Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 884/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
9C_884/2014        
{T 0/2}

Urteil vom 24. April 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
handelnd durch Rechtsanwalt Hans Schmidt,
und dieser vertreten durch
Rechtsanwalt Sebastian Lorentz,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 29. Oktober 2014.

Sachverhalt:

A. 
Die 1963 geborene A.________, Mutter dreier 1992, 1993 und 1994 geborener
Kinder, von Beruf Unternehmensberaterin, meldete sich am 4. Oktober 2006 unter
Hinweis auf verschiedene orthopädische Probleme und psychische
Beeinträchtigungen bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Als Folge
mehrerer Unfälle und eines Burnout blieb sie ab 1. Dezember 2003 in
unterschiedlichem Ausmass der Arbeit fern. Ab 20. Dezember 2007 wurde ihr eine
dauernde Arbeitsunfähigkeit von 50 % bescheinigt. Die IV-Stelle des Kantons
Aargau klärte die gesundheitliche und erwerbliche Situation der Versicherten
ab. Mit Verfügung vom 20. April 2010 sprach sie A.________ rückwirkend ab 1.
Oktober 2005 bis 31. August 2008 für verschiedene Zeitabschnitte
Invalidenrenten in unterschiedlicher Höhe zu. Auf Beschwerde hin wies das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Sache mit Entscheid vom 30. Mai
2012 zu weiteren Abklärungen und neuer Verfügung an die Verwaltung zurück.
Diese traf zusätzliche Abklärungen. Die Versicherte reichte einen Bericht des
Prof. Dr. med. B.________, Chefarzt Orthopädie und Traumatologie des
Bewegungsapparates am Spital C.________, vom 5. August 2013 ein, welchen die
IV-Stelle Frau Dr. med. D.________ vom Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD)
unterbreitete (Stellungnahme vom 15. August 2013). Am 30. August 2013 erliess
die IV-Stelle sechs Verfügungen, mit welchen sie A.________ vom 1. Oktober 2005
bis 31. August 2006 sowie vom 1. Oktober 2006 bis 31. August 2008 wiederum
Invalidenrenten in unterschiedlicher Höhe zusprach und ihr zusätzlich ab 1.
Januar 2009 bis 28. Februar 2011 eine ganze Invalidenrente gewährte.

B. 
A.________ liess Beschwerde führen mit den Rechtsbegehren, unter Aufhebungen
der Verfügungen sei ihr eine ganze Invalidenrente ab 1. Oktober 2005 bis 17.
September 2013, mindestens bis zum Abschluss der Heilbehandlung, zuzusprechen.
Die Sache sei sodann zur Abklärung der weiteren Leistungsansprüche ab 17.
September 2013, oder ab Abschluss der Heilbehandlung an die IV-Stelle
zurückzuweisen. Mit Entscheid vom 29. Oktober 2014 wies das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Beschwerde ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der
Verfügungen sei ihr für den Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis mindestens 15.
Oktober 2013 eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung zuzusprechen.
Ferner seien ihr die Kosten für die Abklärung durch Prof. Dr. med. B.________
im Betrag von Fr. 1'200.- zu vergüten; eventuell sei die Sache zur Durchführung
einer Begutachtung und zu neuer Entscheidung an das kantonale Gericht
zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht sie um die Anordnung
eines zweiten Schriftenwechsels.

Erwägungen:

1. 
Ein Schriftenwechsel ist im vorliegenden Fall nicht erforderlich (vgl. Art. 102
Abs. 1 BGG). Damit entfällt auch die Durchführung eines zweiten
Schriftenwechsels, weshalb der entsprechende nicht substanziierte begründete
Verfahrensantrag der Beschwerdeführerin gegenstandslos ist.

2. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

3. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den nach dem
Invaliditätsgrad abgestuften Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1
und 2 IVG), die Bedeutung ärztlicher Auskünfte für die Belange der
Invaliditätsbemessung (BGE 132 V 93 E. 4 S. 99 f. mit Hinweisen) sowie die
freie Beweiswürdigung (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352; vgl. auch BGE 132 V 393 E.
2.1 S. 396) zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen. Ergänzend ist Art.
16 ATSG zu erwähnen. Danach wird für die Bestimmung des Invaliditätsgrades bei
Erwerbstätigen das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt
der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und
allfälligen Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei
ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum
Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden
wäre.

4.

4.1. In einlässlicher und nachvollziehbarer Würdigung der medizinischen
Unterlagen, worunter ein Gutachten des Zentrums E.________ vom 8. September
2011, das im Auftrag der Unfallversicherung erstattet worden war, von der
Versicherten eingereichte Berichte des Prof. Dr. med. B.________ vom 5. August
2013, 22. April 2014 und 15. Juli 2014 sowie Stellungnahmen der RAD-Ärzte Dr.
med. F.________, Facharzt FMH für orthopädische Chirurgie und Traumatologie des
Bewegungsapparates (vom 21. und 22. Mai 2014) und Frau Dr. med. D.________ (vom
22. Mai 2014) gelangte die Vorinstanz zur Auffassung, dass die Befunde der
Versicherten weiterhin nicht hinreichend objektivierbar seien. Sie bestätigte
die abgestuften Rentenzusprechungen ab 1. Oktober 2005 bis 28. Februar 2011 und
stellte im Übrigen auf die Expertise des Zentrums E.________ ab. Demnach sei
trotz der verminderten Belastbarkeit der unteren Extremitäten keine
signifikante Einschränkung der Arbeitsfähigkeit in einer körperlich leichten
Tätigkeit ausgewiesen. Für die Diskrepanz zwischen dem Ausmass der subjektiv
geklagten Beschwerden und der objektivierbaren Befunde seien aufgrund der
aktuellen psychiatrischen Beurteilung ein chronisches Schmerzsyndrom mit
somatischen und psychischen Faktoren sowie akzentuierte Persönlichkeitszüge mit
histrionischen und zwanghaften Anteilen verantwortlich. Die vom Zentrum
E.________ abweichende Einschätzung erachtete die Vorinstanz nicht als
massgeblich; Prof. Dr. med. B.________ habe keine Argumente dargelegt, welche
die Stellungnahme zur Arbeitsunfähigkeit im Gutachten des Zentrums E.________
in Frage zu stellen vermöchten.

4.2. Demgegenüber stützt sich die Beschwerdeführerin auf den Bericht des Prof.
Dr. med. B.________ vom 22. April 2014, der in der klinischen Untersuchung
objektivierbare Befunde festgestellt habe. Der Arzt weise darauf hin, dass die
von ihm durchgeführte Operation vom 17. September 2013 zu Beschwerdefreiheit
und Aufhebung des Instabilitätsgefühls geführt hat. Des Weiteren zieht die
Versicherte die Schlüssigkeit und Beweiskraft des Gutachtens des Zentrums
E.________ in Frage. Die Vorinstanz habe übersehen, dass eine neue Diagnose
vorliegt und Prof. Dr. med. B.________ eine erfolgreiche Reoperation
vorgenommen hat.

4.3. Dem Operationsbericht des Prof. Dr. med. B.________ vom 17. September 2013
können keine näheren Angaben zum Grad der Arbeitsunfähigkeit der Versicherten
entnommen werden, welche mit Bezug auf den Verfügungszeitpunkt vom 30. August
2013 ein im Vergleich zur Expertise des Zentrums E.________ abweichendes Bild
zeigen würden. Der nächste gutachterliche Bericht des Prof. Dr. med.
B.________, den die Beschwerdeführerin mit der vorinstanzlichen Replik
eingereicht hat, datiert vom 22. April 2014. Darin wird auf den Erfolg des
operativen Eingriffs vom 17. September 2013 mit anschliessender
Beschwerdefreiheit hingewiesen und festgehalten, dass die Versicherte bei der
Erstuntersuchung am 25. Juli 2013 höchstens zu 50 % arbeitsfähig gewesen sei.
Am 5. August 2014 legte die Beschwerdeführerin schliesslich einen weiteren
Bericht des Prof. Dr. med. B.________ vom 15. Juli 2014 ins Recht, der zu einer
Beurteilung des RAD Stellung nimmt. Zu beachten ist, dass nebst dem
Operationsdatum (17. September 2013) auch die beiden Berichte des Prof. Dr.
med. B.________ (vom 22. April und 15. Juli 2014) nicht in den
rechtsprechungsgemäss (BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220; SVR 2014 IV-Nr. 6 S. 25,
9C_656/2013 E. 3.1) massgebenden Zeitraum bis zum Erlass der
Verwaltungsverfügung (hier: 30. August 2013) fallen und deshalb im vorliegenden
Verfahren grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind. Soweit sie allerdings
Rückschlüsse auf die Arbeitsfähigkeit der Versicherten Ende August 2013
zulassen, können die ärztlichen Stellungnahmen in die Beurteilung einbezogen
werden (vgl. BGE 118 V 200 E. 3a in fine S. 204, 99 V 98 E. 4 S. 102). Dies
trifft hier insoweit zu, als Prof. Dr. med. B.________ im vorinstanzlich
aufgelegten Bericht vom 22. April 2014 festhält, die Versicherte sei seit der
Operation vom 17. September 2013 und der anschliessenden Rehabilitation
praktisch beschwerdefrei. Hinsichtlich des Grades der Arbeitsunfähigkeit im
Verfügungszeitpunkt enthalten die Stellungnahmen des Prof. Dr. med. B.________
keine neuen Erkenntnisse. Wenn dieser die Arbeitsunfähigkeit nachträglich, im
Bericht vom 22. April 2014, für den Zeitpunkt der erstmaligen Konsultation am
25. Juli 2013 auf 40 oder 50 % und damit wesentlich höher als das Zentrum
E.________ veranschlagt, kann daraus nicht auf offensichtlich unrichtige
Einschätzungen der medizinischen Gutachter geschlossen werden. Ebenso könnte
diese spätere Einschätzung der nachträglichen Rechtfertigung der Operation vom
17. September 2013 dienen, deren Indikation nicht unbestritten war. Hinzu
kommt, dass Prof. Dr. med. B.________ sich bei seiner
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht auf zumutbare Verweisungstätigkeiten
bezieht, wie die Vorinstanz richtig bemerkt. Damit entfällt deren
Verwendbarkeit für die Belange der Invaliditätsbemessung. Es hat daher bei der
vorinstanzlichen Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit zu bleiben, welche weder
willkürlich ist noch anderweitig auf einer Bundesrechtsverletzung beruht.

5. 
Hinsichtlich der jeweiligen Invaliditätsgrade ab 1. Oktober 2005 bis 28.
Februar 2011 sowie der abgestuften und befristeten Renten wird auf den
angefochtenen Entscheid verwiesen. Darin hat das kantonale Gericht den
jeweiligen Invaliditätsgrad zu Recht aufgrund eines Prozentvergleichs (s. dazu
BGE 114 V 310 E. 3a S. 312 f.) festgelegt. Da die vorinstanzliche
Sachverhaltsermittlung anhand der ärztlichen Stellungnahmen zum Grad der
Arbeitsunfähigkeit nicht offensichtlich unrichtig ist, steht nichts entgegen,
darauf für die Invaliditätsbemessung abzustellen. Weil sich die exakten
Erwerbseinbussen der Beschwerdeführerin seit 2005 nicht mehr genau beziffern
lassen, ist der Prozentvergleich die einzige Invaliditätsbemessungsmethode,
welche unter den gegebenen Umständen ein korrektes Ergebnis zeitigt.

6. 
Entgegen der Behauptung der Versicherten sind sodann die getroffenen
medizinischen Abklärungen vollständig und erlauben eine hinreichend schlüssige
Beurteilung des geltend gemachten Invalidenrentenanspruchs. Von
Aktenergänzungen in medizinischer Hinsicht, insbesondere der Rückweisung der
Sache an die Vorinstanz zur Anordnung eines Gerichtsgutachtens, wie in der
Beschwerde beantragt wird, ist daher abzusehen. Der entsprechende
Eventualantrag ist unbegründet.

7. 
Was schliesslich die Übernahme der Abklärungskosten des Prof. Dr. med.
B.________ betrifft, dessen Berichte die Versicherte im vorinstanzlichen
Verfahren aufgelegt hat, ist auf Art. 45 Abs. 1 Satz 2 ATSG zu verweisen.
Danach übernimmt der Versicherungsträger, der keine Massnahmen angeordnet hat,
deren Kosten dann, wenn die Massnahmen für die Beurteilung des Anspruchs
unerlässlich waren oder Bestandteil nachträglich zugesprochener Leistungen
bilden (vgl. SVR 2014 IV Nr. 11 S. 44, 9C_921/2013). Diese Voraussetzungen für
eine Vergütung der Abklärungskosten durch die IV-Stelle sind nicht erfüllt,
weshalb auch diesem Antrag nicht statt zu geben ist.

8. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosen der unterliegenden
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der Stiftung G.________ schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 24. April 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Widmer

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