Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 867/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_867/2014

Urteil vom 11. August 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Furrer.

Verfahrensbeteiligte
 Vaudoise Leben Versicherungs-Gesellschaft AG, Place de Milan, 1007 Lausanne,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat Frischkopf,
Beschwerdeführerin,

gegen

 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Thomas Rebsamen,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Luzern vom
23. Oktober 2014.

Sachverhalt:

A. 
Der 1969 geborene A.________, im Haupterwerb als Chauffeur bei der Chäsi
B.________ und im Nebenerwerb als Landwirt tätig gewesen, schloss mit der
Vaudoise Leben Versicherungs-Gesellschaft AG (fortan: Vaudoise) zwei
Vorsorgeversicherungen der gebundenen Vorsorge (Säule 3a) ab (Police Nr.
4182748801 mit Versicherungsbeginn 1. September 2002; Police Nr. 4182748802 mit
Versicherungsbeginn 1. Dezember 2004). Die versicherten Leistungen umfassen im
Todesfall die Ausrichtung von je Fr. 100'000.- und bei Erwerbsunfähigkeit die
Prämienbefreiung des gesamten Vertrags (Wartefrist von drei Monaten). Die
Police Nr. 4182748802 sieht überdies bei Erwerbsunfähigkeit eine jährliche
Rente von Fr. 15'000.- vor (Wartefrist von 24 Monaten).

Am 5. März 2006 zog sich A.________ bei einem Verkehrsunfall Frakturen im
Schulter- und Beckenbereich zu. Mit Schreiben vom 29. Mai 2008 teilte die
Vaudoise mit, aus der Vorsorge-Police Nr. 4182748802 stehe ihm ab 5. März 2008
(Ablauf der 24-monatigen Wartefrist) bis 31. Mai 2008 Rentenleistungen von Fr.
3'583.30 auf der Basis einer Erwerbsunfähigkeit von 100 % zu, auch werde von 1.
März bis 31. Mai 2008 eine Prämienbefreiung im Betrag von Fr. 254.20 gewährt.
Am 20. Juni 2008 forderte die Vaudoise ebendiese Leistungen sowie betreffend
die Police Nr. 4182748801 den Betrag von Fr. 62.20 (Prämienbefreiung von 1.
März bis 31. Mai 2008) zurück, da gemäss Akten der Invalidenversicherung (IV)
seit Mitte Februar 2008 in einer angepassten Tätigkeit eine volle
Arbeitsfähigkeit bestehe. A.________ und die Vaudoise waren sich in der
folgenden Korrespondenz uneinig über die gegenseitigen Leistungsansprüche. Am
28. Mai 2010 setzte A.________ den Betrag von Fr. 15'000.- in Betreibung.

Die IV-Stelle Luzern sprach A.________ mit Verfügung vom 20. März 2012 eine von
1. März 2007 bis 30. April 2008 befristete ganze Invalidenrente zu
(Invaliditätsgrad von 100 %). Für den Zeitraum ab 1. Mai 2008 verneinte sie
einen Rentenanspruch (Invaliditätsgrad von 29 %).

B. 
A.________ erhob - nachdem er zunächst an das Bezirksgericht C.________ gelangt
war (Klage vom 25. September 2012; Nichteintretensentscheid vom 4. Februar
2013) - am 4. März 2013 beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern (heute:
Kantonsgericht Luzern) Klage mit den (sinngemässen) Rechtsbegehren, die
Vaudoise sei zu verpflichten, ihm von Juni 2008 bis und mit Mai 2012 pro
Quartal Fr. 1'087.50 zuzüglich 5 % Verzugszins ab Ende des jeweiligen Quartals
zu bezahlen, abzüglich Fr. 2'724.65. Ferner sei die Beklagte zu verpflichten,
für beide Policen Prämienbefreiung von 29 % seit 1. Januar 2008 zu gewähren.

Das Kantonsgericht Luzern hiess die Klage mit Entscheid vom 23. Oktober 2014
gut. Es verpflichtete die Vaudoise, dem Kläger aus der gebundenen
Vorsorge-Police Nr. 4182748802 bei einem Erwerbsunfähigkeitsgrad von 29 % für
den Zeitraum von Juni 2008 bis Mai 2012 insgesamt Fr. 14'855.85 zuzüglich 5 %
Zins auf Fr. 6'155.85 seit 28. Mai 2010 (Betreibung) sowie zuzüglich 5 % Zins
auf Fr. 8'700.- ab 25. September 2012 (erstmalige Klageeinreichung) zu
bezahlen. Zudem verpflichtete es die Vaudoise, den Kläger von den jährlichen
Prämien aus den gebundenen Vorsorge-Policen Nr. 41827748801 und Nr. 41827748802
wie folgt zu befreien: Für 2008 im Betrag von Fr. 73.90 bzw. 126.20, für 2009
im Betrag von Fr. 76.- bzw. 319.75, für 2010 im Betrag von Fr. 78.45 bzw. Fr.
333.90 und für 2011 im Betrag von Fr. 81.45 bzw. Fr. 349.55.

C. 
Hiegegen erhebt die Vaudoise Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten und beantragt, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei
die Klage vom 4. März 2013 abzuweisen.
Während der Beschwerdegegner auf Abweisung der Beschwerde schliesst, lässt sich
das Bundesamt für Sozialversicherungen nicht vernehmen.

Erwägungen:

1.

1.1. Streitig ist die Leistungspflicht der Beschwerdeführerin aus zwei
gebundenen Vorsorgeversicherungen der Säule 3a nach Art. 82 Abs. 2 BVG und Art.
1 Abs. 1 lit. a der Verordnung über die steuerliche Abzugsberechtigung für
Beiträge an anerkannte Vorsorgeformen vom 13. November 1985 (BVV 3; SR
831.461.3). Solche Streitigkeiten fallen in die sachliche Zuständigkeit der
Berufsvorsorgegerichte (Art. 73 Abs. 1 lit. b BVG). Letztinstanzlich ist die
II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts zuständig (Art. 35 lit. e des
Reglementes für das Bundesgericht vom 20. November 2006 [SR 173.110.131] in
Verbindung mit Art. 49 und Art. 73 BVG; Urteile 9C_199/2008 vom 19. November
2008 E. 1, in: SVR 2009 BVG Nr. 12 S. 37; 9C_434/2011 vom 12. September 2011 E.
3.1).

1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
In den Policen Nr. 4182748801 und Nr. 4182748802 wird auf die Allgemeinen
Versicherungsbedingungen (AVB, Ausgabe 1. September 2003) verwiesen. In deren
Ziff. 2 "Prämienbefreiung und Rente bei Erwerbsunfähigkeit" finden sich unter
anderem folgende Bestimmungen:

2.1 Definition der Erwerbsunfähigkeit

Erwerbsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge medizinisch
objektiv feststellbarer Krankheit oder eines Unfalls ausserstande ist, ihren
Beruf oder eine andere zumutbare Erwerbstätigkeit auszuüben (ohne
Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage) und sie dadurch gleichzeitig einen
Erwerbsausfall oder einen diesem entsprechenden finanziellen Nachteil erleidet.
Zumutbar ist eine Tätigkeit, wenn sie den Fähigkeiten und der Lebensstellung
der versicherten Person entspricht, auch wenn die hierfür notwendigen
Kenntnisse erst durch eine Umschulung erworben werden müssen.

Der Grad der Erwerbsunfähigkeit entspricht der Differenz zwischen dem
Erwerbseinkommen, das die versicherte Person vor Eintritt der
Erwerbsunfähigkeit erzielt hat und demjenigen, das die versicherte Person nach
Eintritt der Erwerbsunfähigkeit erzielt oder bei ausgeglichenem Arbeitsmarkt
erzielen könnte.

Bei einem vor der Erwerbsunfähigkeit schwankenden Einkommen und bei
Selbständigerwerbenden erfolgt die Berechnung aufgrund des
Durchschnittseinkommens der dem Beginn der Erwerbsunfähigkeit vorangehenden 24
Monate.

2.3 Teilweise Erwerbsunfähigkeit

Teilweise Erwerbsunfähigkeit gibt Anspruch auf herabgesetzte Leistungen.

Beträgt die Erwerbsunfähigkeit jedoch mindestens 66 ^2 /3 %, besteht der volle
Leistungsanspruch; beträgt die Erwerbsunfähigkeit zwischen 25 % und weniger als
66 ^2 /3 %, berechnen wir die Leistungen im Verhältnis zum Grad der
Erwerbsunfähigkeit. Eine Erwerbsunfähigkeit von weniger als 25 % gibt weder
Anspruch auf Prämienbefreiung noch auf Rente.

3.

3.1. Die Vorinstanz hat die Klage gutgeheissen mit der Begründung, die AVB der
Beschwerdeführerin sähen zwar keine Bindung an die Entscheidungen der IV vor.
Die in Ziff. 2.1 AVB enthaltene Definition der Erwerbsunfähigkeit nehme
indessen in ihrem Wortlaut unmittelbar Bezug auf die auch für die IV geltende
Begrifflichkeit von Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit sowie Invalidität. Damit
bestehe die Vermutung einer angestrebten einheitlichen Begriffsanwendung. Daran
ändere die Tatsache nichts, dass die Erwerbsunfähigkeit im Sinne von Ziff. 2.1
AVB - im Vergleich zum Invaliditätsbegriff gemäss Art. 4 Abs. 1 IVG i.V.m. Art.
6, 7, 8 Abs. 1 und Art. 16 ATSG - auf der Basis von für die versicherten
Personen günstigeren Parametern (Einschränkung der Zumutbarkeit von Tätigkeiten
ausserhalb des bisherigen Berufs; Rentenanspruch bereits bei Erwerbsunfähigkeit
von 25 %) ermittelt werde. Ausgehend von der durch die IV festgelegten
Erwerbsunfähigkeit habe die Beschwerdeführerin selbstständig zu prüfen, ob im
Licht ihrer autonomen Begriffsbestimmung zusätzliche Leistungsansprüche
bestünden. Die IV-Stelle habe mit in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 20.
März 2012 den Invaliditätsgrad ab 1. Januar 2008 auf 29 % bestimmt. Das
kantonale Gericht gelangte zum Schluss, weil sich die Invaliditätsbemessung der
IV nicht als zweifellos fehlerhaft erweise, habe sich die Beschwerdeführerin
grundsätzlich daran zu orientieren. Diese lege nicht dar, weshalb von der von
der IV vorgenommenen Festsetzung des Invalideneinkommens abgewichen werden
soll, obschon die eigenen Bestimmungen diesbezüglich für die Versicherten sogar
vorteilhafter seien. Damit bestehe ab dem 5. März 2008 Anspruch auf eine Rente
von 29 % auf der Basis einer Jahresrente von Fr. 15'000.- und auf
Prämienbefreiung für beide Policen ab 2008 im Umfang von 29 %.

3.2. Die Beschwerdeführerin hält dagegen, die Vorinstanz sei in Willkür
verfallen, indem sie von einer Bindung an den IV-Entscheid aufgrund der
begrifflichen Anlehnung der AVB an das Gesetz ausgegangen sei. Die in den AVB
vorgesehenen Abweichungen von den gesetzlichen Bestimmungen seien erheblich,
womit die Annahme einer Bindungswirkung unhaltbar sei. Selbst wenn aufgrund der
AVB grundsätzlich eine Bindungswirkung bestünde, wäre diese aus zwei Gründen zu
verneinen. Zum einen sei ihr, obschon die IV-Stelle Kenntnis von ihr "als
Vorsorgeeinrichtung des Beschwerdegegners" gehabt habe, die IV-Verfügung vom
20. März 2012 in Verletzung der Pflicht zur Gehörsgewährung nicht eröffnet
worden. Zum anderen sei die Invaliditätsbemessung der IV unhaltbar, zumal dem
Beschwerdegegner gemäss Bericht zur Evaluation der funktionellen
Leistungsfähigkeit der Rehaklinik D.________ vom 26. September 2008 die
Tätigkeit als Chauffeur ganztags zumutbar sei.

4.

4.1. Die Säule 3a, die in der bundesrätlichen Botschaft vom 19. Dezember 1975
als "freiwillige berufliche Vorsorge" bezeichnet und so von der
"Selbstvorsorge" der Säule 3b abgegrenzt wird, ergänzt die zweite Säule. Sie
ist der zweiten Säule ("zweite Säule im engeren Sinne") gleichgestellt und
unterscheidet sich von dieser im Wesentlichen durch ihre Freiwilligkeit.
Namhafte Bereiche der Säule 3a sind praktisch gleich geregelt wie in der
zweiten Säule bzw. durch Verweis denselben Normen unterstellt. Da sich die
gebundene Vorsorge aus der zweiten Säule ableitet, hat die Praxis
verschiedentlich subsidiär, soweit die BVV 3 keine einschlägigen Bestimmungen
enthielt, die Regelungen der zweiten Säule beigezogen (zum Ganzen: zur
amtlichen Publikation bestimmtes Urteil 9C_457/2014 vom 16. Juni 2015 E. 3.2
mit Hinweisen). Unter anderem hat das Bundesgericht entschieden, dass der
Begriff der Invalidität in der Säule 3a "insgesamt" nicht weiter zu fassen ist
als in der  zweiten Säule (Urteil 2A.292/2006 vom 15. Januar 2007 E. 6.4).
Ferner hat es entschieden, dass die Grundsätze, die in der zweiten Säule für
die Anpassung einer Invalidenrente gelten, in der Säule 3a subsidiär und analog
beizuziehen sind (erwähntes Urteil 9C_457/2014 E. 3).

4.2. Die BVV 3 enthalten keine Bestimmung zu den hier interessierenden
Rentenleistungen bei Erwerbsunfähigkeit. Ebenso wenig sehen, wie die Vorinstanz
zutreffend festgestellt hat, die AVB der Beschwerdeführerin eine Bindung an die
Entscheide der IV vor, insbesondere was den Grad der Erwerbsunfähigkeit
betrifft (zur Praxis der Anwendbarerklärung des von der IV-Stelle ermittelten
Invaliditätsgrades: MARIUS GROS, Versicherungsfall "Erwerbsunfähigkeit"; Eine
Studie zur rentenbegründenden Erwerbsunfähigkeit bei sich an das
Sozialversicherungsrecht anlehnenden AVB, Rz. 1; vgl. auch FISCHER/GISLER/
WIEDMER, Einzellebensversicherungen, 2015, S. 171). Auch regeln die AVB nicht,
wie der Nachweis der Erwerbsunfähigkeit zu erbringen ist. Mangels einschlägiger
Bestimmungen zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit und mit Blick auf die
Ausführungen der Beschwerdeführerin, welche in diesem Zusammenhang davon
ausgeht, ihr komme gleichsam die Stellung einer Vorsorgeeinrichtung zu, ist auf
die Frage einzugehen, ob subsidiär die Grundsätze zur Bindung der
Vorsorgeeinrichtungen an die Entscheidungen der IV-Organe (BGE 134 V 64 E.
4.1.2 S. 70; 133 V 67 E. 4.3.2 S. 69; 132 V 1 E. 3.2 S. 4; je mit Hinweisen)
heranzuziehen sind.

Eine auch in der Säule 3a geltende Bindung an die Feststellungen der IV wird in
der Lehre soweit ersichtlich nicht diskutiert oder gar postuliert (vgl.
immerhin GROS, a.a.O., Rz. 225 f.; wohl ausschliesslich die Säule 3b
betreffend). Es sprechen denn auch gewichtige Gründe dagegen, die im Bereich
der obligatorischen beruflichen Vorsorge geltenden Grundsätze zur
Bindungswirkung subsidiär heranzuziehen: Namentlich ist die Säule 3a im
Vergleich zur zweiten Säule, in welcher mittels den Verweisen von Art. 23 ff.
BVG eine Kongruenz zur ersten Säule - auch den Invaliditätsbegriff betreffend -
ausdrücklich angestrebt wird, freier gestaltbar. Von Bedeutung ist dabei
insbesondere, dass der Begriff der Invalidität - gleichermassen wie in der
weitergehenden beruflichen Vorsorge - weiter gefasst werden kann als in der  IV
 (erwähntes Urteil 2A.292/2006 E. 5.3 und 6.3). Ferner können Rentenleistungen
- wie gemäss den hier massgebenden AVB - bereits ab Erwerbsunfähigkeitsgraden
vorgesehen werden, welche in der IV nicht anspruchsbegründend und daher nicht
präzise zu bestimmen sind (vgl. dazu Urteil 9C_909/2010 vom 15. Dezember 2010
E. 2.2.2 mit Hinweisen). Hinzu kommt in verfahrensmässiger Hinsicht, dass die
Verfügungen der IV zwar an die Träger der zweiten Säule, jedoch nicht an
diejenigen der Säule 3a (Versicherungseinrichtungen nach Art. 1 Abs. 1 lit. a
bzw. Bankstiftungen nach Art. 1 Abs. 1 lit. b BVV 3) eröffnet werden müssen
(Art. 49 Abs. 4 ATSG, Art. 73bis Abs. 2 und Art. 76 Abs. 1 IVV e contrario;
Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 55 f. zu Art. 49 ATSG). Mithin
ist es nicht geboten, die in der (obligatorischen) zweiten Säule geltenden
Grundsätze zur Bindungswirkung subsidiär heranzuziehen. Folglich entfällt die
Prüfung, ob - wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht - die IV-Verfügung
vom 20. März 2012 als offensichtlich unhaltbar zu qualifizieren ist (BGE 130 V
270 E. 3.1 S. 273).

4.3. Besteht nach dem Dargelegten in casu keine Bindung an die Feststellungen
der IV, hat das kantonale Berufsvorsorgegericht den Grad der
Erwerbsunfähigkeit, unter Berücksichtigung der in den AVB statuierten
(eingeschränkten) Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit, frei zu bestimmen.
Vorliegend hat das kantonale Gericht, obschon es eine Bindung an die
IV-Verfügung verneinte, keinen Einkommensvergleich im Sinne von Ziff. 2.1
zweiter Absatz AVB vorgenommen. Vielmehr erschöpft sich der angefochtene
Entscheid in der Feststellung, der von der IV festgelegte Grad der
Erwerbsunfähigkeit (welcher nota bene anhand der vorliegenden Akten nicht
nachvollzogen werden kann; namentlich fehlen Angaben zum verwendeten
Tabellenlohn) sei "nicht offensichtlich unhaltbar" bzw. "nicht zweifellos
fehlerhaft" (E. 6.2 und 6.3 des angefochtenen Entscheids). Damit hat es
Bundesrecht verletzt. Aus Rechtsschutzgründen (kein Verlust der ersten und
einzigen Instanz mit freier Beweiswürdigung) ist die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen, damit sie den Grad der Erwerbsunfähigkeit festsetze und hernach
über die Klage neu entscheide. In diesem Sinne ist die Beschwerde gutzuheissen.

5. 
Der unterliegende Beschwerdegegner trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1
Satz 1 BGG). Die Beschwerdeführerin, welche im hier interessierenden
Zusammenhang - als Anbieterin einer gebundenen Vorsorgeversicherung (Säule 3a)
- eine öffentlichrechtliche Aufgabe wahrnimmt, hat keinen Anspruch auf eine
Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG; vgl. Urteile 9C_523/2013 vom 28.
Januar 2014 E. 6, nicht publ. in: BGE 140 V 57, aber in: SVR 2014 BVG Nr. 32 S.
120; 9C_199/2008 vom 19. November 2008 E. 6).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Kantonsgerichts Luzern vom 23. Oktober 2014 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde
abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. August 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Furrer

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