans Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a, 86 Abs. 1 lit. d und 90 BGG). Die
Beschwerdeführerin ist als Gesuchstellerin und Eigentümerin zahlreicher
Grundstücke im Nassenfeld zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf
die rechtzeitig erhobene Beschwerde (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist daher
einzutreten.

2.

2.1. Gemäss Art. 44 Abs. 2 lit. b GSchG (SR 814.20) darf die Bewilligung für
die Ausbeutung von Kies, Sand oder anderem Material unterhalb des
Grundwasserspiegels nicht erteilt werden, wenn sich das Grundwasservorkommen
nach Menge und Qualität für die Wassergewinnung eignet. Oberhalb des
Grundwasserspiegels kann die Ausbeutung bewilligt werden, wenn über dem
höchstmöglichen Grundwasserspiegel eine schützende Materialschicht belassen
wird. Diese ist nach den örtlichen Gegebenheiten zu bemessen (Abs. 3). Ziff.
211 Abs. 3 lit. a Anhang 4 der Gewässerschutzverordnung vom 28. Oktober 1998
(GSchV; SR 814.201) präzisiert, dass bei der Ausbeutung von Kies, Sand und
anderem Material im Gewässerschutzbereich Au eine schützende Materialschicht
von mindestens 2 m über dem natürlichen, zehnjährigen Grundwasserhöchstspiegel
belassen werden muss. Gemäss Ziff. 111 des Anhangs 4 zur GSchV umfasst der
Gewässerschutzbereich Au die nutzbaren unterirdischen Gewässer selbst sowie die
zu ihrem Schutz notwendigen Randgebiete.
Das Gebiet Nassenfeld Süd (Teilbereich Mitte) ist derzeit dem
Gewässerschutzbereich Au zum Schutz nutzbarer unterirdischer Gewässer
zugeteilt. Aus den gerade zitierten Bestimmungen ergibt sich daher klar, dass
der Kiesabbau nicht - wie von der Beschwerdeführerin geplant - bis unter den
Grundwasserspiegel zulässig ist.

2.2. Die Beschwerdeführerin macht jedoch geltend, das Grundwasservorkommen sei
zu Unrecht dem Gewässerschutzbereich AU zugeteilt worden und verlangt die
akzessorische Überprüfung dieser Zuordnung. Hierzu ist sie grundsätzlich
berechtigt:
Die in der Gewässerschutzkarte eingetragenen Gewässerschutzbereiche sind
(anders als die Gewässerschutzzonen) nur behörden- und nicht
grundeigentümerverbindlich (BUWAL, Wegleitung Grundwasserschutz, Bern 2004,
Ziff. 4.5.2 S. 98 f.: SIEGFRIED LAGGER, Überblick über das neue
Gewässerschutzrecht, URP 1999 S. 486 oben). Sie können deshalb nicht bereits
bei ihrem Erlass angefochten werden (JAYA RITA BOSE, Der Schutz des
Grundwassers vor nachteiligen Einwirkungen, Diss. Zürich 1995, Ziff. 4.3.2 S.
30). Dagegen kann ihre Rechtmässigkeit akzessorisch, im Anwendungsfall,
überprüft werden (Wegleitung, a.a.O., S. 98).

3. 
Gemäss Art. 19 Abs. 1 GSchG teilen die Kantone ihr Gebiet nach der Gefährdung
der ober- und der unterirdischen Gewässer in Gewässerschutzbereiche ein. Art.
29 Abs. 1 GSchV unterscheidet die besonders gefährdeten und die übrigen
Bereiche. Zu den besonders gefährdeten Bereichen gehört der
Gewässerschutzbereich AU.
Ein unterirdisches Gewässer ist nach Ziff. 111 Abs. 2 Anhang 4 GSchV nutzbar
beziehungsweise für die Wassergewinnung geeignet, wenn:

- das Wasser im natürlichen oder angereicherten Zustand in einer Menge
vorhanden ist, dass eine Nutzung in Betracht fallen kann; dabei wird der Bedarf
nicht berücksichtigt (lit. a) und
-es die Anforderungen der Lebensmittelgesetzgebung an Trinkwasser, nötigenfalls
nach Anwendung einfacher Aufbereitungsverfahren, einhält (lit. b).
Die Beschwerdeführerin bestreitet die quantitative und qualitative Eignung des
Grundwasservorkommens im Bereich Mitte für eine nachhaltige Trinkwassernutzung.
Überdies vertritt sie - gestützt auf ein Rechtsgutachten von Prof. Isabelle
Häner vom 8. Juni 2010 - die Auffassung, dass ein Gewässerschutzbereich Au nur
aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung festgelegt werden dürfe. Dabei
sei das öffentliche Interesse an der Nutzung des Grundwasservorkommens mit
raumplanerischen und sonstigen öffentlichen und privaten Interessen abzuwägen.
Vorliegend sei das öffentliche Interesse an der Trinkwassernutzung des
Grundwasservorkommens gering, unter Berücksichtigung von dessen geringer
Ergiebigkeit, des Risikos seiner Kontamination durch Altablagerungen, der
fehlenden Infrastruktur bzw. der Kosten für die Erschliessung des
Grundwasservorkommens, des fehlenden Bedarfs für die ordentliche
Trinkwasserversorgung der Region und der geringen Wahrscheinlichkeit eines
Notversorgungsfalls. Es überwiege daher das private und das öffentliche
Interesse am Kiesabbau; in diesem Zusammenhang sei auch das öffentliche
Interesse an der Realisierung des - im Rahmen der Rekultivierung - geplanten
Feuchtbiotops im Nassenfeld-Süd zu berücksichtigen.
Im Folgenden sind zunächst die Rügen der Beschwerdeführerin zu Quantität (E. 5)
und Qualität (E. 6) des Grundwasservorkommens zu behandeln, bevor geprüft wird,
ob und inwiefern konkurrierende Interessen (im Zusammenhang mit dem Kiesabbau)
zu berücksichtigen sind (E. 7). Vorab ist kurz auf die Sachverhaltsrügen der
Beschwerdeführerin einzugehen (E. 4.1 und 4.2).

4. 
Die vom Geologiebüro F.________ AG erstellte und vom AFU als richtig
akzeptierte hydrogeologische Standortbestimmung vom 30. Juni 2009 geht im
Nassenfeld aufgrund des Lockergesteinsaufbaus, der Durchlässigkeitsverhältnisse
und der Grundwasserfliessrichtung von drei unterschiedlichen Gebieten aus,
nämlich das Teilgebiet Ost (13 ha), das Teilgebiet Mitte (13.9 ha) und das
Teilgebiet West (9.4 ha) mit ihren natürlichen Entwässerungssystemen
(Schlussfolgerung S. 13). Der Wasseraustausch zwischen dem Teilbereich Mitte
und den Teilbereichen Ost und West sei vermutlich gering (S. 8), d.h. die
Grundwasserneubildung im Teilbereich Mitte erfolge vor allem aus lokal
versickernden Niederschlägen.
Im Bereich Mitte seien bei der Bohrung KB 9 die besten hydrogeologischen
Voraussetzungen für eine allfällige Grundwassernutzung vorgefunden worden. Der
Grundwasserspiegel liege hier rund 24 m unter Terrain. Die Mächtigkeit des
Grundwasserleiters betrage je nach Wasserstand 16-19 m, der
Durchlässigkeitsbeiwert 1.6 x 10-3 m/s. Die nachgewiesene Ergiebigkeit im
Teilgebiet Mitte betrage 100-120 l/min bzw. 52'500-63'000 m3 pro Jahr. Im
natürlichen Grundwasserreservoir dürften schätzungsweise 80'000 m3 Grundwasser
gespeichert sein, wovon rund 50'000 m3 technisch nutzbar seien
(Schlussfolgerung S. 13). Auf S. 10 (Ziff. 3.3.3 "Grundwasserneubildung")
findet sich die Aussage, dass aufgrund der mittleren Schüttungen aller Quellen
und der Grundwasserabflüsse über die Quellen in den Teilgebieten Ost und West
die natürliche Feldergiebigkeit im Teilgebiet Mitte 105 l/min betrage.
Die Leitparameter des Quellwassers (Schüttung, Wassertemperatur, Leitfähigkeit)
würden seit 1996 monatlich gemessen. Die bisherigen Messungen zeigten keine
Anomalien, die auf übermässige anthropogene Beeinflussungen (z.B. Kiesabbau)
hindeuteten. Bei zwei Quellen (Nrn. 10 und 11) im unmittelbaren Abstrombereich
einer Altablagerung und eines aufgehobenen militätrischen Schiessplatzes seien
im Jahr 2005 Verunreinigungen mit Blei und flüchtigen organischen
Kohlenwasserstoffen in Spuren nachgewiesen worden. Die Anforderungen der
Lebensmittelgesetzgebung für Trinkwasser seien jedoch erfüllt.

4.1. Gestützt auf die Standortbestimmung ging das Verwaltungsgericht davon aus,
dass die Grundwasserneubildungsrate im Bereich Nassenfeld-Mitte 100-120 l/min
betrage. Dies wird von der Beschwerdeführerin nicht in der Beschwerdeschrift,
sondern erst mit Eingabe vom 8. Februar 2016 bestritten: Diese Zahl beziehe
sich auf die Feldergiebigkeit und nicht auf die Grundwasserneubildungsrate.
Dieser Einwand dürfte verspätet sein (Art. 42 Abs. 1 und Art 43 BGG e
contrario). Jedenfalls begründet die Beschwerdeführerin auch nicht, weshalb die
Feststellung offensichtlich unrichtig sein soll (Art. 105 BGG).

4.2. Gleiches gilt für den (ebenfalls erst in der Replik und der Eingabe vom 8.
Februar 2016 erhobenen) Einwand, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass das
Grundwasser durch den Kiesabbau bereits tangiert sei, weil das
Aufschüttmaterial praktisch undurchlässig sei und kaum mehr Regenwasser
durchlasse.
Soweit sich die Beschwerdeführerin auf bereits vorhandene Aufschüttungen im
Teilgebiet Mitte bezieht, die in der hydrogeologischen Standortbestimmung
hätten berücksichtigt werden müssen, ist die Kritik ebenfalls verspätet.
Soweit sich das Vorbringen auf Aufschüttungen im Zusammenhang mit dem erst
geplanten Kiesabbau im Gebiet Mitte bezieht, ist es nicht geeignet, die
Sachverhaltsfeststellung des Verwaltungsgerichts zu den aktuellen
hydrogeologischen Verhältnissen im Nassenfeld in Frage zu stellen. Bisher
wurden weder der Kiesabbau noch Aufschüttungen im fraglichen Gebiet bewilligt,
und zwar auch nicht oberhalb des Grundwasserspiegels.

5. 
Das Verwaltungsgericht ging davon aus, weder im Gewässerschutzrecht noch in den
einschlägigen Wegleitungen und Vollzugshilfen würden minimale Abfluss- bzw.
Nutzungsmengen definiert. Entscheidend sei eine gewässerschutzrechtliche
Gesamtbetrachtung, gestützt auf die hydrogeologischen Kenntnisse (Art. 29 Abs.
4 GSchV); unbeachtlich seien dagegen andere, konkurrierende Interessen, wie
namentlich das Interesse am Kiesabbau (so schon Rückweisungsentscheid vom 27.
April 2007 E. 4.5).
Aus der Vollzugshilfe «Harmonisierung der Gewässerschutzkarten der Ostschweizer
Kantone» vom 19. August 2004 (Ziff. 21 betreffend
Lockergesteins-Grundwasserleiter in und ausserhalb von Talsohlen) ergebe sich,
dass die wichtigsten Kriterien für die Bezeichnung der nutzbaren unterirdischen
Gewässer die minimale Ausdehnung (i.d.R. 5-10 ha) und Mächtigkeit (i.d.R. mehr
als 2 m) des Lockergesteins-Grundwasserleiters seien. Diese Kriterien seien
ausreichend nachgewiesen.
Die nutzbare Grundwassermenge des natürlichen Reservoirs von 50'000 m3
übertreffe die Reservoirinhalte aller Wasserversorgungen im Neckertal (ca.
4'500 m3) um ein Vielfaches. Das Grundwasservorkommen liege zudem im
Schwerpunkt eines weitverzweigten öffentlichen Wasserversorgungsnetzes. Die
nachgewiesene Ergiebigkeit von 100-120 l/min bzw. 52'500-65'000 m3 sei
ausreichend für die dauerhafte Wasserversorgung von rund 1'000 Personen
(täglicher Durchschnittsverbrauch: 162 l). Aus dem fraglichen
Grundwasservorkommen könne ein Anteil von 90 % der Wasserversorgung Schauenberg
bzw. 65 % der Dorfkorporation Mogelsberg beigesteuert werden, was - unabhängig
von einer Notlage - einen namhaften Beitrag an die kommunale Wasserversorgung
darstelle.
Im Rahmen einer Notversorgung mit 15 l/Tag könnten mehr als 10'000 Personen mit
Wasser versorgt werden. Gemäss Standortbestimmung liessen die örtlichen
hydrogeologischen Verhältnisse bei entsprechend ausgebautem Entnahmebrunnen
kurzfristig, d.h. über mehrere Tage bis einige Wochen, eine Entnahmemenge von
mehreren hundert Litern Wasser pro Minute zu. Dass bei längerer Nutzung mit
dieser Entnahmemenge mit einem entsprechenden Rückgang der Quellschüttungen
bzw. einem zeitweiligen Versiegen der Quellen gerechnet werden müsse, tue der
Eignung des Vorkommens zur Trinkwasserversorgung in Notlagen keinen Abbruch.
Der Grundwasserspiegel werde nach Reduktion der Fördermenge wieder ansteigen,
und zwar mit der bekannten Neubildungsrate von 100-120 l/min. Aufgrund des
relativ grossen technisch nutzbaren Speichervolumens werde die
Versorgungssicherheit insbesondere bei Sommertrockenheit gewährleistet. Das AFU
habe zudem darauf hingewiesen, das Grundwasservorkommen sei praktisch
unbeeinflusst von Oberflächengewässern und auch sicher vor Überflutungen bei
Hochwasserkatastrophen.

5.1. Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, die Begründung der
quantitativen Eignung im Endentscheid widerspreche den verbindlichen
Anweisungen des Rückweisungsentscheids vom 27. Februar 2007 und sei daher
prozessual unzulässig. Damals sei das Verwaltungsgericht (in E. 4.6.4 S. 32)
selbst davon ausgegangen, dass eine Ergiebigkeit von mindestens 230 l/min nötig
sei, um die Eignung zur Trinkwassernutzung zu begründen. Diese Vorgabe sei im
zweiten Umgang nicht nur für die Regierung, sondern auch für das
Verwaltungsgericht selbst verbindlich gewesen.
230 l/min entspricht der im Entscheid der Regierung vom 1. Mai 2012
angenommenen Ergiebigkeit des Grundwasservorkommens. Das Verwaltungsgericht
hielt diese Zahl für nicht genügend belegt, weshalb die Regierung den Antrag
der Beschwerdeführerin auf eine Oberexpertise nicht in antizipierter
Beweiswürdigung hätte ablehnen dürfen. Es wies die Sache daher zur ergänzenden
Sachverhaltsabklärung und neuem Entscheid an die Regierung zurück. In diesem
Zusammenhang findet sich die Anweisung (E. 4.6.4 S. 32), es sei zu prüfen, "ob
das Teilgebiet "Süd Mitte" für sich allein genügend ergiebig sei bzw. ob ihm
jeweils Wassermengen von 230 l/min entnommen werden können". Bei isolierter
Betrachtung liesse sich diese Anweisung tatsächlich so verstehen, dass eine
genügende Ergiebigkeit erst ab 230 l/min anzunehmen sei. Vor dem Hintergrund
der vorangegangenen Erwägungen ergibt sich jedoch, dass das Verwaltungsgericht
keinen Richtwert vorgeben wollte, sondern eine Prüfung in Anbetracht aller
(gewässerrechtlichen) Umstände verlangte (E. 4.4.3 S. 21-E. 4.5 S. 23 f.).
Damit bestand im zweiten Umgang keine Bindung des Regierungsrats oder des
Verwaltungsgerichts selbst an eine bestimmte quantitative Vorgabe.

5.2. Materiell beruft sich die Beschwerdeführerin auf das bundesgerichtliche
Urteil 1A.284/1995 vom 1. November 1996. In diesem Entscheid habe das
Bundesgericht einen Richtwert von 10 l/s (= 600 l/min) für die Ergiebigkeit
einer Grundwasserfassung zugrunde gelegt. Zwar habe es Grundwasservorkommen mit
einer geringeren Ergiebigkeit die Eignung zur Trinkwassergewinnung nicht von
vornherein abgesprochen, in solchen Fällen werde jedoch eine Interessenabwägung
im Einzelfall verlangt. Diese habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht
verweigert. Dem Grundwasservorkommen im Nassenfeld Mitte könnten nicht über
längere Zeit 600 l/min Trinkwasser entnommen werden, ohne den
Grundwasserspeicher zu entleeren und die bestehenden Quellen zum Versiegen zu
bringen. Dies wäre mit der nach Art. 43 Abs. 1 GSchG gebotenen nachhaltigen
Nutzung des Grundwassers unvereinbar, wonach einem Grundwasservorkommen
langfristig nicht mehr Wasser entnommen werden dürfe, als ihm zufliesse. Zudem
läge eine Verletzung der Eigentumsgarantie vor, da eine derartige Entnahme die
vorhandenen, privat genutzten Quellen zum Versiegen bringen würde.

5.2.1. Die erwähnte Passage des Urteils 1C_284/1995 vom 1. November 1996 ist
ein obiter dictum zu einem damals, in der Wegleitung des BUWAL, erwähnten
Richtwert von 10 l/s (1982 revidierte Wegleitung zur Ausscheidung von
Gewässerschutzbereichen, Grundwasserschutzzonen und Grundwasserschutzarealen
vom Oktober 1977 zum aGSchG vom 8. Oktober 1971). Das Bundesgericht hielt fest,
dieser Richtwert dürfe jedenfalls nicht im Sinne eines absoluten Grenzwerts
eingesetzt werden, mit der Folge, dass allen weniger ergiebigen Vorkommen die
Eignung zur Trinkwassergewinnung schematisch, ohne weitere Interessenabwägung
im Einzelfall, abzusprechen wäre (E. 5a). Weitere Hinweise zu den zu
berücksichtigenden Interessen finden sich nicht. Allerdings legen die (in E.
4c) erwähnten regionalen Gegebenheiten, z.B. in wasserarmen Kantonen, nahe,
dass es um gewässerschutzrechtliche Interessen und nicht um konkurrierende
Interessen des Kiesabbaus ging.

5.2.2. Seither wurde die Rechtslage durch die 1998 erlassene
Gewässerschutzverordnung und die hierzu erlassene Wegleitung präzisiert: Nach
der bereits zitierten Ziff. 111 Abs. 2 lit. a Anhang 4 GSchV genügt es, wenn
das Wasser im natürlichen oder angereicherten Zustand in einer Menge vorhanden
ist, dass eine Nutzung "in Betracht fallen kann"; es wird ausdrücklich
festgehalten, dass der Bedarf nicht zu berücksichtigen ist. Gemäss Art. 29 Abs.
4 GSchV stützen sich die Behörden dabei auf hydrogeologische Kenntnisse.
Spielt der Bedarf keine Rolle, so kann es - entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin - nicht massgeblich sein, ob die vorhandenen
Trinkwasserfassungen zur Bedarfsdeckung genügen und wie wahrscheinlich ein
Notversorgungsfall ist. Ebenso wenig ist massgeblich, ob das
Grundwasservorkommen schon erschlossen ist oder wie teuer
Erschliessungsmassnahmen wären. Entscheidend ist vielmehr, dass das
Grundwasservorkommen nicht von vornherein für die Wasserversorgung ungeeignet
erscheint (so schon BGE 103 Ib 296 E. 2b S. 298 zu Art. 32 Abs. 2 aGSchG).
Die geltende Wegleitung des BUWAL aus dem Jahre 2004 (Ziff. 2.2.2 S. 34)
enthält keinen Richtwert mehr für eine minimale Ergiebigkeit eines
Grundwasservorkommens. Massgeblich ist vielmehr, ob Grundwasser in einer Menge
vorhanden ist, dass es bei nachhaltiger Nutzung einen Beitrag zur regionalen
oder kommunalen Versorgung leisten kann; dabei ist auch die Eignung eines
Grundwasservorkommens für die Trinkwasserversorgung in Notlagen zu
berücksichtigen.
Die bereits erwähnte Vollzugshilfe der Ostschweizer Kantone (S. 3) verzichtet
bei Lockergesteins-Grundwasserleitern in und ausserhalb von Talsohlen ebenfalls
auf Richtwerte für die Ergiebigkeit, und stellt in erster Linie auf die
Ausdehnung und Mächtigkeit des Vorkommens ab. Dabei seien auch allfällige
Anreichungsmöglichkeiten zu berücksichtigen, d.h. die Möglichkeit, die
Grundwassermenge zu Zwecken der Trinkwassergewinnung durch Anlagen zur
Versickerung von Oberflächenwasser zu erhöhen. Dies entspricht der Vorgabe von
Ziff. 111 Abs. 2 Anhang 4 GSchV ("im natürlichen oder angereicherten Zustand").

5.2.3. Legt man diese Vorgaben der Verordnung zugrunde, so sind die Erwägungen
des Verwaltungsgerichts zur quantitativen Eignung nicht zu beanstanden. Dieses
hat überzeugend dargelegt, dass die Menge - auch bei nachhaltiger Nutzung im
Sinne von Art 43 Abs. 1 GSchG - genügt, um einen Beitrag zur lokalen
Wasserversorgung sowie zur Notversorgung der Region zu leisten. Wie das AFU und
das BAFU betonen, unterliegt der Grundwasserleiter aufgrund seiner Lage
ausserhalb von Talsohlen nicht der Gefahr der Überflutung; insofern eignet er
sich insbesondere zur Trinkwasser-Notversorgung, wenn die Wasserfassungen im
Tal bei Hochwasser kontaminiert werden oder aus anderen Gründen ausfallen.
Insofern kann offenbleiben, ob allein schon die Speicherkapazität (unter
Berücksichtigung von allfälligen Anreicherungsmöglichkeiten) genügen würde, wie
in der Ostschweizer Vollzugshilfe vorgesehen.

6. 
Für die qualitative Eignung genügt es, wenn das Grundwasser die Anforderungen
der Lebensmittelgesetzgebung einhält oder nach Anwendung einfacher
Aufbereitungsverfahren einhalten könnte (Ziff. 111 Abs. 2 lit. b Anhang 4
GSchV). Vorliegend ergibt sich bereits aus der Standortbestimmung, dass diese
Voraussetzung erfüllt ist, ungeachtet der 2005 festgestellten Spurenrückstände
an Freon 12 und Trichlorethan.
Im Übrigen weist das BAFU zutreffend darauf hin, dass für die qualitative
Eignung als Trinkwasser der natürliche Zustand des Grundwassers massgeblich ist
(Ziff. 111 Abs. 2 Anhang 4 GSchV), und deshalb temporäre Belastungen,
beispielsweise durch die von der Beschwerdeführerin erwähnten Altablagerungen
im Abstrombereich, nicht zu berücksichtigen sind.

7. 
Erscheint das Grundwasservorkommen somit quantitativ und qualitativ für die
Trinkwassernutzung geeignet, so liegen die Voraussetzungen für dessen Zuweisung
in den Gewässerschutzbereich Au nach Ziff. 111 Anhang 4 GSchV und Art. 29 Abs.
1 lit. a GSchV vor. Der Gewässerschutzbereich Au ist als Instrument des
flächendeckenden, ressourcenorientierten Grundwasserschutzes konzipiert
(Wegleitung 2004, Ziff. 2.2.2 S. 34) und umfasst daher grundsätzlich alle
quantitativ und qualitativ für die Trinkwassernutzung geeigneten
Grundwasservorkommen, unabhängig davon, ob ihre Nutzung geplant ist bzw. ein
öffentliches Interesse an der Erstellung einer Grundwasserfassung besteht.
Diese weitergehenden Voraussetzungen sind erst zu prüfen, wenn
Grundwasserschutzzonen oder -areale ausgeschieden werden sollen (Art. 20 f.
GSchG; Art. 29 Abs. 2 und 3 GSchV). Diese Zonen bzw. Areale überlagern den
Gewässerschutzbereich Au (vgl. Wegleitung, Ziff. 2.1.2 S. 30) und sind mit
weitergehenden Eigentumsbeschränkungen verbunden sind (vgl. Ziff. 22 und 23
Anhang 4 GSchV).
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin besteht insbesondere kein Raum
für die Abwägung mit dem (öffentlichen oder privaten) Interesse am Abbau von
Kies innerhalb des Grundwasservorkommens. Diese Abwägung wurde bereits vom
Gesetz- und Verordnungsgeber vorgenommen, der den Abbau im
Gewässerschutzbereich Au gesetzlich ausgeschlossen hat (Art. 44 Abs. 2 lit. b
GSchG i.V.m. Ziff. 211 Abs. 3 lit. a Anhang 4 GSchV). Er hat damit dem
Interesse an der Erhaltung aller potenziell nutzbaren Grundwasserleiter Vorrang
vor dem Interesse am Abbau von Kies und Sand eingeräumt.
Diese vorweggenommene Interessenabwägung entspricht dem Prinzip der
nachhaltigen Entwicklung (Art. 2 Abs. 2 und 73 BV) und dem Verfassungsauftrag,
die Wasservorkommen zu schützen (Art. 76 Abs. 1 BV) und ist nicht zu
beanstanden. Wie das BAFU in seiner Vernehmlassung ausführt, wird beim
Kiesabbau unterhalb des Grundwasserspiegels der verwertbare Kieskörper
ausgeräumt, der gleichzeitig das natürliche Grundwasserreservoir bzw. den
Grundwasserleiter bildet. Nach erfolgtem Abbau ist das natürliche
Grundwasserreservoir somit unwiderruflich zerstört und seine Nutzung zu
Trinkwasserzwecken auch durch künftige Generationen verunmöglicht.
Bereits in BGE 103 I 296 E. 2e S. 302 hatte das Bundesgericht festgehalten,
dass ein Verbot der Kiesausbeutung auch oberhalb des Grundwassers zum Schutz
des Grundwasservorkommens keine unangemessene Einschränkung des Grundeigentums
darstelle, werde doch die übliche Bodennutzung nicht tangiert, sondern nur eine
einmalige, nur wenigen Eigentümern mögliche Ausbeutung aus Gründen des
langfristigen Grundwasserschutzes verhindert. Diese Aussage gilt erst recht für
den Kiesabbau unterhalb des Grundwasserspiegels.

8. 
Nach dem Gesagten ist die Zuweisung des Gebiets Nassenfeld Mitte zum
Gewässerschutzbereich Au rechtmässig. Dies hat zur Folge, dass der Abbauplan,
soweit er den Kiesabbau im Grundwasser vorsieht, von vornherein nicht bewilligt
werden kann.
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird
die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 BGG) und hat keinen Anspruch
auf eine Parteientschädigung (Art. 68 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

4. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Politischen Gemeinde Neckertal,
der Regierung des Kantons St. Gallen, B.________, C.________, D.________,
E.________, dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, dem Bundesamt für
Umwelt und dem Bundesamt für Raumentwicklung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. März 2016

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Die Gerichtsschreiberin: Gerber

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