Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 862/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_862/2014 {T 0/2}     

Urteil vom 17. September 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Williner.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Ehrenzeller,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 29. Oktober 2014.

Sachverhalt:

A.

A.a. Der 1952 geborene A.________ arbeitete ab 1994 bis zu seiner aus
wirtschaftlichen Gründen erfolgten Entlassung per Ende 1996 als Zuschneider von
Zargenprofilen bei der Firma B.________. Im Oktober 1997 meldete er sich unter
Hinweis auf seit Januar 1997 bestehende Bandscheibenbeschwerden bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons St.
Gallen (nachfolgend: IV-Stelle) veranlasste verschiedene medizinische und
berufliche Abklärungen, unter anderem in der Beruflichen Abklärungsstelle BEFAS
(Bericht vom 8. Juli 1998) sowie in der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS)
(Gutachten vom 14. März 2000). Mit Verfügung vom 17. Oktober 2000 lehnte sie
das Leistungsbegehren ab (Invaliditätsgrad 28 %). Sowohl das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen (Entscheid vom 28. November 2002)
wie auch das Eidgenössische Versicherungsgericht (Urteil I 324/03 vom 2.
September 2003) wiesen die dagegen von A.________ erhobenen Beschwerden ab.

A.b. Am 11. Februar 2005 liess A.________ unter Hinweis auf eine stationäre
Behandlung in der Klinik C.________ (Aufenthalt vom 9. Dezember 2004 bis zum
12. Januar 2005; vgl. Bericht vom 21. Januar 2005) eine Verschlechterung seines
Gesundheitszustandes geltend machen. Nachdem die IV-Stelle unter anderem eine
Verlaufsbegutachtung bei der MEDAS (Gutachten vom 4. Januar 2007) veranlasst
hatte, lehnte sie das Leistungsbegehren mit Verfügung vom 30. April 2007 erneut
ab. Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde hiess das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 14. Oktober 2008
teilweise gut und wies die Sache zur ergänzenden Abklärung im Sinne der
Erwägungen und Neuverfügung an die Verwaltung zurück. Das kantonale Gericht
erwog insbesondere, es lasse sich bei der gegebenen Aktenlage die medizinische
Frage nicht beantworten, ob bei A.________ eine durch diesen nicht
beeinflussbare Krankheit vorliege, welche für ihn die Verwertung der
Arbeitsfähigkeit als nicht mehr oder nur noch teilweise zumutbar oder - als
alternative Voraussetzung - sogar für die Gesellschaft als untragbar erscheinen
lasse. Es seien deshalb ergänzende Erhebungen bei der Begutachtungsstelle
einzuholen. Der Gutachter sei gleichzeitig mit den von A.________ neu
eingereichten Arztberichten des Dr. med. D.________ zu konfrontieren und habe
sich dazu zu äussern, ob aufgrund der von diesem differenzialdiagnostisch
erwähnten Leiden weitere Abklärungen indiziert seien.

A.c. Nachdem die IV-Stelle entsprechende Erläuterungen bei der MEDAS eingeholt
hatte (polydisziplinäre Verlaufsbegutachtung vom 15. Januar 2010), stellte sie
mit zwei Vorbescheiden vom 19. Juli 2010 und vom 10. November 2011 die erneute
Abweisung des Leistungsbegehrens in Aussicht (Invaliditätsgrad 28 % bzw. 1 %).
Am 17. Januar 2012 verfügte die IV-Stelle wie zuletzt angezeigt.

B. 
Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht
des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 29. Oktober 2014 gut und sprach ihm ab
1. März 2005 eine Viertelsrente und ab 1. Juni 2005 eine ganze Rente der
Invalidenversicherung zu.

C. 
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt die Bestätigung ihrer Verfügung vom 17. Januar 2012. In
verfahrensmässiger Hinsicht ersucht sie um Erteilung der aufschiebenden Wirkung
der Beschwerde.
Während das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine Stellungnahme
verzichtet, schliesst A.________ auf Abweisung der Beschwerde. Gleichzeitig
ersucht er um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E.
1.2 S. 252 mit Hinweisen).

2.

2.1. Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff der
Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), über den Beginn (Art. 29 Abs. 1 IVG in der bis
31. Dezember 2007 gültig gewesenen Fassung) und den Umfang des Rentenanspruchs
(Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis 31. Dezember 2007 gültig gewesenen Fassung; vgl.
jetzt Art. 28 Abs. 2 IVG) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die
Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der allgemeinen Methode des
Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG; BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348 f.), die
ärztliche Aufgabe bei der Invaliditätsbemessung (BGE 132 V 93 E. 4 S. 99) sowie
die Zumutbarkeit von Arbeitsleistungen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.).
Darauf wird verwiesen.

2.2. Zu ergänzen ist, dass gemäss der mit BGE 130 V 352 begründeten und seither
stetig weiter entwickelten Rechtsprechung eine somatoforme Schmerzstörung und
vergleichbare psychosomatische Leiden (BGE 137 V 64 E. 4.3 S. 69) in der Regel
keine lang dauernde, zu einer Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG
führende Arbeitsunfähigkeit zu bewirken vermochten. Vielmehr bestand die
Vermutung, dass solche Beschwerdebilder oder ihre Folgen mit einer zumutbaren
Willensanstrengung überwindbar seien und nur bestimmte Umstände, welche die
Schmerzbewältigung intensiv und konstant behindern, den Wiedereinstieg in den
Arbeitsprozess unzumutbar machten, weil die versicherte Person alsdann nicht
über die für den Umgang mit den Schmerzen notwendigen Ressourcen verfügt (zur
Entstehungsgeschichte dieser Praxis: BGE 135 V 201 E. 7.1.2 S. 212).

2.3. Nachdem das Bundesgericht mit zur Publikation bestimmtem Urteil 9C_492/
2014 vom 3. Juni 2015 diese Rechtsprechung grundlegend überdacht und teilweise
geändert hat, ist zu prüfen, welche Auswirkungen sich dadurch auf den hier zu
beurteilenden Fall ergeben. Die geänderte Rechtsprechung bedeutet indes nicht,
dass während der Geltungsdauer der Rechtsprechung von BGE 130 V 352 eingeholte
Gutachten ihren Beweiswert per se verlieren würden. Vielmehr ist im Rahmen
einer gesamthaften Prüfung des Einzelfalls mit seinen spezifischen
Gegebenheiten und den erhobenen Rügen entscheidend, ob das abschliessende
Abstellen auf die vorhandenen Beweisgrundlagen im angefochtenen Entscheid vor
Bundesrecht standhält (vgl. BGE 137 V 210 E. 6 S. 266).

3.

3.1. Weiterhin kann eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit nur
anspruchserheblich sein, wenn sie Folge einer Gesundheitsbeeinträchtigung ist,
die fachärztlich einwandfrei diagnostiziert worden ist (Urteil 9C_492/2014 vom
3. Juni 2015 E. 2.1 mit Hinweis auf BGE 130 V 396).

3.2. Obwohl die Annahme eines psychischen Gesundheitsschadens, so auch einer
anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 Ziff. F45.40), auch bisher
zunächst eine fachärztlich (psychiatrisch) gestellte Diagnose nach einem
wissenschaftlich anerkannten Klassifikationssystem vorausgesetzt hat (vgl. BGE
131 V 49 E. 1.2 S. 50), fokussierte die Anspruchsklärung vor allem auf die
Anwendung des Kriterienkatalogs, somit auf die Beurteilung der funktionellen
Auswirkungen des Leidens. Die Frage, ob die Schmerzstörung als
Gesundheitsbeeinträchtigung überhaupt sachgerecht festgestellt worden ist,
wurde demgegenüber in der Versicherungspraxis oft kaum beachtet, und die
Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung fand meistens ohne
ausreichenden Bezug auf die funktionserhebliche Befundlage Eingang in ärztliche
Berichte und Gutachten. Im Rahmen der geänderten Rechtsprechung sollen nun die
Sachverständigen die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung so
begründen, dass die Rechtsanwender nachvollziehen können, ob die
klassifikatorischen Vorgaben tatsächlich eingehalten sind (vgl. Urteil 9C_492/
2014 vom 3. Juni 2015 E. 2.1.1 mit zahlreichen Hinweisen).

4.

4.1. Das kantonale Gericht stellte fest, beim Beschwerdegegner liege nicht nur
ein chronisches Schmerzsyndrom und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung
vor, sondern auch eine Persönlichkeitsakzentuierung bzw. Persönlichkeitsstörung
und eine demenzielle Entwicklung bei atypischer Depression. Bei Anwendbarkeit
der bisherigen Rechtsprechung zur somatoformen Schmerzstörung sei von einer
erheblichen, lang dauernden Komorbidität auszugehen. Die Vorinstanz ging unter
Hinweis auf die im Verlaufsgutachten der MEDAS vom 15. Januar 2010 verneinte
Zumutbarkeit einer Willensanstrengung zur Schmerzüberwindung von einer
jedenfalls 70 % übersteigenden, wohl vollen Arbeitsunfähigkeit aus.

4.2. Bevor das tatsächlich erreichbare Leistungsvermögen des Beschwerdegegners
anhand eines strukturierten, normativen Prüfrasters beurteilt werden kann (vgl.
Urteil 9C_492/2014 vom 3. Juni 2015 E. 3.6), stellt sich die Frage, ob die
somatoforme Schmerzstörung als Gesundheitsbeeinträchtigung sachgerecht im Sinne
von E. 2.1.1 des Urteils 9C_492/2014 vom 3. Juni 2015 (vgl. E. 3.2 hievor)
diagnostiziert worden ist:

4.2.1. Vorherrschende Beschwerde bei einer somatoformen Schmerzstörung ist ein
andauernder, schwerer und quälender Schmerz, der durch einen physiologischen
Prozess oder eine körperliche Störung nicht hinreichend erklärt werden kann. Er
tritt in Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Belastungen
auf, denen die Hauptrolle für Beginn, Schweregrad, Exazerbation oder
Aufrechterhaltung der Schmerzen zukommt. Die Folge ist meist eine beträchtlich
gesteigerte persönliche oder medizinische Hilfe und Unterstützung
(Weltgesundheitsorganisation, Internationale Klassifikation psychischer
Störungen, ICD-10 Kapitel V (F), Klinisch-diagnostische Leitlinien, Dilling/
Mombour/Schmidt [Hrsg.], 9. Aufl. 2014, Ziff. F45.4 S. 233).

4.2.2. Die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung wurde beim
Beschwerdegegner aktenkundig erstmals im Gutachten des Medizinischen Zentrums
E.________ vom 7. Januar 1998 gestellt, verfasst vom Leitenden Arzt der
Rheumatologie, welcher die Beschwerden nur zum Teil mit den Befunden erklären
konnte und daher eine psycho-funktionelle Überlagerung annahm. Gestützt auf
diese Expertise fand die wortwörtlich vollständig übernommene Diagnose Eingang
in den Bericht der BEFAS vom 8. Juli 1998. Im Rahmen der später durch die
IV-Stelle veranlassten Begutachtung der MEDAS vom 14. März 2000 zog Dr. med.
F.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, eine somatoforme Schmerzstörung
zwar differentialdiagnostisch ebenfalls in Betracht, verwarf die Diagnose
jedoch aufgrund zu wenig ausgeprägter Symptome. Stattdessen diagnostizierte er
eine Überlagerung von körperlichen Beschwerden (ICD-10 Ziff. F54) bei Störung
der Persönlichkeitsentwicklung mit zyklothymen Zügen (ICD-10 Ziff. F60.8). Erst
bei der Verlaufsbegutachtung durch die MEDAS vom 4. Januar 2007 nahm Dr. med.
G.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, die somatoforme Schmerzstörung
in den Diagnosekatalog auf, führte indessen an, gleich wie sein Vorgutachter
vermöge er beim Versicherten keine schwere psychiatrische Störung
festzustellen, namentlich keine klinischen Symptome einer schweren Depression.
Wegen mangelnder Kollaboration könne eine solche aber weder ausgeschlossen noch
bestätigt werden. Im zweiten Verlaufsgutachten vom 15. Januar 2010
diagnostizierte Dr. med. G.________ wiederum eine anhaltende somatoforme
Schmerzstörung. Er liess die Frage einer Demenz oder Pseudodemenz offen und
ging von einem chronifizierten, fixierten Krankheitsgebaren aus.

4.2.3. Obwohl damit beim Beschwerdegegner verschiedentlich (auch fachärztlich)
eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert worden ist, hat sich bisher -
sowohl vor wie nach der Neuanmeldung vom 11. Februar 2005 - kein involvierter
Mediziner mit deren klassifikatorischen Vorgaben in einer für den
Rechtsanwender nachvollziehbaren Art auseinandergesetzt; ebenso bleibt das
alltägliche Leistungsvermögen des Versicherten komplett im Dunkeln. Während Dr.
med. H.________, FMH Innere Medizin, am 7. Januar 1998 überhaupt keine solche
Klassifizierung anhand eines anerkannten Systems vorgenommen hatte (Bericht des
Medizinischen Zentrums E.________ vom 7. Januar 1998), beschränkte sich die
Befunderhebung des Dr. med. G.________ im Verlaufsgutachten vom 4. Januar 2007
auf den Hinweis, eine eigentliche Exploration des Beschwerdeführers sei
aufgrund fehlender Kollaborationsbereitschaft gar nicht erst möglich gewesen.
Auch im Verlaufsgutachten vom 15. Januar 2010 beschränkt sich die
Befunderhebung des psychiatrischen Teilgutachtens in wesentlichen Teilen auf
eine Beschreibung der mangelhaften Kollaboration des Beschwerdegegners, wobei
Dr. med. G.________ diesbezüglich von einer Persönlichkeitsänderung von
Krankheitswert ausging. Eine Auseinandersetzung mit den klassifikatorischen
Voraussetzungen gemäss ICD-10 Ziff. F45.4 - insbesondere in Bezug auf die
Beeinträchtigungen der Alltagsfunktionen - fand demgegenüber wiederum nicht
statt. Dem Erfordernis einer solchen Auseinandersetzung ist im Rahmen der
geänderten Rechtsprechung vermehrt Rechnung zu tragen (vgl. E. 3.2 hievor),
weshalb hier von einer fachärztlich einwandfrei diagnostizierten
Gesundheitsbeeinträchtigung nicht die Rede sein kann.

4.2.4. Dasselbe hat bezüglich der in der Klinik C.________ (Bericht vom 21.
Januar 2005) und durch den behandelnden Arzt Dr. med. D.________, FMH
Psychiatrie und Psychotherapie, im Bericht vom 5. Juni 2009 diagnostizierten
Somatisierungsstörung (ICD-10 Ziff. F45.0) zu gelten.

4.3. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die dürftige Aktenlage kein
Abstellen auf die vorhandenen fachärztlichen Berichte erlaubt. Eine
überzeugende Diagnose ist - unter der Voraussetzung, dass kein Ausschlussgrund
vorliegt (Urteil 9C_492/2014 vom 3. Juni 2015 E. 2.2.1) - Bedingung für eine
Einschätzung der daraus fliessenden funktionellen Folgen und damit der
Arbeitsfähigkeit (vgl. E. 3.1). Das vorinstanzliche Abstellen auf das
Verlaufsgutachten vom 15. Januar 2010 hält somit unter Berücksichtigung der
neuen Rechtsprechung vor Bundesrecht nicht stand. Die Sache ist an die
IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie die entsprechenden Abklärungen treffe.
Dabei wird sie auch den von der Vorinstanz in E. 5.9 des angefochtenen
Entscheides aufgeworfenen Fragen betreffend den somatischen Gesundheitsschaden
Rechnung zu tragen haben.

5. 
Mit diesem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdegegner grundsätzlich
die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Seinem Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege kann jedoch entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG;
BGE 125 V 201 E. 4a S. 202). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4
BGG hingewiesen, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu
leisten hat, wenn sie dazu später in der Lage ist.
Da die Rückweisung einem Obsiegen gleich kommt (BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271),
bedarf der angefochtene Entscheid im Kostenpunkt keiner Korrektur.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Dispositiv-Ziffer 1 des
angefochtenen Entscheids und die Verfügung der IV-Stelle St. Gallen vom 17.
Januar 2012 werden aufgehoben. Die Sache wird im Sinne der Erwägungen zu neuer
Entscheidung an die IV-Stelle St. Gallen zurückgewiesen. Im Übrigen wird die
Beschwerde abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdegegner wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt, und
Rechtsanwalt Daniel Ehrenzeller wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdegegners wird aus der Gerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. September 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Williner

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