Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 863/2014
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2014
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2014


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_863/2014

Urteil vom 23. März 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Horschik,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 21. Oktober 2014.

Sachverhalt:

A. 
Die 1969 geborene A.________ bezog vom 1. März 2002 bis 30. April 2003 und nach
der Umschulung zur Betreuerin im Behindertenbereich wiederum ab 1. Juli 2005
eine halbe Rente der Invalidenversicherung (Verfügungen der IV-Stelle des
Kantons Graubünden vom 30. Juli 2004 und vom 7. November 2005). Am 28. November
2008 meldete sie der infolge Wohnsitzwechsel neu zuständigen IV-Stelle des
Kantons Zürich, sie habe am 19. Februar 2008 einen Autounfall erlitten, zwei
Wochen später habe sie nicht mehr arbeiten können, sie erhalte Unfalltaggeld
(50 %). Im Rahmen des im Juni 2009 eingeleiteten Revisionsverfahrens wurde
A.________ internistisch-rheumatologisch und psychiatrisch abgeklärt (Gutachten
Dres. med B.________ und C.________ vom 16. November 2010 und 11. Januar 2011).
Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren hob die IV-Stelle mit Verfügung vom
10. September 2012 die halbe Rente auf.

B. 
Die Beschwerde der A.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich nach einer Instruktionsverhandlung mit Entscheid vom 21. Oktober 2014
ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________,
der Entscheid vom 21. Oktober 2014 sei aufzuheben und es seien weiterhin die
gesetzlichen Leistungen, insbesondere mindestens eine halbe Rente, allenfalls
Eingliederungs- bzw. Wiedereingliederungsmassnahmen, zu erbringen; eventualiter
sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In
verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragt A.________ u.a., der Beschwerde sei
die aufschiebende Wirkung zu gewähren.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerdeführerin beantragt, es sei eine öffentliche Verhandlung im Sinne
von Art. 6 Ziff. 1 EMRK durchzuführen, wobei sie insbesondere vorzuladen und
anzuhören sei. Das wortwörtlich gleiche Begehren hatte sie bereits im
vorangegangenen Verfahren gestellt. Die Vorinstanz führte eine
Instruktionsverhandlung, jedoch keine mündliche (öffentliche) Verhandlung
durch, was die Beschwerdeführerin zu Recht nicht rügt (vgl. Urteil 8C_95/2013
vom 19. Juli 2013 E. 3.2). Umgekehrt legt sie nicht dar, inwiefern besondere
Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine öffentliche Parteiverhandlung im
Verfahren vor dem Bundesgericht (Art. 57 und 59 BGG) gebieten, womit sie ihrer
Begründungspflicht nicht genügt (vgl. Urteile 2C_349/2012 vom 18. März 2013 E.
3.3 und 5A_880/2011 vom 20. Februar 2012 E. 1.5, in: Pra 2012 Nr. 91 S. 606).
Der weitere Verfahrensantrag, es sei ein zweiter Schriftenwechsel
durchzuführen, ist gegenstandslos, da die Streitsache ohne Schriftenwechsel
entschieden wird (Art. 102 Abs. 1 und 3 BGG; vgl. BGE 133 I 98).

2. 
Die Vorinstanz ist in Würdigung der Akten, insbesondere der
Administrativgutachten vom 16. November 2010 und 11. Januar 2011, zum Ergebnis
gelangt, dass sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin im
Vergleichszeitraum (7. November 2005 bis 10. September 2012; BGE 133 V 108 E.
5.4 S. 114) verbessert habe und mithin auch eine Änderung in der
Arbeitsfähigkeit eingetreten sei. Die Voraussetzungen für eine Revision der
halben Rente nach Art. 17 Abs. 1 ATSG seien somit erfüllt. Gemäss den
schlüssigen Expertisen sei in einer körperlich angepassten, leichten bis
mittelschweren, unter adaptierten Arbeitsplatzbedingungen auszuübenden
beruflichen Tätigkeit volle Arbeitsfähigkeit gegeben. Nach der darauf
gestützten Invaliditätsbemessung der Beschwerdegegnerin, die nicht in Frage
gestellt werde und nach Lage der Akten zu keinen Beanstandungen Anlass gebe,
bestehe somit keine Invalidität im Rechtssinne mehr, weshalb die halbe Rente zu
Recht aufgehoben worden sei.

3. 
Die Beschwerdeführerin bestreitet in erster Linie den Beweiswert der Gutachten
vom 16. November 2010 und 11. Januar 2011 (vgl. dazu BGE 134 V 231 E. 5.1 S.
232).

3.1. Zu den meisten Einwänden formeller Natur hat schon die Vorinstanz Stellung
genommen. Die Beschwerdeführerin äussert sich nicht dazu. Damit hat es sein
Bewenden (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 171 E. 1.4 S. 176; Urteil 2C_413/2014
vom 11. Mai 2014 E. 2.1). Im Übrigen sind ihre Vorbringen, soweit genügend
substanziiert, nicht stichhaltig. Insbesondere findet sich kein Hinweis in den
Akten, dass sie mit den Gutachtern Dres. med. B.________ und C.________, deren
Namen ihr unbestrittenermassen vorgängig bekannt gegeben worden waren, nicht
einverstanden war. Sodann ist nicht ersichtlich, inwiefern sich aus BGE 137 V
210 E. 3.3.1 S. 245 ergeben soll, dass die Begutachtung im Revisionsverfahren
zwingend durch die früheren Experten (der Klinik D.________) hätte vorgenommen
werden müssen. Schliesslich wird die Rüge, das psychiatrische Gutachten vom 11.
Januar 2011 entspreche nicht den einschlägigen Qualitätsrichtlinien damit
begründet, es liege kein Fall eines pathogenetisch-ätiologisch unklaren
syndromalen Beschwerdebildes ohne nachweisbare organische Grundlage (vgl. BGE
139 V 442 E. 3.1 S. 444; 136 V 279 E. 3.2.3 S. 283) vor, was indessen die
Vorinstanz auch nicht gesagt hat.

3.2.

3.2.1. Inhaltlich bemängelt die Beschwerdeführerin, das rheumatologische
Gutachten vom 16. November 2010 sei insofern widersprüchlich, als die frühere
Tätigkeit als "Elektronik-Angestellte" nicht mehr zumutbar sein, als
Service-Angestellte oder Kinderbetreuerin und Haushälterin bis Hantieren mit
Gewichten bis 15 kg jedoch keine Arbeitsunfähigkeit bestehen soll. Diese
Beurteilung ist indessen ohne weiteres nachvollziehbar. Im Unterschied zu den
letztgenannten Tätigkeiten handelt es sich bei der Tätigkeit als
"Elektronik-Angestellte" um eine nicht wechselbelastende Tätigkeit in
langandauernder vornüber geneigter Körperhaltung, wie auch die Vorinstanz
festgestellt hat.

3.2.2. Im Weitern trifft zu, dass der psychiatrische Gutachter den in den Akten
befindlichen Verlaufsbericht von lic. phil. E.________, Fachpsychologin für
Psychotherapie FSP, vom 28. Dezember 2008 nicht berücksichtigte. In der
Expertise vom 11. Januar 2011 wurde der Bericht weder im Auszug aus den
relevanten Vordokumenten genannt noch in der Beurteilung gewürdigt. Dieser
Umstand vermag indessen den Beweiswert des Gutachtens nicht entscheidend zu
mindern. Gemäss dem Bericht von lic. phil. E.________ vom 28. Dezember 2008
stand die Beschwerdeführerin seit August 2008 wegen einer progredienten
Dekompensation in Behandlung. Als Hauptdiagnosen wurden eine Anpassungsstörung
(ICD-10 F43.2), eine mittelschwere Depression (ICD-10 F32.1) sowie ein
Erschöpfungszustand genannt. Abgesehen davon jedoch, dass in diesem Bericht zur
Arbeitsfähigkeit nichts gesagt wurde, erwähnte die Beschwerdeführerin die
Behandlung bei der Untersuchung im Rahmen der psychiatrischen Begutachtung
nicht, was darauf schliessen lässt, dass sie nicht lange gedauert hatte und
nicht von grosser Intensität gewesen war. Weiter wird nicht geltend gemacht und
es fehlen diesbezügliche Hinweise, dass die Beschwerdeführerin vor August 2008
(und nach der Rentenzusprechung mit Verfügung vom 7. November 2005) sich
namentlich wegen Depression einer psychotherapeutischen Behandlung hatte
unterziehen müssen.
Unter diesen Umständen überzeugt die Diagnose einer chronischen Depression von
mittelstarker Ausprägung (ICD-10 F32.11) des Dr. med. F.________, FMH für
Psychiatrie und Psychotherapie, in seinen Berichten vom 4. Juli 2012 (recte:
2013) und 19. Mai 2014 nicht. Wird weiter berücksichtigt, dass die
Beschwerdeführerin erst seit Januar 2013 bei diesem Arzt in Behandlung stand,
somit in einem Zeitpunkt nach Erlass der die halbe Rente aufhebenden Verfügung
vom 10. September 2012 bzw. ausserhalb des gerichtlichen Prüfungszeitraums (BGE
129 V 1 E. 1.2 S. 4), vermag dessen Beurteilung die Feststellungen und
Schlussfolgerungen im psychiatrischen Gutachten vom 11. Januar 2011 nicht
derart zu erschüttern, dass davon abzuweichen wäre (Urteil 8C_848/2014 vom 19.
Februar 2015 E. 2.2). Im Übrigen macht die Beschwerdeführerin nicht geltend und
sie legt auch nicht dar, inwiefern bei der Begutachtung wichtige - und nicht
rein subjektiver Interpretation entspringende - Aspekte unerkannt oder
ungewürdigt geblieben sind, die zumindest Anlass zu weiteren Abklärungen geben
könnten (Urteile 8C_677/2014 vom 29. Oktober 2014E. 7.2 und 9C_425/2013 vom 16.
September 2013 E. 4.1, je mit Hinweisen). Insbesondere setzte sich der Experte
auch mit der Diagnose einer bipolaren affektiven Störung (kurzphasisch) im
Sinne einer Anpassungsstörung (ICD-10 F43.28) im Bericht des Dr. med.
G.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Leitender Arzt
Psychosomatik, Klinik D.________, vom 29. Januar 2002 auseinander, wobei er
depressive Anteile verneinte.

3.3. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, indem sie
den Gutachten vom 16. November 2010 und 11. Januar 2011 Beweiswert zuerkannt
und darauf abgestellt hat. Soweit die Beschwerdeführerin die darauf gestützten
Feststellungen rügt, sind ihre Vorbringen rein appellatorischer Natur (Art. 97
Abs. 1 BGG; BGE 137 II 353 E. 5.1 S. 356); darauf ist daher nicht einzugehen.

4. 
Die Beschwerdeführerin macht wie schon im vorangegangenen Verfahren geltend,
die halbe Rente könne erst nach Durchführung von (Wieder-)
Eingliederungsmassnahmen aufgehoben werden. Die Vorinstanz hat zum selben
Einwand Stellung genommen und dargelegt, weshalb er nicht stichhaltig ist. Die
Beschwerdeführerin setzt sich damit nicht auseinander; ihre Vorbringen vermögen
daher von vornherein keine Bundesrechtsverletzung darzutun (Art. 42 Abs. 2 und
Art. 106 Abs. 2 BGG). Ebenso nicht einzugehen ist auf die Rügen betreffend lit.
a Abs. 1 der Schlussbestimmungen der Änderung des IVG vom   18. März 2011 (6.
IV-Revision, erstes Massnahmenpaket, in Kraft getreten am 1. Januar 2012) sowie
betreffend die Rechsprechung gemäss BGE 130 V 352 und seitherige Urteile zum
invalidisierenden Charakter von Erkrankungen, die unter den Begriff
pathogenetisch-ätiologisch unklarer syndromaler Beschwerdebilder ohne
nachweisbare organische Grundlage fallen, im Lichte der Kritik aus der
medizinischen Lehre. Der angefochtene Entscheid stützt sich nicht darauf.

5. 
Mit dem Entscheid in der Sache ist die Frage der aufschiebenden Wirkung der
Beschwerde gegenstandslos. Im Übrigen wird auf die Rechtsprechung gemäss BGE
129 V 370 verwiesen (vgl. auch Urteil 8C_ 451/2010 vom 11. November 2010 E. 2-4
in: SVR 2011 IV Nr. 33       S. 96).

6. 
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. März 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Fessler

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben