Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 881/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_881/2014

Urteil vom 8. Juli 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
Pensionskasse Appenzell Ausserrhoden, Kasernenstrasse 6, 9102 Herisau,
vertreten durch Rechtsanwalt Hans-Peter Stäger,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Regula Schmid,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge (Hinterlassenenleistung),

Beschwerde gegen den Entscheid
des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden
vom 2. Juli 2014.

Sachverhalt:

A.

A.a. B.A.________ war 1960 geboren und mit A.A.________ verheiratet. Tochter
C.A.________ ist 1998, Sohn D.A.________ 2000 geboren. B.A.________ war als
Anwalt im Kanton Appenzell Ausserrhoden mit einem Pensum von 65 % tätig. Am ...
2007 verstarb er. Mit Entscheid vom 24. Oktober 2008 beschied die Pensionskasse
Appenzell Ausserrhoden der Witwe, das hypothetische Einkommen sei aufgrund
eines Beschäftigungsgrades von 65 % festzulegen. Es lägen keine konkreten
Hinweise dafür vor, dass der Versicherte am 1. Januar 2008 mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit das Pensum erhöht oder neben der Anstellung als Anwalt
andere Einkünfte erzielt hätte. Die von A.A.________ beim Verwaltungsgericht
Appenzell Ausserrhoden gegen die Rentenfestsetzung erhobene Klage wies dieses
mit Entscheid vom 21. Oktober 2009 und das Bundesgericht die dagegen
eingereichte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil
9C_249/2010 vom 14. Mai 2010 ab.

A.b. Die Pensionskasse eröffnete A.A.________ am 22. Oktober 2013 einen
"Rentenbescheid" mit Wirkung ab Anfang 2013. Sie wies darauf hin, da für eine
Erhöhung des Beschäftigungsgrades bzw. eine berufliche Karriere des
Verstorbenen keine konkreten Hinweise bestehen würden, werde der mutmassliche
Verdienst weiterhin ausgehend von einem Pensum von 65 % berechnet.

B. 
Gegen diesen "Bescheid" liess A.A.________ mit Schreiben vom 9. Dezember 2013
beim Obergericht Appenzell Ausserrhoden Klage erheben. In teilweiser
Gutheissung der Klage erkannte dieses mit Entscheid vom 2. Juli 2014, die
Pensionskasse habe A.A.________ ab 1. August 2013 Leistungen auf der Grundlage
eines Beschäftigungsgrades des verstorbenen Ehemanns von 80 % auszurichten.

C. 
Die Pensionskasse erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten.
Sie beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und vollumfängliche
Abweisung der Klage.

A.A.________ beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Streitig ist die Frage nach dem hypothetischen Beschäftigungsgrad des
verstorbenen Versicherten ab 1. August 2013 sowie nach einer allfälligen
Überentschädigung.

3.

3.1. Die Vorinstanz entschied, bei der Beantwortung der Frage, mit welchem
Beschäftigungsgrad der Verstorbene zum massgeblichen Zeitpunkt erwerbstätig
gewesen wäre, würden Änderungen nur berücksichtigt, wenn deren Eintritt sehr
wahrscheinlich sei. Blosse Absichtserklärungen genügten nicht. Bei der
Festsetzung des mutmasslich entgangenen Verdienstes sei den spezifischen
Gegebenheiten und tatsächlichen Chancen des Versicherten auf dem jeweiligen
Arbeitsmarkt Rechnung zu tragen. Für den Beweis dieser hypothetischen Tatsache
sei der Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erforderlich.
Vorliegend hätten bereits im Jahr 2008 an der Schule Tagesstrukturen für die
Kinder bestanden, was den Verstorbenen nicht zu einer Erhöhung seines Pensums
veranlasst habe. Auch habe er drei Tage vor seinem Unfalltod ausdrücklich keine
Erhöhung seines Arbeitspensums beantragt. Der Übertritt des jüngeren Kindes in
die Oberstufe stelle nun jedoch einen relevanten Umstand dar: Es dürfe mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Verstorbene
nun wieder zu 80 % erwerbstätig geworden wäre, wie er es schon vor der Geburt
der Kinder gewesen sei. Die Pensionskasse habe deshalb ab 1. August 2013
Leistungen auf der Grundlage eines Beschäftigungsgrades von 80 % auszurichten.

3.2. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt unrichtig
festgestellt, wenn sie davon ausgegangen sei, dass der Übertritt des Sohnes in
die Oberstufe mit Bezug auf die Betreuungsarbeit eine erhebliche Entlastung zur
Folge gehabt hätte. Dies anzunehmen sei bei einem unveränderten Sachverhalt
willkürlich und offensichtlich unrichtig, jedoch entscheidrelevant.

3.3. Die Beschwerdegegnerin hält dagegen, beide Kinder besuchten nun die
Oberstufe und benötigten keine Mittagsbetreuung mehr. Die Vorinstanz sei nach
Abwägung der persönlichen, familiären, sozialen und finanziellen Verhältnisse
zu Recht zum Schluss gekommen, dass der Versicherte wie vor der Geburt der
Kinder heute wieder zu 80 % arbeiten würde. Es sei sogar davon auszugehen, dass
er sich als Rechtsanwalt neu orientiert und nicht einfach sein Arbeitspensum am
gleichen Ort aufgestockt hätte. Die Sachverhaltsfeststellung sei deshalb weder
offensichtlich unrichtig noch beruhe sie auf einer Rechtsverletzung.

3.4. Die Vorinstanz hat den Sachverhalt keineswegs offensichtlich unrichtig
festgestellt, wenn sie davon ausgegangen ist, dass der Übertritt des jüngeren
Sohnes in die Oberstufe eine Anpassung des Pensums des Vaters zur Folge gehabt
hätte. Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine
andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die
plausiblere erscheint (vgl. statt vieler Urteil 9C_853/2014 vom 23. Juni 2015
E. 1). Davon, dass der gleiche Sachverhalt (selbst bestehende Tagesstrukturen
an den Schulen hatten eine Pensenerhöhung nicht überwiegend wahrscheinlich
gemacht) unterschiedlich beurteilt und damit der Grundsatz von Treu und Glauben
verletzt werde, kann nicht die Rede sein. Mit dem Übertritt des jüngeren Sohnes
in die Oberstufe geht eine insgesamt weitergehende Selbstständigkeit beider
Kinder einher, die - unabhängig einer schulisch angebotenen Tagesstruktur,
deren Inanspruchnahme (insbesondere die nachschulischen Obhutsmöglichkeiten)
nicht zwingend war - zu mehr Spielraum geführt hätte. Wohl hat die Vorinstanz
diesen Umstand nicht explizit ausformuliert. Dessen ungeachtet enthält der
vorinstanzliche Entscheid in diesem Punkt die nötigen Erwägungen, damit die
Beschwerdeführerin diesen sachgerecht anfechten konnte. Eine Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör ist deshalb ebenfalls zu verneinen.

4. 
Die Klage geht auf einen betraglich festgelegten Betrag und beinhaltete den
Antrag, es sei auf eine Kürzung der Hinterlassenenrenten ab 1. August 2013 zu
verzichten. Die Vorinstanz hat nicht darüber, insbesondere nicht über das
Massliche, befunden, sondern (implizit) die Sache an die Beschwerdeführerin
zurück gewiesen, damit diese Leistungen auf der Grundlage eines
Beschäftigungsgrades des verstorbenen Versicherten von 80 % ausrichte. Dies
geht nicht an (vgl. BGE 129 V 450 E. 3.3 S. 453; Urteil 9C_849/2011 vom 13.
August 2012).

5. 
Nach dem Gesagten wird das kantonale Gericht über die ihm unterbreiteten
Klagebegehren masslich entscheiden und die sich dabei (vorgängig) aufdrängenden
zusätzlichen Abklärungen und Fragen, vor allem in Bezug auf die anwendbare
Überentschädigungsregelung, durchführen und beurteilen.

6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG; Urteil 9C_75/2015 vom 11.
Mai 2015 E. 5).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Obergerichts
Appenzell Ausserrhoden, 3. Abteilung, vom 2. Juli 2014 wird aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen
wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. Juli 2015
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Schmutz

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