Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 882/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_882/2014

Urteil vom 23. Juni 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Fäh,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 15. Oktober 2014.

Sachverhalt:

A. 
Der 1968 geborenen A.________ meldete sich im Dezember 2008 unter Hinweis auf
einen am 2. Juni 2008 erlittenen Unfall bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 13. Januar 2011 sprach ihm die IV-Stelle
des Kantons Zürich eine ganze Invalidenrente ab 1. Juni 2009 zu
(Invaliditätsgrad von 100 %). Im Januar 2012 leitete sie ein Revisionsverfahren
ein. Dabei wurde ihr u.a. der Bericht des Kreisarztes der SUVA, Dr. med.
B.________, vom 30. November 2010 zugestellt. Nach weiteren Abklärungen und
Durchführung des Vorbescheidverfahrens ermittelte die IV-Stelle unter Hinweis
auf einen verbesserten Gesundheitszustand einen Invaliditätsgrad von 34 % und
hob die Invalidenrente mit Verfügung vom 19. März 2013 auf das Ende des der
Zustellung folgenden Monats auf.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 15. Oktober 2014 ab mit der substituierten Begründung,
die ursprüngliche Rentenzusprache sei zweifellos unrichtig gewesen.

C. 
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
beantragen, unter Aufhebung des Entscheids vom 15. Oktober 2014 sei ihm auch
weiterhin mindestens eine halbe Invalidenrente auszurichten.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Das kantonale Gericht ist der Auffassung, der Bericht des Kreisarztes vom 30.
November 2010 sei bereits vor Erlass der Verfügung vom 13. Januar 2011
erstattet worden, weshalb sich daraus kein Revisionsgrund im Sinne von Art. 17
Abs. 1 ATSG ableiten lasse. Indessen sei die rentenzusprechende Verfügung
zweifellos unrichtig gewesen und im Sinne von Art. 53 Abs. 2 ATSG in
Wiedererwägung zu ziehen. Es hat - gestützt auf den Bericht des Kreisarztes vom
30. November 2010 und unter Verweis auf das psychiatrische Gutachten des Dr.
med. C.________ vom 27. November 2012 - für leidensangepasste Tätigkeiten eine
uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit festgestellt und einen Invaliditätsgrad von
30 % ermittelt. Folglich hat es die auf Ende April 2013 angeordnete
Rentenaufhebung mit substituierter Begründung bestätigt.

Der Beschwerdeführer stellt in Abrede, dass die ursprüngliche Rentenzusprache
zweifellos unrichtig erfolgte.

3.

3.1. 

3.1.1. Nach Art. 53 Abs. 2 ATSG (SR 830.1) in Verbindung mit Art. 2 ATSG und
Art. 1 Abs. 1 IVG kann die IV-Stelle jederzeit auf formell rechtskräftige
Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos
unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Mit
der gleichen Begründung kann die Beschwerdeinstanz die zunächst auf Art. 17
ATSG gestützte Rentenaufhebung schützen (SVR 2011 IV Nr. 20 S. 53, 9C_303/2010
E. 4).

3.1.2. Die Wiedererwägung im Sinne dieser Bestimmung dient der Korrektur einer
anfänglich unrichtigen Rechtsanwendung einschliesslich unrichtiger Feststellung
im Sinne der Würdigung des Sachverhalts (BGE 117 V 8 E. 2c S. 17 mit Hinweis;
Urteile 9C_290/2009 vom 25. September 2009 E. 3.1.3; 9C_215/2007 vom 2. Juli
2007 E. 3.1). Darunter fällt insbesondere eine unvollständige
Sachverhaltsabklärung aufgrund einer klaren Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes (vgl. Art. 43 Abs. 1 ATSG und Art. 61 lit. c ATSG;
Urteile 9C_877/2011 vom 22. Mai 2012 E. 3.1; 9C_466/2010 vom 23. August 2010 E.
3.2.2). Eine auf keiner nachvollziehbaren ärztlichen Einschätzung der
massgeblichen Arbeitsfähigkeit beruhende Invaliditätsbemessung ist nicht
rechtskonform und die entsprechende Verfügung zweifellos unrichtig im
wiedererwägungsrechtlichen Sinne (Plädoyer 2011/1 S. 65, 9C_760/2010 E. 2 mit
Hinweisen; Urteil 9C_290/2009 vom 25. September 2009 E. 3.1.3 mit Hinweisen).

3.2. Ob die Verwaltung bei der Rentenzusprache den Untersuchungsgrundsatz (vgl.
Art. 43 Abs. 1 ATSG; BGE 132 V 93 E. 4 S. 99 f.; zur Rechtslage vor
Inkrafttreten des ATSG vgl. SVR 2006 IV Nr. 10 S. 38, I 457/04 E. 2.2 und 4.1)
und andere bundesrechtliche Vorschriften beachtet hat, ist frei überprüfbare
Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteile 9C_397/2012 vom 30.
Oktober 2012 E. 3.2; 9C_941/2008 vom 18. Februar 2009 E. 3.2).

3.3. Die Vorinstanz hat festgestellt, Grundlage für die Rentenzusprache sei das
Gutachten des Centers D.________ vom 28. Mai 2010 gewesen. Darin sei
festgehalten worden, eine Präzisierung des nach abgeschlossener chirurgischer
Behandlung zu erwartenden Zumutbarkeitsprofils sei noch nicht möglich; damit
hätten die Experten des Centers D.________ eine Arbeitsfähigkeit in
Verweistätigkeiten vom (geplanten) chirurgischen Eingriff am linken Kniegelenk
abhängig gemacht. Dem Bericht der Klinik E.________ vom 29. Oktober 2010 (am 3.
November 2010 in die Akten der IV-Stelle eingegangen) sei zu entnehmen gewesen,
dass von einer derartigen Operation abgesehen werde. Die Verfügung vom 13.
Januar 2011 habe somit auf der unzutreffenden Annahme beruht, dass in Bezug auf
das linke Knie noch chirurgischer Handlungsbedarf bestehe.

3.4. Diese Feststellungen werden nicht bestritten und sind auch nicht
offensichtlich unrichtig; sie bleiben für das Bundesgericht verbindlich (E. 1).
Sie genügen indessen nicht für die Qualifikation der ursprünglichen
Rentenzusprache als zweifellos unrichtig. Es bleibt zu ergänzen und
berücksichtigen, dass im interdisziplinären Gutachten des Centers D.________
als Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit einerseits die
Beschwerden im Zusammenhang mit dem linken Kniegelenk und anderseits
persistierende Thoraxschmerzen nach stumpfem Thoraxtrauma und Minithorakotomie
mit Adhäsiolyse genannt wurden. Die Experten attestierten für den Zeitpunkt der
Gutachtenserstellung eine vollständige Arbeitsunfähigkeit. Sie hielten sowohl
im Knie- als auch im Thoraxbereich eine weitere Behandlung für erforderlich und
gingen davon aus, dass erst nach deren Fortführung wieder eine Arbeitsfähigkeit
zu erwarten sei; folglich empfahlen sie auch eine Reevaluation nach Ablauf
eines Jahres. Bei diesen ärztlichen Einschätzungen gilt es dem Umstand Rechnung
zu tragen, dass sie von der Natur der Sache her unausweichlich Ermessenszüge
tragen (BGE 137 V 210 E. 3.4.2.3 S. 253; Urteil 8C_25/2013 vom 20. August 2013
E. 5.1; vgl. auch Urteil 9C_465/2013 vom 27. September 2013 E. 3.4). Der
Regionale Ärztliche Dienst hielt das Gutachten denn auch für überzeugend. Somit
kann - selbst wenn das Gutachten des Centers D.________ nicht in allen Teilen
gleichermassen überzeugt - nicht gesagt werden, dass die Rentenzusprache auf
keiner nachvollziehbaren ärztlichen Einschätzung der massgeblichen
Arbeitsfähigkeit beruht habe oder dass der Verzicht auf weitere Abklärungen
eine klare Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes darstelle (E. 3.1.2).

Daran ändert nichts, dass die Ärzte der Klinik E.________ rund ein halbes Jahr
nach Erstellung des Gutachtens von einer Knieoperation abrieten und ein rein
konservatives Vorgehen empfahlen, zumal sie in ihrem Bericht vom 29. Oktober
2010 ebenfalls keine Arbeitsfähigkeit attestierten. Damit scheidet die
wiedererwägungsweise Aufhebung der Verfügung vom 13. Januar 2011 mangels
zweifelloser Unrichtigkeit aus.

3.5.

3.5.1. Das kantonale Gericht ist davon ausgegangen, dass die uneingeschränkte
Arbeitsfähigkeit für leidensangepasste Tätigkeiten mit dem Bericht des
Kreisarztes vom 30. November 2010 und somit bereits vor der am 13. Januar 2011
erfolgten Rentenzusprache feststand. Dass diese Feststellungen offensichtlich
unrichtig sein sollen, ist nicht ersichtlich und wird von der IV-Stelle nicht
geltend gemacht; sie bleiben für das Bundesgericht verbindlich (E. 1). Mit
Blick auf den massgeblichen Vergleichszeitpunkt (BGE 133 V 108 E. 5 S. 110 ff.;
SVR 2015 IV Nr. 6 S. 13, 9C_350/2014 E. 2.2; 2012 IV Nr. 12 S. 61, 9C_226/2011
E. 4.3.1) steht somit fest, dass eine Verbesserung der Arbeitsfähigkeit und
folglich auch eine revisionsweise Rentenherabsetzung resp. -aufhebung (Art. 17
Abs. 1 ATSG) ausgeschlossen ist.

3.5.2. Dass die Invalidenrente des Versicherten unter einem anderen Titel (Art.
53 Abs. 1 ATSG, lit. a Abs. 1 der Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März
2011 des IVG [6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket]) herabgesetzt resp.
aufgehoben werden könnte, ist nicht ersichtlich und wird auch von der IV-Stelle
nicht geltend gemacht. Somit bleibt es beim bisherigen Rentenanspruch; die
Beschwerde ist begründet.

4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer hat
Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 15. Oktober 2014 und die Verfügung der IV-Stelle des
Kantons Zürich vom 19. März 2013 werden aufgehoben. Der Beschwerdeführer hat
über den 30. April 2013 hinaus Anspruch auf eine ganze Invalidenrente.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. Juni 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Dormann

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