Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.129/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_129/2015

Urteil vom 9. Juli 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Forster.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Sicherheit und Justiz, Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus.

Gegenstand
Vorsorglicher Sicherungsentzug des Führerausweises,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 30. Januar 2015 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Glarus, Präsident.

Sachverhalt:

A. 
Die Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus, Abteilung
Administrativmassnahmen, verfügte am 10. Dezember 2014 gegenüber A.________ den
vorsorglichen Sicherungsentzug des Führerausweises (mit Wirkung seit 27.
September 2014). Gleichzeitig verpflichtete sie den Lenker, sich einer
verkehrspsychologischen Fahreignungsabklärung zu unterziehen.

B. 
Am 11. Dezember 2014 versuchte die Post ein erstes Mal erfolglos, die Verfügung
dem Lenker per Einschreiben zuzustellen. Nachdem die Verfügung bis zum Ablauf
der Abholfrist am 18. Dezember 2014 nicht abgeholt worden war, sendete sie die
Post am 19. Dezember 2014 retour an die Absenderin. Am 9. Januar 2015 liess die
Staatsanwaltschaft die Verfügung ein zweites Mal mit eingeschriebener Post
zustellen. Am 13. Januar 2015, innert der angesetzten Abholfrist, holte der
Lenker die Sendung am Postschalter ab. Am 23. Januar 2015 erhob er gegen die
Verfügung vom 10. Dezember 2014 Beschwerde beim kantonalen Verwaltungsgericht.
Mit Verfügung vom 30. Januar 2015 trat das Verwaltungsgericht des Kantons
Glarus, Präsident, auf die Beschwerde wegen Verspätung nicht ein.

C. 
Gegen den Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichtes gelangte der Lenker
mit Beschwerde vom 3. März 2015 an das Bundesgericht. Er beantragt die
Aufhebung des angefochtenen Entscheides.

Das Verwaltungsgericht und die Staatsanwaltschaft beantragen mit
Vernehmlassungen vom 17. März bzw. 13. April (Posteingang: 17. April) 2015 je
die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer replizierte am 30. April
2015.

Erwägungen:

1. 
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 82 ff. BGG sind erfüllt.

2. 
Die Vorinstanz begründet ihren Nichteintretensentscheid wie folgt: Zwar habe
der Beschwerdeführer die Verfügung vom 10. Dezember 2014 am 13. Januar 2015
(innert der siebentägigen Abholfrist) am Postschalter abgeholt und am 23.
Januar 2015 (insofern innert der 10-tägigen Beschwerdefrist) angefochten. Die
Verfügung sei ihm jedoch schon im Dezember 2014 ein erstes Mal und
fristauslösend zugestellt worden. Nachdem die Post am 11. Dezember 2014
erfolglos versucht habe, die Verfügung zuzustellen, sei die fristauslösende
Eröffnung am 18. Dezember 2014 (nach Ablauf der Abholfrist) aufgrund einer
"Zustellfiktion" erfolgt. Die Beschwerde sei daher verspätet. Daran ändere auch
der Umstand der zweiten Zustellung im Januar 2015 nichts. Eine zweite
Zustellung sei grundsätzlich nur dann "gerechtfertigt", wenn zu erwarten sei,
dass der Adressat die Zustellungsvermutung durch den Nachweis der
Nichtzustellung zu entkräften vermöge. Die erfolgte zweite Zustellung sei auch
"nicht kausal für das Verpassen der Rechtsmittelfrist" gewesen.

3. 
Der Beschwerdeführer macht in seiner Laieneingabe geltend, die Vorinstanz gehe
zu Unrecht vom Ablauf der 10-tägigen Beschwerdefrist aus. Damit sei ihm der
gesetzliche Rechtsweg für die Anfechtung des vorsorglichen Sicherungsentzuges
verweigert worden.

3.1. Die Vorinstanz geht in ihrem Entscheid davon aus, dass die
Abholungseinladung am 11. Dezember 2014 in den Briefkasten des
Beschwerdeführers gelegt wurde. Das Gesetz regelt nicht näher, wem in diesem
Fall die Beweislast für die Zustellung obliegt. Nach einer langjährigen
Rechtsprechung hat die Behörde nachzuweisen, dass und wann ihre Verfügung dem
Adressaten zugestellt wird. Bedient sie sich dabei der Post und ist - infolge
Unmöglichkeit der direkten Übergabe - eine Abholungseinladung auszustellen,
gilt eine widerlegbare Vermutung, dass der oder die Postangestellte den Avis
ordnungsgemäss in den Briefkasten oder in das Postfach des Empfängers gelegt
hat und das Zustellungsdatum korrekt registriert worden ist. Es findet also in
diesem Fall hinsichtlich der Ausstellung der Abholungseinladung eine Umkehr der
Beweislast in dem Sinne statt, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid
zu Ungunsten des Empfängers ausfälllt, der den Erhalt der Abholungseinladung
bestreitet (vgl. die Nachweise der bisherigen Rechtsprechung bei KATHRIN
AMSTUTZ/PETER ARNOLD, in: Basler Kommentar BGG, 2. Aufl., Basel 2011, N. 31 zu
Art. 44 BGG). Diese Vermutung kann allerdings vom Empfänger widerlegt werden,
wobei kein Beweis des Gegenteils erforderlich ist, sondern eine Entkräftung
durch den Gegenbeweis möglich ist. So wurde verschiedentlich erklärt, die
Vermutung des Zugangs der Abholungseinladung gelte, sofern nicht besondere
Umstände für eine Pflichtwidrigkeit des Postangestellten sprächen (Urteile
1P.505/1998 vom 28. Oktober 1998 E. 2c und 1P.284/1998 vom 14. August 1998 E.
3c). Es erscheint auch sachlich gerechtfertigt, zur Widerlegung der fraglichen
Vermutung keinen strikten Beweis zu verlangen, sondern den Nachweis einer
überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Zustellung genügen zu
lassen. Denn der Nichtzugang einer Abholungseinladung ist eine negative
Tatsache, für die naturgemäss kaum je der volle Beweis erbracht werden kann
(Urteil 2C_38/2009 vom 5. Juni 2009 E. 3.2 und 4.1; vgl. auch Urteil 2C_570/
2011 vom 24. Januar 2012 E. 4.3).

3.2. Der Beschwerdeführer beanstandet, dass die kantonalen Instanzen sich über
seine "Wohnsituation" nur ungenügend in Kenntnis gesetzt hätten. Er wohne in
einem Mehrfamilienhaus mit zwei Haushalten. Sein Nachbar sei ein Verwandter von
ihm. Die beiden Briefkästen mit je identischen Nachnamen der Postempfänger
befänden sich nebeneinander. Bis Mitte oder Ende August 2013 sei noch ein
gemeinsamer Briefkasten (und eine gemeinsame Türklingel-Beschriftung) verwendet
worden, auf dem die Vor- und Nachnamen beider Postempfänger gestanden seien, da
er bis im Juli 2013 im gleichen Haushalt gewohnt habe. Nach der Trennung der
Haushalte und der Verwendung zweier Briefkästen sei es leider vorgekommen, dass
Postsendungen im jeweils falschen (benachbarten) Briefkasten landeten. Daher
sei (von Ende August bis Ende November 2013) zur Information der
Postangestellten am Nachbarbriefkasten ein Aufkleber mit dem Vermerk "bitte
Vornamen beachten" angebracht worden. Eine nochmalige Verwechslung müsse sehr
wahrscheinlich mit der ersten Abholungseinladung passiert sein, welche nach
Angaben der Staatsanwaltschaft am 11. Dezember 2014 deponiert worden sei. Sein
Nachbar sei im damaligen Zeitpunkt (bis und mit 15. Januar 2015) ferienabwesend
gewesen. Einen Schlüssel für den Nachbarbriefkasten habe er, der
Beschwerdeführer, nicht besessen. Gemäss den Aussagen seines Nachbarn habe
dieser nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub tatsächlich (soweit ihm erinnerlich)
einen "Abholschein für einen Brief aus dem Kanton Glarus" aus der fraglichen
Dezemberwoche in seinem Briefkasten vorgefunden. Die Abholfrist sei (nach
dessen Angaben im Zeitpunkt der Kenntnisnahme) bereits abgelaufen gewesen.
Mangels Zustellung oder anderweitiger Kenntnisnahme der Abholungseinladung sei
es ihm, dem Beschwerdeführer, faktisch gar nicht möglich gewesen, schon im
Dezember 2014 von der Verfügung der Staatsanwaltschaft Kenntnis zu erhalten.
Eine Abholungseinladung habe er erst im Januar 2015 erhalten. Die Verfügung
habe er am 13. Januar 2015 (innert angesetzter Frist) bei der Post abgeholt.
Seine Beschwerde habe er ebenfalls fristgemäss (innert 10 Tagen nach der
förmlichen Eröffnung der Verfügung) erhoben.

3.3. Mit diesen Ausführungen wird die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer ersten
Fehlzustellung der Abholungseinladung vom Beschwerdeführer detailliert und
glaubhaft dargelegt. Aus den vorliegenden Akten ergibt sich nicht, dass bereits
im Dezember 2014 eine fristauslösende Eröffnung der Verfügung vom 10. Dezember
2014 formgerecht erfolgt wäre.

3.4. Hinzu kommt noch der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft selber es am 9.
Januar 2015 als geboten ansah, die Verfügung nochmals förmlich und mit
Chargé-Zustellung zu eröffnen. Es ist nur schwer nachvollziehbar, wieso es
einer zweiten förmlichen Eröffnung mit eingeschriebener Post (und Abholung am
Postschalter innert angesetzter Frist am 13. Januar 2015) bedurft hätte, wenn
bereits im Dezember 2014 eine formgültige fristauslösende Eröffnung erfolgt
wäre, wie dies die Vorinstanz (aufgrund einer "Zustellfiktion") annimmt. Eine
bloss informelle nochmalige Zustellung (zur Bestätigung einer bereits früher
erfolgten förmlichen Eröffnung) hätte mit einfacher Post erfolgen können. Auch
unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (Art. 9 BV) durfte der
Beschwerdeführer bei Würdigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles
davon ausgehen, dass seine Beschwerdeerhebung am 23. Januar 2015 (Postaufgabe)
fristgerecht erfolgt ist.

3.5. Angesichts der förmlichen Eröffnung der Verfügung am 13. Januar 2015 kann
dem Beschwerdeführer auch nicht vorgehalten werden, dass er bereits in seiner
vorinstanzlichen Laienbeschwerde vom 21. Januar 2015 die Einhaltung der
Beschwerdefrist näher hätte substanziieren müssen. Dies umso weniger, als er in
jener Beschwerdeschrift ausdrücklich vermerkt hat, dass ihm die Verfügung am
13. Januar 2015 eröffnet worden sei. Vielmehr wäre es Sache der kantonalen
Instanzen gewesen, den angeblichen Ablauf der Beschwerdefrist näher zu
substanziieren bzw. die nötigen Abklärungen zu den besonderen Umständen der
zweimaligen Verfügungs-Eröffnung zu treffen. Anlass zu den vom Beschwerdeführer
im Verfahren vor Bundesgericht vorgebrachten Noven gab erst der angefochtene
Nichteintretensentscheid. Insofern sind sie (gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG)
zulässig.

4. 
Die Beschwerde ist wegen formeller Rechtsverweigerung gutzuheissen, der
angefochtene Nichteintretensentscheid aufzuheben und die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen zur materiellen Behandlung.

Gerichtskosten sind nicht zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Eine
Parteientschädigung ist (dem nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer)
nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG). Mit dem vorliegenden Entscheid wird das
Gesuch um aufschiebende Wirkung der vor Bundesgericht erhobenen Beschwerde
hinfällig.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung vom 30. Januar 2015 des
Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus, Präsident, wird aufgehoben, und die
Sache wird an die Vorinstanz zur materiellen Behandlung zurückgewiesen.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Verwaltungsgericht des
Kantons Glarus, Präsident, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. Juli 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Merkli

Der Gerichtsschreiber: Forster

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