Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.250/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_250/2015

Urteil vom 2. November 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Kneubühler,
Gerichtsschreiberin Pedretti.

Verfahrensbeteiligte
A. und B. C.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Justiz-, Polizei- und Militärdepartement des Kantons Appenzell Innerrhoden,
Marktgasse 10d, 9050 Appenzell,

Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh.,
Marktgasse 2, 9050 Appenzell,

Kantonspolizei Appenzell I.Rh.,
Unteres Ziel 20, 9050 Appenzell.

Gegenstand
Verkehrsanordnung,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 19. Februar 2015 des Kantonsgerichts
Appenzell I.Rh., Abteilung Verwaltungsgericht.

Sachverhalt:

A. 
Der Landesfähnrich des Kantons Appenzell I.Rh. verfügte am 26. Oktober 2013
folgende Verkehrsanordnung:

"Erweiterung Tempo-30-Zone in Appenzell (...) ab Gaiserstrasse 11 (Engpass beim
Falken) - Mezibrücke bis Weissbadstrasse 9 (Höhe Chlosbächli), inkl.
Brauereiplatz."

B. 
Der dagegen von A. und B. C.________ eingereichte Rekurs wies die
Standeskommission Appenzell I.Rh. mit Entscheid vom 18. August 2014 ab. Ebenso
wies das Kantonsgericht Appenzell I.Rh. die dagegen erhobene Beschwerde am 19.
Februar 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde vom 12. Mai 2015 gelangen A. und B. C.________ ans Bundesgericht
und beantragen, auf die Erweiterung der Tempo-30-Zone auf der
Hauptverkehrsachse Gaiserstrasse 11 - Mezibrücke - Weissbadstrasse 9 sowie auf
der Bleichestrasse sei zu verzichten. Auf den betroffenen Strassenabschnitten
sei die Maximalgeschwindigkeit eventuell auf 40 km/h zu beschränken. Die Sache
sei eventualiter zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen,
unter Ausschluss jener Personen, welche von einem Ausstandsgrund betroffen
sind.
Das Kantonsgericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die
Standeskommission beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden könne. Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) hat sich vernehmen
lassen, ohne einen förmlichen Antrag zu stellen, kritisiert aber in seinen
Erwägungen das verkehrstechnische Gutachten in dem Sinne, als es dem
Ausnahmecharakter des Einbezugs verkehrsorientierter Strassen in Tempo-30-Zonen
nicht angemessen Rechnung trage. Daraufhin hat sich das Justiz-, Polizei- und
Militärdepartement des Kantons Appenzell I.Rh., das vorerst auf eine
Stellungnahme verzichtet hatte, vernehmen lassen (ebenfalls ohne förmlichen
Antrag). Es erachtet das erstellte Gutachten als vollständig.
Die Beteiligten halten im weiteren Schriftenwechsel an ihren Anträgen fest.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde richtet sich gegen einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid
über den Einbezug eines Strassenabschnitts in Appenzell in eine Tempo-30-Zone,
d.h. eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit (Art. 82 lit. a und Art. 86 Abs.
1 lit. d BGG). Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten grundsätzlich offen. Näher zu prüfen ist die
Beschwerdebefugnis.

1.1. Nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde berechtigt, wer am
vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur
Teilnahme erhalten hat (lit. a), wer durch den angefochtenen Entscheid oder
Erlass besonders berührt ist (lit. b) und wer ein schutzwürdigen Interesse an
dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c).
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Beschwerdelegitimation bei
funktionellen Verkehrsbeschränkungen, wie der vorliegenden, ist zur Beschwerde
gegen die Verkehrsanordnung befugt, wer die mit einer Beschränkung belegte
Strasse mehr oder weniger regelmässig benützt, wie das bei Anwohnern oder
Pendlern der Fall ist; dagegen genügt das bloss gelegentliche Befahren der
Strasse nicht (BGE 139 II 145, nicht publizierte E. 1.2; 136 II 539 E. 1.1 S.
542 f.; Urteile 1C_317/2010 und 1C_319/2010 vom 15. Dezember 2010 E. 5.6; 1A.73
/2004 vom 6. Juli 2004 E. 2.2). Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass der
Beschwerdeführer stärker als jedermann betroffen sein und in einer besonderen,
beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehen muss (BGE 135 II 145 E.
6.1 S. 150; Urteil 1C_310/2009 vom 17. März 2010 E. 1.4). Nach der Praxis steht
das Beschwerderecht auch Anwohnern anderer als der von der Beschränkung
betroffenen Strasse zu, die wegen Verkehrsverlagerungen Nachteile erleiden
könnten (Urteil 1C_54/2007 vom 6. November 2007 E. 3.1 mit Hinweis).

1.2. Die Beschwerdeführer legen in ihrer Beschwerdeschrift nicht dar, dass bzw.
inwiefern die gesetzlichen Legitimationsvoraussetzungen gegeben sind; insoweit
kommen sie ihrer Begründungspflicht nicht nach (Art. 42 Abs. 2 BGG; vgl. BGE
133 II 249 E. 1.1 S. 251). Immerhin geht aus den Angaben in den Akten hervor,
dass sie rund einen Kilometer von der geplanten Erweiterung der Tempo-30-Zone
in der Ortsmitte entfernt wohnen, weshalb sie nicht als Anwohner gelten können.
Ob sie den streitbetroffenen Strassenabschnitt regelmässig (z.B. als
Arbeitsweg) benutzen, ist nicht ersichtlich. Dies ergibt sich auch nicht
zwangsläufig aus dem in der Rekursschrift an die Standeskommission resp. der
Beschwerdeschrift an das Kantonsgericht geltend gemachten Umstand, sie seien
mit den Verhältnissen im umstrittenen Strassenabschnitt aufgrund ihrer
persönlichen und mehrjährigen Erfahrung als Fussgänger und Velofahrer vertraut.
Eine regelmässige Benutzung der Strassenabschnitte lässt sich ebenso wenig aus
der in der Beschwerde ans Bundesgericht gemachten Ausführung schliessen, die
Herrenrüti- bzw. Bleichestrasse, die über kein Trottoir verfüge, stelle für
ihre Kinder den täglichen Schul- bzw. Kindergartenweg dar. Abgesehen davon,
dass diese beiden Strassen nicht (bzw. nur im Bereich eines kurzen Abschnitts)
von der Verkehrsanordnung betroffen sind, ist nicht offenkundig, dass die
Eltern ihre Kinder begleiten, sofern der Schul- bzw. Kindergartenweg überhaupt
in den Perimeter der geplanten Tempo-30-Zone hineinführt.

1.3. Für die Beschwerdebefugnis steht deshalb die Befürchtung der
Beschwerdeführer im Vordergrund, durch die Erweiterung der Tempo-30-Zone in der
Dorfmitte entstünde Ausweichverkehr über die Herrenrüti- und Bleichestrasse,
deren Anwohner sie sind. Diesbezüglich anerkennt das verkehrstechnische
Gutachten vom 4. Juli 2013 zwar, dass sich die Durchfahrtsattraktivität der
Gaiser- und Weissbadstrasse aufgrund der Verkehrsanordnung vermindere. Es geht
aber lediglich von einer geringen Verkehrsverlagerung in Richtung der
südlicheren Ortsteile St. Anton bzw. Steinegg aus, von der die Beschwerdeführer
nicht direkt betroffen sind. Die Standeskommission erachtete in ihrem Entscheid
vom 18. August 2014 einen Ausweichverkehr in Richtung der Beschwerdeführer als
unwahrscheinlich, da die Tempo-30-Zone über den Brauereiplatz in die
Bleichestrasse hinein länger sei als von dort Richtung Gaiser- oder
Weissbadstrasse (vgl. E. 9). Auch das Kantonsgericht erwog, die
Herrenrütistrasse sei im Gegensatz zur Gaiserstrasse teils länger und teils mit
erheblich schwierigeren Einfahrmanövern in die vortrittsberechtigte
Umfahrungsstrasse verbunden, auf der eine Maximalgeschwindigkeit von 60 km/h
gelte. Ebenfalls sei zu erwarten, dass der Verkehr bei der Kreuzung Bleiche-/
Gaiserstrasse wegen des eingeführten Rechtsvortritts flüssiger werde und sich
die Wartezeit verringere (vgl. E. 4.4).

1.4. Soweit die Beurteilung von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse
abhängt, welche die zuständigen Behörden besser kennen als das Bundesgericht,
übt Letzteres Zurückhaltung (vgl. BGE 139 II 145 E. 5 S. 167; 136 II 539 E. 3.2
S. 548; Urteil 1C_206/2008 vom 9. Oktober 2008 E. 2.3; je mit Hinweis). Die
vorerwähnten Erwägungen der Vorinstanzen sind plausibel. Dies insbesondere
deshalb, weil die geplante Tempo-30-Zone auf der Gaiser-/Weissbadstrasse nur
gerade rund 300m lang ist und gemäss Angaben der Standeskommission, wenn
überhaupt, lediglich zu einem Zeitverlust von weniger als 15 Seunden führt
(vgl. E. 6.1). Von der Signalisierung auf der Gaiserstrasse bis zum Parkplatz
auf dem Brauereiplatz ist die Strecke sogar noch kürzer. Verglichen dazu
erscheint die Umfahrung der Tempo-30-Zone über die Herrenrüti-/Bleichestrasse
wenig attraktiv, da sich unter Umständen nicht nur der Weg verlängert, sondern
auch die Strassenverhältnisse - wie von den Beschwerdeführern selbst moniert -
eng sind. Es bestehen somit keine Anhaltspunkte, um an den Darlegungen im
Gutachten und den Erwägungen der Vorinstanzen zu zweifeln. Sie werden denn auch
von den Beschwerdeführern nicht substanziiert bestritten. Die
Beschwerdebefugnis ist deshalb zu verneinen. Mangels relevanter
Verkehrsverlagerung auf die Herrenrüti- bzw. Bleichestrasse sind die
Beschwerdeführer in Bezug auf die geplante Erweiterung der Tempo-30-Zone in
Richtung Dorfkern weder stärker betroffen als die Allgemeinheit noch weisen sie
eine besondere, beachtenswerte Nähe zur Streitsache vor. Auf die Beschwerde ist
deshalb nicht einzutreten.

2. 
Bei diesem Verfahrensausgang tragen die Beschwerdeführer die Gerichtskosten
(Art. 66 Abs. 1 BGG) und ihnen steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs.
2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.

3. 
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4. 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Justiz-, Polizei- und
Militärdepartement, der Standeskommission, der Kantonspolizei, dem
Kantonsgericht Appenzell I.Rh., Abteilung Verwaltungsgericht, und dem Bundesamt
für Strassen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. November 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Die Gerichtsschreiberin: Pedretti

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