Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 96/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_96/2014

Urteil vom 25. März 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
Klinik A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Tomas Poledna,
Beschwerdeführerin,

gegen

Mutuel Krankenversicherung AG,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Krankenversicherung (Tarifstreitigkeit),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
11. Dezember 2013.

Sachverhalt:

A. 
B.________ war im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
(nachfolgend: OKP) bei der Mutuel Krankenversicherung AG (nachfolgend:
Krankenkasse) versichert und wohnte im Kanton Zürich, als sie vom 19. Januar
bis 31. März 2012 in der allgemeinen Abteilung der im Kanton Thurgau gelegenen
Klinik A.________ stationär behandelt wurde. Hierfür stellte die Klinik
A.________ AG (nachfolgend: Klinik) der "Groupe Mutuel" für jeden
Aufenthaltstag die "Tagestaxe Allg." von Fr. 369.- (unter Abzug des darin
enthaltenen Kantonsanteils von 51 %) und zusätzlich die Differenz dieser Taxe
zur "Tagestaxe AllgCH" von Fr. 590.-, mithin Fr. 221.-, in Rechnung. Die
Krankenkasse stellte sich auf den Standpunkt, für die erfolgte Behandlung dürfe
über die "Tagestaxe Allg." von Fr. 369.- hinaus keine Rechnung gestellt werden.

B. 
Am 18. Juli 2012 erhob die Krankenkasse Klage mit dem Rechtsbegehren, es sei
festzustellen, dass die Klinik auch für ausserkantonale Patienten den für die
innerkantonalen Patienten gültigen Tarif, d.h. eine Tagespauschale von Fr.
369.-, anzuwenden habe und dass sie - allenfalls mit Ausnahme von ausgewiesenen
Zusatzkosten - keine weiteren Beträge in Rechnung stellen dürfe. Die Klinik
liess beantragen, auf die Klage sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie
abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau hiess die Klage mit Entscheid vom
11. Dezember 2013 in dem Sinne gut, als es feststellte, dass die Klinik für den
Aufenthalt der B.________ aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
eine Tagespauschale von Fr. 369.-, ansonsten aber keine weiteren finanziellen
Ansprüche geltend machen könne.

C. 
Die Klinik lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
beantragen, der Entscheid vom 11. Dezember 2013 sei aufzuheben und auf die
Klage der Krankenkasse sei nicht einzutreten, eventualiter sei die Klage
abzuweisen, subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das kantonale
Gericht zurückzuweisen.
Die Krankenkasse und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) schliessen auf
Abweisung der Beschwerde. Die Klinik lässt dazu mit einer weiteren Eingabe
Stellung nehmen.

Erwägungen:

1.

1.1. Das Bundesgericht prüft in Bezug auf das vorinstanzliche Verfahren die
Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und
mit freier Kognition (BGE 140 V 22 E. 4 S. 26; 136 V 7 E. 2 S. 9).

1.2. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Schiedsgericht gemäss Art.
89 KVG beurteilt Streitigkeiten zwischen Versicherern und Leistungserbringern,
welche die OKP und die freiwillige Taggeldversicherung betreffen (Art. 89 in
Verbindung mit Art. 1a Abs. 1 KVG; Art. 69a Abs. 2 des kantonalen Gesetzes vom
23. Februar 1981 über die Verwaltungsrechtspflege [RB 170.1]).

1.3.

1.3.1. Es steht fest, dass es sich bei der streitbetroffenen Leistung um einen
medizinisch notwendigen Aufenthalt in einem Spital (vgl. Art. 39 Abs. 1 KVG)
entsprechend dem Standard der allgemeinen Abteilung (Art. 25 Abs. 2 lit. e KVG)
handelt. Sodann ist unbestritten, dass es sich um eine sogenannte
"ausserkantonale Wahlbehandlung" im Sinne von Art. 41 Abs. 1bis KVG handelt, da
die Klinik zwar auf der Spitalliste des Kantons Thurgau (vgl. Art. 39 Abs. 1
lit. e KVG), nicht aber des Wohnkantons der Patientin aufgeführt ist, und zudem
die ausserkantonale Hospitalisierung nicht medizinisch begründet war (vgl. Art.
41 Abs. 3 und 3bis KVG). Weiter ist anerkannt, dass im Tarifvertrag (vgl. Art.
46 KVG) vom 22. Dezember 2010 zwischen der Klinik einerseits und santésuisse
anderseits für den fraglichen Zeitraum eine Tagesvollpauschale von Fr. 369.-
vereinbart wurde. Sowohl die Höhe dieses Tarifs als auch die entsprechende
Leistungspflicht der Krankenkasse im Rahmen der OKP sind unbestritten (vgl. E.
3.4).

Aufgrund des Klage- resp. Beschwerdebegehrens war und ist einzig streitig, ob
die Klinik zu Lasten der versicherten Person oder einer allfälligen
Zusatzversicherung nach VVG (SR 221.229.1) über die "Tagestaxe Allg." von Fr.
369.- hinaus eine Rechnung stellen, d.h. ob sie in diesem Rahmen den höheren
Tarif "allgCH" von Fr. 590.- anwenden darf. Im Vordergrund stand und steht
dabei die Frage, ob die ausserkantonale Wahlbehandlung eine Pflichtleistung der
OKP darstellt.

1.3.2. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin bildete resp. bildet
nicht die Leistungspflicht einer Zusatzversicherung Streitgegenstand des
vorinstanzlichen wie des bundesgerichtlichen Verfahrens, steht doch weder die
innerhalb der "Groupe Mutuel" für die Zusatzversicherung zuständige "Groupe
Mutuel Versicherungen GMA AG" noch die Patientin am Recht, sondern die
Krankenkasse als Versicherer im Sinne von Art. 89 Abs. 1 KVG (anders in BGE 134
V 269 E. 2.3 S. 272 f. und E. 2.6 S. 275). Vielmehr stellt sich hier die Frage
nach der Tragweite des Tarifschutzes (Art. 44 Abs. 1 KVG), d.h. in concreto, ob
sich der Leistungserbringer mit dem Tarif der Grundversicherung begnügen muss
(vgl. BGE 134 V 269 E. 2.4 S. 274). Fällt - über die Tagesvollpauschale von Fr.
369.- hinaus - eine Vergütungspflicht im Rahmen der OKP ausser Betracht, hat
die damit betraute Krankenkasse in Bezug auf die Frage, ob die Rechnung eines
Leistungserbringers die Tarifschutzbestimmung verletzt, ein eigenes
Feststellungsinteresse. Die Vorinstanz hat daher zu Recht ihre Zuständigkeit
bejaht (Art. 89 Abs. 1 KVG; BGE 135 V 443 E. 1.2 S. 446; 132 V 352 E. 2.5.4 S.
356; SVR 2010 KV Nr. 13 S. 53, 9C_569/2009 E. 3.3). Aus BGE 131 V 191 ergibt
sich nichts anderes, war doch dabei ausschlaggebend, dass der
Krankenversicherer nicht verpflichtet war, die versicherte Person im Streit
über Pflegeheimkosten vor dem Schiedsgericht zu vertreten (BGE 131 V 191 E. 4
und 5 S. 194 ff.).

Ebenso ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an die II.
sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts zulässig (Art. 82 lit. a BGG;
Art. 35 lit. d des Reglements vom 20. November 2006 für das Bundesgericht
[BGerR; SR 173.110.131]).

2. 

2.1.

2.1.1. Die versicherte Person kann für die stationäre Behandlung unter den
Spitälern frei wählen, die auf der Spitalliste ihres Wohnkantons oder jener des
Standortkantons aufgeführt sind (Listenspital). Der Versicherer und der
Wohnkanton übernehmen bei stationärer Behandlung in einem Listenspital die
Vergütung anteilsmässig nach Artikel 49a höchstens nach dem Tarif, der in einem
Listenspital des Wohnkantons für die betreffende Behandlung gilt (Art. 41 Abs.
1bis KVG). Diese Bestimmung trat mit dem Bundesgesetz über die
Krankenversicherung (KVG; Spitalfinanzierung), Änderung vom 21. Dezember 2007
(AS 2008 2049), auf den 1. Januar 2009 in Kraft und ist, laut den
entsprechenden Übergangsbestimmungen, seit 1. Januar 2012 umzusetzen.

2.1.2. Für die Vergütung der stationären Behandlung einschliesslich Aufenthalt
und Pflegeleistungen in einem Spital (Art. 39 Abs. 1) oder einem Geburtshaus
(Art. 29) vereinbaren die Vertragsparteien Pauschalen. In der Regel sind
Fallpauschalen festzulegen. Die Pauschalen sind leistungsbezogen und beruhen
auf gesamtschweizerisch einheitlichen Strukturen. Die Vertragsparteien können
vereinbaren, dass besondere diagnostische oder therapeutische Leistungen nicht
in der Pauschale enthalten sind, sondern getrennt in Rechnung gestellt werden.
Die Spitaltarife orientieren sich an der Entschädigung jener Spitäler, welche
die tarifierte obligatorisch versicherte Leistung in der notwendigen Qualität
effizient und günstig erbringen (Art. 49 Abs. 1 KVG).

Mit den Vergütungen nach Art. 49 Abs. 1 und 4 KVG (dieser regelt die Abgrenzung
des Spitaltarifs vom Pflegeheimtarif) sind alle Ansprüche des Spitals für die
Leistungen nach diesem Gesetz abgegolten (Art. 49 Abs. 5 KVG). Damit steht die
Tarifschutzbestimmung von Art. 44 Abs. 1 Satz 1 KVG im Einklang: Die
Leistungserbringer müssen sich an die vertraglich oder behördlich festgelegten
Tarife und Preise halten und dürfen für Leistungen nach diesem Gesetz keine
weitergehenden Vergütungen berechnen.

2.2. Die Vorinstanz ist der Auffassung, dass für den Aufenthalt in der
allgemeinen Abteilung der Klinik nur die Kosten entsprechend der OKP verrechnet
werden dürften, wofür eine Tagespauschale von Fr. 369.- vereinbart worden sei.
Seit dem Systemwechsel in der Spitalfinanzierung per 1. Januar 2012 würden die
Patienten über eine freie Wahl unter den Listenspitälern verfügen. Anders als
früher sei es nach den geltenden KVG-Bestimmungen nicht mehr zulässig, bei
ausserkantonalen Patienten für die Behandlung auf der allgemeinen Abteilung
einen Zuschlag auf den im Tarifvertrag ausgehandelten pauschalen Tagessatz zu
verrechnen. Somit könne auch für allfällige Zusatzleistungen kein Zusatzhonorar
generiert werden.

2.3. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die ausserkantonale Wahlbehandlung
sei keine Pflichtleistung nach KVG, weshalb sie auch nicht dem Tarifschutz
unterstehe und dafür eine höhere Tagespauschale verlangt werden dürfe.

3.

3.1. Bis zum 31. Dezember 2008 resp. 31. Dezember 2011 galt für die hier
interessierende Spitalwahl folgende Regelung: Die Versicherten können unter den
zugelassenen Leistungserbringern, die für die Behandlung ihrer Krankheit
geeignet sind, frei wählen. Bei stationärer Behandlung muss der Versicherer die
Kosten höchstens nach dem Tarif übernehmen, der im Wohnkanton der versicherten
Person gilt (Art. 41 aAbs. 1 KVG).

Dazu entschied das Bundesgericht, dass die ausserkantonale Wahlbehandlung keine
Pflichtleistung der OKP war und daher weder dem KVG-Tarifrecht noch dem
Tarifschutz unterstand. Versicherte hatten für eine solche Behandlung - im
Sinne einer gesetzlichen Austauschbefugnis (BGE 126 III 345 E. 3c S. 351) -
aber immerhin Anspruch auf Vergütung jener Kosten, die dem Krankenversicherer
bei einer Pflichtleistung, d.h. bei einer Behandlung in einem Spital des
Wohnkantons, angefallen wären. Eine zusätzliche, darüber hinausgehende
Vergütung war somit zulässig und vom Patienten selber bzw. einer
abgeschlossenen Zusatzversicherung zu leisten (BGE 134 V 269 E. 2.5 S. 274 f.;
SVR 2013 KV Nr. 11 S. 57, 9C_630/2012 E. 6; 2010 KV Nr. 13 S. 53; 9C_569/2009
E. 3.3; Urteil 9F_4/2010 vom 21. Juni 2010 E. 2; vgl. auch BEAT MEYER,
Ausserkantonale Wahlbehandlung - Tarifschutz und Tarifgestaltung gemäss 3.
KVG-Revision, SZS 2012 S. 391 ff.; GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in:
Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 692 f. Rz. 874 und S. 721
f. Rz. 956). Damit mussten sich Leistungserbringer bei ausserkantonaler
Wahlbehandlung nicht an den KVG-Tarif, sei es ihres Standortkantons oder des
Wohnkantons von Patienten, halten.

Fraglich und zu prüfen ist, ob diese Rechtsprechung auch bei der aktuellen
Rechtslage (E. 2.1) Bestand hat.

3.2. Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der massgeblichen Norm.
Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so
muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden, wobei alle
Auslegungselemente zu berücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt
es namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zugrunde liegenden
Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die
Entstehungsgeschichte ist zwar nicht unmittelbar entscheidend, dient aber als
Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Namentlich zur Auslegung neuerer
Texte, die noch auf wenig veränderte Umstände und ein kaum gewandeltes
Rechtsverständnis treffen, kommt den Materialien eine besondere Bedeutung zu.
Vom Wortlaut darf abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass
er nicht den wahren Sinn der Regelung wiedergibt. Sind mehrere Auslegungen
möglich, ist jene zu wählen, die der Verfassung am besten entspricht (BGE 138
II 440 E. 13 S. 453; 557 E. 7.1 S. 565 f.; 138 IV 232 E. 3 S. 234 f.; 138 V 17
E. 4.2 S. 20; 137 III 217 E. 2.4.1 S. 221 f.).

3.3.

3.3.1. Im Wortlaut von Art. 41 Abs. 1bis KVG (E. 2.1.1) wird wie bereits in
jenem von Art. 41 aAbs. 1 KVG die grundsätzlich freie Spitalwahl der Patienten
statuiert. Eine Modifikation gegenüber der alten Rechtslage ergibt sich in
zweierlei Hinsicht: Einerseits kann nicht mehr jeder "zugelassene
Leistungserbringer", sondern ausschliesslich ein "Listenspital" (vgl. Art. 39
Abs. 1 lit. e KVG) gewählt werden, wobei einschränkend auf die Spitallisten des
Wohn- und des Standortkantons verwiesen wird. Anderseits liegt eine Ausweitung
des Wahlrechts darin, dass neu zusätzlich der Wohnkanton zur Kostenbeteiligung
an ausserkantonalen Wahlbehandlungen verpflichtet ist. Eine volle Kostendeckung
wird indessen auch mit der neuen Regelung nicht garantiert (vgl. MEYER, a.a.O.,
S. 397 f.), zumal Versicherer und Wohnkanton "höchstens" den für ein
Listenspital des Wohnkantons geltenden Tarif vergüten. Immerhin wird mit dem
Verweis auf Art. 49a KVG indirekt auf Art. 49 Abs. 1 KVG (E. 2.1.2) und damit
auf Tarifverträge resp. Spitaltarife für "obligatorisch versicherte Leistungen"
Bezug genommen (E. 2.1.2), was eher dafür spricht, die umstrittene Leistung der
Grundversorgung zuzuordnen.

Ob die streitbetroffene Leistung in dem Sinn dem Tarifschutz untersteht, als
über den Vertrags- resp. KVG-Tarif (vgl. Art. 46 und 47 KVG) hinaus keine
Rechnung gestellt werden darf, lässt sich allein aus dem Wortlaut von Art. 41
Abs. 1bis KVG nicht abschliessend beantworten. Aus dem französischen und
italienischen Wortlaut der Bestimmung ergibt sich nichts anderes.

3.3.2. Mit der KVG-Revision zur Spitalfinanzierung wurde der Systemwechsel von
der Objekt- zur Leistungsfinanzierung vollzogen. Die Neuregelung im
Tarifbereich sollte zu einer Stärkung des Wettbewerbsgedankens führen (vgl.
Botschaft vom 15. September 2004 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes
über die Krankenversicherung [Spitalfinanzierung], BBl 2004 5569 f. Ziff. 2.3
und 5588 Ziff. 5.3). Durch die leistungsbezogenen Pauschalen werden
grundsätzlich sämtliche Kosten (auch die Investitionskosten) abgegolten, soweit
es sich nicht um Kosten für gemeinwirtschaftliche Leistungen handelt (vgl. Art.
49 Abs. 1, 3 und 5 KVG). Die Abgeltung der stationären Leistungen erfolgt nach
einheitlichen Regeln (Art. 49a in Verbindung mit Art. 49 KVG), unabhängig
davon, ob es sich um ein öffentliches oder ein privates Spital handelt. Weil
die Pauschalen nicht kosten-, sondern leistungsbezogen festgelegt werden und
auf einer Vollkostenrechnung beruhen, kann es keine unterschiedlichen Tarife
für innerkantonale und ausserkantonale Versicherte mehr geben (vgl. BBl 2004
5569 f. Ziff. 2.3; GEBHARD EUGSTER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum KVG,
2010 [zit.: KVG], N. 9 zu Art. 41 KVG; BVGE 2013/17 E. 2.4.2.2; 2013/8 E.
2.5.2).

Im Kontext der neuen Spitalfinanzierung ist insbesondere zu berücksichtigen,
dass der Gesetzgeber auch den interkantonalen Wettbewerb fördern wollte,
welcher längerfristig zu einer Angleichung der Preise führen sollte. Um zu
verhindern, dass sich die Preise nach oben anpassen, beziehungsweise um Druck
auf Kantone mit (zu) hohen Spitalpreisen aufzubauen, wurde die Vergütung
vorerst auf den Wohnkantonstarif beschränkt. Die freie Spitalwahl mit voller
Kostenübernahme sollte erst später verwirklicht werden, wenn die beabsichtigte
Angleichung der Preise stattgefunden hat (vgl. Amtliches Bulletin der
Bundesversammlung [AB] 2007 S 750 ff., siehe auch AB 2007 N 1770 ff.; BBl 2004
5569 f. Ziff. 2.3; BVGE 2013/17 E. 2.4.3).

Der angestrebte interkantonale Wettbewerb spielt am besten, wenn die
Versicherten von ihrer Wahlfreiheit - die zu verbessern ebenfalls Ziel der
KVG-Revision war (vgl. MEYER, a.a.O., S. 400 f.) - möglichst weitgehend
Gebrauch machen. Das ist bei ausserkantonalen Wahlbehandlungen am besten
gewährleistet, wenn sie als Teil der Grundversorgung betrachtet werden und sich
deren Kosten folglich nach den Tarifbestimmungen des KVG richten. Daran ändert
nichts, dass die OKP und der Kanton lediglich den Referenztarif des Wohnkantons
vergüten, wenn dieser kleiner ist als der KVG-Tarif des Spitals, und der
Tarifschutz insofern reduziert ist (vgl. BGE 138 II 398 E. 2.3.2 S. 407).

3.3.3. In systematischer Hinsicht macht die Beschwerdeführerin geltend, dass
sie im Rahmen von Art. 41 Abs. 1bis KVG keine Aufnahmepflicht treffe (Art. 41a
KVG). Dies ist indessen insofern systemkonform, als die ausserkantonale
Wahlbehandlung auch nicht der Spitalplanung untersteht und es diesbezüglich
keinen Leistungsauftrag zu erfüllen gilt. Daraus allein lässt sich nicht
schliessen, dass sie nicht der Grundversorgung zuzurechnen resp. dem
Tarifschutz unterstellt sein soll. Hingegen lässt sich insbesondere unter dem
Aspekt der Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 1 BV) die Anwendung unterschiedlicher
Tarife einzig in Abhängigkeit vom Wohnort der Patienten angesichts des
leistungsbezogenen Finanzierungsmodells kaum rechtfertigen. Der Umstand, dass
die ausserkantonale Wahlbehandlung ausserhalb der kantonalen Spitalplanung
stattfindet, genügt dafür nicht. In diesem Zusammenhang bringt die Krankenkasse
zu Recht vor, dass ausserkantonale Patienten nicht per se Mehrkosten
verursachten.

3.3.4. In Gesamtwürdigung der dargelegten Gesichtspunkte ist die
ausserkantonale Wahlbehandlung bei der aktuellen Rechtslage der Grundversorgung
zuzurechnen und als Pflichtleistung der OKP zu qualifizieren. Als solche
untersteht sie insofern dem Tarifschutz, als dafür höchstens der KVG-Tarif des
Leistungserbringers verrechnet werden darf. Daran ändert nichts, dass die OKP
und der Kanton gegebenenfalls lediglich den niedrigeren Referenztarif des
Wohnkantons vergüten (vgl. E. 3.3.2 Abs. 2). Dieses Ergebnis entspricht denn
auch weitgehend der Umsetzung von Art. 41 Abs. 1bis KVG in der Praxis (vgl.
etwa PLATTNERet al., SÄZ 2011 S. 1585; swissDRG AG, Ausserkantonale
Hospitalisation, 2014, <http://www.swissdrg.org/de/ 02_informationen_swissDRG/
informationen_zu_swissDRG.asp> unter "freie Spitalwahl"; Service de la Santé
Publique du Canton de Neuchâtel, Note d'information aux médecins concernant les
hospitalisations hors canton, 2011, <http://www.ne.ch/autorites/DFS/SCSP/
medecin-cantonal/Pages/HospitalisationsHC.aspx>).

3.4. Sodann macht die Beschwerdeführerin geltend, die ausserkantonale
Wahlbehandlung werde durch den Tarifvertrag vom 22. Dezember 2010 nicht
abgedeckt. In der Tat ist sie vom Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 (Geltungsbereich
ab 1. Januar 2012) und Art. 6 (Pflichtleistungen) des Tarifvertrags nicht
erfasst. Dieser Umstand genügt jedoch nicht, den Tarifschutz von vornherein zu
versagen, zumal er auch im vertragslosen Zustand zu respektieren ist und der
Leistungserbringer in einer solchen Situation nicht frei ist, das Honorar
einseitig festzulegen (BGE 131 V 133 E. 6 S. 139; EUGSTER, KVG, N. 1 und 2 zu
Art. 44 KVG). Die Klinik stellt nicht die Höhe des Vertragstarifs von Fr. 369.-
pro Tag in Abrede und bestreitet auch nicht, dass dieser Tarif im Rahmen der
OKP grundsätzlich anwendbar ist. Die Frage, ob auch die ausserkantonale
Wahlbehandlung durch den genannten Tarifvertrag geregelt wird (zur Auslegung
resp. Lückenfüllung nach dem Vertrauensprinzip vgl. BGE 139 V 82 E. 3.1 S. 83
f.) oder ob diesbezüglich ein vertragsloser Zustand herrscht (vgl. Art. 47 Abs.
2 KVG), muss an dieser Stelle nicht beantwortet werden; diesbezüglich fehlt es
ohnehin an substanziierten Ausführungen der Beschwerdeführerin (vgl. zur
Begründungs- und Rügepflicht Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1
S. 254).

3.5. Schliesslich wird in der Beschwerde auch nicht (substanziiert) dargelegt,
inwiefern "ausserkantonale" im Vergleich zu einheimischen Patienten von echten
Mehrleistungen (vgl. BGE 135 V 443 E. 2.2 S. 446 f.; vgl. auch etwa SVR 2015 KV
Nr. 2 S. 6, 9C_108/2014 E. 3.5) profitiert haben sollen. Somit braucht nicht
geprüft zu werden, ob solche Mehrleistungen zu Unrecht über die Tagespauschale
von Fr. 369.- abgegolten wurden. Die Beschwerde ist unbegründet.

4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegegnerin hat
keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1200.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 25. März 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Dormann

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